Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

kann der Berliner Senat bis jetzt nicht vorweisen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Herrmann! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Ich rufe die Priorität der Fraktion der SPD auf unter

lfd. Nr. 4 c:

Fachkräfte für Berlin

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0661

Das ist der ehemalige Tagesordnungspunkt 32. – Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Herr Jahnke hat das Wort. – Bitte, Herr Jahnke!

Danke, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins geht es endlich wieder voran. Die Stimmung in den Unternehmen ist laut Erhebung der IHK und Wirtschaftsforschungsinstitute positiv wie seit Jahren nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt wächst wieder, und die Arbeitslosigkeit in Berlin ist deutlich unter die Grenze von 300 000 gesunken.

Aus Gesprächen mit Unternehmensvertretern, insbesondere im Bereich der Industrie, aber auch der Gesundheitswirtschaft, der Softwarebranche, hören wir sogar immer häufiger die Klage, bestimmte Arbeitsplätze könnten nicht mehr qualifiziert besetzt werden, sowohl im Bereich der Ingenieure als auch bei den Fachkräften in der Produktion und im höherwertigen Dienstleistungsbereich. Gleichzeitig liegt die Arbeitslosenquote in Berlin noch immer bei über 15 Prozent. Offenbar finden das große Arbeitsangebot und die Nachfrage nach Arbeitskräften oftmals nicht zueinander. Aus Sicht der Unternehmen scheinen die Arbeitslosen größtenteils nicht ausreichend oder nicht richtig qualifiziert. Wenn das der Fall sein sollte, dann erhebt sich die Frage nach den Ursachen für diese Entwicklung und – noch stärker – die nach einem Ausweg aus dieser Situation. Es darf allerdings nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen gehen, schon gar nicht an die Adresse der Arbeitslosen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Ursachengeflecht ist sicherlich vielfältig. Es beginnt bereits beim veralteten dreijährigen Schulsystem und reicht bis zu einem System der dualen Berufsausbildung, das durchaus erhaltenswert ist, das jedoch einer klaren

Ergänzung und Profilbildung bedarf. Die Konjunkturabhängigkeit dieses Systems ist seine Achillesferse.

Es sind vielfach dieselben Unternehmen, die heute den Fachkräftemangel beklagen, die über Jahre hinweg die Ausbildung ihres eigenen Nachwuchses vernachlässigt haben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Dieses Problem fällt nun nicht nur ihnen auf die Füße, sondern dem Wirtschaftsstandort Berlin insgesamt! Unser Antrag fordert deshalb, zunächst eine Bestandsaufnahme durchzuführen, wie hoch das Fachkräftedefizit in Berlin tatsächlich ist und in welchen Bereichen es besteht. Es gibt durchaus widersprüchliche Indikatoren. Schon wenn man die Ergebnisse des jüngsten IAB-Berichts und die der Brandenburger Fachkräftestudie miteinander vergleicht, kommen unterschiedliche Folgerungen heraus. Deshalb benötigen wir valide Zahlen für Berlin. Nach Vorlage des Ergebnisses müssen gezielte Maßnahmen folgen, die wir in unserem Antrag benennen. Die Berliner Unternehmen werden dabei in angemessener Weise an der Aus- und Weiterbildung der von ihnen benötigten Fachkräfte beteiligt und gefordert. Nur als Ultima Ratio ist die gezielte Anwerbung von Fachkräften in Erwägung zu ziehen. Wir können nicht zulassen, dass Fachkräftemangel in Berlin zu einer Bremse für die Entwicklung des Wirtschafts- und Industriestandortes wird. Temporär wird man deshalb möglicherweise auf den Zuzug von Fachkräften angewiesen sein, was auch eine Bereicherung für die Stadt insgesamt sein kann. Aber zur langfristigen Stabilisierung des Wirtschaftsstandortes Berlin und des hiesigen Arbeitsmarktes hilft nur eine nachhaltigere Struktur der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jahnke! – Für die CDUFraktion hat jetzt der Abgeordnete Dietmann das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz unstrittig nennen Sie ein überaus wichtiges Thema. Sie haben selbst gesagt, dass in Diskussionen mit Unternehmen, mit kleinen und mittleren Unternehmen, aber auch mit größeren Unternehmen – ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Chef von Berlin-Chemie, Herrn Uppenkamp, – immer wieder daraufhingewiesen wird, dass dies eine relevante Frage im Sinn eines Standortfaktors ist, der uns insbesondere im Wettbewerb mit südlichen Bundesländern einiges Kopfzerbrechen bereitet.

Es ist unstrittig keine Frage der Berliner Politik, wenngleich diese hier noch eine spezifische Besonderheit aufweist, auf die ich gleich zurückkomme, es ist eine bundesweite Diskussion, die gerade stattfindet. Sie ist deshalb

wichtig, weil der Aufschwung, der durch die Bundesregierung unter Angela Merkel eingesetzt hat, durch den Fachkräftemangel nicht abgewürgt oder gar beendet werden darf. Die Bundesregierung hat deshalb angekündigt, im Herbst ein Programm gegen Fachkräftemangel vorzulegen. Wirtschaftsminister Glos hat in einer Regierungserklärung noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig dieses Thema für die Bundesrepublik Deutschland ist.

Die Zahlen sind aufgrund der demografischen Entwicklung in der Tat dramatisch. 2015 erwartet man rein rechnerisch, dass der Anzahl von Arbeitsplätzen genauso viele Arbeitsuchende gegenüberstehen, im Jahr 2050 kommt es dann allerdings zu dem krassen Missverhältnis, dass 44 Millionen angebotenen Arbeitsplätzen 18 Millionen Arbeitsanbietende gegenüberstehen. Deshalb müssen wir uns der Herausforderung stellen. Bis zum Jahr 2010 fehlen allein in der Region Berlin-Brandenburg rund 100 000 Fachkräfte. Experten sind sich weitgehend einig, was die Maßnahmen anbelangt: Verbesserung der Beschäftigungsperspektiven älterer Arbeitnehmer, bessere Erwerbsmöglichkeiten und -bedingungen für Frauen, Nachqualifizierung – wir haben eben über die Ausbildung gesprochen, es müssen verstärkte Bildungsanstrengungen auf allen Ebenen in der Schule beginnend bis hin zu den Universitäten unternommen werden –, aber auch die gesteuerte Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland. Natürlich muss die Priorität auf der Förderung inländischer Fachkräfte liegen. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat gesagt:

Ich möchte nicht, dass es in der Wirtschaft zugeht, wie bei vielen deutschen Fußballclubs: daheim wenig ausbilden und die guten Spieler im Ausland kaufen.

Das sehe ich genauso. Dennoch darf man sich einer solchen Diskussion nicht verschließen. Die CDU hat sich dieser Diskussion nicht verschlossen, nur Arbeitsminister Müntefering, wie heute in der „Berliner Morgenpost“ nachzulesen ist, weigert sich strikt, den Gedanken aufzunehmen. Die Überschrift dazu lautet: „Müntefering gegen Zuwanderung – Vizekanzler will Arbeitsmarkt trotz Fachkräftemangel weiter abschotten.“ – Realität und Intention, meine Damen und Herren von der SPD, gehen hier auseinander.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Rainer-Michael Lehmann (FDP)]

Die Koalition in Berlin hat das Thema Fachkräftemangel bisher nicht wirklich auf der Agenda gehabt. Das macht auch dieser – tut mir leid, dass ich das sagen muss – Prosaantrag mit dem Wünsch-dir-was-Charakter deutlich, insbesondere, wenn ich mir die erste Forderung ansehe. Während das Arbeitsministerium in Brandenburg bereits 108 konkrete Vorschläge gemacht hat, ist der Berliner Senat noch nicht einmal ansatzweise so weit. Meine Kollegin Görsch hat im Mai eine Kleine Anfrage gestellt. Eine Frage lautete: Wie entwickelten sich der Bedarf und die Möglichkeiten der Versorgung mit geeigneten und qualifizierten Fachkräften im Bereich Bauen, Vertrieb,

Management, Technik und IT-Branche? Die Antwort darauf lautet:

Dem Senat liegen keine einschlägigen statistischen und empirischen Ergebnisse vor. (...) Von einem generellen Fachkräftemangel kann nicht gesprochen werden.

Ich nenne so etwas Blindflug.

Um Fachkräfte und Menschen, die hier arbeiten wollen, nach Berlin zu holen, braucht man attraktive wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Hier darf man nicht nur den Status quo betrachten, sondern es geht um Wirtschaftsansiedlungen. Die Realität in Berlin sieht aber anders aus. Die industrielle Produktion ist jahrelang vernachlässigt worden. In diesem Umfeld konnten sich keine geeigneten Arbeitsplätze entwickeln. Natürlich haben hier Fachkräfte das Nachsehen und müssen sich nach anderen Optionen, meist im Süden der Republik umsehen. Sparmaßnahmen an Schulen und Universitäten haben zu dem heutigen Fachkräftemangel beigetragen. Viele, die wir in Berlin ausbilden, gehen in besser strukturierte Landstriche – ich habe darauf bereits hingewiesen – meist im Süden der Republik. Die Attraktivität des Wirtschaftstandortes leidet ebenfalls durch Ihren Umgang mit der regionalen Wirtschaft. Wir haben im Wirtschaftsausschuss über die mangelhafte Vergabepolitik gesprochen, den Umgang mit Investoren – hier sei das Thema Tempelhof noch einmal exemplarisch erwähnt –, aber auch Rahmenbedingungen wie Wasserpreise oder Verordnungen wie die Umweltzone tun ihr Übriges. Man hat den Eindruck, dass die Antwort von Rot-Rot auf den Fachkräftemangel insbesondere darin besteht, Unternehmen, die Fachkräfte benötigen, nicht nach Berlin zu holen oder eine Abwanderung billigend in Kauf zu nehmen.

Sie hören, dieses Thema ist extrem facettenreich. Ich freue mich schon auf die Diskussion im Ausschuss, die dann aber hoffentlich substanzieller ist als Ihr Antrag, den Sie heute vorgelegt haben. Appellieren möchte ich – da schließe ich mich Ihnen an – an die Berliner Wirtschaft mit einem Zitat des Handwerkskammer-Präsidenten Stefan Schwarz aus der „Handwerkszeitung“ aus dem Juli:

Eigenverantwortung jetzt und hier ist der einzige Garant, den zukünftigen Fachkräftebedarf zu sichern. Abwarten hieße, auf Wertschöpfung zu verzichten und die Verantwortung für den eigenen Erfolg abzugeben. Das entspricht keiner modernen, zukunftsorientierten Unternehmensphilosophie. Auf den Lorbeeren ausruhen, das wird sich niemand mehr leisten können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dietmann! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete HolzheuerRothensteiner das Wort – bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Berlin befindet sich inmitten eines kolossalen Veränderungsprozesses in Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Märkten. Die demografische Entwicklung ist ein weiteres zu bewältigendes Problem und über allem steht die Aufgabe, die durch die bisherigen Produktions- und Konsumtionsformen hervorgerufenen Schäden für Lebensbedingungen, Klima und Umwelt künftig zu vermeiden. Die Herausforderungen, die sich unter diesen Bedingungen für die Wirtschaft und ihre wichtigste Ressource, die Fachkräfte, stellen, sind groß. Bei einer Befragung von 20 000 Unternehmen durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag haben 23 Prozent der Betriebe angegeben, trotz hoher Arbeitslosigkeit ihre aktuellen offenen Stellen nicht besetzen zu können. 30 Prozent der Betriebe kommen aus der pharmazeutischen Industrie, ein Viertel aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau. Das heißt: Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es einen Mangel an Fachkräften. Genau dieses Problem muss man sich sehr genau ansehen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Christian Gaebler (SPD)]

Für den Wirtschaftsraum Berlin-Brandenburg ergeben die Prognosen einen Anstieg des Fachkräftemangels bis 2010 von über 100 000 Stellen. Von diesem Fachkräftemangel ist der Gesundheitsbereich ebenso betroffen wie die Industrie und die Informations- und Kommunikationstechnologie. Wenn diese Prognosen richtig sind, stellt das insbesondere an die Aus- und Weiterbildungsaktivitäten der Unternehmen künftig höchste Anforderungen, denn bei der Behebung eines eventuellen Fachkräftemangels wollen derzeit nur 6 Prozent auf ausländische Fachleute, 15 Prozent auf das Potenzial älterer Arbeitnehmer zurückgreifen und fast Zweidrittel der Unternehmen setzen auf ein verstärktes Engagement in der Aus- und Weiterbildung. Diese Vorhaben sind zu würdigen. Allerdings investieren Unternehmen in Aus- und Weiterbildung derzeit vor allem, um auf die aktuellen Marktveränderungen reagieren zu können, nicht aber im Rahmen einer langfristigen Beschäftigungsplanung auf der Basis von Analysen. Insbesondere vernachlässigt die Wirtschaft auch die berufliche Erstausbildung junger Menschen und ganz genau hier beginnt das Problem des künftigen Fachkräftemangels. Genau hierfür, für die Erstausbildung, muss die Wirtschaft sehr viel mehr tun.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Allen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen, die Beschäftigungsfähigkeit von erwerbslosen Menschen zu erhalten und die Qualifikation von Beschäftigten in Unternehmen unter sich verändernden strukturellen Bedingungen zu verbessern, das alles steht im Mittelpunkt der Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Qualifizierungspolitik von Rot-Rot. Zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses gehört es auch, die Zahl der Studierenden weiter zu erhöhen, keine Studiengebühren einzuführen, die universitäre Lehre zu verbessern, mehr Juniorprofessuren zu fördern

sowie Frauen den Weg in die Wissenschaft und Forschung zu ebnen. Das genau tut Berlin. Dies sind wichtige Schritte zur Behebung des künftigen Fachkräftemangels insbesondere im akademischen Bereich. Nicht unerwähnt lassen möchte ich in diesem Zusammenhang den Industriedialog mit dem Wirtschaftssenator, das Eintreten für die Etablierung der Weiterbildung als vierte Bildungssäule, das Eintreten für einen Mindestlohn und gegen die Abschottung von europäischen Arbeitsmärkten.

Anliegen dieses Antrags ist es, gemeinsam mit der Berliner Wirtschaft die aktuelle und die prognostizierte Fachkräftelücke für die einzelnen Branchen zu betrachten, Lösungen zu finden und anschließend Maßnahmen zur Befriedigung des Fachkräftebedarfs zu ergreifen.

Im Vordergrund künftiger Gespräche muss dabei auch stehen, welche neuen Strategien Wirtschaft und Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik gemeinsam zur Bekämpfung des Fachkräftemangels entwickeln können. Wie können die Ausbildungspotenziale der Schulen, Fachhochschulen, Universitäten, außeruniversitären Einrichtungen und Unternehmen besser gebündelt werden? Wie kann das System der dualen Ausbildung wieder zu einer wichtigen Ressource der Unternehmen werden? Wie könnten die gemeinsam mit der Wirtschaft ermittelten Bedarfe an Fachkräften ggf. über gezielte Anwerbekampagnen gedeckt werden?

Entschuldigung, Frau Holzheuer-Rothensteiner! Ihre Redezeit ist beendet.

Der letzte Satz: Ich hoffe sehr, dass der Antrag der Koalitionsfraktionen zu einer intensiven ressourcenübergreifenden und ressortbündelnden Debatte über die Deckung des künftigen Fachkräftebedarfs in Berlin führen wird.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Holzheuer-Rothensteiner! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Paus das Wort. – Bitte sehr!

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Werte SPD! Werte Linke! Wir teilen das Anliegen Ihres Antrags „Fachkräfte für Berlin“.

[Beifall und Oh-Rufe bei der SPD und der Linksfraktion]

Berlin als kreative Stadt sollte an den drei T arbeiten, die der renommierte und international anerkannte Regionalökonom und Stadtsoziologe Richard Florida als ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg von Metro