Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

Herr Czaja! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den Brief vorgelesen haben, weil ich nichts davon zurückzunehmen habe. Ich habe in meiner Rede bereits gesagt, dass ich mich geirrt habe, und zwar in Unwissenheit. Dazu stehe ich.

[Dr. Frank Steffel (CDU): Dann müssen Sie auch die Verantwortung für Ihren Irrtum übernehmen!]

Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich als Vorsitzender des Petitionsausschusses bewiesen habe, dass ich über Parteigrenzen hinweg versuche, Gerechtigkeit walten zu lassen. Ich habe bisher drei Abwahlanträge bekommen. Wenn ich von Ihnen jetzt den vierten bekomme, dann sage ich mir: Viel Feind, viel Ehr! Ich habe meine Funktion als Vorsitzender offensichtlich nicht schlecht ausgeübt.

Zum Inhaltlichen: Wir bekamen von der Verwaltung den Vorschlag, eine zweijährige Übergangsfrist in das Gesetz einzubauen. Das haben wir bewusst abgelehnt. Wir waren der Überzeugung, dass das Gesetz nur in Kraft tritt, wenn das andere außer Kraft tritt bzw. geändert wird. So wurde es uns gesagt. Vor diesem Hintergrund habe ich die Aussagen im Wahlkampf getroffen. Nachdem ich feststellen musste, dass diese Aussagen – unwissentlich – falsch waren, hatte ich die Größe, mich zu entschuldigen. Das gehört auch zu einem guten Politiker. Herr Czaja, Sie haben das bezüglich Ihrer Angaben nicht getan! – Schönen Dank!

Vielen Dank, Herr Abgeordneter! – Jetzt hat für die Fraktion der Grünen der Abgeordnete Otto das Wort. – Bitte sehr!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier gerät man in Debatten, über die man sich nur wundern kann. Das

Gesetz, um dessen Abschaffung sich die CDU-Fraktion bemüht, hat das Haus schon schwer beschäftigt. Es ist aber ein noch relativ junges Gesetz. Es gibt fast keine Anwendung. Im Gegensatz zu dem Kollegen Czaja finde ich, dass dreißig Straßen, die darunter fallen, noch nicht so sehr viel sind, wenn man das durch die dafür in Frage kommenden Bezirke teilt. Das Gesetz konnte sich noch nicht bewähren. Die Koalition konnte auch in den Bezirken, in denen Rot-Rot regiert, noch nicht so richtig demonstrieren, dass es ein Super-Gesetz ist und alle Bürger damit glücklich werden. Dazu müssen wir noch ein wenig Zeit geben. Insofern kann ich sagen, dass wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Ihrem Antrag nicht zustimmen werden. Wir sind aber sehr begierig darauf, im Ausschuss darüber zu beraten, was an diesem Gesetz bisher gut und schlecht war und insbesondere darüber zu sprechen, was durch die Koalition noch zu tun ist.

Wir haben alle erwartet, nachdem das Gesetz im Jahr 2006 verabschiedet wurde, dass es irgendwie losgeht. Dass es in den rot-roten Bezirken losgehen sollte, habe ich schon gesagt. Nun ist etwas dazwischen gekommen: Der Wahlkampf. Das spielte eben schon bei dem Kollegen Hillenberg eine Rolle. Dass Sie sich, lieber Kollege Hillenberg, in den konkreten Fällen geirrt haben, mag so sein. Ich habe aber noch ein anderes Zitat von Ihnen gefunden, was die noch eher grundsätzliche Haltung deutlich macht. Sie haben auch geschrieben:

Trotz des Straßenausbaubeitragsgesetzes, das eine finanzielle Beteiligung der Anwohner regelt, werden Anliegerstraßen auch aufgrund der Haushaltslage in den nächsten Jahren nicht ausgebaut.

Hier offenbart sich nicht Irrtum, sondern Verschleierungstaktik. Das muss man an der Stelle einfach einmal konstatieren.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Stellen Sie sich vor, eine Regierungskoalition legt ein Gesetz vor, und ein Abgeordneter – oder in dem Fall ein Kandidat – verspricht der Öffentlichkeit: „Leute, bleibt gelassen. Es passiert ohnehin nichts.“ Das finde ich bösartig.

[Beifall bei den Grünen]

Zunächst gab es also den Wahlkampf. Dann kam nicht zuletzt doch durch die große und sehr breite öffentliche Debatte Bewegung in die Sache. Aus meiner Überzeugung gibt es zwei positive Aspekte, die mit diesem Gesetz und seiner Anwendung zu tun haben. Zunächst einmal werden alle Straßenbauvorhaben, die in irgendeiner Form darunter fallen könnten, sehr viel intensiver diskutiert und letztlich auch sehr viel sparsamer durchgeführt. Das ist ein Vorteil. Daran wird deutlich, dass das Mitreden der Bürger wichtig ist. Solange das Land Berlin, der Bezirk oder allgemein der Steuerzahler die Straßen bezahlt hat, war es den Anliegern weitgehend egal. Wenn sie aber selbst zuzahlen müssen, wird diskutiert. Damit kommt man zu preiswerten Lösungen.

Ich wollte Sie in Ihrem Redebeitrag nicht unterbrechen, aber Ihr Satz fand kein Ende. – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hillenberg?

Nein, das machen wir nachher. – Zweitens: Die Mindeststandards werden kaum überschritten – wenn Sie die Debatten beobachten. Man hält sich wirklich an das Minimalprogramm. Das mag sich in ein paar Jahr ändern, wenn man das Gesetz in Straßen anwendet, wo vielleicht die Leute etwas wohlhabender sind. Es gibt aber auch noch viel zu tun. Einiges ist ungeregelt. Was ist beispielsweise mit dem Problem bei Straßen, die mit GAMitteln ausgebaut werden? – Da gibt es bislang nichts. Es gibt keine Vorgabe. Im Zweifelsfall heißt das, dass die 10 Prozent Eigenanteil des Landes Berlin umgelegt werden, die 90 Prozent GA-Förderung nicht. Das ist für die Anlieger in diesen Straßen super. Es ist aber ein Gerechtigkeits- oder Gleichheitsproblem, wenn die nächste genauso geartete Straße vollständig umgelegt oder mit einem beispielsweise 70 Prozent-Anteil dem in Rede stehenden Betrag durch die Eigentümer finanziert werden soll. Das ist ein Problem. Bislang hat es die Senatsverwaltung nicht geschafft, eine Regelung zu finden und einen Vorschlag zu unterbreiten, der den Bürgern entgegenkommt.

Ein anderes Problem ist offen. Wie sieht es mit den Honoraren für Planungsleistungen aus? Werden diese umgelegt? Das ist auch eine seit über einem Jahr offene Frage. Wir haben das Gefühl, dass der Senat schon mehr hätte tun müssen. Weshalb gibt es eigentlich keine entsprechenden Ausführungsvorschriften? Ich habe den Eindruck, dass Sie ein Gesetz beschlossen und dieses dann vielleicht auch vor Furcht sich selbst überlassen haben.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist!

Ich bin fast fertig. – Der Presse konnte man entnehmen, dass insbesondere im Bezirk Lichtenberg sehr wenig geschehen würde. Nun dachte ich, dass dieses der Modellbezirk für das Gesetz wäre, dort ginge es los. Aber insbesondere dieser Bezirk ist ein Stammbezirk der Linkspartei. Dort passiert am wenigsten. Ich ende mit einem Zitat des Kollegen Radebold, der gesagt hat:

Wir werden mit dem Gesetz verhindern, dass egoistische oder regional-populistische Interessen dieses Gesetz aushebeln.

Dass der Mann recht hatte, müssen Sie uns erst einmal beweisen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Otto1 – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Doering. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Ich schließe mich Herrn Hillenberg an. In nahezu allen Bundesländern, in 15, gibt es ein Straßenausbaubeitragsgesetz. Mir ist nicht bekannt, Herr Czaja, dass es in den CDU-regierten Bundesländern Initiativen der CDU gibt, diese Gesetze abzuschaffen. Was das Berliner Gesetz von anderen unterscheidet, ist die Beteiligungsregelung für die beitragspflichtigen Bürger. Hier sind wir vorbildlich. Solche Regelungen gibt es in anderen Bundesländern nicht.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb sehen wir keinen Grund, dem CDU-Antrag zu folgen. Allerdings muss es in der Anwendung und Umsetzung des Gesetzes dringend Korrekturen geben. Das Anliegen des Gesetzes, beim Straßenausbau eine wirksame Beteiligung der beitragspflichtigen Bürger zu sichern, hat offensichtlich noch nicht alle Amtsstuben erreicht. So kann es nicht bleiben. In das Handeln jeder Verwaltung muss schnellstens der Gedanke einziehen, dass derjenige mitentscheiden soll, der mitbezahlt.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wer sich mit den aktuellen Vorgängen in den Bezirken befasst, wird feststellen, dass es die unterschiedlichsten Auslegungen des Gesetzes gibt. Schon bei der Begrifflichkeit geht es drunter und drüber. In einer Baubeschreibung für eine Straße in Altglienicke wird beispielsweise von einem Neubau der Straße gesprochen. Die Anlieger werden aber im Sinne des Straßenausbaubeitragsgesetzes darüber informiert, dass sie an den Baukosten beteiligt werden. Die Straße muss aber nicht neu gebaut werden, da sie schon seit längerer Zeit existiert und der weitaus größte Teil der Straßendecke im Zuge von Arbeiten der Berliner Wasserbetriebe vor gut vier Jahren erneuert wurde.

Der Neubau der Straße wird mit der ständig voranschreitenden Bebauung und der damit einhergehenden Zunahme des Verkehrsaufkommens im Wohngebiet begründet. Die betreffende Straße ist eine typische Anliegerstraße. Von größerem Verkehrsaufkommen ist weit und breit nichts zu sehen. Nachfragen der Bürger beim zuständigen Amt, was eine entsprechende Verkehrszählung erbracht habe, konnten oder wollten von der zuständige Behörde nicht beantwortet werden. Bürgerbeteiligung sieht nach meiner Auffassung anders aus.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Bekannt ist auch die Haltung einiger Baustadträte. Das geht quer durch die Parteien, auch bis zur CDU, dass das Beteiligungsverfahren als eher lästig und nicht notwendig angesehen wird. Ich betone noch einmal: Im Straßenausbaubeitragsgesetz ist eindeutig geregelt, dass eine Informations- und Anhörungspflicht besteht und die Einwände und Äußerungen der beitragspflichtigen Bürger in die Entscheidung über die Ausbaumaßnahme einzubeziehen sind.

Obwohl im Gesetz eindeutig formuliert wird, dass vor der Entscheidung über die Ausbauvariante die Zustimmung der Bezirksverordnetenversammlung einzuholen ist, sind Baustadträte auch von der CDU der Ansicht, dass eine Genehmigung zur Investitionsplanung bereits die Zustimmung zur durchführenden Ausbauvariante ist. Diese Interpretation halte ich für falsch.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Erstens: Der Bürger nimmt Stellung zur geplanten Ausbaumaßnahme. Zweitens: Einwände sowie Stellungnahmen sind in die Entscheidung zur Ausbaumaßnahme einzubeziehen. Drittens: Vor der Entscheidung über die durchzuführende Ausbauvariante ist die Zustimmung der BVV einzuholen.

Sie stimmten zu – oder auch nicht.

Es ist bekannt, dass die Baustadträte eine Ausführungsbestimmung wünschen, damit sie Rechtssicherheit haben. Solche Ausführungsbestimmungen sollten im Sinne des Gesetzes eindeutig sein und keine großen Interpretationsspielräume – etwa durch die bezirklichen Verwaltungen – zulassen. Darüber werden wir in den zuständigen Ausschüssen diskutieren und uns auseinandersetzen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Doering! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt das Wort der Abgeordnete von Lüdeke. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der letzten Wahlperiode hat ein Gesetz dieses Haus passiert, das an Schlampigkeit und Unsolidität kaum zu überbieten war – das Straßenausbaubeitragsgesetz.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir haben gerade von Herrn Doering gehört, dass die Regierungsfraktionen diese Schlamperei inzwischen auch erkennen. – Wir erinnern uns alle gut an die endlosen Diskussionen in den Ausschüssen und im Plenum und an das Ziel, das Sie mit Ihrem Gesetz verfolgt haben: Sie brauchten Geld für die leere Landeskasse, weil Sie nicht

in der Lage sind, die notwendigen Mittel für die Straßenunterhaltung aufzubringen. Diese Gelder wollen Sie den Haus- und Grundstückseigentümern per Gesetz abknüpfen. – Instandhaltungsmaßnahmen, die als Neubau deklariert werden, sind deshalb die Regel und nicht die Ausnahme, Herr Doering!

Vor der Wahl 2006 – ich erinnere an die Sitzung vom 31. August – fragte die Abgeordnete Spranger von der SPD – jetzt Staatssekretärin für Finanzen, sicher nicht wegen ihrer Frage, aber vielleicht wegen der Vorlage – Senatorin Junge-Reyer zum Thema: „Verbreitung gezielter Unwahrheiten über das Straßenausbaubeitragsgesetz“, ob ihr Bescheide über bis zu 72 000 € für Anlieger bekannt seien. Frau Junge-Reyer verneint und sagt:

Wer den Eindruck erweckt, als ob es sich hierbei um einen möglichen Beitrag für ein genutztes Einfamilienhaus handelt, erweckt Ängste, und zwar offensichtlich auch wider besseres Wissen.

Wie gesagt, es ist Wahlkampf zu der Zeit. – Frau Spranger möchte Zahlen wissen und schiebt noch nach, was ein Anwohner mit einem Durchschnittsgrundstück in einer Größe von 650 bis 850 m2 zu zahlen habe. Frau JungeReyer darauf:

Es ist äußerst schwierig, eine einzelne Größenordnung zu nennen. Wir müssen uns auf eine Bandbreite verständigen.

Für eine typische Situation nennt sie 500 bis 600 €, bis zu 2 000, 3 000 € für ausführliche, „große“ Maßnahmen, wie sie es nennt.

Herr Doering, der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, mein Vorredner, sagte damals, die FDP habe von den Dingen offensichtlich keine Ahnung.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Hat sie auch nicht!]

Derselbe Herr Doering sagt heute, nach der Wahl, laut „Berliner Zeitung“ vom 11. Juni 2007, SPD und Linksfraktion wollten ein Machtwort mit den Bezirkspolitikern reden: „Die haben den Sinn des Gesetzes offenbar noch nicht erfasst.“ – Das haben Sie heute auch wieder zu erklären versucht. Herr Doering! Sie irren jedoch, die Bezirke haben den Sinn des Gesetzes erfasst und sehr genau verstanden. Sie greifen den Bürgern in die Tasche, so wie Sie es haben wollten.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]