Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

Ich eröffne die I. Lesung. Den Fraktionen steht eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion, das ist die FDP. Herr Jotzo, Sie haben erneut das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein guter Tag für die Demokratie, ein guter Tag für unser Parlament und auch ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt, denn heute bringen die Oppositionsfraktionen gemeinsam einen Gesetzentwurf ein, der die Bürgerbeteiligung in unserem Land auf eine neue Grundlage stellt.

[Beifall bei der FDP]

Künftig wird die Bürgerbeteiligung damit einfacher, schneller, vor allem aber wichtiger werden. Dies zu verwirklichen, das ist ein gemeinsames Anliegen aller Oppositionsfraktionen in diesem Haus. Schade ist nur, dass der Senat es versäumt hat, von sich aus aktiv zu werden.

[Christoph Meyer (FDP): Beschämend!]

Es bedurfte eines Anstoßes der Oppositionsfraktionen. Zehn Monate, nachdem der Volksentscheid für mehr direkte Demokratie erfolgreich war, haben Sie es immer noch nicht geschafft, die Änderungen im Ausführungsgesetz zu manifestieren. Jetzt sind Sie vom Senat zwar aktiv

geworden, das ist nicht zu verkennen, aber Sie greifen zu kurz mit Ihrem Entwurf.

[Beifall bei der FDP]

Sie sind zwar früh genug aktiv geworden, um vor den Bürgerinnen und Bürgern nicht mit ganz leeren Händen dazustehen, aber Sie sind zu spät aktiv geworden für die wichtigen Volksbegehren, die zurzeit laufen. Ich nenne hier nur Pro Reli und das Volksbegehren hinsichtlich des Erhalts des Flughafens Tempelhof. Gerade hier hat der Senat in beschämender Weise gezeigt, was er von Bürgerbeteiligung hält.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Herr Wowereit! Darauf wird noch einzugehen sein, aber was Tempelhof angeht, haben Sie sich wahrhaft kein Ruhmesblatt angeheftet.

Jetzt legen Sie einen eigenen Entwurf vor, der aber zu kurz greift. Die Oppositionsfraktionen machen Ihnen wesentlich sinnvollere und weitgehendere Vorschläge.

[Beifall bei der FDP und den Grünen – Beifall von Monika Thamm (CDU)]

Lassen Sie mich kurz auf die wichtigsten Aspekte des Oppositionsantrags eingehen. Erstens: Die Einzellisten sind in Zukunft nach unserem Willen passé. Sammellisten machen das Sammeln für die Bürgerinnen und Bürger einfacher und sorgen für eine effizientere Bürgerbeteiligung.

Zweitens: Künftig soll bei der zweiten Stufe des Volksentscheids die freie Sammlung zulässig sein – und zwar unbürokratisch. Der Senat möchte nach seinem Entwurf, der uns noch nicht zugeleitet worden ist, dass schon in der zweiten Stufe auf der Straße die Ausweise der Bürgerinnen und Bürger vorgelegt werden müssen. Das schreckt ab und ist völlig unnötig, denn in der dritten Stufe werden die Ausweise ohnehin mit der Wahlberechtigung zusammen vom Bezirkswahlamt kontrolliert. Dieser Vorschlag ist eine unnötige Einschränkung, den wir von der Opposition ablehnen.

[Beifall bei der FDP]

Aber die wichtigste Änderung, die die Opposition vorschlägt, dürfte Herrn Wowereit interessieren: die aufschiebende Wirkung des Volksentscheidverfahrens. Es kann nicht sein, dass ein laufendes Volksentscheidverfahren nach Gutsherrenart von einem Bürgermeister überholt wird, der sagt: Uns ist egal, was bei dem Volksentscheid herauskommt, wir wissen ohnehin, was wir machen. – Da wissen wir schon, was uns in Zukunft erwartet, wenn Herrn Wowereit einfällt, dass er durch Schließung des ICC den Messestandort Cottbus stützen will und dass er bei laufendem Volksentscheidverfahren zum Erhalt des ICC die Entscheidung trifft. Das wäre genau der Gusto, nach dem der Senat vorgehen und mit den Bürgerinnen und Bürgern umgehen will. Das ist mit der Opposition nicht zu machen. Wir wünschen uns eine aufschiebende Wirkung, denn nur so kann gewährleistet werden, dass

der Wille der Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich umgesetzt wird.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den Grünen – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Haben Sie die CDU betrunken gemacht, oder weshalb hat die das mitgetragen?]

Es gibt deshalb nur eine Konsequenz: Lassen Sie uns heute einen Schritt zu mehr Demokratie gehen! Stimmen Sie für den Antrag der Opposition, denn er ist dem Antrag des Senats um Meilen, man könnte fast sagen um Lichtjahre voraus!

[Christian Gaebler (SPD): Sie kennen ihn doch gar nicht!]

Das, was Sie hier vorlegen – – Herr Gaebler, ich habe ihn eingesehen und es ist wahrhaft kein Ruhmesblatt. Ich wünsche mir, dass Sie unserem Antrag die Zustimmung geben, denn allein der Antrag der Opposition bringt die Bürgerbeteiligung nach vorn. Das ist unser aller gemeinsames Anliegen, so habe ich zumindest Sie verstanden, Herr Gaebler.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Jotzo! – Für die SPDFraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Felgentreu – bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Jotzo, wir führen einen Streit, der nicht unbedingt notwendig ist. Das werden Sie selbst einsehen. Sie alle, die beim letzten Mal dabei gewesen sind – die Jüngeren erinnern sich zumindest, weil sie als politisch denkende Menschen an diesen Prozessen teilgenommen haben –, wissen, dass wir einen breiten Konsens in diesem Haus darüber hatten, wie wir die Möglichkeiten der direkten Demokratie erweitern wollen. Es ist uns in der vergangenen Legislaturperiode gelungen, einen verfassungsändernden Antrag aller Fraktionen dieses Hauses gemeinsam einzubringen und abzustimmen. Das war ein großer politischer Erfolg und zeigt den gemeinsamen Willen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, in Berlin mehr Demokratie zu erreichen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Wir haben damals, als wir die verfassungsändernden Normen formuliert haben, bereits Überlegungen angestellt, wie wir in einem zweiten Schritt, wenn die Verfassungsänderungen in Kraft getreten sind, fortfahren wollen. Zum Beispiel, indem wir in dem Ausführungsgesetz, über das wir jetzt debattieren, offene Listen zulassen, andere Möglichkeiten, die wir damals bereits vereinbart haben als Bestandteile eines neu zu formulierenden Ausführungsgesetzes, wenn durch Volksabstimmung die Verfas

sungsänderungen in Kraft getreten sind. Das befindet sich jetzt im Prozess.

Der Senat hat am vergangenen Dienstag, Herr Jotzo, die Senatsvorlage zu diesem Thema beschlossen. Insofern ist der Diskussionsstand auf Senatsebene exakt so weit wie in den drei glorreichen Oppositionsfraktionen, die hier diesen demokratierettenden Antrag eingebracht haben. Ich muss ehrlich sagen, allein im Hinblick auf die Formalien, die Sie kritisiert haben, kann ich nicht nachvollziehen, was diesbezüglich Ihr Anliegen ist. Aber ich will mich gar nicht so stark auf diese Formaldebatte einlassen. Sie haben den einen oder anderen Punkt aufgegriffen, über den wir uns anschließend in der Beratung im Fachausschuss noch austauschen werden. Ich sage Ihnen von vornherein, dass es mein Wunsch ist, dass die Beratungen in den Fachausschüssen zu einem ähnlichen Ergebnis führen wie die Beratungen über die Verfassungsänderung in der vergangenen Legislaturperiode, nämlich dass wir Einigkeit erzielen.

Deshalb ganz kurz zu Ihren inhaltlichen Punkten. Ich möchte gern zwei Punkte herausgreifen. Sie haben kritisiert, dass beim Ausfüllen der offenen Listen, die auch die Senatsvorlage vorsieht, erwartet wird, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Personalausweis vorzeigen müssen. Wir werden diskutieren müssen, ob das praktikabel ist, ob das überhaupt funktionieren kann. Was ich richtig finde – das sieht die Senatsvorlage ebenfalls vor –, ist, dass man sein Geburtsdatum angibt und nicht nur Name und Adresse. Das halte ich für eine sinnvolle Maßnahme, um Missbrauchsmöglichkeiten von vornherein zu reduzieren. Über den Personalausweis werden wir uns unterhalten müssen, das ist aus meiner Sicht eher eine Praktikabilitäts- denn eine sachliche Frage.

[Benedikt Lux (Grüne): Das steht aber im Entwurf drin!]

Noch wichtiger: der Punkt mit der aufschiebenden Wirkung einer Volksinitiative. Herr Jotzo! Sie wollen, dass der Senat in der Sache nicht mehr entscheiden kann, wenn eine Volksinitiative erfolgt ist.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Nein, nein, nein!]

Das muss man sich einmal praktisch vorstellen. Volksinitiativen sind 20 000 Berlinerinnen und Berliner. Wir haben das Quorum bewusst abgesenkt, weil wir es leichter machen wollten. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung soll eine Art Blockademinorität bilden,

[Dr. Martin Lindner (FDP): Erst nach der zweiten Stufe!]

um den Senat zu hindern, seine Maßnahmen zu treffen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

[Zurufe von den Grünen und der FDP]

Entschuldigen Sie, Herr Dr. Felgentreu! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jotzo?

Ja, bitte schön, Herr Jotzo!

Herr Dr. Felgentreu! Sie sind sich schon darüber im Klaren, dass im Oppositionsentwurf erst ab Erfolg der zweiten Stufe der Suspensiveffekt vorgesehen ist?

[Beifall bei der FDP – Christian Gaebler (SPD): Ja, aber das hat mit Tempelhof nichts zu tun! – Volker Ratzmann (Grüne): Lesen, Herr Dr. Felgentreu!]

Wenn Sie die Blockademinorität ab der zweiten Stufe einsetzen wollen, würde man Ihnen trotzdem entgegenhalten, dass der Senat handlungsfähig bleiben muss – und zwar zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens. Sie haben Ihre Kritik verbunden mit der Tempelhoffrage. Sie haben gesagt, die Langsamkeit bei der Ausarbeitung der Vorlage – ich sehe gerade, dass die Zeit wegläuft. Ach, Sie stoppen gerade?

Die Langsamkeit führt angeblich dazu, dass die neue Gesetzeslage für Tempelhof nicht mehr greifen kann. Das würde ohnehin nicht passieren. Das Volksbegehren wegen Tempelhof ist so früh eingeleitet worden, dass eine veränderte Gesetzeslage in keinem Fall mehr hilfreich wäre.

Insofern ist auch das ein Punkt, wo wir aneinander vorbeigeredet haben und wo ich glaube, dass wir im Prinzip am selben Strang ziehen und es auch hinbekommen werden.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Ich glaube, Sie reden gerade am Entwurf vorbei!]

Nein, das glaube ich nicht, dass ich am Entwurf vorbeirede! – Ich glaube, dass Sie in der Situation, wo Sie gesagt haben, Ihnen arbeite der Senat an dieser Stelle zu langsam, mit einem eigenen Entwurf erreichen wollen, dass Sie ein bisschen Aufmerksamkeit erhalten, bei einem Thema, wo wir uns im Prinzip alle einig gewesen sind. Ich bin sicher, wenn wir die fachliche Debatte in den Ausschüssen führen, dass wir bei derselben Einigkeit – abgesehen vielleicht von ein, zwei kleineren Punkten – wieder ankommen werden. Insofern sollten wir die notwendige Gelassenheit und die notwendige Sachlichkeit einkehren lassen. Es ist notwendig, beide Vorlagen zu diskutieren und zu vergleichen, um zu Ergebnissen zu kommen. Dabei werden wir feststellen, dass es einen großen politischen Dissens über mehr Demokratie in diesem Haus nicht geben wird.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich freue mich auf die Diskussion und betrachte Ihren Antrag als einen Beitrag, der die Diskussion weiter voranbringen wird. Ich erwarte, dass mehr Demokratie in Berlin möglich sein wird, wenn wir das Gesetzesvorhaben in diesem Sinne abgeschlossen haben. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! – Für die CDU hat jetzt Herr Abgeordneter Gram das Wort. – Bitte!