Protokoll der Sitzung vom 11.10.2007

[Beifall bei der SPD]

Auch wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das sicher anders sehen – ich finde, das haben wir gut gemacht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Mario Czaja (CDU)]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat Frau Jantzen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während die einen mit ihrem Antrag – wie Frau Demirbüken sagte – zu kurz springen, nämlich die SPD und die Linksfraktion, schießen die anderen, nämlich die CDU, bei dieser Frage wieder einmal über das Ziel hinaus. – Es wäre wunderbar, Frau Dr. Barth und Frau Winde, wenn das, was Sie uns vorgetragen haben, tatsächlich konkret in dem Antrag stände. Das tut es nicht. Da steht nicht, dass Sie die Anzahl der Kitabesuche erhöhen wollen, und da steht auch nicht ganz konkret, dass Sie das Personal aufstocken wollen, damit nachsorgende Untersuchungen stattfinden können. Das finde ich ausgesprochen schade.

[Beifall bei den Grünen]

Der Antrag ist nach all den Debatten und den Mitteilungen – zur Kenntnisnahme –, die wir zu der Frage verpflichtende Früherkennungsuntersuchung, Verbindlichkeit und Erhöhung der Teilnahme in den letzten Jahren

hatten, enttäuschend mager. Sie scheinen wenig Vertrauen in das Konzept Netzwerk Kinderschutz zu haben, in dem verschiedene Maßnahmen dargelegt sind. Wenn es gelänge, über die frühen „Ja-bitte-Bögen“, die aufsuchende Arbeit und die Erstbesuche die Kinder und Familien herauszufinden, die tatsächlich besonderer Unterstützung bedürfen, wäre es für mich logisch, dass auch dafür geworben würde, dass die Eltern mit ihren Kindern zum Kinderarzt gehen und die Früherkennungsuntersuchung wahrnehmen und dass gegebenenfalls auch immer wieder nachgefragt wird, ob sie das tun. Hier finde ich es wichtig sicherzustellen, dass wir die Eltern und Familien tatsächlich erreichen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich bin ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass längst mit den Krankenkassen darüber gesprochen wird, wie man ein verbindliches Einladungswesen beziehungsweise den Rückfluss von Daten über Familien, die ihre Kinder nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen bringen, sicherstellen kann. Es enttäuscht mich, dass wir jetzt noch einmal den Senat beauftragen sollen, uns etwas derartiges vorzulegen. Um nicht missverstanden zu werden: Auch wir wollen die Teilnahmequoten erhöhen, auch wir sind dafür, dass es ein verbindlicheres Einladungswesen gibt, dass zumindest die Meldungen der Krankenkassen zu den Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten gelangen, damit der KJGD nachsorgend tätig werden kann, um vor allem Entwicklungsverzögerungen, gesundheitliche Störungen und andere Probleme bei Kindern feststellen zu können, Hilfen anzubieten und Fördermöglichkeiten aufzuzeigen. Es soll folglich nicht in erster Linie um die Kontrolle der Eltern gehen, sondern darum, Kinder angemessen zu fördern.

Mit der Verpflichtung haben wir jedoch nach wie vor Probleme. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es bundesrechtlich Schwierigkeiten hinsichtlich des Elternrechts und der Persönlichkeitsrechte der Kinder gibt. Mit einem verbindlichen Einladungswesen auf Landesebene könnten wir dieses Problem umgehen und würden einen Beitrag dazu leisten, dass Kinder angemessen gefördert werden, vorausgesetzt es gelingt, die Kinder- und Jugendgesundheitsdienste mit Kinderkrankenschwestern und Ärzten so auszustatten, dass sie diese Aufgabe auch wahrnehmen können. Dafür benötigt man nicht nur Stellen, vielmehr muss für diese Berufe insgesamt geworben werden, damit sich Kinderärztinnen und -ärzte für diese Aufgabe in Zukunft zur Verfügung stellen. Andernfalls kommen wir an dieser Stelle nämlich nicht weiter.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dragowski. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen von SPD und Linke! Die in Ihrem Antrag gestellten

Fragen sind wichtig. Auch wir wollen eine möglichst hohe Teilnahmequote bei den Vorsorgeuntersuchungen. Ein verbindliches Einladungswesen mit einem Rückmeldemechanismus scheint auch uns ein geeignetes Instrument dafür zu sein. Wir sehen aber auch einen Widerspruch bei Ihnen. Bei den Haushaltsberatungen im Gesundheitsausschuss haben Sie, Kollegin Winde und Kollege Dr. Albers, bereits Geld für das verbindliche Einladungswesen eingestellt. Die Kollegin Winde hat sich bereits gegenüber der Presse entsprechend geäußert. Um dies finanzieren zu können, haben Sie jedoch die Ansätze für die Bauschuttentsorgung in unverantwortlicher Weise reduziert.

[Mario Czaja (CDU): Unqualifiziert gesperrt, Kollege Dr. Albers!]

Nun fordern Sie, Kollegin Scheeres und Kollegin Dr. Barth, erst einmal vom Senat eine Prüfung, ob ein verbindliches Einladungswesen sinnvoll sei. Wollen Sie erst prüfen und abwarten oder gleich Geld ausgeben?

Wir fordern den Senat auf, auch Vorschläge dafür zu unterbreiten, wie wir Migranten ohne deutsche Sprachkenntnisse ansprechen. Ein verbindliches Einladungswesen ist nur dann sinnvoll, wenn der Empfänger die Einladung auch versteht.

[Beifall bei der FDP]

Die ganze Diskussion dient dem Zweck, den Kinderschutz zu verbessern. Ein Kernproblem beim Kampf gegen Kindesmissbrauch, Vernachlässigung und Misshandlung besteht darin, Verdachtsfälle rechtzeitig zu erkennen. Hier kann eine Früherkennungsuntersuchung im Bereich des Gesundheitswesens helfen. Nur ist sie lediglich ein Element neben anderen. Deshalb werbe ich nochmals bei Ihnen um Unterstützung für unser Aktionsprogramm Kinderschutz. Es besteht aus drei wesentlichen Teilen. Wir fordern erstens mehr Aus- und Fortbildung für Beschäftigte in der Tagesbetreuung sowie in der Jugendhilfe. Wir fordern zweitens, dass jeder Berliner Bezirk ein Modellprojekt im präventiven Kinderschutz durchführt mit dem Ziel, besonders benachteiligte Familien bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Sorge zu unterstützen. Wichtig ist dabei auch die wissenschaftliche Begleitung der Projekte in Form einer Evaluation. Wir fordern drittens, dass die Fälle, bei denen der Kinderschutz nicht funktioniert hat, wissenschaftlich ausgewertet werden. Nur so können wir die gemachten Fehler erkennen und künftig vermeiden. Unterstützen Sie unser Aktionsprogramm Kinderschutz und lassen auch Sie, werte Kollegen von SPD und Linke, Ihren Worten Taten folgen.

[Beifall bei der FDP]

Nun komme ich zum Antrag der CDU. Ihre Forderung, Untersuchungen wie im Saarland auch in Berlin verpflichtend einzuführen, ist sinnlos. Dies ist weder im Saarland noch anderswo möglich. Unter anderem hat der Wissenschaftliche Parlamentsdienst aufgrund eines Antrags Ihrer Fraktion festgestellt, dass eine solche Verpflichtung rechtlich nicht möglich ist. Aber was macht das Saarland? – Dort werden die Eltern eingeladen, die zuvor nicht mit ihren Kindern zur Untersuchung gekom

men sind, und ihnen wird Beratung und Unterstützung angeboten. Bleiben die Eltern weiterhin mit ihrem Kind fern, wird das Jugendamt eingeschaltet. Dieses verfährt dann weiter nach seinen Vorschriften. Dieses Verfahren halten wir für sinnvoll. Sie wollen zudem den Kinder- und Gesundheitsdienst aufstocken, sagen aber nicht, woher dafür die finanziellen Mittel kommen sollen. Ihr Antrag ist zwar sinnvoll, aber nicht stringent genug. Selbst wenn wir dem Antrag folgten und eine Pflicht einführten, wäre es mehr als fraglich, ob die krassen Fälle von Kindesvernachlässigung allein durch Pflichtuntersuchungen verhindert werden könnten. Wir fordern, dass Kinder überforderter Eltern in den Kindergarten geschickt und von erfahrenen Pädagogen besonders betreut werden. Zu einem vernünftigen Kinderschutz gehört auch eine richtige Bewilligungspraxis bei der Tagesbetreuung. Es ist skandalös, wie die Jugendämter zum Teil mit Kindern aus sozial schwachen Familien umgehen. Herr Jugendsenator Zöllner, tun Sie etwas dagegen! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Zu beiden Anträgen empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. – Ich höre dazu keinen Widerspruch.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4 c:

a) Antrag

Ein Aktionsprogramm für Berlins Kreativwirtschaft I – Finanzierung der Kreativwirtschaft –

Antrag der Grünen Drs 16/0890

b) Antrag

Ein Aktionsprogramm für Berlins Kreativwirtschaft II – Mikrokreditfonds –

Antrag der Grünen Drs 16/0891

c) Antrag

Ein Aktionsprogramm für Berlins Kreativwirtschaft III – ein Kulturkataster für Berlin –

Antrag der Grünen Drs 16/0892

d) Antrag

Ein Aktionsprogramm für Berlins Kreativwirtschaft IV – Raum für Kreative sichern –

Antrag der Grünen Drs 16/0893

e) Antrag

Ein Aktionsprogramm für Berlins Kreativwirtschaft V – Eroberungsräume für Kreative –

Antrag der Grünen Drs 16/0894

Für die gemeinsame Beratung der Anträge steht den Fraktionen auch hier eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat Frau Paus. – Bitte schön, Frau Paus!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Die schönsten Franzosen“ kehren der Stadt zwar gerade den Rücken, für alle anderen ist die Anziehungskraft Berlins jedoch ungebrochen. Es ist die einzigartige Mischung aus Avantgarde und Hochkultur, aus Kulturerbe, Kunstdesign, Medien und neuen Technologien, die Berlin als kreative Stadt ausmacht und die das kulturelle Feld zum zentralen Aktivposten für die nachhaltige Entwicklung der Stadt macht. Im Gegensatz dazu steht jedoch die Politik der Regierungskoalition. Gerd Appenzeller hat das am vergangenen Sonntag im „Tagesspiegel“ treffend unter der Überschrift „Stadt im Widerspruch“ kommentiert. Er schreibt dort anlässlich des Endes der Ausstellung der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts:

So sehr Berlin dankt privater Bemühungen glänzt, so sehr leidet es am Versagen der Politik in vielen Bereichen.

[Beifall bei den Grünen und von Volker Thiel (FDP)]

Appenzeller nennt dann aus aktuellem Anlass die Familien- und die Ansiedlungspolitik, er hätte aber genauso gut die Kreativwirtschaft jenseits der Blitzlichter nennen können. Das muss sich ändern, und deshalb bringen wir Bündnisgrüne heute ein Aktionsprogramm für die Kreativwirtschaft in fünf Anträgen ein.

[Beifall bei den Grünen]

Zwei Jahre sind vergangen, seit der erste Kulturwirtschaftsbericht für das Land Berlin 2005 veröffentlicht wurde, in dem zumindest zentrale Problemfelder angesprochen wurden. Passiert ist seitdem auf Landesebene faktisch nichts. Das ist kein Zufall, dafür gibt es offenbar Gründe. Der Einladungstext zur 1. Kulturwirtschaftlichen Tagung des Regierenden Bürgermeisters, die im November stattfinden soll, liest sich wie eine Selbstbeschreibung des rot-roten Senats:

Beim Thema Kreativwirtschaft verfängt man sich in ideologischen Gegensätzen anstatt neue gesellschaftspolitische Aufgabenfelder zu erschließen.

Das nenne ich schlecht für Rot-Rot und nicht verantwortbar für die Stadt.