Der Rechtsanspruch für Drei- bis Sechsjährige ist ebenso gesichert wie ein ausreichendes Tagesangebot für unter Dreijährige. Mit dem Bildungsprogramm in der Kita, mit der Sprachförderung vom ersten Tag an, mit dem Sprachlerntagebuch für alle Kinder in der Kita werden die Kindertagesstätten ihrem Bildungsauftrag gerecht.
In Berlin ist das letzte Kitajahr beitragsfrei. Wir haben einen klaren Zeitplan für die Beitragsfreiheit der anderen Jahre in den Kitaeinrichtungen. Bis dahin bleibt es dabei: Der Kitaplatz ist für arme Menschen bezahlbar. Ein Mindestbeitrag einschließlich Essen liegt bei 48 €.
Wir wollen die Kitas weiterentwickeln und sie so zum Mittelpunkt für die Vernetzung familienorientierter Hilfen und gleichzeitig zum Treffpunkt in den Kiezen machen. Wir wissen alle, dass Armut ausgrenzt, einsam macht und den Rückzug ins eigene Milieu fördert, nicht nur bei Menschen mit Migrationshintergrund. Deshalb brauchen wir in den Kiezen öffentliche Räume, Stadtteilzentren, wo sich soziales und nachbarschaftliches Leben jenseits des Kommerz entfalten kann.
Um diesen sozialen Zusammenhalt zu stärken, finanzieren wir die Stadtteilzentren auch in den nächsten Jahren.
Wir sichern mit dem Sozialticket in Berlin die Mobilität von Menschen, die nicht viel haben. Wir machen mit dem 3-€-Ticket das Theater und die Oper auch für Arme bezahlbar. Das ist bundesweit einmalig.
Wir werden das Sozialticket zu einem Sozialpass für Berlin weiterentwickeln. Hier werden wir Vergünstigungen für Bedürftige zusammenfassen und seine Erweiterung in allen möglichen gesellschaftlichen Einrichtungen prüfen. – Arme Eltern müssen keinen Eigenanteil beim Kauf von Schulbüchern tragen, und der Zugang zu Bibliotheken ist kostenfrei.
Und – ich sage es noch einmal ausdrücklich an dieser Stelle –: Das längere gemeinsame Lernen in der Gemeinschaftsschule ist unser Beitrag für gleiche Bildungschancen unabhängig von sozialer Herkunft und möglicher Bildungsferne der Eltern.
Aber wir wollen auch Veränderungen auf der Bundesebene. Die Verlängerung von Arbeitslosengeld I ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Ebenso wichtig ist mir eine realistische Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern. Ich vertrete seit langem die Position: Hartz IV ist zu wenig für zu viele.
Deshalb brauchen wir die von Bundesarbeitsminister Müntefering für November angekündigte Überprüfung der Regelsätze. Vor allem für Kinder darf eine altersgerechte Grundsicherung nicht auf die lange Bank geschoben werden. Ein einfacher Schritt zur Erweiterung des finanziellen Handlungsspielraums von Familien ist die Regelung, wonach Kindergeld nicht auf das Arbeitslosen
geld II angerechnet wird. Es ist doch sozial zutiefst ungerecht, wenn Besserverdienende über den Steuerfreibetrag für ihre Kinder mehr bekommen als arme Arbeitslose. Davon versteht jetzt die FDP am meisten.
Auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November in Berlin werden wir diese Forderungen zur Diskussion stellen. Ich bin sehr gespannt, was wir in der Diskussion mit anderen Bundesländern an Ergebnissen bekommen.
Um es abschließend zu sagen: Wir unterstützen auch die Initiativen anderer Bundesländer, z. B., dass das SGB II um Sonderzahlungen für den Schuleintritt erweitert wird. Schulranzen, Schultüte, Sportzeug – ich brauche gar nicht alles aufzuzählen – sind aus dem Regelbetrag nicht zu finanzieren. Wer immer noch glaubt, dass man unter HartzIV-Bedingungen etwas ansparen kann, der ist nicht von dieser Welt.
Wir als rot-roter Senat werden unsere Möglichkeiten zum Schutz und zur Förderung armer Kinder fortsetzen. Aber ich sage auch sehr deutlich, wir brauchen eine bundesweite Bekämpfung und Verhinderung von Armut. Ich kann nur alle darum bitten, sich auch dafür einzusetzen.
Das ist das Entscheidende, was gegen Kinderarmut getan werden kann. In fast allen Parteien hat erfreulicherweise ein Nachdenken über Hartz IV und über die Verhinderung von Armutslöhnen gegeben, bei den einen mehr, bei den anderen weniger, bei der FDP überhaupt nicht, aber das ist auch nicht ganz so spannend.
[Zuruf von Henner Schmidt (FDP) – Christoph Meyer (FDP): Sagen Sie doch mal selbst etwas, lesen Sie nicht nur ab!]
Aber wir sind es unseren Kindern schuldig, dass wir vor allen Dingen die Verhinderung von Armut ihrer Eltern vorantreiben. Nur so wird es uns gelingen, die verhängnisvolle Armutsspirale für Kinder zu stoppen. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Frau Senatorin Dr. Knake-Werner! – Wir treten in die zweite Rederunde ein. Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Hoffmann. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau KnakeWerner! Sie haben viel über Dinge erzählt, die Sie finanziell unterstützen wollen. Aber wie Sie das Problem angehen und was Sie tun, dazu habe ich überhaupt nichts gehört, und das ist für eine Senatorin in Berlin relativ schwach.
Zur Koalition passt, was heute schon einmal gesagt wurde: Ihr Regierender Bürgermeister und Ihr Finanzsenator, werte Koalition, haben bereits vor knapp 14 Tagen einiges zum Thema Armut in Berlin gesagt, insbesondere zum Thema Hartz-IV-Empfänger. Das ist schon herabwürdigend für die Personen gewesen, die oft in einer Situation sind, die sie sich selbst nicht wünschen und die sie teilweise nicht zu verantworten haben.
Mich ärgert in dieser Diskussion, dass wir auf einer Basis von Sozialdaten reden, die so alt sind, dass man aus diesen Daten gar keine Aktivitäten mehr ableiten kann. Der Berichterstattung aus dem Jahr 2003, über die wir reden, liegen Daten von 2002 und 1999 zugrunde. Das Erste, was dieser Senat tun müsste, wenn er sich bei diesem Thema wirklich engagiert, wäre, einen aktuellen Datenbestand zu organisieren. Das ist die Verantwortung, die Sie hier haben – als Grundlage für eine aktive Diskussion!
Schon damals lag die Kinderarmut in Berlin bei 23,6 Prozent. In der Vergleichsstudie der UNICEF zur Kinderarmut in reichen Ländern läge Berlin damit knapp vor Mexiko auf dem vorletzten Platz, heute mit 33,4 Prozent sogar weit dahinter. Schon damals lag das Äquivalenzeinkommen der Berliner Bevölkerung im Ostteil 267 € unter dem Bundesdurchschnitt, im Westteil sogar 522 € darunter. Heute wird sich der Abstand weiter erhöht haben, denn wir wissen, dass Berlin mit der Kaufkraft seiner Bevölkerung nur auf Platz 297 im bundesdeutschen Ranking liegt. Das spricht Bände.
Schon 2002 lag die Arbeitslosenquote bei 15,8 Prozent. Die Verschuldung der Privathaushalte betrug 8,5 Prozent und liegt heute bei 15,2 Prozent, mit einem hohen Anteil an überschuldeten Jugendlichen und Alleinerziehenden. Von Entspannung der Lage kann gar keine Rede sein. Nur 39 Prozent aller Erwerbsfähigen gehen in Berlin einer Arbeit nach. In Neukölln sind es sogar nur 33 Prozent. Der Bundesdurchschnitt beträgt 48 Prozent. Das beste Bundesland ist Bayern mit 51 Prozent. In England ist es sogar so, dass 60 Prozent aller Erwerbsfähigen einer Arbeit nachgehen. Daran können Sie erkennen, wo das wirkliche Problem liegt. Es liegt darin, dass man mehr Arbeit organisieren muss, und das ist politische Verantwortung, sich in dem Zusammenhang für Arbeitsplätze einzusetzen.
Nur 85 Prozent der Schüler schaffen den mittleren Schulabschluss, nur 42 Prozent den Hauptschulabschluss. 3 601 Jugendliche sind noch ohne Ausbildungsplatz. Jeder dritte Berliner lebt vom Staat, jeder sechste Berliner lebt von Arbeitslosengeld II, der siebte Berliner ist überschuldet, und jedes zehnte Hortkind hungert in Berlin, weil die Eltern nicht zahlen wollen oder können. Bei diesem Vergleich wird eines sehr deutlich: Der Senat muss sich strategisch ganz andere Ziele setzen. Die sind ganz klar im Bereich Wirtschaft, Arbeit, Bildung und Gesundheit, und wenn Sie das nicht erkennen, dann sind
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoffmann! – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Dragowski das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Senatorin Knake-Werner! Es war wirklich traurig, wie unkonkret Sie eben gesprochen und einfach nur nach Hilfe von der Bundesebene gerufen haben. Wir werden nachher darüber reden, wie wir beim Thema Kinderarmut in Berlin weiterkommen können, ohne gleich zur Bundesebene zu schauen.
Frau Kollegin Scheeres! Ihre Ausführungen habe ich mit Spannung und Interesse verfolgt. Irgendwann ist mir aber eingefallen, Sie sind ja Mitglied der SPD-Fraktion. Es klang alles eher nach Opposition, aber Sie sind sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene an der Regierung. Insoweit haben Sie die Möglichkeit, auch ohne einen nationalen Kinderarmutspakt gestalterisch tätig zu werden.
Erziehung, Förderung, Bildung sind die wichtigen Schlüsselbegriffe. Familien, insbesondere in Armut lebende Familien – das haben wir heute schon mehrmals gehört –, brauchen verlässliche und qualitativ hochwertige Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Der Grundstein jedes Bildungserfolgs und jeder Bildungsbiografie liegt im Kindergarten oder der Tagespflege. Gerade dort muss für Kinder, die oft in bildungsfernen Elternhäusern aufwachsen, die Förderung besonders intensiv sein. Sie muss auch sehr früh beginnen, sodass die Kinder nicht zu Hause vor dem Fernseher abstumpfen. Im Kindergarten besteht die Möglichkeit, Auffälligkeiten bzw. Behinderungen der Kinder frühzeitig zu erkennen bzw. gegenzusteuern. Ausgerechnet Kinder aus armen Familien besuchen seltener den Kindergarten als andere. Der Rückzug in die Familie sorgt dafür, dass sich wichtige soziale Kompetenzen nicht ausreichend entwickeln können. Diese Kinder leiden häufiger unter Ängsten und mangelndem Selbstbewusstsein. Auch bleiben sie oft in der Sprachentwicklung hinter ihren Altersgenossen zurück. Dies trifft besonders auf Kinder aus Migrantenfamilien zu. Umso unverständlicher ist es, dass in der Bewilligungspraxis gerade Kinder aus armen Familien häufig nur eine Halbtagsbetreuung bekommen, da – so die Ämter – mindestens ein Elternteil zu Hause sei. Das ist Sparen am falschen Ort.
Wir müssen uns die Frage stellen, an welchen Stellen wir in unsere Zukunft investieren. Wir Liberale sind der An
sicht, dass Kinder als gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen sind. In Deutschland werden immer weniger Kinder geboren. Kinder werden daher immer wertvoller. Arme bildungsferne Kinder dürfen, können und wollen wir uns nicht leisten. Wir müssen in unsere Kinder investieren, sodass alle Kinder, unabhängig von der sozialen Lage, gute Bildungs- und Lebenschancen haben. Wir fordern daher einen Anspruch für alle Kinder auf Teilzeitbetreuung in der Tagesbetreuung und somit sieben statt bisher bis zu fünf Stunden Bildungszeit täglich.
Kinder mit Sprachdefiziten müssen eine Ganztagsbetreuung und -förderung erhalten, um bei ihnen frühzeitig die Zeichen für eine Chance auf Teilhabe in unserer Gesellschaft zu stellen.
Kinderarmut betrifft viele Politikbereiche, die Sozial- und Gesundheitspolitik, die Bildungspolitik, aber auch die Familien- und Jugendpolitik. Armut ist ein multidimensionales Problem und verlangt entsprechend nach gesamtgesellschaftlichen Lösungsansätzen. Uns Liberalen reicht es nicht, eine Kommission auf Bundesebene einzusetzen, die einen höheren Regelsatz für das Arbeitslosengeld II finden soll. Wir müssen auch hier in Berlin unsere Hausaufgaben machen.
Ich fordere daher den Jugendsenator Zöllner und die Sozialsenatorin Knake-Werner auf, einen runden Tisch gegen Kinderarmut einzurichten.
Dieser soll sich überparteilich und unter Teilnahme der wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen mit dem Problem der Kinderarmut in Berlin befassen. Dabei soll auch über Ideen wie eine Kindergrundsicherung gesprochen werden. Im Rahmen dieser Diskussionen müssen wir auch prüfen, wie eine Vereinheitlichung der über 150 staatlichen Einzelleistungen für Kinder und Familien für mehr Transparenz, Klarheit und Gerechtigkeit sorgen kann. Nur durch eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung können wir den Kampf gegen die Kinderarmut gewinnen. Machen auch Sie mit, Kolleginnen und Kollegen! – Vielen Dank!