Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Diesen Weg, Menschen ernst zu nehmen, müssen wir weitergehen. Schwache und hilflose Eltern schlagen ihre Kinder. Schwache und hilflose Jugendliche schlagen auf vermeintlich Schwächere ein. Schwache und hilflose Politiker schlagen mit starken Sprüchen um sich. Eine starke und ernsthafte Politik nimmt die Menschen ernst und stellt sich den Problemen vor Ort. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kleineidam! – Für eine Kurzintervention hat Herr Abgeordnete Henkel von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Ganz klar: Wer austeilt, der muss auch einstecken, Herr Kollege Kleineidam, gar keine Frage. – Herr Gaebler! Ich habe gesagt, es ist eine Forderung der Union, die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre zu senken. Sie hingegen unternehmen den Versuch, eine ganze Fraktion mit Dingen zu diffamieren, hinter denen die Fraktion nicht steht. Ich habe in der Debatte immer wieder und ausdrücklich dargestellt, dass es uns völlig fern liegt, Kinder ins Gefängnis zu stecken.

Worum geht es? – machen Sie einfach einmal die Ohren auf, manchmal frage ich mich, ob Sie ein Problem mit den Ohren haben oder dazwischen, Herr Kollege –: Wir haben immer gesagt, dass es um eine kleine Gruppe besonders brutaler Kinder geht, derer wir Herr werden müssen.

[Zuruf von Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion)]

Hier geht es nicht darum, Eierdiebe in das Gefängnis zu stecken. Hier geht es nicht darum, Leute in das Gefängnis zu stecken, die einmal eine Tafel Schokolade geklaut haben. Es geht darum, dass für 12- und 13-Jährige, die schwerste Straftaten begangen haben, die morden und vergewaltigen,

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Was? – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Bei wem stimmt es nicht zwischen den Ohren?]

etwas gefunden wird, was eine altersgerechte Strafe ist. Wir wollen altersgerechte Vollzugsformen. Wir haben immer gesagt, eine altersgerechte Vollzugsform ist das geschlossene Heim. Aber beim geschlossenem Heim lassen Sie auch die Klappe herunter. Wir haben unseren Forderungskatalog vorgelegt. Alles, was Ihnen dazu einfällt, ist Diffamierung. Sie würdigen unsere Arbeit herab. Sie

sind nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert. Alles, was Ihnen einfällt, ist nach wie vor Verharmlosen und Verschweigen. Das ist eine jämmerliche Haltung. Das werden Ihnen die Wählerinnen und Wähler, die Berlinerinnen und Berliner nicht durchgehen lassen.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Henkel! – Herr Kleineindam! Möchten Sie darauf antworten? – Bitte!

Lieber Kollege Henkel! Ich dachte, ich hätte in meiner Rede damit geendet, dass schwache und hilflose Politiker mit Worten um sich schlügen. – Das haben Sie eindrucksvoll dokumentiert.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Anja Kofbinger (Grüne)]

Ich verstehe Ihr Problem. Nachdem die Bundes-CDU gesagt hat, dass das, was die Berliner CDU vor einem Jahr gefordert hat – Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre – –

[Frank Henkel (CDU): Vor vier Jahren!]

Sie haben recht, die Forderung gibt es schon länger.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Deshalb ist sie nicht richtiger!]

Sie versuchen jetzt, das, was Sie seit Jahren fordern, schönzureden, nachdem Ihre Vertreter auf Bundesebene gesagt haben, niemand habe die Absicht, 13-Jährige in das Gefängnis zu stecken.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Sie fordern für das Jugendstrafrecht die Herabsetzung der Strafmündigkeit. Wir können gern darüber diskutieren, ob wir im Bereich der Jugendhilfe noch weitere Instrumente für 13-Jährige benötigen. Ihre Forderung jedoch ist eine andere. Die können Sie hier nicht uminterpretieren, weil Sie sie schwarz auf weiß aufgeschrieben haben. Dazu müssen Sie stehen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Das Problem ist, dass Pflüger das Problem nicht verstanden hat!]

Vielen Dank, Herr Kleineidam! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Herrmann das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute eine Debatte, die von mehr oder weniger starken

Sprüchen geprägt wird, aber leider weniger durch Sachlichkeit.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Was? Nicht zugehört?]

Um etwas klarzustellen: Es gibt in Berlin über 500 Intensivtäter und Intensivtäterinnen. Darunter befindet sich lediglich eine Person, die noch keine 14 Jahre alt ist, also ein Kind. Diese Person ist auch noch weiblich. Herr Henkel! Orientieren Sie sich an den Problemen, die Berlin hat, und werfen Sie nicht mit populistischen Sprüchen um sich!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Es ist unglaublich, wie eine bundesweite Debatte durch einen populistischen Ministerpräsidenten geprägt wird. Teile der Berliner CDU scheinen in diesen Populismus einzustimmen. Was bewirkt diese Kampagne, die nur darauf setzt, die Ängste der Bevölkerung auf übelste Art auszunutzen

[Zuruf von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

und sich dabei des Mittels bedient, eine hier lebende Gruppe, die nichtdeutschen Jugendlichen, an den Pranger zu stellen? – Sie bewirkt eine Spaltung der Gesellschaft in Jung und Alt und in Deutsch und Nichtdeutsch. Das ist nicht zu verantworten.

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Mit solchen Kampagnen sind Sie leider keine Problemlöser, sondern Teil des Problems.

Zurück zu den Sachverhalten: Die Jugendkriminalität hat in den letzten Jahren nicht zu-, sondern abgenommen. Richtig ist, dass die Gewalt- und Raubdelikte zugenommen haben. Dieses Problems ist sich meine Fraktion bewusst. Wir wollen konstruktiv zu Lösungen beitragen. Opfer jugendlicher Gewalt sind zum größten Teil nicht ältere Mitmenschen, die die meisten Ängste haben, sondern Jugendliche. Um die Frage des sogenannten Migrationshintergrundes zu beantworten: Hier schwanken die Zahlen – je nach Statistik – zwischen 38 Prozent und 44,6 Prozent. Dabei handelt es sich zum Großteil um Menschen, die hier in dieser Stadt geboren worden sind. Sie haben keine Probleme aus irgendwelchen anderen Ländern mitgebracht oder sie wurden ihnen in die Wiege gelegt, sondern die Probleme sind hier durch diese Politik produziert worden.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Burgunde Grosse (SPD) und Raed Saleh (SPD)]

Der Zusammenhang ist nicht ethnischer, sondern sozialer Natur. Es geht um sozial schwache Menschen. Die Kinderarmut in Berlin ist von den Fallzahlen her betrachtet genauso hoch wie in Mexiko. Fast jedes dritte Kind lebt hier in Armut. Das sind doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt.

Ein anderer Indikator ist die Gewalterfahrung in der eigenen Familie. Im letzten Jahr sind in Berlin rund 400 Fälle von Kindesmisshandlungen gemeldet worden. Auch deshalb ist der Schutz von Kindern vor Misshandlungen dringend notwendig. Ein weiterer Indikator ist Schulversagen beziehungsweise schwache schulische Leistungen. Je weniger Bildungschancen ein Kind hat, um so höher ist das Gewaltrisiko. Der Mangel an Bildung ist für diese Kinder und Jugendlichen faktisch ein Mangel an Perspektiven und Möglichkeiten. Das wissen Sie selbst leider ganz genau, und bekommen es hier zu spüren. Diese jungen Menschen haben den Zusammenhang von Anstrengung und Anerkennung nie kennengelernt, sondern nur den von Angst und Respekt.

Die Lösungsvorschläge, die von der CDU-Fraktion eingebracht worden sind, klingen einfach, bewirken aber leider gar nichts. Von der Forderung, Kinder einzusperren, ist der Großteil der CDU abgerückt, aber auch die Forderung, das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen, geht an der Problematik völlig vorbei. Höhere Strafen führen nicht zu einem Rückgang der Kriminalität. Das war nach der Verschärfung der Straftatbestände für Körperverletzungsdelikte durch die rot-grüne Bundesregierung so, und das sieht man auch in den USA.

Herr Pflüger! Mit Ihrer gestrigen Pressemitteilung haben Sie einen anderen Weg eingeschlagen als heute in Ihrer Rede.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Nein! Sie müssen zuhören!]

Ich bitte Sie, diesen Weg fortzusetzen und Ihre gesamte Fraktion dabei mitzunehmen. Führen Sie keine Alibilösungsdebatte über die Verschärfung des Jugendstrafrechts!

[Beifall bei den Grünen ]

Wir nehmen die Ängste der Menschen ernst und verschließen die Augen nicht vor der Realität. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der rot-roten Koalition, glauben Sie wirklich, dass es nicht aufgefallen ist, dass Sie zum größten Teil nicht über die Berliner Situation beziehungsweise nicht über wirkliche Präventionsmaßnahmen gesprochen haben? Wenn man nicht so viel vorzulegen hat, spricht man eben auch nicht gern darüber.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Mirco Dragowski (FDP) und Dr. Martin Lindner (FDP)]

Sie verkaufen gern die Intensivtäterabteilung, die Abteilung 47 der Staatsanwaltschaft, als Allheilmittel. Wir finden es richtig, die Verfahren zu bündeln und Täter einzelnen Staatsanwälten zuzuordnen. Aber wie wollen Sie an dieser Stelle Erfolg messen? Eine Steigerung von 150 Intensivtätern auf über 500 innerhalb von fünf Jahren ist für mich keine Erfolgsbilanz. Ausgebrochene Krankheiten zu bekämpfen, ist Pflicht, die notwendige Kür hingegen ist es, Symptome zu bekämpfen. Hier jedoch liegt Rot-Rot meilenweit zurück.

[Beifall bei den Grünen]

Alle Fachleute sagen, dass der Beschleunigungsgrundsatz im Jugendstrafverfahren dringend einzuhalten ist. Die Täter müssen eine Sanktionierung möglichst schnell nach der Straftatbegehung erfahren. Gerade in jungen Jahren ist die Entwicklung der Menschen besonders schnell. Um hier erzieherisch eingreifen zu können, muss der Beschleunigungsgrundsatz dringend eingehalten werden. In Berlin dauert ein Verfahren jedoch länger als im Bundesdurchschnitt. Hier, Frau Senatorin von der Aue, müssten Sie schleunigst umsteuern.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Uwe Goetze (CDU) und Dr. Friedbert Pflüger (CDU)]

Wer jedoch wie Sie die hausinternen Problem nicht im Griff und die eigene Verwaltung gegen sich hat, kann die wirklichen Problem nicht lösen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter bei der CDU und der FDP]