Protokoll der Sitzung vom 12.06.2008

Nietzsches Betrachtungen waren unzeitgemäß, weil er damals dem Historismus widerstehen wollte, jener geschichtsversessenen Epoche von der Romantik bis zum Wilhelminismus, die zu einem Übermaß an Geschichte führte, zu einem verzehrenden historischen Fieber, das die Kraft raubte, die Zukunft nach eigenen Maßstäben zu gestalten.

Was würde Nietzsche wohl heute zur Geschichtsbesessenheit der Gesellschaft Historisches Berlin und ihres parlamentarischen Arms, der Berliner CDU sagen? – Die Argumentation Nietzsches gegen den Historismus ist übrigens auch dann noch richtig, wenn wir die Geschichtsvergessenheit der abstrakten Moderne des 20. Jahrhunderts berücksichtigen und die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit in Rechnung stellen. Denn der Historismus des 19. Jahrhunderts und auch die Wiederaufbauzeit und ihr Historismus waren noch gestaltend. Ihr Historismus ist ausschließlich ein reproduzierender, ein bloßer Rekonstruktivismus. Die Neugestaltung der Mitte auf der Spreeinsel muss doch ein Zukunft Verheißendes, kein Vorwärts in die Vergangenheit sein!

[Beifall bei der Linksfraktion]

Meine Damen und Herren von der CDU! Sie haben wohl recht mit dem Satz in Ihrer Begründung: „Berlin hat genügend historische Brüche.“ Wir sollten tatsächlich keine weiteren zulassen. Aber es ist wohl eine Illusion zu glauben, wir könnten die Geschichte auf die Zeit vor dem Zweiten oder gar dem Ersten Weltkrieg zurückdrehen. Die FDP will mit der Straßenführung um das HumboldtForum herum sogar vor den Deutsch-Französischen Krieg zurück. Wir können keine historischen Brüche nachträglich heilen. Wir können, wie die Kollegin Haußdörfer zu Recht gesagt hat, eventuell reparieren, vermitteln, aber doch auf ein Neues hin. Dieses sollte unbedingt das Vorhandene erhalten, eventuell vorhandene Fragmente sinnvoll integrieren und die Replik eher meiden.

Meine Fraktion unterstützt das Projekt des HumboldtForums als neues öffentliches Kultur- und Wissensforum und sinnstiftende Mitte der Hauptstadt. Wir bedauern das historistische Korsett der Fassadenvorgabe und sind gespannt auf die architektonische Qualität der Wettbewerbsentwürfe und auf die eventuell dann auch wieder zu klärende Frage. Was wurde auf den Wettbewerb delegiert? – Wir sind aber ganz und gar dagegen, dass sich aus den Fassaden geradezu zwanghaft die kulissenhafte Reinszenierung der Umgebung ableitet. Wir erwarten, dass über die Gestaltung des Umfelds des Humboldt-Forums, das heißt die Gestaltung des Schlossplatzes, der Schlossfreiheit und des Bereichs am Lustgarten, das Abgeordnetenhaus berät und auch entscheidet.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Noch kurz zu den Anträgen: Es hat geradezu den Charme einer parlamentarischen Debatte, dass es zur Sanierung der Staatsoper in mehreren Fraktionen unterschiedliche Positionen gibt. Mein Kollege Brauer sieht vor allem die Bedürfnisse der Staatsoper im Zentrum und befürwortet

deshalb die Neugestaltung des Zuschauersaals. Ich sehe eher den Saal als Teil des Lindenforums und die nur mit Warschau zu vergleichende Wiederaufbauleistung, die Vielfalt der Berliner Opernsäle und die Zukunftsfähigkeit der Opernhäuser insgesamt und lehne deshalb die Zerstörung des Zuschauersaals entschieden ab.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist doch inkonsequent, Herr Flierl!]

Das ist nicht inkonsequent, das werden wir diskutieren. Sie sind ein Modernist an einer Stelle, wo er gar nicht hingehört, mit einem Historismus an einer Stelle, wo er auch nicht hingehört.

Zur Rathausbrücke ist schon viel gesagt worden, dass das aus Binnenschifffahrts- und statischen Gründen nicht machbar ist. Die beiden vor dem Charlottenburger Schloss und im Bode-Museum stehenden Reiterstandbilder sind mittlerweile auch Denkmäler für die Erinnerung an den Krieg und die Teilung der Stadt geworden. Sollten jetzt etwa nach Vorstellung der CDU die getrennten originalen Teile zusammengefügt werden, dann wäre ich aber dafür, dass die jeweiligen Ergänzungen am Ort zu erhalten wären. Ein leerer Sockel oder ein schwebender Reiter – nein, das sollten wir nicht machen. Sondern wir sollten an oder auf der Rathausbrücke an den Großen Kurfürsten und Andreas Schlüter erinnern, übrigens auch daran, dass Schlüter mit seiner nach Osten gerichteten geplanten Via triumphalis grandios gescheitert ist, für genau das Problem, von dem Frau Haußdörfer gesprochen hat, nämlich das Auseinanderfallen von Stadt- und Staatsgebilde in Berlin, wesentlich mitverantwortlich ist und wir deswegen die Westausrichtung haben.

Zur Erhaltungssatzung ist alles Notwendige mit Hinblick auf Gestaltungssatzung gesagt worden. Mein Fazit: Gutes Thema; ein diskutabler, zwei zu verwerfende Anträge. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Herr Weingartner, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Berlin hat zum Glück noch ein gutes Stück historische Mitte. Das muss man anerkennen, und wir Berliner schätzen dies sehr und sind sehr glücklich, dass es so ist, einer der städtischen Bereiche, die es zu hegen und zu pflegen gilt und auf die wir mehr als nur ein wachsames Auge zu werfen haben. Umso wichtiger ist es, bei jeder Baumaßnahme, bei jedem Bauvorhaben das Für und Wider jedes Mal wieder neu abzuwägen und die Maßnahmen zu gewichten. Es kann nicht darum gehen, unkritisch irgendeinen mehr oder weniger willkürlich gesetzten Zeitpunkt der Vergangenheit zu nehmen, der dann für alle Baumaßnahmen der Zeitpunkt zu sein hat, auf den zeithistorisch aufzusetzen ist,

[Beifall bei der FDP]

nach dem sich dann am Ende jede Baumaßnahme verbindlich auszurichten hat. Nein, jedem Baudenkmal, jedem Ensemblebestandteil unserer historischen Mitte gebührt ein besonderes Augenmerk, besonderes Fingerspitzengefühl, wie an der jeweiligen Stelle zu verfahren ist.

Was gibt eine Staatsoper her, die akustisch zweitrangig oder schlechter gestaltet wird als möglich, bei der ein Teil der Besucher das Bühnengeschehen aufgrund der Sitzplatzanordnung nicht verfolgen kann? Kann man da erwarten, künstlerische Spitzenleistung adäquat wahrnehmen zu können? Eine zweitbeste Sicht- und Akustikausstattung würde auch einer historischen Außenfassade des Gebäudes nicht gerecht werden und den Wert relativieren.

[Beifall bei der FDP]

Das Ergebnis des Wettbewerbs zur Staatsoper zeigt eindeutig, dass Spitzenqualität hier nur erreichbar ist, indem dem man an den derzeitigen Sicht- und Akustikverhältnissen Veränderungen vornimmt.

[Beifall bei der FDP]

Der Wettbewerb hat bei allen Teilnehmern auch gezeigt, dass Eingriffe in die historische Substanz und in den Zuschauerraum von Paulick erforderlich sind.

Dennoch fordern wir, bei den notwendigen Eingriffen in das historische Gebäude im Sinne einer bauhistorischen Ehrlichkeit die historische Entwicklung erkennbar und erlebbar zu gestalten. Der gesamte Bereich historische Mitte soll nach unserer Auffassung als Ganzes bestehen. Dabei ist es uns wichtig, dass sich jeder neu hingefügte Baukörper in die bestehende städtebauliche Umgebung einfügt. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Rathausbrücke am Schloss. Eine Brücke nach historischem Vorbild kann nach unserer Auffassung nach den heutigen Schifffahrtsanforderungen auf der Spree und auch den technischen Möglichkeiten nicht als umsetzbar angesehen werden. Daher erscheint uns eine technische Lösung an dieser Stelle derzeit als richtig, die die Herstellung einer Brücke zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Reiterstandbild erlaubt. Unverständlich ist uns die Eile, die senatsseitig an den Tag gelegt werden soll. Die Brücke wird einen Bezug zum Humboldt-Forum haben, kann aber darauf gar nicht eingehen. Zum Beispiel die Entscheidung über die Gestaltung der vierten Schlossfassade stand und steht immer noch nicht fest. Nein, hier kann es derzeit noch keine städtebaulich verträgliche Entscheidung geben.

[Beifall bei der FDP]

Daher fordern wir, bis zu den belastbaren Entscheidungen zur Gestaltung des Humboldt-Forums abzuwarten, dann den Entwurf der Rathausbrücke zu überprüfen und nicht jetzt schon – wie geplant – die Bauleistungen dafür auszuschreiben.

Ähnlich schwierig sehen wir die Forderung nach einer Erhaltungssatzung unter dem Aspekt, was damit geleistet und bewirkt werden soll. Was nicht vorhanden ist, kann

nicht erhalten werden. Bestimmte Neubauausformungen der Außenhülle von Neubauten können zwar bis zu einem gewissen Grad mit einer Erhaltungssatzung beeinflusst werden, aber das Ansinnen, über die detailgetreue Ausformung einschließlich Farbgebung, Filigranelementen, Außendekoration von Fassaden, eine Außenhülle und damit Außenansicht zu entscheiden, ist mit diesem Instrument nicht leistbar. Für die Gestaltung von Innenräumen wäre dieses Instrument ohnehin ungeeignet.

Damit komme ich zum Schluss: Ein Instrument zu fordern, das eine örtliche Situation erhalten soll, die nicht mehr existent ist, und dennoch eine Weiterentwicklung eines Ensembles ermöglichen soll, ist als sehr schwierig anzusehen, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU. Die FDP steht für eine lebendige, spannende Weiterentwicklung der historischen Mitte, bei der sich Neues wie selbstverständlich in ihre Umgebung einfügen kann. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Weingartner! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zur Drucksache 16/1497 – Stichwort: Staatsoper Unter den Linden – empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Zu den Drucksachen 16/1498 – Stichwort: Rathausbrücke – sowie 16/1499 – Stichwort: historische Mitte – empfiehlt der Ältestenrat die Überweisung jeweils an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr, wozu ich ebenfalls keinen Widerspruch höre.

Die lfd. Nr. 5 steht als vertagt auf unserer Konsensliste. Die lfd. Nrn. 6 und 7 sind ebenfalls durch die Konsensliste erledigt. Die lfd. Nrn. 8 und 9 stehen auch als vertagt auf der Konsensliste. Die lfd. Nrn. 10 bis 17 sind durch die Konsensliste bereits erledigt.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 17 A:

Dringliche Beschlussempfehlungen

Modellversuch für ein „Gesamtbudget Jugendhilfe“

Beschlussempfehlungen BildJugFam und Haupt Drs 16/1526 Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/1044

Der Dringlichkeit wird offensichtlich nicht widersprochen.

Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Beide Ausschüsse empfehlen einstimmig mit den Stimmen aller Fraktionen die Annahme des Antrags auf Drucksache 16/1044 in

neuer Fassung. Wer dem Antrag im Wortlaut der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie auf Drucksache 16/1526 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen! – Das sind die Koalition, die Fraktion der CDU, der FDP und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Gegenprobe! – Enthaltungen sehe ich nicht. Damit ist dieser Antrag angenommen.

lfd. Nr. 18:

Zusammenstellung

Vorlagen – zur Kenntnisnahme – gemäß Artikel 64 Abs. 3 VvB

Drs 16/1493

Es liegen mir folgende Überweisungswünsche vor: lfd. Nr. 1 – VO-Nr. 16/105 – Verordnung zur Übertragung der Ermächtigung nach § 19 Abs. 2 des Rechtsdienstleistungsgesetzes und lfd. Nr. 2 – VO-Nr. 16/106 – Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Laufbahn des Amtsanwaltsdienstes des Landes Berlin an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Weitere Verordnungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 19: