Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Wenn es darum geht, Transferleistungsempfängern ein Minimum an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern, fragen Sie nach den Druckkosten für den Sozialpass. Was für ein Hohn! Das zeigt, wo die FDP steht. Mobilität, Teilhabe helfen den Menschen, sich in das Arbeitsleben zu integrieren. Unsere Angebote wie der Berlinpass, das Sozialticket, das Drei-Euro-Kulturticket usw. helfen den Menschen. Unsere Angebote wie den Ferienpass oder den Familienpass haben Sie gar nicht beleuchtet, denn das sind Angebote auch für Geringverdiener, und daran halten wir fest.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Zum Punkt Berlinpass setzen Sie sich bei Ihrer Unternehmerklientel dafür ein, dass sie sich dort engagiert.

Wichtig ist mir noch: Im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird folgendes festgehalten:

Das Risiko der Gesamtbevölkerung in Deutschland, einkommensarm zu sein, lag 2005 bei 26 Prozent vor Berücksichtigung der Sozialtransfers. Nach Sozialtransfers verringerte sich dieses Risiko auf einen Anteil von 13 Prozent. Damit gehört Deutschland neben den skandinavischen Staaten zu den Ländern mit einer großen Wirkung der Sozialtransfers auf die Armutsquote.

Frau Kollegin! Ihre Redezeit ist zu Ende.

Darf ich noch einen Satz sagen? – Sie machen mit diesem unsinnigen Vergleich eine Neiddebatte auf. Sie stehen nicht für die soziale Gerechtigkeit. Das wird noch einmal deutlich. Wir sichern an der Stelle die soziale Gerechtigkeit. Wir werden das Angebot und die Palette unserer Vergünstigungen nicht reduzieren, sondern weiter ausbauen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Hoffmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kernfrage der Großen Anfrage der FDP ist doch, ob Transferleistungen oder Mindestlöhne unser Sozialsystem gerechter machen. Dieses Problem mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten, verbietet mir meine Erfahrung, die ich in den letzten Jahren bei der Arbeit im Petitionsausschuss und im Rahmen der Kummernummer meiner Fraktion gesammelt habe. Dabei habe ich immer wieder feststellen müssen, dass durch eine Vielzahl und immer neue Vergünstigungen keine Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Im Gegenteil! Es werden weitere Ungerechtigkeiten geradezu provoziert. Hier zwei Beispiele: Schulanfang. Nach Aussagen des Kinderschutzbundes bleiben immer mehr kinderreiche Familien den Einschulungsfeiern fern, weil sie das Geld für die Zuckertüte nicht aufbringen können. Betroffen sind nicht etwa die Hartz-IV-Familien, sondern Familien, die gerade über der Bemessungsgrenze für Sozialleistungen liegen. – Kulturticket: Ein gerade über der Bemessungsgrenze liegender Bürger, der nicht im Besitz einer Sozialkarte ist, wird sich nie eine Karte für drei Euro kaufen dürfen, auch wenn noch so viele Plätze in der Deutschen Oper frei sind.

Leider hat der Senat auf diese Problematik nur die lapidare Antwort, dass geringfügige Überschreitungen der Einkommensgrenzen immer zu Härtefällen führen. Das ist wohl wahr. Aber es gibt viele Menschen, die es sich in Transfernischen bequem gemacht und keine Ambitionen haben, diese zu verlassen. Der Senat sollte deshalb seine Vergünstigungspolitik nicht weiter ausbauen, weil damit neue Ungerechtigkeiten gegenüber denen provoziert werden, die sich in diesen Nischen nicht häuslich eingerichtet haben.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

Um nicht gezielt missinterpretiert zu werden: Es geht mir nicht darum, zustehende Leistungen zu kürzen oder gar abzuschaffen, sondern darum, die Folgewirkungen mit

einzubeziehen, die ein immer weiter ausgebautes Transfersystem auf Dauer auf die Gesellschaft insgesamt und auf die Lebenseinstellung des Einzelnen hat. Wir wissen doch alle, dass es nicht wenige Menschen gibt, die sehr wohl rechnen, was ihnen mehr Vorteile bringt, und deshalb hartnäckig Hilfen zur Selbsthilfe ablehnen, weil man z. B. mit Hartz IV plus Schwarzarbeit besser leben kann, als wenn man einer geregelten Arbeit nachgeht. Von dem volkswirtschaftlichen Schaden will ich dabei gar nicht reden.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch kein Allheilmittel, das in unserem immer komplizierter werdenden Sozialsystem alle Fragen löst. So kann der flächendeckende Mindestlohn nicht halten, was von ihm versprochen wird. Er schützt weder vor Altersarmut noch macht er von Transfers vollständig unabhängig. Vielfach hat derjenige nach Abzug aller Unkosten netto weniger zur Verfügung als ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger.

Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen, damit jeder die Chance erhält, sein Leben aus eigener Kraft zu gestalten, und Arbeit wieder lohnt.

[Beifall bei der CDU]

Dazu gehört die Ankurbelung des Arbeitsmarktes ebenso wie die Verhinderung von Lohndumping und sittenwidrigen Löhnen. Gleichberechtigt nenne ich mehr und bessere Bildung für alle und die Anstrengungen des Einzelnen, aus seinem Leben etwas machen zu wollen. Die Kurzformeln „Hilfe zur Selbsthilfe“ und „Fördern und fordern“ haben nichts von ihrer Aktualität und Auseinandersetzung zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit verloren.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Grosse, Herr Kollege?

Herr Hoffmann! Sie sagten, Lohndumping sei zu verhindern. Wie wollen Sie Lohndumping verhindern, wenn Sie gegen den Mindestlohn sind? Das müssen Sie mir einmal erklären.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ihr Problem ist, Frau Grosse, dass der Mindestlohn Lohndumping überhaupt nicht verhindert. Sie führen eine Scheindiskussion, die keinem wirklich weiterhilft. Schauen Sie sich die Ergebnisse in den Ländern an, wo weniger Einkommen erzielt wird! Gerade in unserer Region, wo die Arbeitgeber gar nicht so viel verdienen, dass sie das bezahlen können, da liegen Sie einfach falsch. Sie ver

suchen, eine Debatte zu erzeugen, und helfen damit niemandem. Und das ist das Bedauerliche bei der Mindestlohnthematik.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von Burgunde Grosse (SPD)]

Wenn wir über die soziale Gerechtigkeit reden, dann heißt das doch: Gerechtigkeit ist auch immer eine persönliche Erfahrung, und die beginnt im Umgang miteinander. Und da habe ich viel Herzlosigkeit und Versagen bei uns in den zuständigen Stellen und in unserem schönen Land Berlin kennengelernt. Das muss sich als Erstes ändern. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Rainer-Michael Lehmann (FDP)]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat Frau Abgeordnete Breitenbach.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der FDP „Wie sozial sind Mindestlohn oder Vergünstigungen und Förderprogramme für Transferleistungsbezieher?“ lässt sich meiner Ansicht nach relativ leicht beantworten, Herr Hoffmann: Sie sind sozial,

[Beifall bei der Linksfraktion]

denn sie tragen dazu bei, gesellschaftliche Ausgrenzungen zu verhindern, oder anders gesagt: Sie ermöglichen den Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, und das ist das Ziel von Rot-Rot.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Deshalb gibt es das Drei-Euro-Kulturticket und die ganzen Maßnahmen, die bereits von der Senatorin und Frau Radziwill aufgeführt wurden. Deshalb haben wir im Übrigen auch angefangen, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Berlin aufzubauen. Die Arbeitslosen, die dort einen Job bekommen, erhalten einen Stundenlohn in der Höhe des vom Senat geforderten Mindestlohns von 7,50 Euro, und – das ist richtig, Herr Hoffmann – wir setzen uns darüber hinaus für einen gesetzlichen Mindestlohn ein, den Ihre Partei auf Bundesebene weiterhin verhindert und die FDP ohnehin.

Frau Grosse hat recht damit, dass ein gesetzlicher Mindestlohn diejenigen, die Sie, Herr Lehmann und Herr Hoffmann, hier immer benennen und um die Sie sich angeblich so sorgen, aus der Misere herausbringen und in eine Existenzsicherung bringen würde. Das ist nötig.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Gregor Hoffmann (CDU): Das glauben Sie doch nicht wirklich!]

Und wenn Sie, meine Damen und Herren von der FDP, so tun, als würden es sich die Menschen, die auf Arbeitslosengeld oder auf eine andere Transferleistung angewiesen

sind, in der sozialen Hängematte bequem machen und dann noch allerlei Vergünstigungen mitnehmen, dann täuschen Sie sich. Ich glaube auch, Sie wissen es besser. Die Senatorin hat es schon gesagt: Sie zetteln eine Sozialneiddebatte auf einem anderen Niveau an. Ich sage übrigens: unterste Schublade! Was Sie betreiben, ist zündeln. Ich bitte Sie, diese Zündelei und diese Hetze gegen Transferleistungsbezieher endlich zu unterlassen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Was allerdings das Verständnis von sozialer Gerechtigkeit angeht, da liegen FDP und Grüne eng beieinander. Die Grünen werden nicht müde zu betonen, dass der ÖBS ungerecht ist, weil dort zu wenig Arbeitslose Beschäftigung finden, und dass die, die dort arbeiten, auch noch zu viel verdienen. Ist es sozial gerecht, wenn alle gleich mies bezahlt werden? Ist es gerecht, wenn der eine nur 900 Euro in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme verdient, und dann sollen andere auch nicht mehr bekommen? Der angebliche Neid unter den Arbeitslosen und den Geringverdienenden muss bei den Grünen dafür herhalten, dass staatlicherseits alle in Zukunft gleich schlecht bezahlt werden.

[Gregor Hoffmann (CDU): Das ist das sozialistische Modell von Rot-Rot!]

Die Alternative, alles so zu lassen, wie es jetzt ist, diese Alternative würde Arbeitsmarktpolitik zu Niedriglohnbeschäftigungen degradieren, und das ist nicht unsere Vorstellung.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Rot-Rot hat ein anderes Verständnis von sozialer Gerechtigkeit. Wir wollen, dass alle die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe haben – materiell und auch kulturell. Deshalb werden wir unsere Maßnahmen für die Transferbeziehenden mit dem „Berlin-PasS“ ausbauen. Dazu wurde auch schon einiges gesagt. Wir würden auch gern den Kreis der Anspruchsberechtigten ausweiten. Ich hoffe, wir kommen noch dazu, aber das ist eine Frage der Finanzen. Die müssen wir klären.

Wir werden noch mit dem ÖBS zeigen, dass es Alternativen zu den Ein-Euro-Jobs gibt und dass es möglich ist, sozialversicherungspflichtige und existenzsichernde Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zu schaffen. 2 000 Berlinerinnen und Berliner haben darüber neue berufliche Perspektiven eröffnet bekommen, und zwar in Beschäftigungen, die dem sozialen Zusammenhalt dienen.

Frau Kollegin!

Ich weiß, meine Redezeit ist abgelaufen. – Wir werden unsere Schritte weitergehen, wir werden weiter dafür sorgen, dass Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, und wir werden soziale Ausgrenzung verhindern!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Lehmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Breitenbach! Ich hatte mich auf diesen Beitrag schon gefreut, weil ich gespannt darauf war, wie meine werte Kollegin mich dieses Mal attackiert.

Wenn Sie von zündeln sprechen, dann müssen Sie das Zündeln aber auch richtig benennen. Denn wir haben hier völlig unemotional aufgezeigt, wo die Schwierigkeiten liegen. Darum geht es uns. Es geht uns in keiner Weise um eine Neiddebatte. Das habe ich am Anfang meines Redebeitrages gesagt. Man kann sich leicht hinstellen – das tun die Kollegen der Linksfraktion gern – und sagen: Wir wollen noch mehr. Wir wollen das besser ausgestalten. Das muss für alle gelten. Wir wollen im Prinzip etwas Kollektives. – Da fragen Sie doch einmal den Finanzsenator. Ich bin sehr gespannt auf die Antwort, wer alles das bezahlen soll, was Sie hier vorschlagen. Auf diese Antwort bin ich sehr gespannt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Steuererhöhung!]