Protokoll der Sitzung vom 28.05.2009

Die Fragestunde ist damit wegen Zeitablauf beendet. Die heute nicht beantworteten Anfragen werden mit einer von der Geschäftsordnung abweichenden Beantwortungsfrist von bis zu drei Wochen wieder schriftlich beantwortet.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 2:

Fragestunde – Spontane Fragestunde

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen nach der Stärke der Fraktionen mit je einem Mitglied, und es beginnt Frau Abgeordnete Kolat für die Fraktion der SPD. – Bitte schön!

Meine Frage richtet sich an unseren Wirtschafts- und Frauensenator. – Herr Wolf! Ich frage Sie, ob sie vorhaben, zur Besetzung der einen Vorstandsposition bei der Investitionsbank Berlin die betreffende Position auszuschreiben, damit auch Frauen bundesweit die Möglichkeit haben, sich zu bewerben.

[Özcan Mutlu (Grüne): Sehr spontane Frage!]

Meine Bitte ist, dass Sie bei der Beantwortung nicht auf die juristische Fragestellung eingehen, ob nach dem Landesgleichstellungsgesetz eine Ausschreibung verpflichtend ist oder nicht.

[Mario Czaja (CDU): Das gehört nicht zur Frage!]

Vielmehr bitte ich um eine Beantwortung politischer Art, ob Sie das als Frauensenator nicht als erforderlich ansehen.

Herr Senator Wolf – bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für eine gezielte Suche nach Frauen halte ich eine Ausschreibung für nicht erforderlich. Nichtsdestotrotz habe ich bei der von Ihnen angesprochenen Stelle in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und in der „Süddeutschen Zeitung“ über Anzeigen deutlich gemacht, dass wir für diese Stelle eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger suchen. In der Anzeige ist auch erwähnt worden, dass die Bewerbung von Frauen ausdrücklich erwünscht ist. Ich kann Ihnen sagen,

dass ich über die Personalagentur mehr weibliche Bewerberinnen bekommen habe als über die Anzeigen. Aber die Anzeigen sind geschaltet worden.

Frau Kolat hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte schön!

Herr Senator! Haben Sie vor, auch für zukünftige Besetzungen von Leitungs- und Vorstandspositionen Ausschreibungen vorzunehmen?

[Özcan Mutlu (Grüne): Und sich gesetzeskonform zu verhalten!]

Herr Senator Wolf – bitte!

Sehr geehrte Frau Kolat! Der Senat befasst sich gegenwärtig damit, für dieses Thema Leitlinien zu entwickeln. Ich selbst habe kein Problem damit, das auch noch einmal über Anzeigen öffentlich zu machen und damit die Möglichkeit zu schaffen, dass sich Bewerberinnen und Bewerber, die nicht über die Personalagentur angesprochen werden, bewerben können. Das halte ich für möglich, und das werde ich auch bei künftigen Verfahren, wenn es politisch gewünscht ist, selbstverständlich tun. Ich sage nur noch einmal: Über die Personalagentur habe ich mehr Bewerbungen von Frauen bekommen als über das Schalten von Anzeigen.

Nun geht es weiter mit einer Frage des Kollegen Braun von der Fraktion der CDU. – Bitte schön!

Herr Wowereit! Insbesondere große Teile Ihrer Partei sind stolz auf die Wurzeln, die sie in der Studentenbewegung der Jahre 1967 und 1968 und der folgenden Jahre haben. Ich will jetzt gar keine Debatte mit Ihnen über die Gründe für diese Bewegung und die anfänglich richtigen Fragestellungen führen.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das können Sie auch nicht, es ist eine Fragestunde! – Weitere Zurufe]

Aber wie bewerten Sie und Ihr Senat politisch – nicht rechtlich und nicht so technokratisch wie Herr Körting – die Enttarnung des SED-Mitglieds und Stasi-Spitzels Kurras auch im Hinblick auf die Frage: Wie hätte die Studentenbewegung reagiert, wenn am 3. Juni 1967 in

allen Zeitungen gestanden hätte, dass dieser Herr ein SED-Mitglied und Stasi-Spitzel ist?

[Zurufe von den Grünen]

Herr Regierender Bürgermeister – bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Ich glaube nicht, dass in der Spontanen Fragestunde ein solch komplexes Thema erschöpfend diskutiert werden kann.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Viele kluge Menschen versuchen heute, geschichtliche Entwicklungen oder auch hypothetische Entwicklungen nachzuvollziehen, indem sie fragen, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn damals bekannt gewesen wäre, dass der Betreffende auf der Payroll der Stasi stand und Mitglied der SED war. Ich finde es bemerkenswert, wie viele sich offensichtlich berufen fühlen, diese Dinge zu beurteilen. Mir ist diese Gabe nicht gegeben. Das ist reine Spekulation. Ich glaube auch nicht, dass die Ursachen der Studentenbewegung und des Protestes gegen die Verkrustung einer Gesellschaft durch diese Kenntnis erledigt gewesen wären.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ob der eine oder andere dadurch besonders radikalisiert worden ist, ist eine Frage, die auch wieder der reinen Spekulation unterzogen ist. Deshalb sollten wir nicht den Fehler machen, aufgrund des sicherlich entsetzlichen Tatbestandes uns zu Vermutungen hinreißen zu lassen. – Die Nachricht darüber hat eingeschlagen wie eine Bombe. Ich glaube auch, dass dies im Zusammenhang mit „60 Jahre Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ und „60 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ ein wichtiger Punkt für die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ist. Wir sehen, dass immer wieder bestimmte Tatbestände noch nicht aufgearbeitet und historisch noch nicht gänzlich erschlossen sind. Dieser Diskussionsprozess muss weitergeführt werden muss.

Ich glaube aber auch nicht, dass es jemand ernsthaft hat überraschen können, dass die Stasi ihre Agenten in die Berliner Sicherheitskreise eingeschleust hat. Ich weiß gar nicht, wer auf die Idee kam, dass das nicht der Fall gewesen ist. Herr Körting hat vorhin schon darauf hingewiesen, wie wir alle persönlich und auch im politischen Umfeld – jede Partei – betroffen waren. Auch da wurden Leute gezielt platziert, und zwar nicht aus Ostberlin, sondern aus Westberlin. Das habe ich in meiner eigenen Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung erlebt, das haben wir in unserer Partei erlebt, das haben Sie erlebt, und das haben andere erlebt. Wer glaubte eigentlich, dass in den Sicherheitskreisen niemand platziert wurde? Das kann niemanden ernsthaft überrascht haben. Dass es gerade Herr Kurras war – in dem Zusammenhang –, ist sicherlich eine aufzuarbeitende Information, und darüber

Bürgermeister Harald Wolf

ist auch eine öffentliche Debatte zu führen. Aber – wie gesagt – ich glaube nicht, dass wir das jetzt hier in der Kürze der Zeit tun können.

Kollege Braun hat das Wort zu einer Nachfrage. – Bitte!

Herr Wowereit! Mir ging es um die politische Bewertung. Die Studentenbewegung von damals hatte unserem kapitalistischen System den Kampf angesagt, wobei sie davon überzeugt war, dass dieses System im Faschismus enden wird. Wenn man auch in der Studentenbewegung gewusst hätte, dass die DDR den Täter – denjenigen, der Benno Ohnesorg erschossen hat – auf ihrer Payroll hatte, meinen Sie nicht, dass es dann doch zu einer anderen Bewertung und zu einer anderen Entwicklung der Studentenbewegung gekommen wäre?

[Martina Michels (Linksfraktion): Ja, eben – ganz spontan! – Uwe Doering (Linksfraktion): Warum ist Kurras freige- sprochen worden? Darüber müssen wir reden! – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Dann wäre nichts passiert! Kein Vietnamkrieg!]

Herr Regierender Bürgermeister – bitte!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich könnte auch die Fragestellung aufmachen: Was wäre passiert, hätte die gesamte SpringerPresse und die konservative Seite dieser Stadt Herrn Kurras anders behandelt und die Entlassung aus dem Dienst gefordert?

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Allerdings!]

Oder welche Frage auch sonst noch – z. B. Verurteilung wegen Straftatbeständen, die vielleicht erfolgt wäre! Das sind doch alles schöne Debatten, die wir jetzt miteinander führen können.

Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es hier einigen gar nicht um eine Aufklärung geht, sondern um eine politische Instrumentalisierung – und dann noch in einem Feld, wo sie nur mit Hypothesen arbeiten können.

[Martina Michels (Linksfraktion): Richtig!]

Mit Verlaub, das werden auch Historiker in 20 Jahren Feldstudienarbeit nicht herausbekommen, wie sich die Studentenbewegung aufgrund dieser neuen Erkenntnis – wenn man sie damals gehabt hätte – entwickelt hätte. Dazu kann jetzt jeder aus seiner Sichtweise seine These abgeben. Ich weiß auch nicht, ob das hilfreich ist.

Ich finde es viel hilfreicher und sinnvoller, dass dieses gesamte Kapitel deutscher Geschichte weiter untersucht wird. Ich bin der Auffassung, dass in dieser Hinsicht bei der Birthler-Behörde oder in anderen Archiven, die sich eventuell noch öffnen werden, noch sehr viel Material vorhanden ist, das ausgewertet werden muss. Da muss angesetzt werden. Ich glaube auch nicht, dass Herr Kurras ein Einzelfall gewesen ist. Da wird es noch andere gegeben haben, vielleicht beim Berliner Verfassungsschutz oder sonst wo. Wer schließt denn das eigentlich aus? Deshalb ist noch viel aufzuarbeiten. Aber falls jemand zu einer fiktionalen Betrachtung der Vorkommnisse in der Lage sein sollte, dann werde ich ihn nicht daran hindern können. Der Senat wird sich daran nicht beteiligen.

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister!

Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Matuschek das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank! – Ich habe eine Frage an den Innensenator, Herrn Körting. – Herr Körting! Aus der Zeitung habe ich entnommen, dass die diesjährige Demonstrationsroute für die Fahrraddemonstration, die über die A 100 gehen sollte, abgelehnt worden ist. Können Sie die Gründe dafür erläutern?

[Christoph Meyer (FDP): Weil es eine Autobahn ist! – Gelächter bei der Linksfraktion]

Herr Senator Dr. Körting! – Bitte sehr!

Frau Kollegin Matuschek! Für die Fahrraddemonstration, die im Juni stattfinden soll, sind verschiedene Strecken angemeldet worden. Zu diesen Strecken nimmt der Polizeipräsident gegenüber der zuständigen Behörde Stellung und stellt fest, welche Demonstrationen aus seiner Sicht verkehrstechnisch machbar und welche nicht machbar sind.

Die Fahrraddemonstration wird meiner Kenntnis nach über die Avus laufen, also über eine Autobahn. Das entspricht dem Verlauf des letzten Jahres. Es ist richtig, dass sie dann noch ein Teilstück einer Autobahnstrecke zwischen Alboinstraße und Buschkrugallee beanspruchen wollte. Diese Teilstrecke ist vom Polizeipräsidenten abgelehnt worden. Er sagt, dass dort dadurch das Verkehrschaos vorprogrammiert ist, wenn auch diese Teilstrecke der Autobahn für eine Fahrraddemonstration zur Verfügung gestellt wird.