Protokoll der Sitzung vom 11.06.2009

[Beifall von Dr. Margrit Barth (Linksfraktion)]

Ich sage Ihnen, Rot-Rot braucht keine Lehrstunde beim Thema Alkoholmissbrauch von Jugendlichen. Kümmern Sie sich um Ihre Bundespolitiker, dann wäre uns bei diesem Thema auch schon viel weitergeholfen!

Die täglichen Meldungen über alkoholisierte Jugendliche zeigen, dass der Alkoholmissbrauch von Jugendlichen in unserer Stadt, aber übrigens in Gesamtdeutschland ein Problem ist. Das will ich nicht verharmlosen. Aber wir müssen schon klarstellen, dass nicht alle Jugendlichen zum Alkoholkonsum neigen. 8,2 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren konsumieren gefährlich viel Alkohol, aber deutlich über die Hälfte lebt abstinent. Das hat der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung gezeigt. 8,2 Prozent sind aber auch eine Mahnung an uns, das Thema nicht aus den Augen zu verlieren.

Ich möchte Ihnen darstellen, dass genau das nicht passiert. So können heute Flatrate-Alkoholangebote durch die Bezirke verboten werden. Der Senat hat 2007 bereits dazu Handlungsempfehlungen auf den Weg gegeben, und die Bezirke wenden diese an. Das neue Kontrollkonzept greift. Polizei, Jugend- und Ordnungsämter arbeiten besser zusammen als früher. Es gibt mehr Kontrollen, und diese werden effektiver durchgeführt. Da mein freundlicher Hinweis an die Kollegen der CDU, einfach mal bei dem zuständigen Stadtrat der CDU in MarzahnHellersdorf nachzufragen! Auch er wendet dieses Konzept mit viel Freude an. Trotzdem weiß jeder Jugendpolitiker in dieser Stadt ganz genau, Alkoholmissbrauch von Jugendlichen kann man durch Kontrollen allein nicht verhindern. Es geht um den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol. Wir müssen Kinder und Jugendliche dazu bringen, Nein zu sagen. Deshalb setzt auch Rot-Rot auf Prävention.

Mit dem Projekt „NachHaLT“ werden wir in der gesamten Stadt aktiv. Sozialpädagogen sprechen mit den Jugendlichen, die mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus liegen, und machen ihnen deutlich, dass Komasaufen nicht cool ist, sondern gefährlich und dumm. Es hilft nichts, wenn es nur in den Zeitungen steht oder wenn die Opposition hier Anträge stellt. Letztlich geht es darum, Kinder und Jugendliche mit ihren Erfahrungen und ihrem Verhalten nicht allein zu lassen. Es gibt die Kampagne „Wir halten uns an Jugendschutz“, die Basisinformationen an Tankstellen, Gaststätten und im Einzelhandel verteilt, denn eines müssen wir uns bei der Diskussion auch immer klarmachen: Alkohol, den Jugendliche trinken, der geht zuvor immer durch die Hände von Erwachsenen. – Es gibt daneben viele weitere Programme. Es gibt das Programm MOVE, den Mitmachparcours und die

Projekte in den Bezirken. Wenn Sie hier den Senat auffordern, möchte ich daran erinnern, dass der Blick ins AG Kinder- und Jugendhilfegesetz ein bisschen weiterhilft, denn die Bezirke sind dafür zuständig. Da sollten Sie vielleicht einfach mal den bezirklichen Jugendhilfeausschuss besuchen und nicht hier hochtrabend im Berliner Abgeordnetenhaus diskutieren.

Diese Beispiele zeigen, dass es längst umfassende Prävention in Berlin gibt, so wie sie von den Grünen in ihrem Antrag gefordert wird. In dem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, steht nichts Falsches, aber es steht auch nichts Neues drin.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Clara Herrmann (Grüne)]

Den Präventionsfonds, den Sie fordern, gibt es bei der Industrie schon längst. Dies hat mir der Brauereiverband Nord im Mai letzten Jahres mitgeteilt, als ich mich zu diesem Thema mit einem Schreiben an den Verband gewandt habe. Nun könnte der Senat einen neuen Extrafonds schaffen, aber mehr Prävention hätten wir davon nicht. Folglich werden wir den Antrag ablehnen.

Das Gleiche gilt für die Anträge der CDU. Ihre sogenannte Alkoholverordnung verfolgt ein falsches Anliegen. Es hilft nichts, wenn Sie Alkohol aus der Öffentlichkeit verbannen. Nur weil wir nichts mehr sehen, ist das Problem ja nicht weg.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Rot-Rot wird beim Thema Alkoholkonsum von Jugendlichen auch in Zukunft die genannten Maßnahmen unterstützen. Als Ultima Ratio kommen meines Erachtens, wenn es dann nichts hilft, auch Gesetzesverschärfungen in Betracht. Ich finde, wer Jugendlichen Alkohol verkauft, muss dafür auch haftbar gemacht werden.

Noch wichtiger ist und bleibt aber das Thema Prävention. Wir müssen das gesellschaftliche Bild von Alkohol neu justieren. Dazu brauchen wir eine breite Öffentlichkeitsarbeit, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern angepasst an die Wirklichkeit in dieser Stadt. Den Zugang zu Alkohol zu verhindern, ist der richtige Weg. Noch besser ist es, wenn Kinder und Jugendliche erst gar nicht danach fragen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Herrmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An diesem Thema merkt man, egal wie oft ein Kaugummi hier durchgekaut wird, es wird nicht besser. Aber ich werde jetzt versuchen, etwas mehr Schwung in diese Debatte zu bringen

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

und die grüne Position hier noch mal darzustellen.

Alkohol, das ist die gesellschaftlich anerkannte Volksdroge, und dieser Aussage stimmen wir hoffentlich alle zu. Die gesamte Gesellschaft hat ein Problem mit dem massiven Alkoholkonsum und nicht eine einzelne Generation, Frau Demirbüken-Wegner! Das belegen auch die Zahlen. Wenn Sie sich den Bericht der Drogenbeauftragten genau anschauen, dann sehen Sie da nämlich durchaus zwei Facetten. Viele Kinder und Jugendliche trinken gar nicht. Der Alkoholkonsum der 12- bis 17-Jährigen geht insgesamt zurück. Auch das sogenannte Komasaufen geht zurück.

[Zuruf von Emine Demirbüken-Wegner (CDU)]

Es ist aber auch richtig – lassen Sie mich ausreden! –, dass über acht Prozent dieser Altersgruppe einen riskanten oder gefährlichen Alkoholkonsum aufweisen und dass sich die Anzahl derer, die mit einer Alkoholvergiftung in Krankenhäuser eingeliefert werden, drastisch erhöht hat. Die Zahl ist nicht nur in Berlin, sondern auch im Bund sehr stark angestiegen, von 2000 bis 2007 von 9 500 auf über 23 000 Kinder und Jugendliche.

Das ist eine problematische Entwicklung, die darf man nicht kleinreden, und das tun wir auch nicht. Aber was macht die CDU? – Die CDU fordert in einem Antrag ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Das ist für uns keine Lösung; damit löst man die Probleme nicht, damit verlagert man sie lediglich.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Beifall von Stefan Zillich (Linksfraktion)]

Es ist doch so, dass in den Ländern, in denen strikte Regeln gelten, auch nicht weniger getrunken wird. Es ist notwendig, dass die Thematik Alkohol als gesellschaftliche Volksdroge in die Öffentlichkeit getragen wird, und wir stehen nicht für eine Politik nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn.

[Beifall bei den Grünen]

Letztlich bewirkt man damit doch nur die Verdrängung der Jugendlichen von den öffentlichen Plätzen, und das ist einfach scheinheilig.

Zu dem anderen Antrag der CDU: In ihm ist viel Richtiges enthalten, aber Sie wollen die Ankündigungspolitik des Senats damit beenden, dass der Senat Aussagen trifft. Das ist ja noch weniger als Ankündigungen – dem können wir nicht zustimmen.

[Beifall bei den Grünen]

Ja, es passiert einiges in Berlin, das bestreiten wir nicht. Dieser Ansatz wird aber nicht systematisch genug verfolgt. Er muss sich daran richten, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und man ein Netzwerk aufbaut. Sie, Herr Kohlmeier, haben wieder die reaktiven Bausteine des Projektteils hervorgehoben – das ist auch gut. Man braucht aber nicht nur die reaktiven, man

braucht auch die pro-aktiven Bausteine, die auf eine Implementierung von Maßnahmen setzen, die auf unterschiedlichen Ebenen von Sportvereinen, Jugendclubs und Elternarbeit auf einen bewussten Umgang mit Alkohol, auf einen mündigen Konsum der gesamten Gesellschaft abzielen. Das brauchen wir auch in Berlin!

[Beifall bei den Grünen]

Nun zu dem Fonds, den Sie alle für so blödsinnig halten. Ich weiß, ich werde Sie nicht davon überzeugen können, ich möchte jedoch unsere Position noch einmal klarstellen.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Durch das Wirtschaften der Alkoholindustrie entsteht ein volkswirtschaftlicher Schaden, der von Expertinnen und Experten auf ein bis drei Prozent des Bruttosozialprodukts geschätzt wird. Ein Vorwurf, der uns im Ausschuss entgegengehalten wurde, lautete, dass wir es mit dem Fonds der Alkoholindustrie ermöglichen würden, sich freizukaufen. Das stimmt so nicht, da dieser Fonds unabhängig ist und die, die einzahlen, keinen Einfluss darauf haben, welche Maßnahmen oder Projekte – und wir zielen vor allem auf Präventionsprojekte – daraus finanziert werden sollen. In anderen Ländern und anderen Bereichen funktioniert dieses Prinzip gut. Wie wollen Sie denn die Verantwortung der Alkoholindustrie mehr hervorheben und die Industrie in die Verantwortung nehmen? Gar nicht? Alkohol komplett verbieten? Oder finden Sie das alles gar nicht so schlimm? – Dazu sagen Sie hier nichts. Es ist aber doch bekannt, dass über geschmackliche Anpassungen, alkoholische Getränke also möglichst süß zu machen, damit sie Kindern und Jugendlichen schmecken, diese Zielgruppe immer mehr angesprochen wird – da ist nämlich noch Geld abzuschöpfen. Zu dieser Entwicklung kann man doch nicht einfach sagen, das ist halt so. Werbung und Sponsoring der Alkoholindustrie vermitteln das Bild: Alkohol gehört zum Feiern, Alkohol gehört zum Sport machen, Alkohol gehört zum gut Aussehen, Alkohol gehört überhaupt dazu, erwachsen zu sein. Hier unterstützen wir Frau Lompscher in ihrer Forderung nach einem Verbot, aber wir sind nicht blauäugig: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung kämpfte noch vor einigen Jahren an vorderster Front und wurde nicht nur von der bayerischen Bier-CSU abgehalten, sondern auch von den eigenen Leuten zurückgepfiffen.

Frau Herrmann! Ihre Redezeit ist beendet, kommen Sie zum Schluss!

Die Botschaft aller Rednerinnen und Redner war ganz klar: Jugend sauf nicht so viel! Aber wer ist denn dieses Jahr Botschafterin des Biers? – Die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner.

Frau Abgeordnete Herrmann! Bitte kommen Sie zum Schluss!

Ja, ich komme zum Schluss. – Ilse Aigner von der CSU. Und wer war es letztes Jahr? – Der Außenminister, FrankWalter Steinmeier von der SPD. Na dann Prost! kann ich dazu nur sagen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Herrmann! – Für die Linksfraktion hat nun Frau Abgeordnete Barth das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema passt ganz aktuell in die Zeit, denn wir haben auf der Landes- und Bundesebene eine Reihe von verstärkten Aktivitäten zu verzeichnen, um dem Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken.

Ich erinnere an die bundesweite Aktion „Alkohol“, an der sich auch Berlin mit vielen Veranstaltungen beteiligen wird. So wird am Montag eine große Fachveranstaltung im Berliner Rathaus stattfinden. Im Kontext der Debatten um den Umgang mit dem Thema Alkoholmissbrauch wurde bundesweit vor wenigen Tagen auf einer Innenministerkonferenz auch über den Einsatz von minderjährigen Testkäuferinnen und Testkäufern diskutiert. Ich halte dies für eine völlig untaugliche Maßnahme, um für die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes zu sorgen. Ich teile diese Meinung unter anderem auch mit der Kinderkommission des Bundestages, dem Kinderschutzbund und vielen anderen Interessenvertretungen von Kindern und Jugendlichen, die Testverkäufe mit Minderjährigen aus ethischen, pädagogischen und entwicklungspsychologischen Gründen ablehnen. Darüber kann man ja noch weiter beraten.

Nun zu Ihren Anträgen. Wir haben sie nicht nur hier im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen hoch und runter diskutiert, und so langsam können wir damit zu einem Ende kommen. Die Linksfraktion wird alle drei Anträge ablehnen, und ich will Ihnen dies kurz begründen.

Der Antrag „Exzessiver Alkoholkonsum und Ankündigungspolitik des Senats“ wurde von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, vor ca. 5 Wochen nach dem auch mit Ihren Stimmen erfolgten Beschluss über einen Koalitionsantrag fast gleichen Inhalts gestellt. Das sorgte bereits in der I. Lesung Ihres Antrags im Plenum am 24. April für Unverständnis, weil nicht klar war, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich wollen. Mittlerweile liegt mit der Drucksache 16/1627 ein Senatsbericht vor, und Ihr Antrag enthält aus unserer Sicht keine neuen inhaltlichen Ansätze, die über den Handlungsrahmen dessen, was der

Senat bereits konzeptionell plant und realisiert, hinausgeht.

Ich komme zum Antrag der CDU, der eine AntiAlkoholverordnung einfordert. Auch dieser Antrag ist abzulehnen, denn mit der jetzigen Gesetzgebung ist es bereits möglich, notwendige Verbote auf der Grundlage bereits bestehender rechtlicher Vorschriften auszusprechen. Hier verweise ich auf die Entscheidung des Bezirks Mitte z. B. im Zusammenhang mit dem Alexanderplatz. Eine mit dem Antrag unterstellte Regelungslücke gibt es aus unserer Sicht nicht. Des Weiteren ist dieser Antrag abzulehnen, weil es als erwiesen gilt, dass allein ordnungsrechtliches Agieren im Sinne von Verboten das Problem nicht löst. Bereits bestehende Verbote belegen, dass die Probleme damit nicht gelöst, sondern im Regelfall nur örtlich verlagert werden.

Noch kurz zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dort wird ein Präventionskonzept vorgeschlagen – auch hierzu wurde bereits von Herrn Kohlmeier ausgeführt, dass der Inhalt des Antrags richtig ist, wir ihn aber dennoch ablehnen, weil wir keinen Bedarf sehen – der Senat handelt längst im Sinne dieser Forderungen.

Der Senat geht in seinem Bericht davon aus, dass trotz der eingeleiteten Maßnahmen nicht von einem kurzfristigen Rückgang des Alkoholmissbrauchs von Kindern und Jugendlichen auszugehen ist. Es heißt im Bericht wörtlich:

Alle eingeleiteten Maßnahmen brauchen Zeit, um ihre beabsichtigte Wirkung entfalten zu können.

Sicher, Meldungen über den Alkoholmissbrauch von Kindern und Jugendlichen schockieren, und jeder Missbrauchsfall ist einer zu viel. Daraus jedoch zu schließen, dass der Senat nicht handelt, ist falsch. Im Sinne erfolgversprechender Prävention brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Debatte zum Umgang mit Alkohol. Zweitens: Konsequenz im täglichen Handeln ist nötig, insbesondere was die Einhaltung bestehender Gesetze angeht, und das ohne Einsatz minderjähriger Testkäuferinnen und Testkäufer. Drittens: Die Wirtschaft muss mit ins Boot, denn geht es um viel Geld, wenn es z. B. um den Verzicht von Werbung geht. Nicht zuletzt wir als Erwachsene sollten uns jeden Tag kontrollieren, ob wir ein geeignetes Vorbild abgeben. Fangen wir also bei uns selbst an!

[Beifall bei der Linksfraktion]