Protokoll der Sitzung vom 12.11.2009

Dass dieser Antrag heute hier diskutiert wird, freut meine Fraktion, die FDP, besonders, weil ein Blick in die Dokumentation des Parlaments sehr deutlich macht, dass sich dieses Haus sehr häufig mit bildungspolitischen Fragen auseinandersetzt. Sie werden feststellen, dass weit über 200 Initiativen in diesem Haus beraten wurden, allein fünf davon waren zum Thema berufliche Bildung. Allein drei weitere haben sich mit der Frage Oberstufenzentren auseinandergesetzt. Das ist entschieden zu wenig.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Dass dies entschieden zu wenig ist, zeigt auch die Debatte um die Schulstrukturreform, in der die Oberstufenzentren meiner Meinung nach nur schwerlich zur Kenntnis genommen haben, dass auch sie im Rahmen diese Schulstrukturreform eine wesentliche Rolle spielen und dass sie ein wesentlicher Baustein sind. Umso wichtiger ist es, dass wir hier diese Frage diskutieren und uns dazu austauschen, wie ein Berufsbildungssystem zukunftsorientiert weiterentwickelt werden kann.

Wenn man jedoch den Blick in den Einzelplan 09 und damit in den Haushaltsentwurf des Berliner Senats schweifen lässt, kommt man gleich auf Seite 2 zu der Erkenntnis, dass die Ausgaben für Ausbildungsförderung in den nächsten zwei Jahren massiv gesenkt werden, während die Ausgaben für öffentlich geförderte Beschäftigung extrem steigen. Das ist schlichtweg der falsche Ansatz. Daher begrüßen wir es, wenn Sie aus Sicht der Koalition diesen Antrag im Ausschuss weiter diskutieren wollen und gar zu einem überfraktionellen Antrag hinkommen wollen. Dann müssen Sie sich aber auch die Fragen kritisch gefallen lassen und sich mit dieser Frage auseinandersetzen.

Wenn wir bei der Frage Ausschussberatung sind, ist es aus Sicht der FDP-Fraktion besonders wichtig, die zehn durch die CDU aufgeworfenen Punkte auch um drei wesentliche Fragen zu ergänzen. Die erste Frage lautet: Wie schafft man ausreichend berufsnahe Ausbildungsplätze? Zweitens: Wie können wir die Ausbildungsfähigkeit der Auszubildenden verbessern? Drittens: Wie gehen wir

Elke Breitenbach

genau mit denen um, die sich dem Berufsbildungssystem verweigern oder ihm nicht gewachsen sind? Das sind für uns die drei wesentlichen Kernfragen, die wir dann in einer Beratung mitdiskutieren müssen. Deswegen geht uns dieser Antrag in der Tat noch nicht weit genug. Wir hoffen auch ein Stück weit darauf, diese Fragen abschließen mit Ihnen entsprechend zu erörtern. Das, was für uns von Bedeutung ist, ist der Ansatz – auch hier ist der Antrag in seiner Diktion etwas unscharf –, den ich für die FDP herausstellen möchte, dass wir zukünftig nicht die Symptome bekämpfen, sondern uns zukünftig um die Ursachen in dieser Stadt bemühen, diese anpacken, statt immer nur an den Symptomen herumzudoktern.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Integration, Arbeit, berufliche Bildung und Soziales, wozu ich keinen Widerspruch höre.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 6 c:

a) Antrag

Berliner Einzelfallhilfe für Menschen mit Behinderungen nicht ruinieren – umgehend Rundschreiben überarbeiten

Antrag der CDU Drs 16/2709

b) Antrag

Berliner Einzelfallhilfe für psychisch erkrankte und behinderte Menschen auf eine solide Basis stellen!

Antrag der Grünen Drs 16/2745

Den CDU-Antrag Drucksache 16/2709 hatte ich bereits vorab an den Ausschuss für Integration, Arbeit, berufliche Bildung und Soziales überwiesen. Ihre nachträgliche Zustimmung hierzu stelle ich fest.

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils wieder eine Redezeit von je fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der Grünen. Das Wort für die Grünen hat die Kollegin Villbrandt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Beispiel anfangen. Frau S. ist schwer psychotisch, suchtabhängig und aggressiv, sporadisch auch suizidgefährdet. Sie lehnt Psychotherapie oder andere Behandlungen ab. Die einzige Hilfe, die sie akzeptiert, ist die Einzelfallhilfe. Ohne ihre Einzelfallhelferin wäre Frau S. sicher in einem Heim oder in einer Therapiewohngemeinschaft untergebracht. Die Kosten für die Allgemeinheit wären dann um ein Vielfaches höher. Jetzt

kommt aber das eigentlich Absurde. Die Einzelfallhelferin erhält ebenfalls Hilfe, nämlich vom Jobcenter. Sie kann von ihrem Verdienst nach dem Honorarmodell des Senats nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.

Dass eine gesellschaftliche so wichtige Arbeit wie die der Einzelfallhilferinnen vom Senat so niedrig geschätzt wird, dass sie auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind, ist skandalös und beschämend.

[Beifall bei den Grünen]

Hier ist dringend eine Korrektur notwendig. Wir müssen die Eingliederungshilfe für psychisch erkrankte und behinderte Menschen auf eine solide Basis stellen – und dieses umgehend tun. Es geht drei um drei Leitfragen in unserem Antrag. Frage 1: Können wir uns erlauben, Menschen, die anderen Menschen helfen sollen, so prekär zu entlohnen, dass sie selbst in ihrer Existenz bedroht sind? Frage 2: Was muss getan werden, damit Einzelfallhilfe auf eine bessere Basis gestellt wird? Frage 3: Wie gehen wir mit einem Trägermodell um, dessen Ergebnisse zeigen, wie eine gute Qualität der Einzelfallhilfe erreicht werden kann?

Bei Frage 1 ist Rot-Rot in der Verantwortung. Hier wird wissentlich von Rot-Rot prekäre Beschäftigung mit Stundenlöhnen geschaffen, die weit unterhalb derer sind, die von ihnen sonst als Minimum gefordert werden.

Zur Frage 2: Es muss einen Zusammenhang zwischen geforderten Standards der Einzelfallhilfe und auch der Honorierung der Einzelfallhilfe geben. Als Einzelfallhelferin oder Einzelfallhelfer arbeitet man selbständig, aber es darf auf keinen Fall beliebig sein. Es muss definiert werden, was gute Einzelfallhilfe überhaupt ausmacht. Einzelfallhilfe muss in die Gemeinde Psychiatriestrukturen in den Bezirken integriert werden, auch in dortigen Fachkonferenzen und dem Budgetmodell. Die Helferinnen müssen Beratung und Begleitung bei dieser Arbeit bekommen. Das ist wichtig für sie, aber vor allem für die Betroffenen.

Bei Frage 3 geht es um ein Modell, aus welchem die Erkenntnisse über die Sicherung der Qualität der Einzelfallhilfe bereits gezogen wurden. Es geht um das Trägermodell des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Das Trägermodell sollte ursprünglich wie auch die Familienhilfe auf alle Bezirke übertragen werden. Die gerade veröffentlichte Expertise Trägermodell versus Honorarmodell zeigt, dass das Modell erfolgreich und auch wirtschaftlich ist, weil andere teure Maßnahmen wie Krankenhausaufenthalte oder Leistungen des betreuten Einzelwohnens vermieden werden. In der Jugendhilfe wird das Trägermodell schon seit Jahren praktiziert und führte zu erheblichen Verbesserungen der Leistungen. Mit welcher Begründung gilt das Trägermodell als geeignet für den Jugendbereich, aber nicht für die Einzelfallhilfe? Sind Menschen mit Erkrankungen und Behinderungen weniger wert? Das nehmen wir nicht so hin. Ich stelle klar, wir möchten nicht, dass das Trägermodell, obwohl wir es eindeutig favorisieren und als besser ansehen, anderen Bezirken

Sebastian Czaja

aufgezwungen wird. Wir möchten, dass Qualitätsstandards definiert werden und diese wichtige Arbeit auch adäquat entlohnt wird. Bezirke sollen dann selbst entscheiden, mit welchem Modell sie Einzelfallhilfe in guter Qualität ihren Bürgern anbieten. Sie müssen für diese Entscheidungen allerdings entsprechende Rahmenbedingungen enthalten. Ich hoffe auf eine konstruktive Diskussion im Fachausschuss.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Hoffmann.

[Gregor Hoffmann (CDU): Ich dachte, die SPD wäre an der Reihe!]

Verzeihen Sie, das ist ein Irrtum vom Amt. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Monturo – Entschuldigung, Monteiro – das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Die Entschuldigung ist angenommen. Ich hoffe, Sie üben noch ein bisschen bei den Namen. – Sehr geehrte Damen und Herren! Selten hat ein Rundschreiben so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, eine so breite inhaltliche Debatte ausgelöst, wie das Rundschreiben 9/2009 der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.

Das mag an mindestens drei Dingen liegen: Erstens: Ca. 2 000 Menschen, ihre Angehörigen und in diesem Bereich Tätigen, sind vom Rundschreiben zur Einzelfallhilfe betroffen. Zweitens: Das Rundschreiben widmet sich einem Themenfeld, in dem alle Beteiligten durchaus Handlungsbedarf sehen. Die bisherigen Regelungen in den Bezirken sind nicht nur sehr unterschiedlich, sondern auch unklar, weshalb z. B. das Berliner Netzwerk Einzelfallhilfe das Bestreben des Senats nach einheitlicher und klarer Regelung begrüßte. Drittens muss eingeschätzt werden, dass die Erwartungen, die an eine berlinweite Regelung und damit an das Rundschreiben geknüpft waren, bisher nicht erfüllt wurden.

Möglicherweise war auch der Zeitpunkt für das Rundschreiben nicht optimal gewählt. Denn Voraussetzung für eine vernünftige Berliner Gesamtregelung ist eine Analyse und Bewertung der wissenschaftlichen Expertise „Trägermodell versus Honorarmodell“ des Instituts für soziale Gesundheit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin durch den Senat; Frau Villbrandt wies bereits darauf hin.

Wie zu erfahren ist, wird der Senat bis Ende Februar 2010 den Bericht sowie vor allem seine Schlussfolgerungen zu dieser Expertise vorlegen und gemeinsam mit den Bezirken, mit der Liga und der Senatsverwaltung für Finanzen sowie der für das Arbeits- und Honorarrecht zuständigen Senatsverwaltung für Inneres eine Gesamtlösung erarbei

ten. Nicht nur finanzielle Fragen und die Begrenzung der Arbeitszeit, wie es der Antrag der CDU nahe legt, sollten hierbei eine Rolle spielen, sondern auch Fragen der Qualitätssicherung, wie sie der Antrag der Grünen benennt – was ich sehr unterstütze.

Welcher Überarbeitungs- bzw. Klarstellungsbedarf zeichnet sich bereits jetzt ab? – Das Rundschreiben regelt nicht die Leistungen der Einzelfallhilfe, die im Wege des Trägermodells gewährt werden. Die Frage des zukünftigen Verhältnisses von Honorarmodell und Trägermodell stellt sich jedoch und muss beantwortet werden. Übrigens, ca. 82 Prozent der Beschäftigten beim sogenannten Trägermodell sind ebenfalls Honorarkräfte, sodass die gewählten Begrifflichkeiten nicht stimmig sind. Renten- und andere versicherungsrechtliche Fragestellungen ergeben sich hier wie dort.

Eine angemessene Erhöhung der Honorare für die sehr anspruchsvolle Tätigkeit des Einzelfallhelfers sowie deren einheitliche, transparente und fachlich nachvollziehbare Differenzierung nach Qualifikation und Schweregrad der Problematik des Klienten ist geboten. Frau Villbrandt wies bereits auf die Problematik hin. Die strenge Interpretation bezüglich einer wirtschaftlichen Abhängigkeit, also die 18-Stunden-Regelung, sollte rückgängig gemacht werden. Eine Prüfung, ob die getrennte Steuerung von ambulanter Gemeindepsychiatrie und Einzelfallhilfe, also von zwei Sachverhalten, die sachlich und rechtlich derart eng beieinander liegen, beibehalten werden soll, ist notwendig.

Einig sind sich wahrscheinlich alle Fraktionen darin, dass im Ergebnis der Überarbeitung die Vielfalt der Formen der Einzelfallhilfe erhalten und außerdem auskömmlich finanziert wird. Mir liegt besonders am Herzen, dass die Menschen, die diese Hilfe brauchen, diese auch zukünftig in hoher Qualität erhalten. – In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Kollegin Monteiro! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Hoffmann.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Frau Monteiro hat sozusagen die Wunschwelt beschrieben. Die Realität ist eher eine andere. Wir wissen aus verschiedenen Veranstaltungen, wo wir noch einmal deutlich darauf hingewiesen worden sind, dass es letztendlich darum geht, wie die Vergütung aussieht und wie die Qualität aussieht, um die wir bei der Einzelfallhilfe ringen. Denn das ist etwas, was eigentlich die zentrale Botschaft ist, dass wir die Qualität nicht halten können mit der Vergütung, die bezahlt wird. Und da diese Vergütungsdebatte unter dem Kostendruck hergestellt worden ist, führt sie bei denjenigen, die sozial engagiert und tätig

Jasenka Villbrandt

sind, zu einer entsprechenden Notlage vor dem Hintergrund, dass teilweise aufgrund der Begrenzung, die der Senat selbst vornimmt, die Vergütungen so gering sind, dass in bestimmten Fällen Transfers zusätzlich erforderlich werden.

Das ist das eigentliche Problem. Es geht weder darum zu sagen, welches Modell ist das schönere; denn das ist gar nicht das Entscheidende. Die entscheidende Frage sind die Rahmenbedingungen für ein Honorarmodell, die so ausgestaltet sein müssen, dass die Finanzierung für die Einzelfallhelfer es möglich macht, dass die wirklich selbständig agieren können. Ich kann nicht selbstständig agieren, wenn ich als selbstständiger Einzelfallhelfer acht Euro in der Stunde brutto bekomme. Das ist eben irre. So kann ich keine soziale Arbeit leisten und kann entsprechend auch nicht die Qualitätskriterien erfüllen, die erforderlich sind. Darum geht es in dieser Diskussion, um eine entscheidende Frage: Wie statte ich das Modell der Honorare so aus, dass man im Bezirk wirklich entscheiden kann, welches Modell das bessere ist: eine feste Angestelltenstruktur in einem ganz klassischen Trägermodell oder die Wahlmöglichkeit für den Bezirk, zu sagen: Ich wähle ein Honorarmodell, weil ich weiß, die Qualitätskriterien sind ganz genauso erfüllt, und die fachlichen Erfordernisse sind ebenfalls gegeben, weil nämlich diejenigen, die die Tätigkeit ausüben, die Chance haben, das zu tun.

Deswegen finde ich es gut, dass wir heute die Debatte hier führen, weil allein die Tatsache deutlich macht, dass wir eine Veränderung schaffen können. Das ist auch gerade beschrieben worden, dass man diesen Weg schon gehen möchte. Wenn man ihn allerdings verkürzt auf die Frage Trägermodell oder Honorarmodell, dann wird man auch hier wieder nicht erfolgreich sein, weil man dann wieder nur letztlich dem Kostendruck erlegen ist, der eben nicht dazu führt, dass Einzelfallhelfer für psychisch kranke Menschen die entsprechende Aufgabe so erfüllen können, wie dies der Aufgabenbeschreibung angemessen erforderlich ist. Ich glaube, darum geht es uns. Es geht uns darum, dass wir flexible Möglichkeiten haben, in den Bezirken danach zu wählen, welches Modell jeweils für die Einzelnen das erfolgreichere ist, dass am Ende mehr Qualität gewährleistet werden kann, ohne die Kosten festzuschreiben in einem Modellkonstrukt.

Das Honorarmodell hat auch Vorteile. Es ist flexibel, es erreicht mehr Engagement. Also muss ich es entsprechend fördern. Und das kann ich nicht fördern, wenn der Senat eine Festlegung trifft, wo die Kostenbegrenzungen sind. Und die sind eingeschränkt. Das haben wir erlebt: 18 Stunden maximal in der Woche, das kann man ja mal hochrechnen bei den Beträgen. Und das ist genau der Vorwurf, den sich Rot-Rot gefallen lassen muss. Wir werden leider nicht in die Situation kommen, zum 1. Januar 2010 eine Veränderung herbeizuführen, die bereits vorbereitet worden ist, sondern wir haben jetzt die Situation, dass wir bis zum März 2010 warten müssen, bis es dann darum geht, welche Entwicklungen wir vornehmen. Das kann man auch nur dem Senat vorwerfen. Denn

die Studie der Hochschule ist abgeschlossen. Das Gutachten liegt vor. Der Senat braucht bis zum Januar Zeit, um die Auswertung vorzunehmen. Da brauchen Sie, meine Damen und Herren, ein Stück mehr Eile, um das Problem in den Griff zu bekommen. Das ist der Vorwurf, der an den Senat gerichtet ist. Und der Vorwurf ist berechtigt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]