Protokoll der Sitzung vom 26.11.2009

Das ist ein Grund, weshalb wir die Kinderrechte in der Verfassung verankern wollen. Es ist aber auch ein Grund dafür, dabei nicht stehenzubleiben, sondern auch dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche ihre Rechte kennen – dazu können die Glückskekse beitragen – und dass sie die im Alltag in der Familie, der Kita und der Schule auch erleben. Das heißt, man muss auch den Erwachsenen deutlich machen, welche Rechte die Kinder haben.

Kinderrechte müssen außerdem als Querschnittsaufgabe beim Städtebau und etwa bei der Verkehrsplanung eine wesentlich größere Rolle spielen als bisher. Da gibt es für unsere Senatoren und Senatorinnen, aber auch für uns Abgeordnete noch jede Menge zu tun.

Wichtig ist für uns auch, dass die Kinderrechte nicht nur in der Landesverfassung, sondern endlich auch im Grundgesetz verankert werden. Wir appellieren an die CDU/CSU und die FDP, nun auch im Bund ihre Blockadehaltung endlich aufzugeben und der Forderung der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zuzustimmen, damit Kinderrechte zukünftig auch im Grundgesetz stehen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Ich möchte in dem Zusammenhang auch noch den Satz anfügen, den ich nicht vorbereitet habe. Mich hat die Diskussion zu den Wahlalteranträgen wirklich erschreckt, insbesondere der Beitrag der FDP.

[Beifall bei den Grünen]

Ich hoffe und wünsche, dass es in den Beratungen doch eine verfassungsändernde Mehrheit dafür gibt, das Wahlalter zu senken. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Mitbestimmung und Beteiligung, und sie sind sehr wohl in der Lage, über ihre eigenen Angelegenheiten zu entscheiden. Ich denke, 16-Jährige sind in unserem Land auch in der Lage zu wählen, genauso gut wie ich oder Sie. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Frau Kollegin Jantzen! – Frau Scheeres hat jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. – Bitte schön, Frau Scheeres! Ergreifen Sie es!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass sich – leider bis auf die FDP-Fraktion – alle Fraktionen darauf geeinigt haben, die Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Dies war ein sehr langer Prozess. Wir hatten sehr intensive Diskussionen zwischen Jugend- und Innenpolitikern, aber auch unter den Fraktionen. Dieser lange Diskussionsprozess hat sich wirklich gelohnt.

Ich freue mich auch sehr, dass sich die CDU durchgerungen hat, diese Verfassungsänderung mitzutragen und Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Ich würde mich freuen, wenn dies auch auf Bundesebene geschähe – Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir setzen heute ein Zeichen für eine kinderfreundliche Gesellschaft in Berlin. Wir geben unseren Kindern eine

stärkere Stellung in der Gesellschaft, und wir geben Staat und Gesellschaft einen klaren Auftrag, nämlich: Kümmert euch! – Wir knüpfen damit an eine lange Diskussion um die UN-Kinderrechtskonvention hier im Abgeordnetenhaus an. Ich finde es wichtig, noch einmal deutlich die Errungenschaft deutlich zu machen, dass in der UNKinderrechtskonvention die Kinder nicht als Objekte gesehen werden, sondern als eigenständige Subjekte. Dies hat mit einem Perspektivwechsel zu tun, auch einem Perspektivwechsel für uns, in allen unseren Entscheidungen, was die gesellschaftliche und politische Diskussion angeht. Genau diesen Perspektivwechsel wollen wir in die Verfassung aufnehmen, nämlich dass wir sagen: Kinder sind Subjekte und keine Objekte. Kinder haben einen eigenständigen Anspruch auf Achtung ihrer Persönlichkeit, und Kinder sind auch in der Lage, ihre Umwelt wahrzunehmen oder auch in Bezug auf ihr Lebensumfeld eine entsprechende Meinung zu entwickeln. Dies sollten wir ernst nehmen.

Wenn wir über das Recht der Entfaltung der Persönlichkeit von Kindern reden, meinen wir damit, dass wir Kindern altersgerechte Entwicklungsmöglichkeiten in der Familie, in der Kita oder auch in der Freizeit bieten müssen.

Damit knüpfte ich an den Punkt der Grünen an, die gern die Partizipation in die Kinderrechte aufnehmen wollen. Das sehen wir nicht so, denn altersgerechte Entwicklung beinhaltet für uns das Anbieten von Beteiligungsformen für Kinder und Jugendliche.

Das Recht auf gewaltfreie Erziehung, auf Schutz vor körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt und das Recht auf staatliche Unterstützung bei Erziehungsproblemen bilden die Grundlage für ein positives Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Das ist die Grundvoraussetzung für unser Handeln.

Ich möchte noch einmal deutlich machen: Natürlich kümmern sich die meisten Eltern sehr gut um ihre Kinder, aber es gibt auch Lagen in Familien, wo wir feststellen, dass Familien absolut überfordert sind und wo der Staat eingreifen muss, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Wir müssen auch in Berlin feststellen, dass es Situationen gibt, wo Kindern in Verwahrlosung leben oder misshandelt werden. Hier haben Staat und Gesellschaft eine Verantwortung.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Wenn wir heute über Kinderrechte reden, möchten wir ausdrücklich betonen: Schutz und Chancengleichheit für alle Kinder sind die größten Herausforderungen für die Politik und die Gesellschaft. Gerade was den Kinderschutz angeht, haben wir vielfältige Gesetzesgrundlagen, aber unabhängig davon ist es uns wichtig, in der Landesverfassung zu verankern, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf einen besonderen Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung haben. Es ist unsere Aufgabe, immer ein waches Auge zu haben und in Berlin unsere

Elfi Jantzen

Kinder zu schützen. Kinderrechte in der Landesverfassung sind ein wichtiges und richtiges Signal. Wir machen damit deutlich, dass uns Kinder und Jugendliche wichtig sind und Kinder im Land Berlin sehr willkommen sind. – Danke!

[Beifall bei der SPD, den Grünen und der Linksfraktion]

Danke schön, Frau Kollegin! – Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Seibeld das Wort. – Bitte schön, Frau Seibeld!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gehören Kinderrechte in die Verfassung? Mit dieser Thematik haben wir uns in diesem Haus schon des Öfteren befasst. Einig waren sich bislang alle in diesem Haus vertretenen Parteien über das Ziel, nämlich den Schutz der Kinder vor Gewalt und vor Vernachlässigung zu stärken. Meine Partei hat bislang in der Diskussion die Auffassung vertreten, dass die Verfassung von Berlin insbesondere in den Artikeln 12 und 13 das Kindeswohl bereits hinreichend berücksichtigt und der erforderliche Schutz des Kindes auch ohne Verfassungsänderung bereits gewährleistet ist. Das Wohl der Kinder ist auch bislang als zentrales Schutzgut in den Artikeln 12 und 13 enthalten. Bislang krankte unsere Gesellschaft nicht daran, dass Rechte von Kindern nicht in hinreichendem Maße in der Verfassung verankert waren, sondern daran, dass die Umsetzung durch den Staat und die Gesellschaft nicht in hinreichendem Maß erfolgte.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Das zeigt sich auch an den viel zu häufigen Fällen von Kindervernachlässigung und Kindesmisshandlung, die in den letzten Jahren öffentlich geworden sind. Es stellt sich aber die Frage, ob die Aufnahme weiterer Rechte in die Verfassung nicht eher zu einer Schwächung der Kinderrechte denn zu einer Stärkung führen würde, denn in den Artikeln 6, 7 und 8 Abs. 1 der Berliner Verfassung sind die Rechte aller Menschen, gleich welchen Alters, bereits so umfassend und vollständig geregelt, dass jede noch so gut gemeinte Ergänzung eigentlich nur noch eine Relativierung sein kann, die den Schutz der Kinder nicht stärkt, sondern schwächt. Ich darf in diesem Zusammenhang mit der Zustimmung des Herrn Präsidenten zitieren. Artikel 6 unserer Verfassung:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.

Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Artikel 8, Abs. 1:

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Die großartige Leistung unseres Grundgesetzes und der daran angelehnten Berliner Verfassung besteht doch darin, dass ohne Einschränkung für jeden Menschen umfänglicher Grundrechtsschutz gewährleistet wird.

[Beifall bei der CDU]

Unsere Bedenken gingen und gehen nach wie vor dahin, dass mit der Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung auch zahlreiche weitere Bevölkerungsgruppen einen durchaus legitimen Anspruch auf besondere Nennung in der Verfassung erheben werden.

Offenbar hat sich in der Bevölkerung und auch in diesem Haus die Meinung verfestigt, dass weder das Parlament noch die Regierung noch die Verwaltung in Berlin in der Lage sind, auf der Grundlage der jetzigen Verfassungslage dem zweifelsohne erforderlichen Schutz der Kinder gerecht zu werden. Wir als CDU werden daher im Interesse der Kinder in unserer Stadt dem Wunsch nach einer Verfassungsänderung nicht länger entgegenstehen, sondern dem Antrag zustimmen, auch wenn wir handwerklich und systematisch nach wie vor davon ausgehen, dass das der falsche Weg ist.

[Beifall bei der CDU]

In Anbetracht des Umstands, dass in der Verfassung von Berlin bereits zunehmend konkrete Rechte einzelner Bevölkerungsgruppen geregelt worden sind, werden wir nun der Aufnahme von Kinderrechten nicht länger entgegenstehen. Unsere Verfassung enthält schon jetzt in Artikel 11 das Recht und den Schutz behinderter Menschen, in Artikel 18 ein Recht auf Arbeit, in Artikel 28 ein Recht auf Wohnraum, in Artikel 31 den Schutz der Umwelt und den Tierschutz, in Artikel 32 die Sportförderung und in Artikel 33 den Datenschutz. In Anbetracht der bereits genannten Regelungen scheint es in der Tat beinahe alternativlos, nun auch die Kinderrechte in der Berliner Verfassung zu regeln.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Es wird aber abzuwarten bleiben, ob die Rechte und der Schutz von Kindern durch dieses Instrument tatsächlich gestärkt werden können, denn eines wird durch diese Verfassungsänderung ganz sicher nicht geschehen: Sie wird weder die Regierung noch das Parlament, noch die Verwaltung, noch die Gerichte und zu guter Letzt die Gesellschaft aus der Verantwortung entlassen, sich in den nächsten Jahren mit Vehemenz und Nachdruck für den Schutz und das Wohlergehen unserer Kinder einzusetzen. – Danke schön!

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Sandra Scheeres

Danke schön, Frau Kollegin Seibeld! – Für die Linksfraktion hat nunmehr Frau Dr. Barth das Wort. – Bitte schön, Frau Barth!

Danke schön! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Verankerung von Kinderrechten in der Berliner Verfassung befassen wir uns schon sehr lange – da möchte ich ausdrücklich meinen Vorrednern recht geben –, nicht zuletzt im Kontext der Forderung, Kinderrechten im Grundgesetz mehr Geltung zu verschaffen. Damit haben wir uns seit Jahren auseinandergesetzt. Als eine der jüngsten Aktivitäten möchte ich den Beschluss des Rats der Bürgermeister vom Sommer dieses Jahres erwähnen. Er beschloss, sich dafür einzusetzen, dass unsere Landesverfassung dahin gehend verändert wird, dass Kinder als Träger eigener Rechte berücksichtigt werden.

Die Linksfraktion begrüßt es sehr, dass heute ein entsprechender Antrag von vier Fraktionen dieses Hauses vorliegt. Dank in diesem Zusammenhang an die GrünenFraktion, die zugunsten eines gemeinsamen Antrags ihren eigenen Antrag zurückziehen möchte, zumindest wurde das angekündigt. Wir hoffen, dass es uns gelingt, dass auch noch die FDP-Fraktion von unserem Anliegen überzeugt wird. Ein Antrag, der von allen Parteien in diesem Haus getragen wird, verleiht dem Anliegen, Kindern in unserer Gesellschaft mehr Rechte einzuräumen, noch mehr Gewicht.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Sicher trägt der vorliegende Text für die Verfassungsänderung Kompromisscharakter. Als Linke wären wir hier gerne noch einen Schritt weiter gegangen. Zum Beispiel hätten wir gern einen Rechtsanspruch des Kindes auf Bildung von Anfang an und einen entsprechend einklagbaren Platz in einer Bildungseinrichtung verankert. Das ist uns leider nicht gelungen. Mit dem heute vorliegenden Antrag machen wir einen Anfang. Das ist von mehr als symbolischer Bedeutung.

Es wird uns immer wieder die Frage gestellt, welche praktische Bedeutung es hat, wenn Kinderrechte Verfassungsrang erhalten. Zunächst ist es das Recht eines jeden Kindes, behütet und gesund aufzuwachsen, gefördert zu werden, Chancengleichheit beim Zugang und beim Erwerb von Bildung zu haben. In der UNOKinderrechtskonvention, die 1992 auch von der Bundesregierung unterzeichnet wurde, wurden erstmals umfassend Kinderrechte festgeschrieben. Erst am Dienstag dieser Woche hat der rot-rote Senat beschlossen, erneut eine Initiative im Bundesrat zu ergreifen, um die noch bestehenden Vorbehalte der Bundesrepublik endlich zurückzunehmen. Grundlage des neuen Stellenwerts von Kinderrechten ist ein verändertes Bild vom Kind und seiner Rechtsstellung. Bisher sind Kinder Regelungsge

genstand und Objekte, die zu erziehen und für die zu sorgen Elternrecht und Elternpflicht ist und über deren Einhaltung die Gesellschaft wacht. Als „passiven Anhängseln ihrer Eltern“ werden ihnen bisher eigene Rechte nicht zugestanden. Deutlich wird dies zum Beispiel bei der Festlegung des Regelsatzes für Sozialleistungen. Der Kinderregelsatz wird pauschal aus dem Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen abgeleitet. Dieser wiederum beruht auf dem Verbraucherverhalten eines Erwachsenen. Entwicklungsspezifische Bedarfe werden nicht berücksichtigt. Dass Kinder- und Erwachsenenrechte nicht immer identisch sind, wird am deutlichsten im Kinderschutzfall.

Was würde sich durch eine Aufnahme von Kinderrechten in die Berliner Landesverfassung für Kinder ändern? – Die Rechtsprechung und die UNO-Kinderrechtskonvention würden in innerstaatliches Recht umgesetzt. Kinder würden als gleichwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Gemeinschaft anerkannt. Sie wären nicht länger Objekte, sondern Träger von Grundrechten.

Zweitens: Die verfassungsmäßige Anerkennung von Kinderrechten bedeutet Konsens und Selbstverpflichtung von Politik und Gesellschaft, sich dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend für das Wohl aller Kinder einzusetzen. Dies wäre besonders im Hinblick auf Chancengleichheit beim Zugang und beim Erwerb von Bildung und hinsichtlich des Abbaus von Benachteiligungen klarer Verfassungsauftrag.