Protokoll der Sitzung vom 14.01.2010

[Beifall bei der CDU]

Ich möchte, dass dieses S-Bahnnetz als gesamtes S-Bahnnetz erhalten bleibt mit einem einheitlichen Qualitätsstandard, mit einheitlichen Bezahlungen, auch mit einem einheitlichen Tarif.

[Zurufe von der FDP: VEB!]

Wenn Sie sehen, wie die Zerschlagung eines Netzes funktioniert und wie chaotisch ein System funktionieren könnte, dann gehen Sie nach London! Da gibt es acht verschiedene Busgesellschaften, etliche U-Bahngesellschaften und keine abgestimmten Fahrpläne.

[Christoph Meyer (FDP): Gehen Sie nach Kopenhagen!]

Wenn Sie das wollen, und wenn Sie wollen, dass auf einen Schlag 3 000 Leute arbeitslos werden – mit ihren Familienangehörigen –, dann müssen Sie das sagen.

[Beifall bei der CDU – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Das erzählen wir seit Jahren! Endlich haben Sie es verstanden!]

Vielen Dank! – Zur Erwiderung hat die Kollegin Hämmerling das Wort.

Herr Friederici! Aber da verstehen wir uns doch. Schauen Sie sich doch mal die Situation in Berlin an! Wir haben

einen Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Dieser organisiert, dass Regionalzüge im Umland fahren, dass die S-Bahn fährt und dass die BVG die Straßenbahn, die Busse und die U-Bahn so betreibt, dass an den Netzknoten gute Verbindungen stattfinden. Dieser Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg ist gut aufgestellt und intelligent genug, diese Verkehrsleistungen auch in Zukunft, wenn meinetwegen der Ring von einem anderen Betreiber geleitet wird, so zu koordinieren, dass die Fahrgäste überhaupt nicht merken, wer welche Strecke betreibt.

[Beifall bei der FDP – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Ich glaub’s ja nicht!]

Entscheidend ist – da stimmen Sie sicher alle mit mir überein –, dass dieser Wettbewerb, der im Übrigen auch von der EU gefordert wird, in einem vernünftigen Rahmen stattfindet. Das heißt, es muss so ausgeschrieben werden, dass die Beschäftigten Bestands- und Übernahmegarantien bekommen, und das ist im Übrigen bereits gesetzlich geregelt. Nehmen Sie zur Kenntnis: Die Ausschreibung des Regionalverkehrs in Brandenburg hat im letzten Jahr die Kommunen eine Menge Geld einsparen lassen und dafür gesorgt, dass in Zukunft mehr Beschäftigte Arbeit haben. Wir sind nicht nur der Transnet, sondern auch der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen verpflichtet,

[Zuruf von Jutta Matuschek (Linksfraktion)]

und zwar von Arbeitsplätzen, die nicht einer prekären Beschäftigung unterliegen, sondern eine Tariftreue enthalten und entsprechende Standards haben. Bitte unterstellen Sie nicht immer diesen Unsinn, dass der- oder diejenige, der oder die den Wettbewerb möchte, etwas gegen die Beschäftigten tut! In erster Linie wollen wir etwas für die Fahrgäste tun, in zweiter Linie etwas für mehr Beschäftigung, und genau das wird damit erreicht.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Lassen Sie sich das mal vom Betriebsrat erklären, den Sie gerade begrüßt haben!]

Das, was Sie jetzt erklären, und das, was den Zustand der S-Bahn ausmacht, ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der Linken!

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Als letzter Redner der Abgeordneten hat Herr Kollege Ueckert das Wort. – Fünf Minuten, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute um meine, um unsere Berliner S-Bahn, die in dieser Stadt bereits länger als 100 Jahre fährt und selbst nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so dahinsiechte wie im Jahr 2009. Es geht um unsere Berliner S-Bahn, die nicht immer nur eine verkehrliche, sondern zumindest von 1961 bis zum Mauerfall auch eine politische Funktion in dieser

Stadt zu erfüllen hatte. Gerade für ältere Berliner ist sie deshalb auch eine leidvolle und zugleich kraftvolle Erinnerung an die Teilung der Stadt. Ich erinnere an den Slogan: „Wir bezahlen doch nicht Ulbrichts Stacheldraht!“

Es macht deshalb mehr als traurig, wenn man sich den augenblicklichen Zustand ansieht. Ich habe die Fäuste in der Tasche und einen dicken Hals. Teilweise verschlägt es mir auch die Sprache – wie Herrn Wowereit am Dienstag bei seiner Pressekonferenz –, weil wir ohnmächtig zu sein scheinen. Wir sind ohnmächtig, weil wir bei nüchterner Betrachtung erkennen müssen, dass wir, außer finanzielle Sanktionen zu verhängen, im Augenblick nicht sofort handeln können. Wir können nicht eingreifen, wir können lediglich Forderungen nach Entschädigungen, Entlassungen von Managern usw. stellen. Aber auch von der Opposition habe ich nichts gehört, was Sie machen würden, wenn Sie heute an der Regierung wären.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Wir haben eine vertragliche Bindung bis 2017, die in außergewöhnlichen Fällen zwar juristisch sicher kündbar wäre, praktisch aber ist sie das nicht. Wer etwas anderes behauptet, ist aus meiner Sicht ein Fantast, ein Utopist oder sogar ein Populist.

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Wir können den S-Bahnvertrag auch nicht kündigen, weil wir einerseits die Beschäftigten nicht von heute auf morgen auf die Straße setzen können und wollen, andererseits aber auch keine sofortige Alternativen haben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir sind leider alternativlos, zumindest für eine Zeit von vier bis fünf Jahren, und das liegt nicht am Senat, sondern daran, dass diese Berliner S-Bahn ein in sich geschlossenes, einmaliges System ist, das deutsche Ingenieure und Berliner Politiker Anfang der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts technisch so hervorragend leistungsfähig, aber eben so aufgebaut haben. Das heißt: 750 Volt Gleichstrom, unten geführte Stromschiene und ein besonderes Sicherungssystem. Deshalb gibt es in der ganzen Bundesrepublik auch keine Ersatzzüge, die man eben mal schnell aus Stuttgart, Hamburg oder Köln hierher holen könnte. Deshalb findet man auch kein Unternehmen, das anstelle der DB mal eben 630 Viertelzüge mit unseren technischen Anforderungen auf das Gleis setzen kann. Es geht also nicht so schnell, und diese Einsicht kann ich nur Ohnmacht nennen.

Andererseits können und wollen wir auf diese S-Bahn nicht verzichten. Sie ist Teil des öffentlichen Nahverkehrssystems und damit auch der Daseinsvorsorge. Sie ist Teil der Mobilitätsgarantie, die der Staat, die wir als Gesellschaft denjenigen Mitbürgern geben müssen, die sich nicht in ein eigenes Auto setzen können. Das sind Kinder und Schüler, das sind ältere oder behinderte Menschen, und das sind vor allem auch sozial Schwache. Diese Mo

bilitätsgarantie möchte ich auch in Zukunft gesichert haben.

Wenn die Deutsche Bahn als 1994 privatisiertes Staatsunternehmen mit dem Bund als 100-prozentigem Eigentümer diese Verantwortung nicht mehr mittragen will, sich also aus Profitsucht und wegen Gewinnmaximierung an dieser Aufgabe gemeinsam mit dem Staat nicht mehr beteiligen will und stattdessen eine funktionierende SBahn ausblutet, Personal und Werkstattkapazitäten gnadenlos abbaut und den Fahrzeugbestand auf Verschleiß zusammenfährt, dann muss ihr, der Deutschen Bahn, diese Aufgabe, diese Mitverantwortung entzogen werden. Dieses aber ist, wie gesagt, erst mit großer zeitlicher Verzögerung möglich, spätestens 2017.

Aber was kommt dann? – Einige Unbesonnene schreien nun sofort nach Privatisierung und Ausschreibung. Es ist sicher nicht falsch, wenn der Senat auch diese Alternative einer gewissenhaften Prüfung unterzieht. Aber meinen Sie, ein privater Anbieter X oder Y würde sich anders als die Deutsche Bahn verhalten, plötzlich ein soziales Herz entwickeln und die Verantwortung des Staats finanziell übernehmen?

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das kann doch nur jemand glauben, der sich die Hose mit der Kneifzange anzieht.

[Gelächter]

Schauen Sie sich doch nur den Markt der Stromanbieter und das Desaster von Regulierungsbehörden und Netzagenturen an! Doch bevor ich zum Kernpunkt komme, an dieser Stelle noch eine Bemerkung zur Teilnetzausschreibung, die ich aus Zeitgründen jetzt einfach mal unterschlage.

Ich sage nur: Finger weg von einer Zerstückelung des S-Bahnnetzes! Aber auch Finger weg von einer Privatisierung des Gesamtnetzes!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Auch hier gilt das Gesagte. Natürlich gehört es zu den Pflichten des Senats, diese Alternative zu prüfen. Aber was würden andere besser machen als die DB? Alle werden auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sein. Wir kämen vom Regen in die Traufe.

Würden Sie bitte zum Schluss kommen, Herr Ueckert?

Natürlich habe ich nichts gegen ein Unternehmertum und auch nichts gegen Gewinne, aber wenn es um soziale Grunderfordernisse wie einen bezahlbaren und funktionierenden Nahverkehr geht, wenn es um Daseinsvorsorge geht, hat Privatisierung ihre Grenzen. Deswegen spreche ich mich dafür aus, dass die S-Bahn wieder in die Hände der Stadt Berlin kommt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das wäre sicherlich auch finanziell ein Vorteil für unsere Stadt, Herr Nußbaum, und es wäre ein Vorteil für die Kunden und für das Personal der S-Bahn. – Schönen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für den Senat hat die Senatorin Junge-Reyer. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier und an vielen anderen Stellen in der Stadt geäußerte schärfste Kritik an der Deutschen Bahn und der S-Bahn ist berechtigt.

[Sebastian Czaja (FDP): Ist das nicht Chefsache?]

Die Wut der Fahrgäste ist ebenfalls in außerordentlicher Weise berechtigt. Die Einschränkungen, die sie hinnehmen müssen, sind unzumutbar geworden. Und sie verstärken sich, wie es hier geschildert wurde, laufend.

[Andreas Gram (CDU): War aber Absicht!]

Deshalb ist es wichtig, dass wir noch einmal sagen, dass es das Management der Deutschen Bahn war, das die sträflich vernachlässigte Instandhaltung der S-Bahn zu verantworten hat. Zulasten der Sicherheit wurde hier auf die ordentlichen Prüfintervalle verzichtet, es wurde auf eine Instandhaltung verzichtet, die als obersten Maßstab immer die Kompetenz, die Fähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das entsprechende Ergebnis, die Sicherheit der Fahrgäste, im Auge gehabt hätte.

Aber ich glaube, es ist schlimmer. Als sich vor etwa einem Jahr abzeichnete, in welche absehbare Krise die S-Bahn geraten könnte, ist nicht frühzeitig genug, nicht richtig, nicht intensiv genug reagiert worden. Es hat eine lange Zeit der Untätigkeit gegeben. Lange sind Reaktionen bei der Deutschen Bahn und bei der S-Bahn zur Verbesserung der Situation nicht wirklich verfolgt worden. Und es ist ausdrücklich dem Druck der Belegschaft, dem Druck des Betriebsrats, dem Druck der Abgeordneten in den Diskussionen in den Ausschusssitzungen und hier und dem Druck des Senats zu verdanken, dass Maßnahmen ergriffen worden sind – allerdings auch nach meiner Auffassung viel zu spät. Wir haben es seit Oktober mit immer neuen Notfahrplänen, mit immer neuen Hochlaufplänen zu tun und heute den Tiefststand erreicht.

[Mieke Senftleben (FDP): Das haben wir schon mal gesagt!]