Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Die lfd. Nr. 19 b steht ebenfalls auf der Konsensliste. Die Fraktion der CDU hat dazu jedoch einen Beratungswunsch geäußert.

Ich rufe daher auf

lfd. Nr. 19:

b) Beschlussempfehlung

Zentrum für Widerstands- und Oppositionsgeschichte gegen die SED-Diktatur

Beschlussempfehlung Kult Drs 16/2919 Antrag der SPD, der CDU, der Grünen und der Linksfraktion Drs 16/2803

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU in Person von Herrn Dr. LehmannBrauns. – Bitte schön, Herr Lehmann-Brauns!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße, dass sich eine abzeichnende Mehrheit für diesen Antrag findet, der die freiheitliche und demokratische Herkunft unseres Landes betrifft. Ich bin positiv überrascht von der Befürwortung dieses Antrags durch die Linkspartei – Respekt! Ich bin ebenso – negativ – überrascht von der Ablehnung durch die Freien Demokraten. Ich nehme an, Sie werden die Debatte nutzen, um dem Antrag doch noch zuzustimmen.

Berlin hat sich, was die Aufarbeitung der braunen Diktatur angeht, nichts vorzuwerfen. Die Stadt hat beispielgebend für die ganze Nation – gleichgültig mit welcher Parteifarbe – die Erinnerung und Aufklärung der NSDiktatur gefördert. Dass es hier keinen Schlussstrich und keinen Stillstand gibt, zeigt z. B. die Bemühung darum, für den Hitler-Attentäter Elser ein Denkmal zu finden.

Was die Aufarbeitung der zweiten Diktatur in Deutschland angeht, sind wir noch nicht so weit. Das hat viele Gründe, unter anderem, dass die Zeit uns noch zu nahe steht. Zwar gibt es schon Festlegungen – etwa die Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße, die Haftanstalt Hohenschönhausen oder das private Museum am Checkpoint Charlie –, es fehlt aber insbesondere noch der Ort, der den Widerstand der Menschen in der DDR bezeichnet, erarbeitet und öffentlich macht.

Herr Kollege Lehmann-Brauns! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto von Bündnis 90/Die Grünen?

Bitte, Herr Otto!

Sehr geehrter Herr Kollege! Würden Sie es nicht auch als wünschenswert ansehen, dass sich bei diesem Punkt der Kultursenator und Regierende Bürgermeister hier im Saal aufhalten sollte?

[Zurufe von der SPD: Hier ist er!]

Bitte schön, Herr Dr. Lehmann-Brauns!

Ich habe den Regierenden Bürgermeister in der dritten Reihe der SPD-Fraktion entdeckt, das muss uns reichen, Herr Kollege!

[Andreas Otto (Grüne): Versteckt!]

Bevor ich zu Einzelheiten komme, will ich noch auf den Begriff Diktatur eingehen, den Herr Brauer im Kulturausschuss in Bezug auf die DDR zurückwies. Ich erinnere daran, verehrter Herr Brauer, auch Unrechtsstaat dürfen wir bezüglich der DDR nicht sagen, wenn es nach Ihnen geht. Das sind aber die einschlägigen Begriffe für einen Polizeistaat, der die Menschen bewacht, gequält und vertrieben hat. Natürlich gibt es Unterschiede zu dem braunen Terrorstaat, das bestreitet niemand. Diese Unterschiede machen aber aus der DDR keinen Kuschelstaat, keinen Rechtsstaat, keine parlamentarische Demokratie.

Was sollen wir eigentlich von Ihren vielfältigen Beteuerungen halten, dass Sie von der Linkspartei sich von jenem Staat und seinem Spitzelsystem losgesagt hätten, wenn Sie der Öffentlichkeit übel nehmen, dass sie ihn zutreffend als Diktatur oder als Unrechtstaat bezeichnet? Wovon distanzieren Sie sich eigentlich? Deshalb: Nutzen Sie diese Debatte, um Ihre Haltung klarer zu machen!

Was könnte ein Widerstandszentrum leisten, wenn es denn entstünde? – Natürlich brauchen wir den Bund und seine auch inhaltliche Mitarbeit, denn es handelt sich um keine innerstädtische Angelegenheit. Widerstand gegen das Regime der DDR war nicht auf Berlin beschränkt. Er wurde vor allem auch, wie wir heute wissen, in der Provinz geleistet. Deshalb meine ich, dass drei Dinge in diesem Zentrum geschehen müssen: Erstens Aufarbeitung des Widerstands der vielen, vielen Menschen, die weitgehend unbekannt und unprominent den Mut hatten, nein zu sagen, Sippenhaft in Kauf nahmen und mit ihrer Gesundheit, im Einzelfall mit ihrem Leben dafür bezahlen mussten. Ob Plauen oder Leipzig, ob Erfurt oder Potsdam – ihre Biographien zu sammeln, zu sichten und öffentlich zu machen, ist das erste Anliegen dieses Zentrums.

Zweitens geht es um die Biographien der bekannt gewordenen Widerständler, der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler. Diese Demokratie braucht Vorbilder. Worte und Werte vorgeben ist das eine, Werte vorleben das

andere, viel Schwerere, aber in seiner Wirkung Wichtigere.

Gegenstand des Zentrums sollten mindestens auch die sogenannten Friedensgruppen sein, die in Wahrheit Freiheitsbewegungen waren und teils unter dem Dach der Kirche ihre mutige Arbeit verrichteten. Die Leipziger Nikolaikirche steht dafür.

Nur so viel und nur so kurz zu diesem Antrag. Ich bin in der komfortablen Situation, dass es sich um einen Mehrfraktionenantrag handelt, und falls ich etwas Wichtiges vergessen haben sollte, dann werden Sie das ergänzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU, den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Lehmann-Brauns! – Für die SPD-Fraktion hat nunmehr der Kollege Hilse das Wort. – Bitte schön, Herr Hilse!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag, der jetzt zur Debatte steht, war bereits auf der Konsensliste. Mithin können wir feststellen, dass das Anliegen eine breite Zustimmung in diesem Hause genießt. Die einzige Fraktion, die nicht zustimmen wird, ist die FDP-Fraktion. Die Gründe hierfür werden wir sicherlich noch hören. Ich will für die SPD-Fraktion in aller Kürze ein paar Gedanken und Gründe nennen, weswegen wir ein großes Interesse haben, dass dieses Museum mit dem sperrigen Namen „Zentrum für Widerstands- und Oppositionsgeschichte gegen die SED-Diktatur“ kommt.

Bislang war es so, dass wir uns in unserem Erinnern und in der wissenschaftlichen Zuwendung sehr stark den Orten zugewandt haben, an denen Unrecht praktiziert wurde, Menschen ihr Leben ließen, gefoltert oder verfolgt wurden. Ich nenne nur einmal das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen oder die Keller im Rathaus von Prenzlauer Berg, in denen Menschen gefoltert und gequält wurden. Das war die eine Ebene, der wir uns in den letzten zwanzig Jahren zugewandt haben.

Die zweite sind die Institutionen selbst, von denen Unrecht ausging. Ich will hier die Staatssicherheit selbst, das SED-Regime mit all seinen Facetten oder das Diktat der SED nennen.

Es gibt aber eine Lücke, und wir könnten sie schließen, wenn es uns gelänge, dieses Museum zu errichten – wohlgemerkt aber immer in Trägerschaft des Bundes, weil es wahrscheinlich unsere Möglichkeiten überfordern würde. Die Lücke, die es zu schließen gilt, ist das widerständige Verhalten der Menschen selbst in der DDR. Es gab zu allen Zeiten in der DDR Menschen, die sich nie daran gewöhnt hatten, dass es eine Diktatur gibt, dass

man seine Meinung nicht frei sagen konnte. Diese Menschen konnte man überall finden, nicht nur in Berlin, sondern auch in Zittau, in Leipzig, in Rostock, überall. Diesem Teil der Geschichte sich zuzuwenden, das ist jetzt die Aufgabe.

Ich will nur ein Beispiel für widerständiges Verhalten nennen: Als im August 1968 die Panzer durch die DDR rollten und die tschechische Grenze überschritten, haben viele Menschen – ich bin übrigens in Zittau geboren, einer Grenzstadt zur Tschechoslowakei – nachts mit Farbe auf die Straße „Dubcek“ oder „Freiheit“ geschrieben. Alle, die mit Farben zu tun hatten, etwa Malermeister und Lackierer, wurden noch in der Nacht aus ihren Betten geholt, verhört und z. T. hart bestraft. Über diese Menschen redet heute kaum noch jemand.

So etwas wie in Zittau lässt sich in allen Städten finden. Das ist ein Grund, sich der Sache geschichtlich und wissenschaftlich zuzuwenden. Dabei will ich es bewenden lassen. Es gibt noch viele Ebenen, die der Betrachtung würdig wären. Schauen wir einmal, ob es uns gelingt. Ich habe heute schon dem RBB gesagt – sie wollten vorab meine Meinung hören –, ich sei zuversichtlich. Wenn überfraktionell so viel Übereinstimmung da ist, wird es uns wohl gelingen, einen solchen Gedenkort zu errichten. Er ist wichtig auch im Hinblick darauf, der Verklärung, die zunehmend unter den jungen Menschen der ehemaligen DDR anzutreffen ist, Einhalt zu gebieten. Wer in diesem Land gelebt hat, hat nicht nur ein Brot für 78 Pfennig und Brötchen für 5 Pfennig gekauft, sondern er musste auch Angst haben und riskierte Kopf und Kragen, wenn er eine nicht angepasste Meinung frei gesagt hat. Das gehört auch zur Reflexion der DDR-Geschichte, und diese Lücke können wir mit diesem Museum schließen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der CDU und den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Hilse! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Frau Ströver das Wort. – Bitte schön, Frau Ströver!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist immer gut, wenn zu zeitgeschichtlichen und kulturpolitischen Themen ein großer Konsens unter den Parteien im Abgeordnetenhaus hergestellt wird, und ich würde mich sehr freuen, wenn diesen beiden Anträgen, die heute zur Schlussberatung anstehen, auch vom Regierenden Bürgermeister ein gewisser Respekt bezeugt würde.

[Zurufe von der SPD]

Herr Kollege Gaebler, er sollte da sitzen, wo er als zuständiger Vertreter der Exekutive hingehört! – Freuen wir uns, wenn zwei von der Opposition initiierte Anträge heute eine Mehrheit finden. Ich denke, das ist gut so. Ich

freue mich auch, dass Herr Hilse dieses noch einmal zum Ausdruck gebracht hat.

Zum ersten Antrag, der sich mit dem Neuen Forum und seinem Gründungsdatum beschäftigt, fragt man sich im Nachhinein, auch nach der Debatte im Kulturausschuss, warum Rot-Rot nicht schon im September hier im Plenum an die Gründung des Neuen Forums als eines wichtigen, zentralen Teils der Bürgerbewegung vor zwanzig Jahren erinnern wollte. Es ist jetzt vier Monate zu spät, und deswegen ist die öffentliche Wirkung dieses Antrags leider nicht mehr die, die sie hätte sein sollen.

[Beifall bei den Grünen ]

Nun wollen wir also, bis auf die FDP-Fraktion, in Berlin ein Zentrum für die Widerstands- und Oppositionsgeschichte gegen die SED-Diktatur initiieren. Es ist wirklich erfreulich, dass sich die Koalition nunmehr dazu durchgerungen hat, die Robert-Havemann-Gesellschaft als Trägerin dieses künftigen Zentrums vorzuschlagen, denn die Robert-Havemann-Gesellschaft ist die Institution, die seit zwanzig Jahren die Dokumente über die Arbeit des Widerstands gegen das SED-Regime in der DDR sammelt.

Was uns aber nervt – und das will ich ganz offen sagen –, ist, dass sich Rot-Rot auch hier ein Stück aus der Mitverantwortung, die Berlin hat, herausstiehlt und alle Verantwortung für die Umsetzung dieses Zentrums ausschließlich an den Bund abgeben will. Nein, wir denken, das ist wohlfeil! Auch Berlin hat eine Verantwortung, dieses Projekt zu initiieren.

[Beifall bei den Grünen]

Unseren grünen Vorschlag, hierfür Mittel aus dem aufgefundenen SED-Vermögen zu verwenden, haben Sie allerdings abgelehnt. Stattdessen geben Sie das Geld für das Elefantenhaus oder die Büros des Tierparkdirektors im Schloss Friedrichsfelde oder den Club Berghain. Ich muss sagen: Hier wären diese Gelder wirklich ein aktiver Beitrag des Landes Berlin für dieses Zentrum gewesen.

[Beifall bei den Grünen]

Bekanntlich ist Papier geduldig. Wie wollen wir das Projekt dem Bund näherbringen, wenn wir selbst keinen eigenen Beitrag leisten?

Wenn dieser Antrag nicht nur ein Bekenntnis auf Papier bleiben soll, muss Berlin einen eigenen Beitrag leisten und Gelder aus dem SED-Vermögen für ein Zentrum in Berlin bereitstellen zur Gründung einer Stiftung oder um die Erstausstattung mit zu finanzieren.

Ich möchte noch ein letztes Argument nennen, warum ich glaube – ich hoffe, Rot-Rot sieht das auch so –, dass die gesamtdeutsche Wiedervereinigungsgesellschaft den Akteurinnen und Akteuren des Widerstands gegen das SED-Regime insgesamt einen zu geringen gesellschaftlichen Platz gegeben und ihnen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Dieses gesellschaftliche Defizit sollten wir aktiv ändern und dagegen angehen. Es ist übrigens auch eine Aufgabe von allen Parteien.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]