Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Auch dafür ist ein lebendiges Zentrum der Opposition ein wichtiges Zeichen. Es ist gut so, wenn es dies nicht nur in Leipzig gibt, sondern auch in Berlin und den vielen anderen Orten, von denen Herr Hilse und Herr Dr. LehmannBrauns gesprochen haben, die den dezentralen Widerstand gegen das Regime geprägt und aktiv dagegen gekämpft haben. Ich hoffe sehr, dass der Regierende Bürgermeister den heutigen Beschluss, der mit mindestens vier Fraktionen – vielleicht bewegt sich die FDP noch – zustande kommen wird,

[Christoph Meyer (FDP): Wenn Sie uns sagen, woher Sie die Kohle nehmen wollen!]

zum Anlass nimmt, Richtung Bund zu argumentieren, den Bund zu überzeugen, eine Initiative zu starten.

Wir haben bedauerlicherweise vergessen, einen Berichtstermin in unseren Antrag zu schreiben, aber ich hoffe, wenn sich zum Beispiel Herr Gaebler des Themas annimmt und dafür sorgt, dass der Regierende Bürgermeister als Exekutivvertreter Richtung Bund aktiv werden wird und wir in absehbarer Zeit einen konkreten Schritt gehen hinsichtlich dieses Widerstandszentrums, das wir alle wollen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Dr. Michael Wegner (CDU)]

Vielen Dank, Frau Kollegin Ströver! – Für die Linksfraktion hat nunmehr der Kollege Brauer das Wort. – Bitte schön, Herr Brauer!

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren!

Viele meinen, dass Geschichte und Politik Schwestern seien. Nichts ist falscher. Sie stehen einander feindlich gegenüber und sind allenfalls entfernt miteinander verwandt.

Das schrieb der Historiker Karl Lamprecht 1904. In den letzten 20 Jahren haben wir erfahren müssen, dass Lamprecht recht hatte. Der Trend zur hochgradigen Um- und Missinterpretation der jüngsten deutschen Geschichte – leider Gottes auch aus parteipolitischen Gründen, wovon keine Partei verschont ist –,

[Christoph Meyer (FDP): Nur Sie!]

hält leider an. Es wird Zeit, der Geschichte als Wissenschaft wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und sie aus dem Klammergriff bestellter Begutachter zu befreien. Eben darum unterstützen wir die Errichtung eines Zentrums für Widerstand- und Oppositionsgeschichte hier in Berlin. Hier in die Hauptstadt Deutschlands gehört es. Die Trägerschaft durch die Robert-Havemann-Gesellschaft ist vernünftig. Hier sind wir uns mit der CDU durchaus einig, wie unterstützen diesen Ansatz.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Nicht einig sind wir uns in drei anderen Fragen. Erstens: Herr Kollege Lehmann-Brauns! Ich wehre mich nicht gegen den Gebrauch des Begriffes Diktatur. Aber das gleichsetzende Geschwätz von den zwei deutschen Diktaturen ist nicht nur zunehmend unerträglich, vor allem verharmlost es die NS-Herrschaft. Niemand, aber auch niemand in den Reihen meiner Fraktion denkt daran, die Vergewaltigung von Menschen- und Bürgerrechten im Namen des real existierenden Sozialismus schönzureden oder gar zu entschuldigen.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Wer aber 65 Jahre nach dem Ende des mörderischsten aller Kriege, eines deutschen Krieges mit Verlaub, im politischen Raum von der zweiten deutschen Diktatur schwadroniert, relativiert Auschwitz und Treblinka, und das machen wir nicht mit.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Zweitens: Die Wende – oder bitte schön, die friedliche Revolution – in der DDR wurde vom Volk der DDR gemacht, von niemand anderem. Dass diese friedliche Revolution friedlich verlief, war den Menschen auf den Straßen zu verdanken. Die bewiesen Mut, Umsicht und Besonnenheit. Dieser friedliche Charakter ist aber auch den Trägern der staatlichen Gewalt in der DDR zu danken.

[Christoph Meyer (FDP): Zu welchem Antrag reden Sie gerade?]

Die Inhaber des Waffenmonopols waren es, die keinen einzigen Schuss abgaben. Sie zeigten Umsicht und Besonnenheit. Woanders lief das anders. Ich fand es überaus peinlich, dass neben Michail Gorbatschow nicht auch Hans Modrow am 9. November 2009 zum Brandenburger Tor eingeladen worden ist.

[Oh! von der CDU und der FDP]

Drittens: Es ist Zeit Schluss zu machen, das geht jetzt an Ihre Adresse, mit einem oft arroganten Gehabe manch selbsternannter oder tatsächlicher Elitenangehöriger den Ostdeutschen gegenüber. Die dümmlich-arrogante Bananenidee eines späteren Bundesinnenministers findet immer noch ihre Entsprechung in den immer hanebüchener werdenden Begründungen – nur ein Beispiel – zweier unterschiedlicher Tarifgebiete in Deutschland. Es ist ein Zeichen beharrlicher Wirklichkeitsverweigerung,

[Christoph Meyer (FDP): Ihre Rede ist so ein Zeichen!]

das in den 1990er-Jahren erfolgte absichtsvolle Zerstören der industriellen Substanz der Stadt Berlin einer erst seit Ende 2001 regierenden Koalition vorzuwerfen. Das ist heute hier im Haus geschehen. Das war das Klientel von CDU und FDP, die nach dem Motto „bereichert euch“ handelte, das war auch eine im CDU-Auftrag agierende Treuhandanstalt.

[Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]

Auch das gehört endlich wissenschaftlich aufgearbeitet und politisch zur Kenntnis genommen zu werden. Diese Ignoranz, bitte denken Sie daran, erklärt auch manche gefühlsmäßige von Ihnen als Ostalgie bezeichnete durchaus hinterfragenswerte Auseinandersetzung mit der DDRGeschichte. Eine Partei, deren Bundesminister die These vertreten haben, dass die Ostdeutschen erst einmal hätten arbeiten lernen müssen, eine solche Partei – ich rede hier wirklich von der CDU – sollte sich im Bewerten ostdeutscher Geschichte, auch der Geschichte von Widerstand und friedlicher Revolution, etwas mehr Zurückhaltung auferlegen. Diese Geschichte – ich komme zum Schluss – ist zuvörderst die Geschichte der DDR-Deutschen. Es wird Zeit, dass deren Stimme wieder stärkeres Gewicht erhält. Deshalb, auch deshalb, unterstützen wir die Gründung eines solchen Zentrums. Die Geschichte gehört wieder in ihre Rechte eingesetzt und sie gehört endlich wieder denen zurückgegeben, die sie gemacht haben. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion – Kurt Wansner (CDU): Geistiger Brandstifter!]

Danke schön, Herr Kollege Brauer! – Für die FDPFraktion hat nunmehr der Kollege von Lüdeke das Wort. – Bitte schön, Herr von Lüdeke!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den letzten Redebeitrag gehört hat, muss ich sagen: Das kann etwas werden mit dem Zentrum.

[Beifall bei der FDP – Alice Ströver (Grüne): Herr Brauer wird es ganz bestimmt nicht leiten!]

Das zeichnet sich bereits ab.

Letztlich bleibt festzustellen: Der Titel ist gut gewählt. Hinter dem Titel kann man rückhaltlos stehen, aber hinter dem Inhalt, das schaffen wir nicht. Das kann ich gern begründen. Das, was die Vorredner geliefert haben, zeigt, dass es inhaltlich noch sehr kontrovers ist. Ich glaube, wir sind frei davon, dass wir nicht die Bedeutung der Oppositionsbewegung würdigen. Da weichen wir keinen Deut ab, dabei haben Sie uns an Ihrer Seite, ohne Frage. Das zeigen wir übrigens auch mit dem gemeinsamen Antrag 22 Jahre Neues Forum.

[Beifall bei der FDP]

Aber das, was Sie hier machen – ich begründe, weshalb wir dem Antrag nicht beigetreten sind – ist letztlich ein Appell an den Bund, etwas zu bauen. Frau Ströver hat in Ihrem Redebeitrag ziemlich deutlich gemacht, wo der Pferdefuß in der ganzen Geschichte zu finden ist. Sie sagen nichts über die Finanzierung dieses Baus. Sie haben keine Vorstellung davon, wie Sie es finanzieren wollen. Sie stellen keine Mittel dafür zur Verfügung. Niemand von Ihnen – auch Herr Brauer nicht – hat in irgendeiner

Form etwas dazu gesagt. Das ist der Hauptfehler dieses Antrags. Man muss zumindest sagen, dass auf jeden Fall anteilige Kosten auf Berlin zukommen.

[Beifall bei der FDP]

Woher wollen Sie die nehmen? Was machen Sie mit den Folgekosten, die durch ein derartiges Zentrum entstehen? Dazu ist nichts gesagt worden. Sicher ist eines: Wir haben eine ganze Reihe von Gedenkstätten im Gedenkstättenkonzept, die durchaus ähnliche Aufgaben erfüllen und diese Aufgabe sicherlich übernehmen können.

Wir haben in Berlin auch eine Bundesinstitution, die durchaus in der Lage wäre, dies zu machen. Das ist das Deutsche Historische Museum. Wir sind der Meinung, dass es dort gut aufgehoben wäre. Das ist eine Bundesangelegenheit. Die würden das bestimmt auch übernehmen. Es gibt übrigens auch noch das Haus der Geschichte in Bonn. Dort könnte man es auch unterbringen. Die Verlagerung nach Bonn wäre für uns nur etwas problematisch. Wir haben schon ein Interesse, dass es dann auch in Berlin bleibt. Das Historische Museum existiert; die könnten das bestimmt auch übernehmen.

[Beifall bei der FDP]

Nein, es geht Ihnen doch um etwas ganz anderes. Es geht Ihnen um die Institutionalisierung der Robert-HavemannGesellschaft. Die Robert-Havemann-Gesellschaft soll ein Haus bekommen. Hier ist sie genannt als diejenigen, die das bespielen sollen. Das ist nun natürlich so eine Sache, die in etwa zu dem parallel geht, was Herr Brauer gesagt hat. Wenn man sich die Robert-Havemann-Gesellschaft ansieht, möchte ich darauf verweisen, was hier in den letzten Tagen über die Robert-Havemann-Gesellschaft gelaufen ist. Vor dem Schöneberger Rathaus ist eine Stele aufgestellt worden. Für den textlichen Inhalt auf dieser Stele ist diese Robert-Havemann-Gesellschaft zuständig. Dann kann ich vielleicht einmal für diejenigen, die es nicht gelesen haben, einige wenige Zitate dieser Stele vortragen. Dort steht beispielsweise, dass der Bundeskanzler Helmut Kohl am 10. November 1989 auf diesem Platz ausgebuht wurde. Das ist eine bemerkenswerte Information. Weiter steht: Vielen galt er als Kanzler, dessen Zeit abgelaufen war. Auch dies findet sich auf dieser Stele.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Stimmt doch aber!]

Das können Sie ja gut finden, aber es ist eine Verunglimpfung des damaligen Bundeskanzlers.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Es steht unter anderem drauf, dass es ihm die ostdeutsche Freiheitsbewegung ermöglichte, zum Kanzler der Einheit zu werden. Das ist auch durchaus fragwürdig. Der größte Punkt, eine Verniedlichung, steht am Schluss, die Teilung Berlins 1948. Ich darf zitieren: „Es war eine Folge der Auseinandersetzung zwischen dem kommunistischen Ostteil und dem demokratischen Westen.“ So wird Teilung hier verniedlicht, und das geschieht auf einer derartigen Stele. Da ist Schlimmes zu befürchten, wenn diese

Robert-Havemann-Gesellschaft das hier in den Griff bekommt.

[Beifall bei der FDP]

Meine Fraktion tritt durchaus für Aufklärung von historischen Prozessen auf. Wir unterstützen das auch. Aber dieser Antrag trägt mit Sicherheit nicht dazu bei. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege von Lüdeke! – Der Fachausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen die Stimmen der Fraktion der FDP den Antrag Drucksache 16/2803 in neuer Fassung anzunehmen. Wer dem Antrag in der Fassung der Drucksache 16/2919 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind mit Ausnahme der FDP alle Fraktionen. Danke. Die Gegenprobe! – Das ist die FDP. Ersteres war die Mehrheit. Dann ist das so beschlossen. Enthaltungen sehe ich nicht.

Die lfd. Nr. 20 steht auf der Konsensliste.

Zum vorvorherigen Redner hat der Kollege Wansner offenbar gesagt: „Geistige Brandstifter“. Das ist Schmähkritik. Das ist nicht parlamentarisch, Herr Kollege Wansner. Ich rufe Sie zur Ordnung.