nicht nur, dass Sie offensichtlich verkennen, dass in vielen anderen Städten und auch Ländern ein solches Wahlsystem ohne Weiteres funktioniert. Offensichtlich halten Sie die Berliner Bürgerinnen und Bürger für beschränkter als die Bevölkerung in anderen Bundesländern. Das ist ein merkwürdiges Verständnis, das Sie hier zum Ausdruck bringen.
Auch ein merkwürdiges Verständnis bringen Sie zum Ausdruck, wenn Sie hier behaupten, die Berliner Bürgerinnen und Bürger würden ihre Politiker kaum kennen. Das mag ja sein, Herr Dr. Felgentreu, nur frage ich mich doch: Warum kennen denn die Bürgerinnen und Bürger die Berliner Politiker so wenig? Vielleicht ist es der Fall, weil die Berliner Politik sich zu wenig um die Bürgerinnen und Bürger kümmert.
über die Lethargie, die aus Ihren Worten spricht. Es hört sich für mich an nach der Argumentation: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Das ist aus meiner Sicht keine Art, wie wir miteinander Politik machen sollten. Ich würde es bedauern, wenn diese Initiative auf diese Weise schon scheitern müsste, weil dies zeigte, dass Sie sich überhaupt nicht mehr bewegen können. Das ist ein Armutszeugnis für das Demokratieverständnis der Sozialdemokratie in diesem Haus.
respektiere ich. Nichtsdestotrotz glaube ich, es wäre ein Missverständnis, auch ein falsches Verständnis von dem, was im politischen Wettstreit möglich und erforderlich ist, wenn Sie davon ausgehen, dass sich die SPD jedes Mal dann bewegt, wenn die FDP es von ihr verlangt
und noch dazu in die Richtung, die die FDP von ihr verlangt. Das können Sie von uns wirklich nicht erwarten. Wir bewegen uns dann, wenn wir es für richtig halten und in die Richtung, die wir für richtig halten. Die Richtung, die Sie hier vorschlagen, halte ich für grundfalsch.
Ansonsten machen Sie sich mal über die Bekanntheit von sozialdemokratischen Politikerinnen und Politikern keine Sorgen, wir sind da ganz gut aufgestellt. Ihre Bekanntheit, verehrter Kollege Jotzo, ist ja durch die liebevolle Berichterstattung z. B. in der Paper Press erheblich gewachsen, insofern brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen.
Danke schön, Herr Kollege! – Jetzt ist der Kollege Rissmann von der CDU-Fraktion dran. – Bitte schön, Herr Rissmann, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Verehrte Damen, meine Herren! Geschätzter Kollege Jotzo! Geschätzter Kollege Dr. Felgentreu! Die Frage ist, halte ich noch eine Rede oder beschränke ich mich darauf, festzustellen, dass ich mich vollumfänglich Herrn Kollegen Dr. Felgentreu anschließen kann. Ich glaube, dass ich in gewisser Weise auch einen edukatorischen Auftrag wahrzunehmen habe, insofern, lieber Kollege Jotzo, will ich durch das Wiederholen von Argumenten probieren, Sie zu überzeugen.
Die Ausgangslage ist so, dass von 16 Bundesländern 14 Bundesländer das Kumulieren und Panaschieren bei Landtagswahlen nicht vorsehen und auch nicht beabsichtigen, dies in ihren Wahlvorschriften zu implementieren.
Jedes System, verehrter Kollege Jotzo, mag Vor- und Nachteile haben. In der Natur der Sache liegend haben Sie etwas einseitig die Vorteile beleuchtet – um der Ausgewogenheit der Sache einen Dienst zu tun, hier zwei, drei Argumente, die vielleicht dagegen sprechen.
Kumulieren, Panaschieren hat in den Ländern, die es auf kommunaler Ebene ermöglicht haben, weder zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt noch dazu, dass – von wenigen Einzelfällen abgesehen – die vorgeschlagene Listenreihenfolge – und darum geht es Ihnen ja wohl – wesentlich verändert worden wäre.
Kumulieren und Panaschieren ist tatsächlich unpraktisch –Zettelwust ist das zu nennende Stichwort. Leider bin ich nicht so gut bewaffnet wie der Kollege Dr. Felgentreu, er hat es vorhin sehr anschaulich dargestellt. Hinzu kommt – auch das ist leicht einsichtig –, dass dieses System sehr fehleranfällig ist.
Des Weiteren müssen wir uns vor Augen führen, dass es doch heute schon so ist, dass wir durch Umfragen und Befragungen vor Wahlen wissen, dass viele Bürgerinnen und Bürger bereits mit dem jetzigen Wahlsystem gewisse Verständnisschwierigkeiten haben, das ist auch belegbar. Das Kumulieren und Panaschieren würde das jetzige Wahlrecht noch weiter verkomplizieren,; es würde der aktiven Wahlteilhabe von Bürgerinnen und Bürgern sicherlich nicht förderlich sein, sondern die Wahlabstinenz wahrscheinlich weiter erhöhen.
Ferner, verehrter Kollege Jotzo, werden viele Wähler es vielleicht doch schon als Erleichterung begreifen, auch Parteien wählen zu können, denn so können sie auch für sie unbekannte Kandidaten auf das jeweilige Parteiprogramm, mit dem sie sich beschäftigt haben, „verpflichten“, ohne sich jeden einzelnen Kandidaten angesehen haben zu müssen. Die Wahl einer Landesliste durch Parteimitglieder gibt zudem die Möglichkeit, regionale und strömungspolitische Eigenheiten der jeweiligen Partei auszutarieren. Das ist die Bündelungsfunktion von Parteien, die nicht zwangsläufig nachteilig sein muss. Ich darf in diesem Zusammenhang unter Kollegen nur das Stichwort Aufgabe und Rolle von Parteien in unserem Land, Artikel 21 Grundgesetz, nennen.
Ein letztes Argument: Stärkere Personenbezogenheit bei Wahlen – Kollege Felgentreu hat es gesagt – macht dort Sinn, wo die handelnden Personen auch in der Breite bekannt sind. Das ist in kleineren Gebietskörperschaften sicherlich der Fall, diese haben wir so in Berlin nicht. Allein ein Blick auf die in Berlin stattfindenden monatlichen Umfragen zeigt, dass der Bekanntheitsgrad selbst unseres Spitzenpersonals – und damit meine ich das aller hier vertretenen Parteien – sicherlich aufgrund der Besonderheiten der Großstadt nicht allzu stark ausgeprägt ist. Wenn Sie sich beispielsweise meinen Heimatbezirk Mitte anschauen, dann begegnet Ihrer Wahlrechtsänderungsvorstellung besondere Skepsis. Die Verweildauer eines durchschnittlichen Bürgers in Mitte soll ca. vier Jahre betragen. Jemand, der nach Mitte zieht, zieht statistisch gesehen nach vier Jahren aus dem Bezirk Mitte wieder weg. Wenn Sie also am Anfang einer Wahlperiode über vier Jahre kontinuierlich gut arbeiten, dann ist es statistisch gesehen so, dass am nächsten Wahltag der Bürger, der das hätte beurteilen können, bereits weggezogen ist
und nicht mehr in diesem Bezirk beheimatet ist. Das könnte zur Folge haben, dass am Ende nicht Leistung und Qualifikation ausschlaggebend sein könnten, sondern erheblicher finanzieller Einsatz einzelner Kandidaten und/oder kurz vor dem Wahltag – mit dem Ziel des Bekanntwerdens – einsetzender Populismus. Das, verehrter Kollege Jotzo, wird wahrscheinlich auch nicht mehr Demokratie sein.
Insofern darf ich am Ende festhalten: Meine Fraktion kann Ihre Initiative leider nicht unterstützen.
Danke schön, Herr Kollege Rissmann! – Für die Linksfraktion hat Herr Dr. Zotl das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen jährt sich der 6. Mai 1990 zum zwanzigsten Mal. Das war jener Tag, an dem erst- und letztmalig die Ostberliner Stadtverordnetenversammlung in einem sehr demokratischen Verfahren gewählt wurde. Die noch Wenigen unter uns – es sind, glaube ich, noch vier oder fünf –, die damals in das Ostberliner Parlament einzogen, erhielten ihr Mandat über ein Wahlrecht, dessen zentrale Idee im Panaschieren und Kumulieren der drei Stimmen, die alle Wählerinnen und Wähler hatten, bestand. Es war die Wendezeit, es gab ein hohes politisches Interesse, es war auch eine hohe politische Aktivität, die Wahlbeteiligung lag trotz des komplizierten Wahlsystems, und das unterschied sich grundsätzlich zum Wahlsystem der DDR – bei fast 80 Prozent, wie das damals so war. Wir haben den besten Zeugen unter uns, der das ganz unparteiisch sagen kann, er sitzt in der SPD-Fraktion, es ist der Kollege Schaddach, der damals der Wahlleiter von ganz Ostberlin war, damals noch bei den Grünen.
Grundsätzlich steht die Linksfraktion dem Problemansatz Panaschieren und Kumulieren offen gegenüber. Ohnehin sind die Splittung der zur Verfügung stehenden Stimmen, also das Panaschieren, und die Konzentration aller Stimmen auf einen Kandidaten, also das Kumulieren, seit langem ein grundlegendes Element der meisten kommunalen Wahlrechte. Ohne Zweifel können Panaschieren und Kumulieren – da gebe ich Ihnen völlig recht, Kollege Jotzo – den Einfluss der Wählerinnen und Wähler auf die personelle Zusammensetzung von Parlamenten erhöhen, und ohne Zweifel beschränkt ein solcher direkter Wählereinfluss die Möglichkeit von Parteien, bestimmte Versorgungsansprüche verdienstvoller Parteimitglieder über aussichtsreiche Listenplätze abzudecken.
Unsere grundsätzliche Offenheit bezüglich des Panaschierens – hören Sie auf, hören Sie bitte auf zu klatschen –
Erstens, das ist schon gesagt worden, müssen die Wählerinnen und Wähler wenigstens eine aussichtsreiche Möglichkeit haben, diejenigen zu kennen, unter denen sie auswählen sollen. Das ist auf der normalen kommunalen Ebene gerade noch möglich – bei einem Bezirk müsste man schon richtig Bedenken haben. Auf landespolitischer Ebene ist es aber mit Sicherheit höchstens nur noch bei einzelnen oder unter ganz bestimmten Bedingungen wie in der Wendezeit beispielsweise möglich, mit Sicherheit aber nicht bei allen Kandidaten. Entschieden werden soll aber über alle Kandidaten. Deswegen bietet auch kein einziges Landeswahlrecht die Möglichkeit des Panaschierens und Kumulierens, vielmehr findet die Entscheidung der Bürger für eine Person ausschließlich über das Direktmandat
Zweitens gab es am 6. Mai 1990 auch für die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung – das war ja de facto das erste ostdeutsche Landesparlament – nur die Wahlmöglichkeit über Bezirkslisten, keine anderen Listen existierten. Der Vorschlag der FDP will aber Erst- und Zweitstimmlisten, wenn auch unter anderen Namen, beibehalten und bei der Zweitstimme zwei Listenformen ermöglichen, Landeslisten und Bezirkslisten. Mit dieser Listenvielfalt ist der mögliche Vorzug von Panaschieren und Kumulieren, nämlich der direkte Wählereinfluss, sowieso ganz massiv zurückgedrängt. Er konzentriert sich höchstens noch auf die Bezirkslisten.
Drittens, auch das muss man sagen, ist der Vorschlag, die Listenkandidaten bei den Abgeordnetenhauswahlen über das Panaschieren und Kumulieren zu wählen, nur der erste Teil eines, wie ich finde, noch sehr unausgereiften Konzepts von mehr Demokratie zur Reform des Landeswahlrechts.
Der zweite Teil – dazu läuft eine plebiszitäre Maßnahme – sind die so genannten Mehrmandatswahlkreise, und sollten wir dem ersten Teil zustimmen – und wir haben noch darüber zu diskutieren –, dann spricht viel dafür, das auch beim zweiten Teil tun zu müssen. Da gibt es grundsätzliche Bedenken. Worum geht es da? – Auch bei der Erststimme sollen nicht nur die Gewinnerin oder der Gewinner des Wahlkreises ins Parlament einziehen, sondern auch eine bestimmte Zahl der Nächstplatzierten. Bislang liegt aber mit dem Erststimmenergebnis die einzige richtig eindeutige Wählerentscheidung vor, von welcher Person man direkt vertreten werden will und von welcher nicht.
Genau dieses Prinzip soll jetzt ausgehebelt werden, indem mehrere über die Erststimme hineinkommen. Da wird die Wählerentscheidung ausgehebelt, und beim Panaschieren und Kumulieren ist die Wählerentscheidung nur pro for
ma vorgesehen. Ich glaube, der Kollege Felgentreu hat völlig recht: Das ist lediglich, um kleineren Parteien mehr Sitze zu verschaffen, nichts anderes.