Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Es ist schon beachtlich, dass der rot-rote Senat nun nach und nach seine eigenen Fehler und Versäumnisse hier auch noch zur Priorität erklärt. Er hat zuerst das Versagen beim Vergleichstest VERA und jetzt das Straßenausbaubeitragsgesetz zum wichtigsten Punkt gemacht. Nur weiter so! Wir wissen dann, was die Prioritäten in den nächsten Sitzungen sind: S-Bahnchaos, Klimaschutzgesetz, brennende Autos. Das wird uns demnächst hier erwarten.

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Nun aber zum Gesetz!]

Herr Kollege! Das ist ja nicht einmal mehr kontrollierter Sichtflug, sondern Blindflug, was Sie hier gestalten. Aber nur weiter so!

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Herr Czaja, Sie müssen Ihre fünf Minuten nicht totschlagen! Sie können auch zum Thema reden!]

Nun zum Gesetz: Ein unsinniges Gesetz wird nicht dadurch besser, dass man die Dosen, in denen man es ve

Uwe Doering

rabreicht, verringert. Dieses Gesetz gehört abgeschafft, und zwar sofort. Dabei bleibt die CDU-Fraktion.

[Beifall bei der CDU]

Vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes und bei über hundert Ausbaumaßnahmen hat sich nämlich gezeigt, dass dieses Gesetz unsinnig ist und dass sämtliche Versprechen Ihrerseits gebrochen wurden.

Herr Kollege Doering! Ihr erstes Versprechen war, dass nicht so viel Straßenbau stattfinden wird. Kollege Wechselberg – damals noch in Ihrer Fraktion – bezeichnete die Diskussion als eine völlig abwegige Geisterdebatte. Er sagte damals, dass es überhaupt nicht dazu kommen wird, dass so viele Maßnahmen umgesetzt werden können. Fakt ist aber – Sie haben eben die Kleine Anfrage angesprochen –, dass derzeit das Straßenausbaubeitragsgesetz in mehr als hundert Straßen seine Anwendung findet. Wenn das nicht Geldabknöpfen der Bürger ist, dann weiß ich nicht, was es sonst sein soll.

[Beifall bei der CDU]

Ihre zweite Aussage war – damals von der Senatorin Junge-Reyer, im August 2006 –, dass die Ausbaubeiträge zwischen 500 bis maximal 4 000 Euro liegen werden. Fakt ist, dass heute zahlreiche Beispiele von Rudow bis Frohnau, von Tempelhof bis Pankow beweisen, dass dies nicht stimmt. Die Bandbreite liegt zwischen 10 000 bis 30 000 Euro. Dies sind normale Ausbaubeiträge. Ihre Beiträge waren gelogen. Unsere Erwartungen sind im Negativen übertroffen worden.

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Schwacher Beifall!]

Herr Doering! Wir ernteten damals viel Kritik für das Beispiel mit einem Beitrag von 72 000 Euro in Pankow. Ihre Kollegin Grosse brüllte in den Raum, es sei gelogen. Frei erfundene Märchen, sagte Herr Wechselberg. Ja, es ist richtig: 72 000 Euro war nicht die richtige Summe. Noch nicht einmal 90 000 Euro, die wir als höchste Summe prognostiziert haben, war die richtige Summe. Die Wahrheit ist: Der höchste Beitrag liegt heute bei 143 000 Euro für ein Gewerbegrundstück. Schlimmer ist es geworden, als wir es befürchtet haben. Noch schlimmer, als der rot-rote Senat es jemals versprochen hat! Ein Versprechen wurde gebrochen.

[Beifall bei der CDU]

Das dritte Versprechen war, dass daraus nicht Instandhaltungsmaßnahmen bezahlt werden. Herr Doering! Sie sagten, die laufende Unterhaltung und die Funktionsfähigkeit einer Straße werden nicht durch Beiträge gegenfinanziert, was in der Umkehrung heißt, dass Ausbaubeiträge erhoben werden, wenn keine laufende Unterhaltung stattfindet, wie wir derzeit in der Arnulfstraße in Tempelhof sehen können.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Das ist doch zurückgenommen worden und ist kein Straßenausbau mehr!]

Das ist doch eine normale Unterhaltung, die dort unterlassen wurde, und es ist doch die normale Unterhaltung – weil sie unterlassen wurde –, für die nun Straßenausbaubeiträge von den Anwohnern genommen werden. Aus unserer Sicht ist das eindeutig eine Instandhaltungsmaßnahme dort in Tempelhof, und es ist ebenso ein Beweis, dass dieses Gesetz große Ungerechtigkeiten hervorruft.

[Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Wird aber nicht als Straßenausbau durchgeführt – oder?]

Nun zu Ihrem vierten Versprechen: Das vierte Versprechen war, dass das Land mehr Geld einnehmen wird. Andere Bundesländer haben ein solches Gesetz auch. Fakt ist, dass nach Auskunft Ihrer eigenen Senatsverwaltung das Gesetz fast 2 Millionen Euro an Mehrausgaben für Personal- und Sachkosten hervorgebracht hat und die Einnahmen derzeit nur mit 100 000 Euro veranlagt sind. Das heißt, dieses Gesetz macht Berlin nicht reicher, sondern ärmer. Die Kosten für die Anhörung und für die Gerichtsverfahren sind noch gar nicht in diese Rechnung eingegangen. Ein weiteres Versprechen wurde nicht gehalten, und das macht deutlich: Dieses Gesetz gehört abgeschafft.

Ja, Sie verfahren in den Bezirken nach dem Prinzip „Try and Error“. Fakt ist, dass jede weitere Änderung des Gesetzes beweist, dass Sie mit diesem Gesetz nicht klarkommen. Ich erinnere mich noch an eine Bemerkung des Kollegen Hillenberg, der von dem modernsten Straßenausbaubeitragsgesetz gesprochen, was es je irgendwo gegeben hat.

[Zurufe von der SPD: Ja! Das ist auch so!]

Herr Kollege! Gleichwohl muss das der Schlusssatz sein.

Lieber Kollege Doering! Unsere Meinung ist: Machen Sie doch einfach keine weitere Änderung, sondern ein Moratorium! Setzen Sie das Gesetz bis zum 18. September 2011 aus! Danach werden wir dieses Gesetz abschaffen. Weitere Änderungen sind nicht erforderlich.

[Beifall bei der CDU]

Kollege Doering hat das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte!

Herr Czaja! Sie konnten mir jetzt immer noch nicht erklären, warum die Anwendung des Straßenausbaubeitragsgesetzes oder des kommunalen Abgabegesetzes in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen keine Abzocke ist, aber in Berlin eine Abzocke ist. Den

Mario Czaja

Unterschied müssen Sie mir mal erklären, warum das für Ihre CDU-Kollegin, die konsequent das Straßenausbaubeitragsgesetz und das kommunale Abgabegesetz anwendet, keine Abzocke ist, obwohl es dort keine Bürgerbeteiligung gibt und die Kommunen oder die entsprechenden Volksvertretungen noch nicht mal gefragt werden, ob sie dem Ausbau einer Straße zustimmen können.

Zweitens, zur Kleinen Anfrage: Ich möchte noch mal betonen, dass diese Kleine Anfrage eine Ist-Situation beschreibt. In der Tat wurden in den Jahren 2008, 2009 110 000 Euro für zwölf abgerechnete Straßen eingenommen. – Sie können sich schnell ausrechnen: 110 000 Euro geteilt durch zwölf. Nehmen wir mal im Durchschnitt 20 Anrainer pro Straße an, dann wissen wir in etwa, wie viel der einzelne Anrainer im Durchschnitt bezahlt hat. Dann sind wir jenseits der 10 000 Euro, die Sie hier aufrufen.

Sie wissen ganz genau, dass in der Beantwortung der Kleinen Anfrage auch beschrieben wird, dass zurzeit – Sie haben es selbst gesagt – bald über 60 Maßnahmen in Planung sind. Das heißt, dazu muss man natürlich Vorarbeit leisten, und das muss natürlich bezahlt werden. Dann werden wir uns mal darüber unterhalten, wenn diese 60 Straßen abgerechnet sind, und uns den Mehraufwand im Verhältnis zu dem angucken, was das Land Berlin eingenommen hat. Dann kann man gucken, ob mehr eingenommen wurde oder nicht, aber nicht jetzt, wo 60 Straßen geplant waren und noch nicht abgerechnet wurden. So weit sind wir nicht, und das machen wir auch nicht. Vielleicht ist das bei den CDU-geführten Bundesländern so, dass die Leute zur Kasse gebeten werden, wenn die Straße noch gar nicht gebaut wurde.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Zur Erwiderung hat der Kollege Czaja das Wort. – Bitte sehr!

Herr Doering! Es ist Ihr beständiges Argument, dass Sie sagen: Es gibt in allen Bundesländern Straßenausbaubeitragsgesetze – außer in Baden-Württemberg. So häufig Sie diese Äußerung auch wiederholen, desto besser und genauer wird sie nicht.

[Ralf Hillenberg (fraktionslos): Aber sie ist richtig!]

Richtig ist, Herr Kollege Hillenberg, dass es in fast allen Bundesländern kommunale Gebühren- und Abgabengesetze gibt. Diese kommunalen Gebühren- und Abgabegesetze ermöglichen es den Städten und Gemeinden, selbst zu entscheiden, ob und wie hoch sie Ausbau- und Ersterschließungsbeiträge nehmen. Beispielsweise das Bundesland Hessen hat ein kommunales Gebühren- und Abgabengesetz, und die meisten Kommunen nehmen Straßenausbaubeiträge – bis auf die Stadt Frankfurt am Main. Warum nicht? – Weil sie sagt, dass es in Großstädten

nicht sinnvoll ist, Straßenausbaubeiträge zu nehmen, weil der Mehrwert für den Anwohner nicht gegeben ist,

[Beifall bei der FDP]

sondern sie nehmen dafür eine hohe Grundsteuer, und trotzdem ist die Grundsteuer in Frankfurt am Main um ein Vielfaches niedriger als in Berlin. Sie, Herr Hilleberg, haben hier im Parlament gelogen, als Sie gesagt haben, es gibt zwei Varianten: entweder Straßenausbaubeiträge und niedrige Grundsteuer oder keine Straßenausbaubeiträge und Grundsteuer. Was Sie gemacht haben: Sie haben das Straßenausbaubeitragsgesetz beschlossen, dann die Menschen in Ihrem Wahlkreis belogen und dann noch mal die Grundsteuer erhöht. Das ist die Wahrheit über rot-rotes Handeln hier in Berlin.

[Beifall bei der CDU]

Versuchen Sie nicht, uns an der Nase herumzuführen. Die Wahrheit ist: Die Kommunen können selbst entscheiden, ob sie Straßenausbaubeiträge nehmen oder nicht und ob sie das mit der Grundsteuer kompensieren. Wir sind der Auffassung: Der Mehrwert für den Anlieger ist durch das Straßenausbaubeitragsgesetz nicht gegeben – nicht in Berlin und auch nicht in Frankfurt am Main. Deswegen werden wir das in Berlin nicht tun.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion) Und Ihr zweites Argument, was die Höhe der Verwal- tungsausgaben angeht und das Verhältnis dazu: Natürlich werden noch Einnahmen aus dem Straßenausbaubeitrags- gesetz folgen – gar keine Frage. Natürlich werden die 100 000 Euro noch übertroffen werden, aber die Wahrheit ist doch – das hat Ihr Bürgermeister von den Sozialdemo- kraten, Herr Ulbricht, schon in der Anhörung gesagt –, dass die Kosten beim Straßenausbaubeitragsgesetz unge- fähr 80 bis 90 Prozent der Einnahmen auffressen werden. Dafür müssen Sie aber jedes Jahr Straßenausbaubeiträge erheben und jedes Jahr Umlagen vornehmen, weil Sie ansonsten – ganz logisch – in einem Jahr die Mitarbeiter haben, die für die Erhebung der Straßenausbaubeiträge zuständig sind, aber keine Beiträge einnehmen. Ihr Ar- gument, damit den Haushalt zu entlasten, ist entlarvt. Sie nehmen damit kein Geld ein! Sie wollen damit nur dieje- nigen schröpfen, die Mittelständler sind, ein Eigenheim oder ein Mehrfamilienhaus haben. [Beifall bei der CDU]

Das ist die Wahrheit, um Einnahmen geht es hier gar nicht.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Czaja! Ich darf Sie darauf hinweisen, dass der Ausdruck „Sie haben gelogen“ nicht den parlamentarischen Gepflogenheiten entspricht. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Arndt das Wort.

Uwe Doering

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der fraktionslose Abgeordnete und ehemalige Abgeordnete der SPD-Fraktion, Ralf Hillenberg, hat recht: Dieses Straßenausbaubeitragsgesetz ist das innovativste, bürgerfreundlichste und sozialverträglichste Straßenausbaubeitragsgesetz in dieser Republik.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Mario Czaja (CDU): Sie sind ein Straßenräuber!]

Herr Czaja! Sie mögen träumen, dass Sie dieses Gesetz abschaffen, aber die Berliner werden sich diesen Albtraum nicht zufügen, sondern vorher aufwachen.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Straßenausbaubeitragsgesetz hat diese Stadt ein Instrument bekommen, das die Eigentümer von Grundstücken an den Wertsteigerungen aufgrund von Modernisierungen in der Berliner Straßenlandschaft beteiligt. Das ist überall in der Bundesrepublik der Regelfall. – Herr Doering hat es ausgeführt. – Der Unterschied zu anderen Kommunen ist, dass wir die Leistungsfähigkeit der Eigentümer im Blick haben, sozialverträgliche Regelungen eingeführt haben und vor allen Dingen eine hohe Bürgerbeteiligung. Das schafft Akzeptanz, Herr Czaja, auf lange Sicht und nicht für kurzfristige Erfolge.

[Mario Czaja (CDU): Sie sind ein GSW-Straßenräuber! Ist ja wie beim GSW-Verkauf!]

In diese Richtung geht auch die hier zu diskutierende Vorlage. Gesetzesänderungen bei einem innovativen Gesetz sind nicht neu. Straßenausbaubeitragsgesetze und deren Rechtsprechungen stehen überall in der Bundesrepublik auf der Tagesordnung. Wir machen Präzisierung, und das wird noch nicht die letzte sein. In diese Richtung geht die hier zu diskutierende Vorlage. Die grundsätzliche Idee der Gesetzesänderung des Straßenausbaubeitragsgesetzes ist, zukünftig bestimmte Teilstrecken abschnittsweise abrechnen zu können. Das ist insbesondere bei langen Straßenverläufen – wie sie in Berlin üblich sind – sinnvoll und gerechter.