Protokoll der Sitzung vom 03.06.2010

Hinweise auf eine bundesdeutsche Verantwortung oder auf die Bundesagentur für Arbeit sind nicht zielführend. Es handelt sich um ein regionales und Berliner Problem, das hier gelöst werden muss.

Mit unserem Antrag zielen wir darauf ab, dass nicht ausgegebene Ausbildungsmittel für den öffentlichen Dienst für Programme für mehr Ausbildungsplätze für Altbewerber genutzt werden. Es ist zwar für Experten für berufli

che Bildung nicht zu begreifen, warum es nicht gelingt, Ausbildungsplätze zu besetzen, aber sei’s drum. Wenn Geld nachweislich nicht ausgeschöpft wurde, dann sollten die Mittel im Bereich der Ausbildung bleiben und zum Abbau der Altbewerber verwendet werden. In einer begrenzten Zeit muss es gelingen, dass der Begriff Altbewerber nicht dominanter Bestandteil unserer Rhetorik bleibt.

[Beifall bei der CDU]

Aus unterschiedlichen Gründen wird sich der Bestand nicht auf null reduzieren lassen. Daran ist schon die vorausgehende Bildung in der Schule und die fehlende Ausbildungsreife eines Teils der Schülerinnen und Schüler schuld. 250 000 Altbewerber in Deutschland mit Schwerpunkt in den neuen Bundesländern einschließlich Berlin und 15 Prozent aller jungen Erwachsenen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss sind ein gesellschaftliches Problem erster Güte.

[Beifall bei der CDU]

Die jetzige hohe Zahl der Altbewerber speziell in Berlin ist und bleibt untragbar und muss mit allen Möglichkeiten abgebaut werden.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Luchterhand! – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Frau Abgeordnete Müller das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Verehrter Herr Luchterhand! Ich stimme Ihnen zu: Der drohende Fachkräftemangel und Jugendliche ohne abgeschlossene Ausbildung sind gegenwärtig ernst zu nehmende Herausforderungen für uns alle. Aber wie ist dem zu begegnen? Meinen Sie ernsthaft, mit dem uns vorliegenden Antrag, in dem der Senat pauschal aufgefordert wird, mehr Ausbildungsplätze für Altbewerber zu schaffen, werde der Berg der Altbewerber abnehmen?

In Ihrer Rede sind Sie ein wenig auf die Struktur der Altbewerber eingegangen, aber es ist nicht deutlich geworden, dass die Vielschichtigkeit auch differenziert betrachtet werden muss. Wir haben Altbewerber, die nach erfolgreichem Schulabschluss noch keine Lehrstelle gefunden haben, Bewerber, die sich nach erfolgreicher berufsvorbereitender Maßnahme um eine Ausbildungsstelle bewerben, oder Altbewerber, die nicht die nötige Ausbildungsreife besitzen und mit staatlicher Hilfe daran arbeiten müssen, ausbildungsreif zu werden, denn die Wirtschaft ist trotz der Verknappung der Schulabgänger immer noch sehr wählerisch. Oder meinen Sie die Altbewerber, die nach der Schule erst einmal etwas anders gemacht haben, zum Beispiel einige Zeit beim Bund waren? Die Problematik ist vielschichtig und muss entsprechend ange

gangen werden. Für alle Jugendlichen muss ein passgenauer Ausbildungsplatz gesucht werden.

[Sebastian Czaja (FDP): Handeln Sie doch mal endlich!]

Ja! Wir handeln, aber Sie scheinen nicht aufgepasst zu haben. – Vor vier Wochen, am 6. Mai, fragte ich hier im Haus im Rahmen der Mündlichen Anfragen den Senat, wie viel zusätzliches Geld für welche Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Darauf antwortete Senator Nußbaum, dass im Jahr 2010 die Mittel für die Ausbildungsplätze um 9,8 Prozent gegenüber dem Jahr 2009 gestiegen sind, nämlich auf 109,5 Millionen Euro. Herr Nußbaum hatte auch zugesagt, dass die Finanzverwaltung die Ausgaben kontrolliert und nicht verausgabte Mittel umverteilt würden. Herr Luchterhand! Wo vermuten Sie noch nicht verausgabte Mittel?

Vor vier Wochen ist doch hier der Nachweis erbracht worden, dass es zusätzliche Mittel gibt, und zwar zusätzliche Mittel in beträchtlicher Höhe, und dass auch kontrolliert wird, dass die zusätzlichen Mittel in 2010 ausgegeben werden.

[Mieke Senftleben (FDP): Auf das Ergebnis kommt es an!]

Also da ist nichts mehr, und da müssen wir uns auch nicht bemühen – außer, es gibt noch irgendwelche Schätze, von denen wir alle nicht wissen. Den Handlungsauftrag hat die Koalition erfüllt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, die hier lauthals schreien: Handeln Sie doch! – Es wird gehandelt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Deswegen halte ich den Antrag für nicht zielführend. Er bringt keine Substanz mit. Wir kommen mit dem Antrag bei dem Problem, den Altbewerberberg abzubauen, nicht weiter. In Bezug auf die fehlenden Fachkräfte ist er auch wenig hilfreich. Deswegen noch einmal mein Vorschlag, gemeinsam im Ausschuss diese Problematik zu beraten! Vielleicht schaffen wir es ja, jenseits von parteipolitischer Streiterei und Gezänk einen gemeinsamen Antrag auf die Beine zu stellen. Der Entwurf liegt Ihnen bereits vor. Das sollte Grundlage sein, dass wir für die Jugendlichen, die aus welchen Gründen auch immer noch auf einen Ausbildungsplatz warten, eine Lösung schaffen und dass wir auch den Fachkräftebedarf decken können.

Ein Hinweis zu dem Antrag sei mir noch gestattet, der zeigt, dass der Antrag mit heißer Nadel gestrickt wurde: Sie schreiben von dem doppelten Abiturjahrgang 2011. Der kommt erst 2012. Ein Jahr ist noch Zeit, und Senatsbildungsverwaltung und -arbeitsverwaltung sind bestens darauf vorbereitet. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Herrmann das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Senftleben! Ich schimpfe jetzt nicht über die FDP. Hier geht es um einen Antrag der CDU.

[Andreas Gram (CDU): Über die wird auch nicht geschimpft!]

Aber ich glaube, Sie erledigen das mit dem Sich-insAbseits-Stellen von ganz allein. Da muss man zu Ihnen eigentlich gar nichts mehr sagen, sehr geehrte Frau Senftleben!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion]

Aber nun zum Anliegen der CDU: Dieses Anliegen ist grundsätzlich richtig. Es gibt zu wenig Ausbildungsplätze in Berlin. Das betrifft allerdings nicht nur die sogenannten Altbewerber und -bewerberinnen. Hier ist nicht nur der Berliner Senat gefordert, sondern auch die Wirtschaft.

[Beifall von Burgunde Grosse (SPD)]

Nur 28 Prozent der Unternehmen in Berlin sind ausbildungsberechtigt. Schon das ist zu wenig. Aber davon bildet tatsächlich nur jeder zweite Betrieb aus, und das ist inakzeptabel.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und es ist unerträglich, wenn der Senat – an der Spitze der jetzt nicht anwesende Regierende Bürgermeister – alljährlich verkündet, dass alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz haben wollen, auch einen bekommen – rein rechnerisch. Das reicht den Jugendlichen nicht. Die Jugendlichen wollen wissen, wie gewährleistet sein soll, dass sie einen wirklich existierenden Ausbildungsplatz bekommen – und nicht nur einen rein rechnerischen auf irgendeinem Papier.

Als weiteres Problem kommt hinzu, dass nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzt werden können, weil angeblich keine geeigneten Bewerber oder Bewerberinnen gefunden werden. Aktuell sind über 5 000 Ausbildungsplätze in Berlin nicht besetzt. Die Betriebe können aber nicht erwarten, dass ein Azubi zu Beginn seiner Ausbildung ein fertiger Mitarbeiter ist und gar nichts mehr lernen muss.

Die Verantwortung liegt jedoch nicht allein bei den Unternehmen, sondern in erster Linie beim Berliner Senat, und zwar konkret im Übergangssystem Schule – Beruf. Damit kommen wir zum eigentlichen Skandal, der leider in dem Antrag der CDU in keinster Weise berücksichtigt wird. Das sogenannte Altnachfragepotenzial wird in Berlin auf ca. 23 000 Personen geschätzt. Diese jungen Menschen werden oft mit schulischen Warteschleifen, Trainingsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobs abgespeist, und ihnen wird keine langfristige Perspektive geboten. Alljährlich verschwinden so Zehntausende von jungen Menschen in einem intransparenten Übergangssystem, bei

dem selbst ausgewiesene Fachleute längst den Überblick verloren haben. Berlin leistet sich einen undurchdringlichen Dschungel von Bildungs- und Qualifizierungsangeboten, Initiativen, Kooperationen, Internetportalen etc. Dies ist nicht nur unter finanziellen Aspekten unsinnig. Auch die Qualität und Sinnhaftigkeit einiger Maßnahmen ist fragwürdig.

[Sebastian Czaja (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Licht in das Dunkel bringen soll nun das Projekt RÜM. Schleppend gestartet soll es Transparenz bei den Angeboten im Übergang Schule – Beruf schaffen und das regionale Übergangsmanagement steuern. Wir werden allerdings erst 2012 einen Überblick bekommen, was im Berliner Übergangssystem Schule – Beruf läuft. Dabei ist jedoch eine qualifizierte Beurteilung dieser zahllosen am Markt befindlichen Angebote überhaupt nicht vorgesehen. Genau das wäre aber dringend notwendig.

Entschuldigung, Frau Herrmann! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Czaja?

Na ja! Dann machen Sie mal, Herr Czaja!

Vielen Dank, Frau Kollegin Herrmann! – Ich wollte nur sichergehen, dass ich Ihre Ausführungen völlig richtig verstanden habe. Demnach haben wir einen untransparenten, unübersichtlichen Dschungel an Berufsbildungsträgern und eine große Trägerlandschaft. Heißt das, dass ich Sie so verstehen darf, dass Sie hier entsprechende Einschnitte vornehmen und diese Bildungsträgerlandschaft auf den Prüfstand stellen wollen – bis hin zu Einsparungen?

Ich kann Ihnen konkret dazu sagen – und ich glaube, das wissen Sie selber ganz genau –, dass viele Jugendliche in diesen Maßnahmen in Warteschleifen geschoben werden und dass es in vielen dieser Maßnahmen nicht zu irgendwelchen qualitativen Ergebnissen kommt. Diese Warteschleifen müssen abgeschafft werden. Das bedeutet aber nicht, dass diese Maßnahmen nicht durch sinnvolle andere Maßnahmen, die nämlich wirklich zu einem qualitativen Job führen, ersetzt werden sollten.

[Christoph Meyer (FDP): Noch mehr Geld ausgeben!]

Das ist auch das, worüber wir hier reden müssen. Insgesamt steckt unserer Ansicht nach genügend Geld im System, aber es wird teilweise verkehrt ausgegeben.

[Beifall bei den Grünen]

Wir müssen dazu kommen, dass jedem Jugendlichen auch ein tatsächlicher Ausbildungsplatz angeboten wird. Das ist nämlich die Crux bei der Geschichte.

Zum Schluss noch einmal zum Antrag der CDU: Es ist schon von Frau Müller angesprochen worden, dass wir uns im Hauptausschuss zumindest dahin gehend geeinigt haben, dass nicht verausgabte Ausbildungsmittel nicht mehr zurückgegeben, sondern wieder für Ausbildung eingesetzt werden. Frau Müller! Sie haben hier erzählt, was Herr Senator Nußbaum vor zwei Wochen erzählt hat. Sie haben aber verschwiegen, was Sie in den Haushaltsberatungen gemacht haben. Da haben Sie nämlich genau das, was dazu führt, eine Qualifikation, einen Schulabschluss nachzuholen – im Bereich Zusatzjob und Bildung –, gekürzt. Sie haben auch bei allen Ausbildungstiteln im Einzelplan massiv die Gelder heruntergefahren, um diese Gelder in den ÖBS zu schieben. Das kann nicht sein, und das kann nicht gehen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Wir brauchen ein Begleitsystem wie Mentoring und sozialpädagogische Unterstützung, die mit den Angeboten der Berufsvorbereitung verzahnt sind. Nur so können wir verhindern, dass die jungen Menschen von heute zu einer Generation von Langzeiterwerbslosen von morgen heranwachsen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Mirco Dragowski (FDP)]

Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Breitenbach das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Ihr Antrag geht von einer falschen Annahme aus. Das hat auch Frau Müller bereits gesagt. Es gibt keine unverausgabten Ausbildungsmittel, die sich einfach zusätzlich für Ausbildung verwenden lassen. Noch einmal: Ausbildungsmittel können niemals eins zu eins ausgegeben werden. Die Veranschlagung setzt nicht direkt an dem Tag des Ausbildungsbeginns an. Man weiß nicht, wer seine Ausbildung früher beendet. Man weiß auch nicht, wer seine Ausbildung abbricht. Man kann also viele Sachen nicht voraussagen.

Und wenn Sie sich noch einmal die rote Nummer ansehen, die wir im April im Hauptausschuss hatten, dann werden Sie dies auch dort alles nachvollziehen können. Sie werden auch feststellen, dass die Höhe der unverbrauchten Mittel – die gibt es ja – von Jahr zu Jahr enorm schwankt. Und da liegt Ihr Denkfehler. Eine Ausbildung dauert drei Jahre, und deshalb muss eine Ausbildung drei Jahre finanziert werden. Es reicht also nicht, den Blick nur auf ein Jahr zu richten. Nichtsdestotrotz finden auch wir, dass das Problem der Altbewerberinnen und Alt