Ich will noch etwas zu der Thematisierung des Anliegens in Ihrem Antragstext sagen. Sie schreiben „ab Frühjahr 1945“. Wir wissen alle, Vergewaltigung war und ist immer ein Teil von Krieg und war auch ein Teil der Nachkriegsgeschichte. Aber es ist nicht so eindeutig zu sagen, es waren nur Besatzungssoldaten ab Frühjahr 1945. Nein, Vergewaltigung ist ein wirklich dramatisches Thema im Krieg und auch nach dem Krieg, und nicht nur in Deutschland, sondern auch durch Wehrmachtssoldaten im Nationalsozialismus.
Ihre Formulierung „Besatzungssoldaten“ ist falsch gewählt, weil es im „Frühjahr 1945“ – von Ihnen selbst formuliert – alliierte Truppen sind, die zunächst, und so haben wir es, glaube ich, am 8. Mai auch thematisiert, als Befreier vom Nationalsozialismus hier waren. Man kann das nicht so generalisieren und sagen, die seien nun alle von Befreiern zu Besatzungssoldaten und damit sozusagen alle zu potenziellen Vergewaltigern mutiert. Sie haben das Kriegsende herbeigeführt und das barbarische Morden der Nationalsozialisten beendet.
Keine Frage, aus der Rolle des Siegers haben Soldaten das verheerende Recht abgeleitet, deutsche Frauen als
quasi Freiwild zu betrachten und ihnen körperlich und seelisch schwerstes Leid anzutun. Es ist völlig klar, dass dies weiterhin geächtet und aufgearbeitet gehört. Und das ist bisher immer noch nicht ausreichend getan worden, obwohl es schon Filme gibt wie den von Helke Sander oder wie es das Buch „Anonyma“ und der dazu entstandene Film beschreiben.
Aber ich bin sicher, hier ist noch eine Menge gesellschaftlicher Aufklärung zu leisten. Dieses Unrecht muss thematisiert und geächtet werden. Und was viel wichtiger ist: Die betroffenen Frauen müssen in zahlreichen Fällen das erlittene Trauma bis heute noch bearbeiten und brauchen auch heute noch Betreuung und Unterstützung und das Recht und die Möglichkeit, zu sprechen und über dieses Leid wirklich die Verarbeitung dieses Traumas zulassen zu können.
Was Sie nicht machen sollten, Kollege Braun, ist – und das suggeriert leider Ihr Antrag auch –, dass Sie den Frauen quasi die Schande zuschreiben. Sie sagen, die „geschändeten Frauen“. Nein, die Frauen wurden vergewaltigt, keine Frage, und die Schande liegt auf der Seite der männlichen Täter, die solche Verbrechen begangen haben.
Manchmal kommt es auf die Wortwahl an, finde ich, und das stört mich schon in der Überschrift Ihres Antrags. Ich denke, wir alle sollen das zum Anlass nehmen zu überlegen, was wir tun können, Aufarbeitung fortzuführen. Es ist vielleicht ein wichtiges Thema, das im Rahmen der neu gegründeten Stiftung Flucht und Vertreibung bearbeitet werden soll. Ich denke, da gehört es vielleicht ganz unmittelbar hin und ist dort ein ganz wichtiges Thema, das nicht unterschlagen werden darf. Aufarbeitung fortführen, aber, Kollege Braun und die CDU, ich denke, die von Ihnen vorgeschlagene Weise ist nicht das richtige Mittel. – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es heißt, wo Männer Terrain erobern, besetzen sie auch die Körper von Frauen. Gewalt gegen Frauen und Kinder, egal ob in Kriegs- oder Friedenszeiten, gehört zu den schändlichsten Auswüchsen unserer Zivilisation. Sie ist grundsätzlich zu verurteilen und unter keinen Umständen entschuldbar. Aber das Leben kennt keine einfachen Wahrheiten, es zeichnet nicht schwarz-weiß, und das ist mein Problem mit Ihrem Antrag.
Warum eigentlich nur für die in Berlin – ich zitiere – „geschändeten Frauen“? Warum eigentlich nur ab Frühjahr 1945? Warum nicht für alle von September 1939 bis September 1945 geschändeten Frauen und Mädchen? Wie meine ich das? – Lassen Sie sich das, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, von Ihrem Fraktionskollegen Friedbert Pflüger erklären! Er saß am 24. Januar 2002 im Audimax der Technischen Universität auf dem Podium einer Veranstaltung „Deutscher Besatzungsterror in Griechenland“. Kollege Pflüger! Ich darf Sie erinnern, verhandelt wurde u. a. das Schicksal des Dorfes Distomo. Am Nachmittag des 10. Junis 1944 wurden dessen Einwohner von deutschen Soldaten misshandelt, Frauen und Mädchen vergewaltigt und insgesamt 218 wehrlose Menschen viehisch massakriert. Herr Pflüger, berichten Sie bitte Ihrer Fraktion davon! Ich spare mir weitere Belege deutscher Heldentaten. Die Alliierten hatten Grund zu Gefühlen des Hasses und der Rache. Nirgendwo haben Deutsche so viehisch gehaust wie im Osten Europas.
Nein! Ich gestatte jetzt nicht. Können wir nachher machen. – Das entschuldigt nichts, aber auch keine einzige Gewalttat. Es waren die deutschen Frauen und Mädchen, die auf fürchterliche Weise die Zeche ihrer Männer, Väter und Brüder bezahlen mussten – in allen vier Besatzungszonen, auch wenn die Zustände in der sowjetischen unbestritten am schlimmsten waren. Selbst der Bruder Wilhelm Piecks, Stadtrat der KPD in Berlin, fühlte sich zum Protest genötigt und wurde daraufhin von den sowjetischen Besatzungsbehörden in das NKWD-Lager Fünfeichen verfrachtet. Inge P. aus Dresden, im Mai 1945 21 Jahre alt, brauchte über 60 Jahre, um über das ihr Widerfahrene zu sprechen. Die Russen, berichtete sie dem „Spiegel“, habe sie zunächst gehasst. Jetzt – Zitat –:
Ich habe immer einen großen Bogen um sie gemacht. Aber später bin ich zu der Einsicht gelangt, dass unsere Männer es vermutlich nicht besser gemacht haben damals.
Die meisten Frauen haben lange geschwiegen – das haben alle meine Vorrednerinnen und Vorredner betont –, und viele schweigen bis an ihr Lebensende traumatisiert noch immer. Politische Tabuisierungen in Ost und West taten das ihre dazu.
Dazu kommt – ich rede bewusst in der Gegenwartsform – der unmoralisch-bigotte Druck der Männergesellschaft. Den bösartigen Spruch „Der deutsche Mann hat im Feld fünf Jahre widerstanden, die deutsche Frau zu Hause nur fünf Minuten“, diesen Satz haben deutsche Männer geprägt – nach 1945. Nicht der Vergewaltiger ist schuld, die Vergewaltigte ist es, die missbrauchten Frauen sind es, die heute im Kongo umgebracht werden, nicht ihre Schänder. Auch die Vereinten Nationen – ich betone das
jetzt etwas anders – brauchten bis zum Jahre 2008, ehe der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1820 erstmals feststellte,
dass Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung darstellen können …
Darstellen können, sagt die Resolution, aber immerhin, das ist schon ein erheblicher Fortschritt. Und es wird auf das eigentliche Problem aufmerksam gemacht: Es ist immer die kriegsbedingte Verrohung des Soldaten, die ihn zum potenziellen Schänder macht. Krieg war und ist immer mit Gewalt gegen Frauen verbunden.
Dieser Verrohung ist zu begegnen. Und ich frage Sie: Was soll da ein von Ihnen für Berlin gefordertes Denkmal? Ich glaube nicht – solche Unterstellungen gab es –, dass Sie sich mit dem Beifall von Geschichtsumdrehern braunerer Couleur wohlfühlen werden. Sorgen wir besser dafür, dass nie wieder ein deutscher Soldat solchen Verrohungssituationen ausgesetzt wird, auch nicht in Afghanistan oder am Horn von Afrika. Ein deutscher Ausstieg aus allen Kriegshandlungen würde dem Vermächtnis dieser Frauen und Mädchen mehr entsprechen als alle gut gemeinten, aber in letzter Konsequenz hilflos peinlichen Denkmals- oder Denkzeichensetzungen 65 Jahre zu spät. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Beifall von Astrid Schneider (Grüne) und Stefan Ziller (Grüne)]
Das von Deutschen im Ausland durch Hitler, durch das Hitler-Deutschland erbrachte Unrecht anderen gegenüber rechtfertigt nicht in Deutschland begangenes Unrecht von wem auch immer.
Was kann eine deutsche Frau dafür, dass andere deutsche Männer im Ausland Unrecht begangen haben? – Sie kann nichts dafür. Wir meinen, so etwas muss individuell betrachtet werden. Das eine Unrecht wiegt ein anderes Unrecht nicht auf.
[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Sie haben nicht zugehört! – Weitere Zurufe von der Linksfraktion]
Der zweite Punkt, den Sie eben zu den militärischen Einsätzen gesagt haben: Herr Brauer, seien Sie vorsichtig mit dem, was Sie sagen!
Ich bin beispielsweise sehr stolz, dass die Amerikaner damals in den Krieg eingetreten sind, und das war eine richtige und militärisch zutreffende Entscheidung der Amerikaner. Ich frage mich, was mit Deutschland und anderen von Hitler-Deutschland unterdrückten Ländern passiert wäre, wenn dieser militärische Einsatz damals nicht erfolgt wäre. Hier so zu tun, als ob jeder militärische Einsatz eo ipso verbrecherisch, barbarisch oder sonst irgendetwas ist, das entbehrt jeder Grundlage. – Vielen Dank!
[Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Hören Sie besser zu! – Zuruf von der CDU: Sie schweigen lieber!]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU hat ja hier einen Antrag eingebracht, der tatsächlich für sehr viel Diskussionsstoff sorgen wird. Das merkt man ja auch schon heute an der Art der Auseinandersetzung. Ich denke, Frau Ströver hat das eigentlich am besten getroffen, wie man mit dem Antrag umgehen sollte. Ich möchte da vielleicht noch einiges hinzufügen.
Wir haben eine Vielzahl von Denkmalen, die die Stadt überziehen. Es findet sich auch überall ein geeigneter Platz, um eine geistige und ästhetische Orientierungshilfe zu finden – ein Fundus für den, der sucht und sicher auch einen Punkt findet, um identitätsstiftende, legitimierende und repräsentative Darstellungen zu finden. Sie wollen nun ein neues Denkmal hinzufügen.
Das, was Sie hier vorgetragen haben Herr Braun: Sie haben selbst die Überschrift geändert. Das war etwas überraschend. Zwei Punkte, die Sie in der Überschrift verwenden, verwundern schon etwas, und zwar sind das die Wortwahl und die Eingrenzung des historischen Zeitfensters. Ein Denkmal soll es sein, aber kein Denkmal für vergewaltigte Frauen. Nein, die abstrakte Kategorie ist Ihnen zu abstrakt. Hier soll nur der Vergewaltigungsopfer gedacht werden – ich zitiere Ihre Überschrift: „für die ab Frühjahr 1945 in Berlin geschändeten Frauen.“ Sie schreiben nicht „vergewaltigt“, Sie schreiben „geschändet“. Sie sagten zwar vergewaltigt, aber Sie schreiben geschändet. Womit wir bei der Wortwahl wären. Man
kann sich darüber streiten, ob der Akt der Erniedrigung, der Negierung der Person, den jede Vergewaltigung darstellt, angemessen mit einem Denkmal zu repräsentieren ist. Das lasse ich dahingestellt. Eine Schändung impliziert eine Beschmutzung im Sinne einer Beschädigung und Minderung des Wertes. Ist es das, was Sie ausdrücken wollen? – Wohl kaum. Sie wollen auf das Unrecht hinweisen, das Menschen männlichen Geschlechts Menschen weiblichen Geschlechts angetan haben. Und dieses Unrecht heißt Vergewaltigung, in der UN-Resolution – Nr. 1820 von 2008 –, die schon angesprochen wurde, auch weiter gefasst als sexualisierte Gewalt. Diese Resolution erkennt an, dass Kriegsvergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt Angelegenheiten des Sicherheitsrats sind und Maßnahmen gegen Verantwortliche möglich sind.
Während des Krieges – meine Vorredner haben schon teilweise darauf hingewiesen – wurde überall und von allen Beteiligten vergewaltigt. Vergewaltigung gehört bis heute zum Krieg und zu seinem Umfeld. Gerade das macht die Vergewaltigung so schrecklich. Sie ist überall und nicht auf eine spezielle Soldateska begrenzt. Das versucht die UN, das versuchen Organisationen wie Medica Mondiale im Bewusstsein aller zu verankern. Natürlich ist das alles noch nicht genug. Wir brauchen Sensibilisierung aller durch Aufklärung auf allen Ebenen und die staatliche Vermittlung zivilisatorischer Werte. Dafür treten wir Liberale ein.
Kurz: Man kann und muss das Prinzip Vergewaltigung ächten, aber nicht eine bestimmte Vergewaltigung zu einer bestimmten Zeit. Wir dürfen weder mit einem „von – bis“ noch mit einem Freund-Feind-Schema hantieren. Die Vergewaltigungen 1945 in Berlin waren schrecklich. Ich kann das aus nächster Nähe in meiner Familie sagen. Aber dieser Antrag hilft den Frauen, denen ihre Würde genommen wurde, nicht. Er deklariert sie erneut zu Opfern, und deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3272 an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten, wozu ich keinen Widerspruch höre.