Protokoll der Sitzung vom 01.07.2010

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.3:

Antrag

Auswahl und Qualifizierung von Aufsichtsräten in Landesbeteiligungen professionalisieren!

Antrag der FDP Drs 16/3320

Das ist die Priorität der Fraktion der FDP, Tagesordnungspunkt 36. – Für die Beratung stehen den Fraktionen wieder jeweils fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende FDP-Fraktion mit dem Kollegen Thiel.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Auf eine Mündliche Anfrage hier in diesem hohen Hause hatte sich Herr Senator Nußbaum am 25. März dieses Jahres wie folgt geäußert, ich zitiere:

Aufsichtsratsmitglieder brauchen eine sachliche und professionelle Distanz zu den ihnen anvertrauten Unternehmen. Für diese Aufgabe müssen sie hohe persönliche und fachliche Qualifikationen mitbringen …

Ich würde noch ergänzen: Sie müssen auch die nötige Zeit haben.

Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie sehr, mir nicht den Rücken zuzudrehen. Herr Präsident! Das ist nicht parlamentarisch. Würden Sie das bitte sagen?

[Florian Graf (CDU): Fragen Sie doch mal, wo der Finanzsenator ist!]

Herr Kollege Geschäftsführer von der Partei der Linken! Der Redner weist mit Recht darauf hin, dass Ihre Haltung in der Sekunde nicht adäquat war.

Vielen Dank für das Verständnis! Gegen Zurufe zu sprechen macht Spaß, aber jemanden in den Rücken zu sprechen, finde ich nicht fair, deswegen ist es doch so herum schöner.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Nun ist es ja richtig, unsere Senatorinnen und Senatoren und auch die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre nehmen stellvertretend in den Landesunternehmen und Beteiligungen Verantwortung wahr. Nur muss man auch fragen dürfen: Wie ist das denn, Herr Nußbaum – nun kann er mir das jetzt nicht beantworten, aber er sitzt in fünf Aufsichtsräten plus der Charité –, wie sieht es denn da mit der Zeit, mit der Vorbereitung aus? Wir alle kennen das aus unserer Arbeit in den Ausschüssen. Die eigentliche Arbeit liegt oft davor oder in der Nachbereitung, nicht unbedingt in der Sitzung selbst. Getoppt wird das noch von seinem Staatssekretär Sundermann, der es auf acht Aufsichtsratsmandate bringt. So kann man das beliebig erweitern.

Inhaltlich muss man natürlich auch fragen. Herr Nußbaum ist bei der BVG als Aufsichtsratsvorsitzender bestellt. Und die BVG liegt uns ja alle auf dem Magen, denn sie muss immerhin 160 Millionen Euro Rückstellungen für Cross-Border-Leasinggeschäfte bilden, die noch nicht endgültig geklärt sind. Wie verträgt sich das mit seiner Verantwortung als Finanzsenator?

[Beifall bei der FDP]

Herr Wowereit! Sie haben uns gerade letzte Woche nach der Aufsichtsratssitzung mitgeteilt, BBI werde sich aufgrund der Zeitverschiebung um 120 Millionen Euro verteuern. Das sind zumindest 120 Millionen Euro Mehrkosten, die irgendwoher kommen müssen. Nun habe ich von Senator Wolf schon gehört, wir würden das hinbekommen, sagt er, indem wir bei den Abarbeitungen der Anträge versuchen, Einsparungen zu erzielen, sodass das unter dem Schnitt plus minus null ausgeht, aber das sind letztlich entgangenen Einsparungen und 120 Millionen Euro mehr.

Was uns die HOWOGE noch zu bieten hat, wissen wir nicht. Aber auch dort würde ich zumindest von einer mangelnden Kontrolle des Aufsichtsrats sprechen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Auch Senator Wolf kann nicht anwesend sein, aber es bleibt trotzdem, ihn zu fragen, wie er es als Vorsitzender der BSR sein schon nachdenkliches Festhalten an einem Vorstandsmitglied, gegen das mittlerweile sogar die Anklage erhoben worden ist, erklärt und ob es hier nicht

angebracht wäre, so wie ich ihn auch schon aufforderte, zumindest dieses Vorstandsmitglied ab sofort bis zum Ende der Klage zu beurlauben.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir wollen mit diesem Antrag zwei Sachen erreichen. Einmal wollen wir, dass ausschließlich Qualifikationen zur Besetzung von Aufsichtsratsmandaten zählen. Das wollen wir verbindlich haben. Und damit entsprechend auch die Zeit da ist, ein Aufsichtsratsmandat wahrzunehmen, wollen wir eine Beschränkung auf maximal drei Aufsichtsratsmandate und nicht wie bisher auf zehn.

Das Zweite, was wir mit unserem Antrag wollen, ist, uns die Qualifizierung von Aufsichtsratsmitgliedern nicht nur zu wünschen, sondern sie zu verankern, sie zu fordern, indem es einen Fortbildungskatalog und die Verpflichtung gibt, jährlich an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen.

[Beifall bei der FDP]

Wir glauben, dass wir mit diesem Antrag einen ersten Schritt in die Richtung gehen, dass tatsächlich auch diejenigen, die stellvertretend für das Land Berlin diese wichtige Funktion wahrnehmen, weiterqualifiziert werden, auf der anderen Seite aber auch von der zeitlichen Belastung so in Anspruch genommen werden, dass sie es ausüben können, und dass, solange wir noch landeseigene Beteiligungen und landeseigene Unternehmen haben, wir auch gewährleisten können, dass sie möglichst professionell geführt werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Florian Graf (CDU)]

Vielen Dank, Herr Kollege Thiel! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Kolat.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hat uns hier einen Antrag vorgelegt, in dem sie den Senat auffordern möchte, die Auswahl und Qualifizierung von Aufsichtsräten der Beteiligungen des Landes Berlin zu professionalisieren. Auf den ersten Blick, Herr Thiel, muss ich sagen, habe ich Sympathie für diese Zielsetzung. Das möchte ich an der Stelle hier auch sagen.

[Beifall bei der FDP]

Ich denke aber, dass die Fälle, die Sie hier zur Begründung von diesem Antrag anführen, es nicht hergeben. Sie haben sie angesprochen: BBI und HOWOGE. Außerdem habe ich erhebliche Zweifel, sehr verehrte Damen und Herren von der FDP, ob die hier von Ihnen aufgeschriebenen Vorschläge tatsächlich zur Professionalisierung der Aufsichtsräte geeignet sind.

Darüber hinaus nehmen Sie für Ihren Antrag einige Einzelfälle heraus und die zum Anlass, pauschal allen Auf

sichtsräten in den Berliner Landesunternehmen ihre Qualifikation und Redlichkeit abzusprechen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich widersprechen und mich ganz herzlich bei den vielen Aufsichtsräten bedanken, die sich mit ihrer tagtäglichen Arbeit für das Wohl unserer Unternehmen, der Landesunternehmen einsetzen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir haben über 500 Mandate in unseren Aufsichtsräten. Auch jetzt schon setzen sich die Aufsichtsräte aus vielen Mitgliedern der Verwaltung und Fachleute zusammen, die ihr Know-how und ihre Expertise einbringen. Sie verkennen in Ihrem Antrag die rechtlichen Bestimmungen, die es jetzt schon gibt, und auch die Praxis hier in Berlin. Wir haben im Unterausschuss Beteiligungen sehr häufig auch im Zusammenhang mit der HOWOGE darüber gesprochen, wie der Senat hier praktisch vorangehen kann und aktuell in eine bestimmte Richtung diskutiert.

Ich muss mich an dieser Stelle aber auch sehr verwundert zeigen, was die Wirtschaftskompetenz der FPD-Fraktion angeht, denn Sie vertauschen ganz bewusst die beiden Aufgabenstellungen – einmal, was Aufsichtsratsmandate angeht, und zum anderen, was die Geschäftsführung angeht. Ob Sie das bewusst oder unbewusst machen, das sei dahingestellt. Aber Sie machen das in Bezug auf BBI ganz bewusst. Ich erspare mir hier, Ihnen die Aufgaben für Aufsichtsräte und Geschäftsführung genau aufzuzeigen.

Die Praxis in Berlin – das habe ich vorhin schon erwähnt –, das haben wir mehrmals auch schon im Beteiligungsausschuss besprochen, orientiert sich an den geltenden Anforderungen für Aufsichtsräte. Dort besteht die Anforderung nach branchenspezifischen Fachkenntnissen, nach Qualifizierung für Kontrolle des Risikomanagements, nach der Fähigkeit, die Entwicklung, wenn sich das Unternehmen in eine Schieflage entwickelt, zu erkennen, aber auch Kenntnisse der Bilanzierung und Rechnungslegung sind bereits Anforderungen, Herr Thiel, da brauchen wir nichts Neues zu definieren.

Auch ist derzeit schon die Praxis, dass die Qualifikation der Aufsichtsratsmitgliedern schon vor deren Bestellung überprüft wird. Auch dem Landesrechnungshof gegenüber ist jetzt schon zu begründen, welche Qualifikation zur Benennung geführt hat. Zum Beispiel musste aktuell begründet werden, was den Finanzsenator zur Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandats bei der BVG qualifiziert. Das ist das beste Beispiel dafür, dass diese Prüfung der Qualifikation in der Praxis auch funktioniert. Ich unterstütze die Stoßrichtung, bei der Professionalisierung in unserer Stadt voranzuschreiten, denn die persönlichen und fachlichen Anforderungen an Aufsichtsräte sind insgesamt gesetzlich auf Bundesebene auch gestiegen, und auch die Maßstäbe wurden vom Gesetzgeber insgesamt verschärft, ich denke, auch aufgrund der Erfahrungen, dass Vertragsbeziehungen gerade im Finanzierungsbereich sehr komplex geworden sind. Ich glaube, die BVG ist dafür das beste Negativbeispiel, hier auch Handlungs

bedarf zu erkennen. Der Senat sieht diese Verschärfungen und richtet darauf seine Beteiligungspolitik mit Blick auf die Aufsichtsratsmandate aus. Das wurde uns mehrfach auch im Beteiligungsausschuss berichtet.

Die Begrenzung, die Sie hier vorschlagen, auf drei Mandate, sehe ich kritisch. Das ist sowohl gesetzlich als auch gesellschaftsrechtlich kritisch zu würdigen. Aber auch so eine abstrakte Begrenzung einer Zahl würde ich erst mal für fraglich halten, denn der Rechnungshof hat diese Frage nach der zeitlichen Belastung von Aufsichtsratsmitgliedern 2009 auch aufgemacht. Da muss man sich genau angucken, welche Belastungen zusätzlicher Art in der originären Tätigkeit und weiteren Ämtern und Positionen es gibt. Aufsichtsratstätigkeiten bei den Stadtgütern, bei der BVG oder Vivantes sind auch anders. Das ist von Unternehmen zu Unternehmen zu differenzieren. Aber ich denke, wir sollten im Beteiligungsausschuss darüber reden, dass wir vielleicht auch zu einer differenzierten Lösung kommen. Den Grundgedanken, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen, finde ich erst mal nicht verkehrt.

[Beifall von Dr. Fritz Felgentreu (SPD) und Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion) – Beifall bei der FDP]

Schon auch heute wird über die Senatsfinanzverwaltung Fortbildung für Aufsichtsratsmitglieder angeboten.

Frau Kollegin! Sie sind am Ende Ihrer Redezeit.

Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Ich denke, da ist der Senat auf jeden Fall tätig. Ich bin mir sicher, dass wir im Beteiligungsausschuss mit den Überlegungen des Senats, die auch schon vorhanden sind, und mit den weiteren Überlegungen einen guten Schritt bei der Professionalisierung der Aufsichtsratsmandate vorankommen werden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der FDP]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Wegner.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es herrscht breiter Konsens über alle Parteien dieses Hauses hinweg, dass sich der Staat ordnungspolitisch auch als Unternehmer am Markt betätigen muss. Die Frage ist allerdings, mit welcher – da will ich mal im Bild der Fußball-WM bleiben – qualitativen Mannschaftsaufstellung man diese Unternehmen dann auch ins Spiel am Markt schickt. Ein wichtiger Mannschaftsteil in diesem Spiel ist der Aufsichtsrat eines Unternehmens. Der Ge

setzgeber schreibt den Aufsichtsräten eine zentrale Funktion zu. Der Aufsichtsrat ist das zwingend vorgeschriebene Kontrollorgan der Gesellschaft. Er ist Instrument der Überwachung der Tätigkeit des Vorstands und der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Seine gesetzlichen Hauptaufgaben sind die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder und die laufende Überwachung der Geschäftsführung sowie die Prüfung des Jahresabschlusses. Und gerade hier muss die Berliner Öffentlichkeit in den letzten wenigen Monaten erfahren, dass dieses System offensichtlich nicht überall funktioniert und diese Fehlfunktion teilweise zum Schaden des Steuerzahlers führt.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Da spekuliert der BVG-Vorstand mit Billigung des Aufsichtsrats auf den internationalen Finanzmärkten wild herum und versenkt mal eben 150 Millionen Euro. Der Vorstand der Flughafengesellschaft sitzt etliche Wochen auf Informationen einer erheblichen Zeitverzögerung, und der Aufsichtsratsvorsitzende muss innerhalb weniger Tage einen terminlichen Zickzackkurs gegenüber der Öffentlichkeit hinlegen, der an die besten Tage von Kati Witt on Ice erinnert.