Protokoll der Sitzung vom 03.03.2011

nämlich die Koalition aufforderte – ich gebe Ihnen diesen Antrag nachher, Frau Michels –, auf eine Prolongierung 2009 der Zugangsbeschränkungen zu verzichten. Was hat die Koalition mit ihrer Mehrheit gemacht? – Sie hat es geschafft, dass dieser Antrag von uns in diesem Hohen Haus am 30. April 2009 aufgerufen, beraten und natürlich abgelehnt worden ist mit der Mehrheit dieses Hauses. Damit müssen wir von der Opposition leben, und das können wir auch. Aber was wir nicht akzeptieren, das ist, dass Sie nicht nur diese zwei Jahre, sondern auch noch weitere zwei Jahre, bis heute, gar nichts unternommen haben. Sie haben nichts unternommen! Wir haben Sie aufgefordert, tätig zu werden auf Bundesratsebene, wir haben Sie aufgefordert, die Möglichkeiten, die Sie im Land Berlin haben, auszunutzen. Was haben Sie gemacht? – Sie haben bis heute abgewartet.

[Beifall bei der FDP – Christoph Meyer (FDP): Pfui! – Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Schönwettereuropäer!]

So kann man es nennen. – Jetzt machen Sie in Ihrem Antrag etwas, das ich schon grenzwertig finde: Sie verweisen auf die Bundesebene. – In der Tat, das ist so! Aber, Kollege Zimmermann, wer hat denn bis 2007 das Arbeitsministerium auf Bundesebene geleitet? – Ich weiß, dass Sie das selbst noch wissen. – Da ist auch nichts geschehen, also bis 2009. – Sie haben also entsprechend auf der Bundesebene nichts gemacht, aber weisen darauf hin, dass auf der Bundesebene etwas geschehen muss.

Was ich jetzt schon grenzwertig finde, das ist: Sie sprechen hier von dem Risiko Sozialdumping. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist Sozialdumping? – Das ist nichts weiter als eine diffuse Angstmacherei.

[Beifall bei der FDP – Dr. Sebastian Kluckert (FDP): Linke Propaganda ist das!]

Sie gehen weiter und sagen dann im nächsten Absatz, was Sie vielleicht ein bisschen genauer meinen, jetzt reden wir über Lohndumping, um dann zum eigentlichen Kern Ihres Antrag zu kommen: Es geht Ihnen um nichts weniger als um einen gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen. Das ist Ihr Ziel, und das drücken Sie hier auch aus. Nur wissen Sie, deswegen brauche ich keinen Antrag, der die Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai begrüßt. Wenn ich das will, dann stelle ich einen anderen Antrag. Das, was Sie hier treiben, ist der Missbrauch eines historischen Datums.

[Beifall bei der FDP – [Martina Michels (Linksfraktion): Sie hätten vorhin mal zuhören müssen!]

Ich habe Ihnen zugehört, auch wenn es mir schwerfiel. – Eines, worin wir uns tatsächlich unterscheiden, ist schlicht und einfach: Wenn eine Volkswirtschaft wie vor zehn Jahren die polnische, die heute längst nicht mehr zu den Wirtschaften gehört, in denen Niedriglohnsektoren im Verhältnis zu unseren groß existent sind, weil sie sich sehr stark entwickelt haben, versucht, insgesamt für die Menschen weiter voranzukommen, dann hat sie nur die Möglichkeit, sich mit dem auf dem internationalen Markt zu bewerben, mit dem sie wettbewerbsfähig ist, und das sind in der Regel die Löhne und Gehälter. Wer glaubt, dass sei ein Berliner oder ein deutsches Problem, versteht wirklich nichts von Wirtschaft. Gerade in jetzigen Tagen wurde uns ganz dramatisch vor Augen geführt: Zehntausende von Ägyptern, Zehntausende von Chinesen haben Libyen verlassen, weil sie dort als Arbeitskräfte tätig waren und sich in Sicherheit bringen mussten. Überall das gleiche Verfahren – das nennt man volkswirtschaftlich „komparative Vorteile ausnutzen“. Dass Sie davon nichts verstehen, das verstehe ich.

[Beifall bei der FDP]

Wir begrüßen ohne Wenn und Aber die Öffnung, wir begrüßen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, und wir freuen uns darüber. Es bedeutet, dass wir mehr Wettbewerb

haben, den wir wollen und dem wir uns stellen. In der Tat, wir sind die Partei der sozialen Marktwirtschaft, die für Wettbewerb steht. Wir wollen das, weil wir eines wissen: Kein Wettbewerb führt zu einer bräsigen Selbstgefälligkeit, zu einer Verfettung und Erstarrung, und das können wir uns nicht erlauben.

Wenn Sie ein Beispiel sehen wollen, wie man sich in den Ländern mit komparativen Vorteilen beidseitig helfen kann, dann schauen Sie sich die Geschichte des Gasturbinenwerks von Siemens in unserer Stadt an. Die haben vor Jahren mit chinesischen Firmen eine gemeinsame Firma gegründet, wissend, dass sie die Chinesen damit in die Lage versetzen werden, in einigen Jahren diese Gastrubinen auch zu bauen. Was sie als Vorteil ansahen, den einzigen,

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

ist, dass China es nicht schaffen wird, die Technologie von Siemens innerhalb von sechs oder acht Jahren einzuholen. Die Ingenieure, die dort tätig sind, sagen, wir haben die Chance, immer einen Vorsprung in der Technologieentwicklung zu haben, das ist das Einzige, was wir haben. Was Sie mit Ihrer wirklich unsinnigen Debatte über einen gesetzlichen Mindestlohn für alle machen, ist nichts weiter als Wettbewerbsbehinderung und Wettbewerbsausschluss. Das werden die Liberalen nicht mittragen, deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab und bitten um Unterstützung für unseren. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien, BerlinBrandenburg und mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales. Gleiches schlage ich hinsichtlich der Änderungsanträge der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so. Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.3:

a) Antrag

Zukunftsfähige Energieversorgung für Berlin (I): Hände weg von den Strom- und Gasnetzen – keine Rekommunalisierung stark regulierter Infrastruktur!

Antrag der FDP Drs 16/3896

b) Antrag

Zukunftsfähige Energieversorgung für Berlin (II): preisgünstige und umweltfreundliche Energieerzeugung für Berlin voranbringen

Antrag der FDP Drs 16/3897

Das ist die Priorität der FDP-Fraktion, Tagesordnungspunkt 22. Für die gemeinsame Beratung steht jeweils wieder eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Schmidt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Energiepolitisch stehen wir in Berlin vor sehr wichtigen Entscheidungen. Die Erneuerung der gesamten Kraftwerkslandschaft steht an, und die Konzessionsverträge für Strom, Gas und Wärme laufen aus. Es ist deshalb äußerst wichtig, jetzt über energiepolitische Ziele Berlins zu reden und diese genau zu definieren.

Wir als FDP wollen dezentrale Erzeugung und die Nutzung des Potenzials erneuerbarer Energien, wir wollen, dass Energie für alle bezahlbar bleibt. Energiepolitik muss vor allem den Bürgern nutzen!

[Beifall bei der FDP]

An diesen Zielen müssen vorgeschlagene Maßnahmen und Lösungen gemessen werden. Stattdessen führen wir allgemeine Rekommunalisierungsdebatten, bei denen als Allheilmittel für alles propagiert wird, das Land Berlin soll das machen, dann wird schon alles besser. Das ist eine völlig sinnlose Debatte, die für unsere Bürger gar nichts bringt!

[Beifall bei der FDP]

Es ist stattdessen sinnvoll, mehr in die Details zu gehen. Wir haben dazu zwei konkrete Anträge vorgelegt, einen zu den Energienetzen, den anderen zur Energieerzeugung.

Wenn man sich mit den Gas- und Stromnetzen beschäftigt – wir als FDP haben dazu extra eine Expertenveranstaltung gemacht –, kommt man zu folgenden Ergebnissen. Erstens: Das Eigentum an den Netzen eignet sich nicht dafür, energiepolitische Ziele – zum Beispiel einen Energiemix – durchzusetzen. Die Netze müssen jeden anschließen, sie müssen jede Art von Strom durchleiten, egal woher Strom und Gas kommen und wer der Kunde ist. Zweitens: Die Netze sind keine risikolose Gelddruckmaschine. Sie beinhalten ein wirtschaftliches Risiko, und durch die neuerdings gültige Anreizregulierung sind auch die Preise gedeckelt. Wer also ineffizient Netze betreibt, der verliert Geld und fährt Verluste ein. Drittens: Am Betrieb der Netze kann man auch nichts Wesentliches ändern, dazu ist der Rahmen der rechtlich zulässigen Möglichkeiten und die Intensität der Regulierung zu gering. Viertens: Die Netze erfordern in Kürze hohe Investitionen, für den Ausbau der Netze, für intelligente Netze, für die Ausrichtung auf die Elektromobilität – das wird teuer. Es ist nicht klar, ob diese Investitionen auf die Preise umgelegt werden können, das ist ein weiteres erhebliches Verlustrisiko. Der Kauf der Netze ist teuer, da es große Anlagen sind. Er kostet Milliarden Euro, das führt zu zusätzlicher Verschuldung in Milliardenhöhe, zu hohen Zinsbelastungen, und glauben Sie nicht, dass die Zinsen noch lange so niedrig bleiben!

[Beifall bei der FDP]

Alles in allem: Man kann mit einer Beteiligung an Gas- und Stromverteilungsnetzen fast nichts bewegen, aber man kann dort sehr viel Geld verlieren. Dann muss man dafür die Anteile auch noch teuer kaufen; es ist offensichtlich Unsinn, das zu fordern!

[Beifall bei der FDP]

Wer also behauptet, dass der Kauf von Netzen ein sicheres Geschäft wäre, wer suggeriert, dass er mit Beteiligungen an den Energienetzen Energiepolitik gestalten kann, der hat die Sache entweder nicht verstanden, oder er streut den Leuten bewusst Sand in die Augen.

[Beifall bei der FDP]

Wir als FDP sagen deshalb: Hände weg von den Verteilungsnetzen, und wir haben die guten Argumente auf unserer Seite.

Auch bei der Energieerzeugung sind Beteiligungen des Landes ausgesprochen fragwürdig. Die erneuerbaren Energien, die wir wollen, sind bundesrechtlich durch das EEG abgesichert, die haben einen Vorrang bei der Einspeisung, es gibt also überhaupt keinen Grund, anzunehmen, das Land Berlin müsste beim Bau erneuerbarer Energien nachhelfen. Wenn überhaupt – das steht auch in unserem Antrag – kann das Land Berlin in der Stadtplanung durch Ausweisung geeigneter Flächen für dezentrale Energieerzeugung dazu beitragen, dass mehr dezentrale und erneuerbare Energie in Berlin stattfindet. Genau das sollte das Land Berlin auch tun und sich nicht als eigener Erzeuger verzetteln.

[Beifall bei der FDP]

Das Abgeordnetenhaus sollte dafür sorgen, dass die Berliner Energiepolitik sich auf diejenigen Themen fokussiert, die tatsächlich von Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger sind und wo für die Bürgerinnen und Bürger am meisten erreicht werden kann. Deshalb müssen wir schleunigst von undurchdachten, riskanten und überteuerten Rekommunalisierungsfantasien Abstand nehmen. Dazu dienen unsere Anträge, und ich bitte Sie um Ihre Unterstützung! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Jahnke.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es mit einer neuen Antragsserie der FDP zu tun – zukunftsfähige Energieversorgung für Berlin Teile 1 und 2. Wir erinnern uns an die alte Serie „Weniger Bürokratie, mehr Berlin“, die etwa bis Teil 87 oder so ähnlich ging. Offenbar hat die FDP auch dieses Mal den Ehrgeiz, zu einer langen Serie zu kommen – man sieht es schon daran, dass eine Redundanz vorliegt: Es ist doch er

staunlich bei diesen beiden Anträgen, wie wenig Inhalt künstlich gestreckt wird, beispielsweise in einem nahezu wortgleichen ersten Absatz in beiden Anträgen.

[Michael Schäfer (Grüne): Ist aber beide Male richtig, der Absatz!]

Worum geht es aber eigentlich? – Es geht der FDP zuallererst darum, auf jede staatliche Beteiligung an den Energienetzen zu verzichten. Für Berlin heißt das, auf jede Form der Rekommunalisierung zu verzichten, da die Berliner Gas-, Strom- und Fernwärmenetze im Zuge der Privatisierung in den Neunzigerjahren mit den städtischen Unternehmen GASAG und Bewag veräußert wurden. Seither ist nicht nur eine Menge Wasser die Spree hinuntergeflossen, sondern die gesamte Landschaft der Energieversorgung wurde europaweit völlig neu geordnet, auf neue gesetzliche Grundlagen gestellt. War die gute alte Bewag noch ganz selbstverständlich alleiniger Strom- und Fernwärmeversorger in Berlin, Erzeugung, Netz und Vertrieb waren also in einer Hand, schreibt die EU inzwischen das sogenannte Unbundling vor, die strikte Trennung der drei Bereiche. Die heutigen Versorger Vattenfall und GASAG unterhalten daher Tochterunternehmen zum Betrieb der Netze. Doch gerade weil die Netze eine Infrastruktur darstellen, die allen Erzeugern und Versorgern diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen müssen, und weil sie Wegerechte im städtischen Eigentum erfordern, stellt der Betrieb und der Unterhalt der Netze, die Investitionen in die Netze eine ganz typische Aufgabe der öffentlichen Hand dar.

Anders als von der FDP dargestellt, ist dies auch kein unkalkulierbares Risiko für die öffentlichen Haushalte, sondern durch die weitgehende Reglementierung, die sie durch die Bundesnetzagentur und durch festgelegte Netzentgelte darstellen, lässt sich der Rückkauf der Netze finanziell darstellen. Wenn etwa ein Kommunalkredit für 2 oder 3 Prozent zu erhalten ist, die Netzentgelte je nach erreichter Effizienz 7 oder 8 Prozent betragen, dann ist dort eine sichere Marge vorhanden, die die Rekommunalisierung der Netze zu keinem finanziellen Abenteuer macht.

Die Vorteile der Rückgewinnung der kommunalen Selbstbestimmung über die Energienetze liegen doch auf der Hand.

[Henner Schmidt (FDP): Welche sind das denn?]

Die Kommune kann selbst entscheiden, wie sie das Netz gestaltet, um beispielsweise dezentrale Energien zu ermöglichen.

[Zuruf von Henner Schmidt (FDP)]