Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

Nicht nur deshalb sehen wir die Verlängerung des Vertrags mit dem jetzigen Betreiber sehr kritisch. Das heutige System des Sonderfahrdienstes gehört aus vielen Gründen auf den Prüfstand. Unser Ziel muss es sein, dass so viele Menschen wie möglich den ÖPNV und das Taxi benutzen. Die Sonderfahrdienste sind eine zusätzliche, ergänzende Maßnahme. Die Befragung hat gezeigt, dass das durchaus möglich ist. Wir müssen die Organisation Sonderfahrdienste verbessern und eventuell eine Regiezentrale direkt bei der BVG ansiedeln. Voraussichtlich könnten so verschiedene Mobilitätsangebote besser koordiniert und aufeinanderabgestimmt werden.

Dem Antrag der Fraktion der CDU stimmen wir zu, denn er beinhaltet, was umgehend beim Sonderfahrdienst verbessert werden muss. Es sind zwar Selbstverständlichkeiten, aber der Senat hat bei der Vertragsentwicklung vergessen, Dinge hineinzuschreiben wie z. B. die Kostenübernahme durch den Betreiber, wenn durch sein Versäumnis Nutzerinnen und Nutzer auf der Straße bleiben.

Die einjährige Vertragsverlängerung für den Sonderfahrdienst zeigt, dass der Senat die inhaltliche Arbeit eingestellt hat. Sie, Frau Senatorin, haben, wie auch Ihr Staatssekretär, die Beine hochgelegt

[Mario Czaja (CDU): Unerhört!]

und die Menschen mit Behinderung im Regen stehen gelassen. So geht das nicht!

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt sollte die Verwaltung diese Zeit nutzen, um mit der S-Bahn und der BVG, aber auch mit den Nutzerinnen und Nutzern ein neues Konzept zu entwickeln. Eines ist klar: Der ÖPNV muss schneller als von Rot-Rot vorgesehen barrierefrei werden. Das würde allen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt gut bekommen. Behinderten Menschen würde das – zusammen mit funktionierenden Sonderfahrdiensten – eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und sichern.

Die Mobilität von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen, ist für meine Fraktion ein überaus wichtiges Anliegen. Meine Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen! Sie regieren, entwickeln Sie endlich ein vernünftiges Konzept, und setzten Sie es um!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Kollegin Villbrandt! – Das Wort für die Linken hat nun die Kollegin Dott. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffmann! Nachdem Frau Monteiro Ihnen schon das Material vorgelesen hat, was Sie vielleicht hätten selbst lesen können, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, brauche ich die Zahlen nicht zu wiederholen.

[Gregor Hoffmann (CDU): Habe ich doch gelesen!]

Schon aufgrund dieses Materials hätte sich der Antrag mehr oder weniger erledigt.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Gregor Hoffmann (CDU): Nehmen Sie denn Ihre Beiräte nicht ernst?]

Der Sonderfahrdienst ist ein wichtiger Bestandteil des Mobilitätskonzepts für Menschen mit Behinderungen oder mit Mobilitätseinschränkungen. Anliegen des Konzepts ist es, Berlin immer weiter barrierefrei zu machen und dazu vor allem die Möglichkeiten der Benutzung des ÖPNV planmäßig zu verbessern. Wie weit sind wir? – Inzwischen sind alle Busse barrierefrei, die Tram, die Straßenbahn, wird es bis zum Jahr 2017 sein – das kann man ein bisschen spät finden, aber immerhin! –, 85 Prozent aller S-Bahnhöfe sind barrierefrei erreichbar und 51,5 Prozent aller U-Bahnhöfe ebenfalls.

Wir haben letztens im Sozialausschuss gehört, das 100 Prozent der wegen ungenügender Leistungserbringung einbehaltenen S-Bahnmittel in den Ausbau der Barrierefreiheit geflossen sind. Das Projekt des VBBFahrgastbegleitdiensts für mobilitätseingeschränkte Menschen erfreut sich zunehmender Beliebtheit und wurde unter großen Mühen immer wieder aufrechterhalten, wie Sie wissen. Das muss man berücksichtigen, wenn man dieses Thema vor allem als Verbesserung der Selbstständigkeit mobilitätseingeschränkter Menschen begreift, die sich selbstbestimmt in unserer Stadt bewegen wollen – was die UN-Konvention verlangt.

Ich wünsche mir, dass der ÖPNV noch stärker von behinderten Menschen in Anspruch genommen wird. Allerdings – solange an jeder Ecke gebaut wird, ist das wohl erschwert, denn eine Entlastung des Sonderfahrdiensts wird im Moment noch nicht deutlich. Außerdem gibt es eine Gruppe von Menschen, die spezifische Hilfe benötigen. Vor allem für diese Menschen ist der Sonderfahrdienst gedacht.

Das Land Berlin hält diese vorbildliche Dienstleistung seit Jahren vor, hat auch verschiedene Organisationsformen ausprobiert. Seit dem Jahr 2005 haben wir die Form, in der er sich jetzt befindet. Vorher und nachher, immer hat es einzelne Klagen gegeben.

[Zuruf von Gregor Hoffmann (CDU)]

Natürlich kann uns das nicht zufrieden machen! Allerdings muss man auch sehen, dass besonders Feiertage zu Engpässen geführt haben. Auch der Antrag der CDU bezieht sich auf das Geschehen um die Weihnachtsfeiertage des vergangenen Jahres. Das war tatsächlich trotz des vermehrten Einsatzes von Fahrzeugen zu beklagen. Es stimmt, jede Klage ist eine zu viel! Es kann nicht toleriert werden, wenn Menschen nicht absprachegemäß transportiert werden oder sie telefonisch nicht zur Zentrale durchdringen. Natürlich erreichen mich diese Klagen auch, aber es stimmt einfach nicht, dass es keine Kontrollen oder keine Konsequenzen gegeben hätte. Im Jahr 2010 hat es allein sieben Kündigungen und sechs Abmahnungen gegeben. Auch das haben Sie im Ausschuss schon längst erfahren.

Wir haben im Ausschuss eine ausführliche Übersicht über die Leistungen des vergangenen Jahres erhalten. Immerhin sind 160 000 Fahrten mit 54 Fahrzeugen pro Jahr eine riesige Zahl. Da hält sich die Zahl der Klagen – auch wenn ich noch einmal betone, dass jede einzelne eine zu viel ist – im überschaubaren Rahmen. Ich glaube, es kommt darauf an, dass dem Betreiber regelmäßig auf die Finger geschaut werden muss, dass wir uns das im Ausschuss auch berichten lassen. Im Moment bin ich der Überzeugung, dass ein Betreiberwechsel keines der Probleme lösen würde. Zur Meinungsbildung wird sicher auch der Bericht beitragen. Zum 30. Juni ist dem Hauptausschuss nämlich über die Bewertung des beauftragten Dienstleisters und darüber, ob eine Option zur Vertragsverlängerung wahrgenommen werden soll, zu berichten. Das wird noch einmal wesentlich zur Entscheidung am

Ende beitragen. Ad-hoc-Lösungen führen nicht zur Lösung dessen, was wir benötigen.

Im Antrag der Fraktion der CDU sind zwar Missstände aufgeführt, aber alle aufgeführten Wege werden bereits beschritten. Sie haben sich nichts Neues einfallen lassen! Deshalb muss man bereits Bekanntes nicht noch einmal beschließen, sondern eher vorhandene Möglichkeiten besser ausschöpfen. Dazu können die Sozialpolitikerinnen und -politiker im entsprechenden Fachausschuss sachlich beitragen, dafür wird Ihr Antrag nicht benötigt. Deshalb werden wir ihn ablehnen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Christian Gaebler (SPD)]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dott! – Das Wort für die Fraktion der FDP hat nun die Kollegin Frau von Stieglitz. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin zählt zu den Top Ten der Städte mit hoher Lebensqualität – das konnten wir in der letzten Woche der Presse entnehmen. Berlin ist eine Metropole, die über alle Standortvorteile verfügt, die eine Stadt zum Älterwerden benötigt. Diesen Status hat die Stadt aber nicht wegen, sondern trotz der unsozialen Politik des Senats erreicht.

[Beifall bei der FDP – Martina Michels (Linksfraktion): So ein Quatsch! – Uwe Doering (Linksfraktion): Das müssen Sie noch mal durchlesen! – Zurufe von der SPD]

Vieles ist noch zu verbessern, insbesondere in der sozialen Daseinsvorsorge für ältere Menschen. Bei der Herstellung einer barrierefreien Mobilität für alle Berlinerinnen und Berliner liegt ein einziges großes Versagen des Senats vor. Auch wenn die Menschen älter werden und damit verbunden in ihrer Mobilität eingeschränkter werden, müssen sie nicht zu Hause in ihren vier Wänden verweilen oder womöglich in Alters- oder Pflegeheimen verbleiben. Nein, sie haben ein Recht darauf, dass sowohl im öffentlichen Raum und im ÖPNV als auch im Sonderfahrdienst die Angebotsstruktur auf ihre mobilen Erfordernisse ausgerichtet wird und flexible Alternativen für Mobilität angeboten werden!

[Beifall bei der FDP]

Der Senat bleibt bei diesem Thema inaktiv und einfach unfähig. Die Menschen mit Mobilitätseinschränkungen mussten in den beiden letzten Wintern wochenlang in ihren Wohnungen verbleiben und konnten sich nicht selbst versorgen, weil sie auf den vereisten Bürgersteigen und im Schnee mit ihren Rollatoren weggerutscht oder steckengeblieben sind.

[Björn Jotzo (FDP): Skandal!]

Während die zuständigen Senatorinnen Lompscher und Bluhm auf Nachfrage stets lächelnd wiederholten, dass alles in Ordnung sei, bekamen die Menschen, die nicht aus ihren Wohnungen kamen, Depressionen und hegten auch Selbstmordgedanken.

[Minka Dott (Linksfraktion): Das lag aber nicht am Sonderfahrdienst!]

Das lag an dem Schneechaos, das gehört auch dazu, das zu beseitigen! –

[Martina Michels (Linksfraktion): Hören Sie doch mal mit dem Sonderfahrdienst auf!]

Diejenigen, die noch dank ihrer Kraft mobil genug sind, stehen wartend an Haltestellen, auf zugigen Bahnhöfen oder finden aufgrund von Unregelmäßigkeiten im ÖPNV und aufgrund des seit Jahren andauernden S-Bahnchaos in überfüllten Zügen keine Sitzplätze. – Ja, so sieht es aus in dieser „Sozialen Stadt“ des rot-roten Senats, in der man nicht gut versorgt alt werden kann!

Wir können, nein, wir müssen die Liste des Senatsversagens aber noch fortsetzen. Kommen wir zum Sonderfahrdienst!

[Ah! von der Linksfraktion]

Eine unendliche Geschichte! Seit Jahren gibt es Klagen: nicht erreichbar, unzuverlässig, unfähig, unfreundlich im Umgang mit den Kunden und so weiter und so fort.

[Martina Michels (Linksfraktion): Mensch Meier!]

Wie schon bei der S-Bahn lässt sich der Senat von einem unfähigen Betreiber auf der Nase herumtanzen.

[Beifall bei der FDP]

Es findet keinerlei politische Steuerung statt. Die Sozialsenatorin Bluhm und ihr Staatssekretär betonen stets, dass alles in Ordnung sei. Sie legen dann Schönwetterumfragen vor, die belegen, dass alle Kunden zufrieden seien. Mancher Nutzer des Sonderfahrdienstes kann sich ja schon glücklich schätzen, dass er vom Fahrer unfreundlich und unhöflich angesprochen wird, denn dann ist der Sonderfahrdienst wenigstens gekommen, und der Kunde wird zu seinem Ziel gefahren. Ans Ziel zu kommen, ist das eine. Irgendwann steht dann auch eine Rückfahrt an. Hier geht das Glücksspiel weiter. Kommt der Wagen zu früh? Kommt er zu spät? Mit wie viel Verspätung? Und kommt der Wagen überhaupt? – Es ist ein untragbarer Zustand, dass letztendlich Polizei oder Feuerwehr für eine Sicherstellung der Mobilität älterer Menschen sorgen müssen.

[Beifall bei der FDP – Minka Dott (Linksfraktion): Feuerwehr stimmt nicht!]

Und wenn der Senat das Problem stets ignoriert, rufen viele Menschen, die viele Stunden vergeblich auf den Sonderfahrdienst warten müssen, in ihrer Hilflosigkeit die Notrufnummern an.

Sehr geehrte Damen und Herren, den Antrag der CDU werden wir Liberalen unterstützen,

[Beifall von Christoph Meyer (FDP)]

denn es wird hier auf Missstände beim Angebot des Sonderfahrdienstes für Menschen mit Behinderungen aufmerksam gemacht und deren umgehende Beseitigung gefordert. Frau Dott! Der Antrag der CDU hat sich nicht erledigt.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Wir Liberale stehen a) für Teilhabe und b) für Wahlfreiheit bei der Nutzung der verschiedenen Verkehrsträger. Hierzu gehört auch die Nutzung des Sonderfahrdienstes. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]