Vielmehr hat man beim Lesen den Eindruck, dass er den Bericht nur als Anlass nutzt – was auch heute geschehen
ist –, um seine eigenen guten Taten noch ins rechte Licht zu rücken wie z. B. die beitragsfreie Kita. Das mussten wir ja hören.
Beratungsresistent und wenig innovativ zeigt sich in meinen Augen der Senat auch deshalb, weil in seiner Stellungnahme Formulierungen vorherrschen, die wenig von Gestaltungswillen zeugen. Ein paar Kostproben vielleicht für Sie? Erstens: Der Senat sieht sich schon auf einem guten Wege. – Zweitens: Der Senat teilt die Auffassung des Familienbeirats. – Drittens: Der Senat stimmt dem Familienbeirat zu, dass die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bisher noch nicht zufriedenstellend ist. – Ich könnte das fortsetzen, aber gucken Sie in den Bericht hinein!
Es finden sich die beliebten Worthülsen wie „haben wir schon erkannt“, „werden wir einleiten“ oder „werden wir prüfen“. Gerade Letzteres kennen wir alle aus leidvollen Ausschussdiskussionen, denn manche Vorgänge wie z. B. die Umsetzung eines Berliner Familienportals prüft der Senat beharrlich seit mehr als drei Jahren.
Mitunter groteske Züge nimmt es an, wenn der Senat schreibt, dass er es wichtig findet, dass der Familienbeirat begrüßt, dass er etwas tun will. Das betrifft z. B. die Einrichtung von Familienzentren unter dem Dach der Kita. Wer schon länger dabei ist, weiß es: Das ist ein uns allen bekanntes und am Herzen liegendes Thema, das seit der letzten Legislaturperiode parlamentarisch bearbeitet wird. Aber wir befinden uns immer noch in der Begrüßungsphase. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Aber es soll nicht um Vergangenheitsbewältigung gehen – das habe ich auch im Ausschuss gesagt –, sondern es geht um die Zukunft der Familienpolitik. Die sehe ich allerdings nach der Stellungnahme des Senats nicht im Aufwind. Denn für keinen der im Bericht angesprochenen Bereiche liegen konkrete Zusagen, Zeitpläne oder Konzepte des Senats vor. Keine Entwicklungszeiträume werden benannt. Keine kurz- und langfristigen Maßnahmen zur Umsetzung von Schwerpunktaufgaben! Alles ist oberflächlich, unverbindlich, dröge, seltsam und desinteressiert. Auch auf meine Frage an den Senator, welche konkreten Handlungsmaßnahmen der Senat nun einleiten will, ging der Senator in der letzten Ausschusssitzung nicht ein. Er sagte nur: Zu gegebener Zeit werde ich sie der Öffentlichkeit vorstellen.
Deshalb sage ich: Mit diesem Senat wird es keine Verbesserung für Berliner Familien geben. Daran wird auch die heutige Aktuelle Stunde und das verbale Muskelspiel der rot-roten Koalition nichts ändern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in den beiden Beiträgen auf der einen Seite positive und auf der anderen Seite negative Einschätzungen zum vorgelegten Familienbericht zur Kenntnis nehmen können. Unstrittig ist aber jedenfalls – und vielleicht kann ich nun mit meinem Beitrag wieder etwas zur Sachlichkeit beitragen –, dass das Land Berlin in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um die Lebenslagen von Berliner Familien trotz schwieriger Haushaltssituation zu verbessern.
Ich nenne Ihnen dazu gern noch einmal einzelne Beispiele – gerade für die Kollegin, die den letzten Beitrag gehalten hat –: Berlin verfügt heute über ein bundesweit vorbildliches Kitasystem. Das sollten Sie auch nicht aus Ihrem Kopf herauslassen.
[Mieke Senftleben (FDP): Das hören wir jetzt zum fünften Mal! – Mario Czaja (CDU): Das ist nicht Ihr Verdienst, Frau Dr. Barth!]
Ja, und wenn es zehn Mal gesagt wird. Offensichtlich reicht es ja noch nicht aus. – Dieses Kitasystem erfüllt qualitativ hohe Standards der frühkindlichen Förderung
und setzt mit einem für die Familien kostenfreien Betreuungsumfang von nunmehr sieben Stunden pro Tag auch quantitativ bundesweit Maßstäbe.
Zu Recht stellt der Familienbericht fest, dass Berlin auch darüber hinaus über ein vielfältiges und flexibles Betreuungsangebot verfügt, welches für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch tatsächlich unverzichtbar ist. Mit einer frühkindlichen Förderung von über 42 Prozent der unter Dreijährigen und über 94 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen führt Berlin den bundesweiten Ländervergleich an und wendet damit für die frühkindliche Förderung annähernd doppelt so hohe Pro-Kopf-Beiträge auf wie manche süddeutschen Bundesländer.
In Berliner Kitas ist Inklusion bereits heute nicht mehr das politische Ziel, sondern die pädagogische Praxis. Den heutigen familienpolitischen Herausforderungen begegnen wir nicht mit Einzelleistungen, wie es die Bundesregierung mit ihrem Tropfen auf den heißen Stein versucht. Vielmehr benötigen wir weiterhin eine flächendeckende
Stärkung der Infrastruktur, die das Durchbrechen der Spiralen von Armut und Bildungsbenachteiligung zum Ziel hat. Konsequenterweise fordert die Linke die Abschaffung der Kostenbeteiligung für ein gesundes Mittagessen in Kita und Schule in einem ersten Schritt wenigstens für Kinder aus einkommensschwachen Familien. Ein erfolgreicher Anfang ist diesbezüglich bereits gemacht.
Die Autorinnen und Autoren des Familienberichts stellen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit höherer finanzieller Aufwendungen seitens öffentlicher Haushalte für familienpolitische Aufgaben auf Seite 145 mit Recht fest – ich zitiere –:
Gute Rahmenbedingungen für Familien müssen daher nach Auffassung des Berliner Beirats für Familienfragen als zentraler Faktor für die ökonomische wie gesellschaftliche Zukunft Berlins einen entsprechend hohen Stellenwert erhalten.
Das bestätigt einmal mehr, dass Investitionen in Familien auch volkswirtschaftlich betrachtet Zukunftsinvestitionen darstellen, welche später – noch einmal Zitat –
Insgesamt stellt der Familienbericht 2011 eine Bestandsaufnahme der in den letzten Jahren umgesetzten Verbesserungen dar, die sich auch in Zahlen ausdrücken lassen. Das Land wendet heute mit ca. 1,1 Milliarden Euro pro Jahr bereits 360 Millionen Euro mehr für familienpolitische Aufgaben auf als noch zu Beginn der laufenden Legislaturperiode im Jahr 2006. Zugleich beschreibt der Bericht aber auch den Handlungsbedarf, welcher ergänzend zu den positiven Entwicklungen der letzten Jahre für die nahe Zukunft dennoch festzustellen bleibt, und benennt damit politische Herausforderungen für die kommende Legislaturperiode.
Lassen Sie mich für die Linksfraktion exemplarisch vier Schwerpunkte benennen! Erstens: Familienpolitik muss gemeinsam mit Familien partizipatorisch entwickelt und praktisch umgesetzt werden. Dazu sind Beteiligungsformen zu fördern und zu entwickeln, welche sich am tatsächlichen Bedarf orientieren und nicht auf Problemlagen reduzieren. Mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehen auch Arbeitgeber in der Verantwortung, und zwar sowohl, wenn es um eine bedarfsgerecht flexible Kinderbetreuung geht, als auch, wenn sich der Flexibilitätsbedarf aus der Pflegebedürftigkeit Familienangehöriger ergibt.
Zweitens: Stärker als bisher muss Familienpolitik als eine ressortübergreifende Aufgabe verstanden und von den beteiligten Verwaltungen im Zusammenwirken bewältigt werden.
Auf diesem Weg setzen wir uns für die strukturelle Stärkung der Einrichtungen und Angebote ein, in denen Kin
der ihren Alltag verbringen. Dazu gehören beispielsweise eine kostenfreie, ganztägige Förderung durch Kita und Grundschule, die Abschaffung der Bedarfsprüfung sowie in der Perspektive die Einführung eines kostenfreien Mittagessens für alle Kinder.
Drittens: Die Verbesserung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit gilt sowohl für die Schul- und Kitapolitik oder den Ausbau eigenständiger Familienzentren, ebenso für Fragen der Stadt- und Verkehrsplanung und Umweltpolitik, um nur einige Beispiele zu nennen.
Viertens: Der mit § 16 KJHG beschriebene gesetzliche Auftrag zu einer Familienbildung, die sich an unterschiedlichen Lebenslagen orientiert, und sie zur Mitarbeit in Form der Nachbarschafts- und Selbsthilfe besser befähigen soll, kann durch die geregelte Förderung der Familienzentren realisiert werden, die neben den klassischen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen Orte der Begegnung und der gegenseitigen Beratung im Alltag sein können. Ausdrücklich unterstützen möchte ich in diesem Zusammenhang die Feststellung des Familienberichts, wonach Stadtteil- und Kiezmütterprojekte als Form der organisierten Selbst- und Nachbarschaftshilfe den Zusammenhalt und die Entwicklung des Gemeinwesens fördern, und Unterstützung verdienen.
Als Mitglied des Berliner Beirats für Familienfragen möchte ich mich zum Ende meiner Ausführungen wertschätzend äußern, und zwar ganz im Gegensatz zu meiner Kollegin, die vor mir gesprochen hat: Unsere Zusammenarbeit war gekennzeichnet von einer gemeinsamen Sprache im Interesse der Berliner Familien.
Unterschiedliche Werte und Politikvorstellungen wurden nicht zulasten der fachlichen und fachpolitischen Verständigung ausgetragen.
Mit Blick auf die künftige Familienpolitik möchte ich ein weiteres Zitat aus dem Bericht in meinem Beitrag benennen und zustimmend feststellen:
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Barth! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne hat jetzt Frau Abgeordnete Jantzen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wertschätzung aller, die an dem Familienbericht konstruktiv mitgearbeitet haben, kann ich mich uneingeschränkt anschließen. Es war eine lange und harte Arbeit, aber ich denke, sie hat sich gelohnt.
Damit Sie alle wissen, worüber wir sprechen: Dies hier ist der Familienbericht, der vom Berliner Beirat für Familienfragen vorgelegt worden ist. Ich glaube, Sie haben alle zumindest einen Flyer erhalten, möglicherweise mit einen Chip, damit Sie sich das als PDF-Datei ansehen können. Ich empfehle Ihnen allen, das zu lesen. Es lohnt sich wirklich.
Es gibt mittlerweile auch eine Stellungnahme des Senats, die haben Sie auch, Vorlage – zur Kenntnisnahme – Stellungnahme zum Familienbericht mit der Drucksachennummer 16/4045. Das lohnt sich auch,