Protokoll der Sitzung vom 12.05.2011

Und was passiert in Berlin? – Sie vertagen unsere Initiative über Monate hinweg. Sie hätten noch Beratungsbedarf. Am Ende kommen wir Ihnen auch noch entgegen, indem wir das Inkrafttreten auf den 1. Januar 2012 verschieben, da die Zeitspanne bis zur Wahl bei all dem Beratungsbedarf in der SPD sehr kurz geworden ist.

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Und dann – nach vielen Beratungen – enthalten Sie sich trotz Parteitagsbeschluss in den Ausschüssen und überlassen es CDU und FDP, das Wahlalter 16 zu versenken. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wäre mit den Stimmen von SPD, Linken, uns und dem fraktionslosen Abgeordneten Ueckert vorhanden gewesen. Immerhin, die guten Absichten bleiben wohl. Im Wahlprogramm der Linken heißt es: Bislang können Jugendliche ab 16 nur die Bezirksverordnetenversammlungen mitwählen. Wichtige Entscheidungen für ihren Lebensweg fallen aber auf Landesebene. Deshalb wollen wir das Mindestalter auch für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus auf 16 Jahre absenken.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Gernot Klemm (Linksfraktion) – Zuruf von Mario Czaja (CDU)]

Die SPD spricht sich natürlich in ihrem Wahlprogrammentwurf auf Seite 38 für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre aus. Und der SPD-Landesvorstand beschließt im April im Leitantrag für das SPD-Wahlprogramm: Bis

zu den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus werden wir das Wahlalter auf 16 senken.

Viele Berlinerinnen und Berliner haben sich in den letzten Jahren für das Wahlalter 16 starkgemacht, ihre Zeit und ihr Engagement für die Sache eingesetzt. Jetzt ist die Zweidrittelmehrheit da, und Sie lassen diese Chance verstreichen. Es versteht niemand, warum Sie jetzt nicht zustimmen können, aber es eigentlich doch wollen. Das zeigt uns jetzt schon, die Wahlprogramme von SPD und Linkspartei sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.

[Beifall bei den Grünen]

Sie sorgen bei jungen Menschen nicht dafür, dass sie die politischen Mitbestimmungsrechte erhalten, sondern dass sie politikverdrossen werden.

[Zuruf von der SPD]

Frau Herrmann! Ihre Redezeit ist beendet.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin! – Wer sich so verhält wie Sie in der Frage des Wahlalters 16, der muss sich nicht beschweren, wenn Politik ein Glaubwürdigkeitsproblem hat.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Deshalb wollen Sie ja auch mit der CDU koalieren!]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Herrmann! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Felgentreu das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von den zurzeit noch im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien werben drei mit der Absicht um Stimmen, das Wahlalter in Berlin generell auf das vollendete 16. Lebensjahr abzusenken. Diese drei Parteien – SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – verfügen bisher nicht über die notwendige verfassungsändernde Mehrheit. Dennoch haben die Grünen mit dem zur Abstimmung anstehenden Gesetzentwürfen beantragt, schon jetzt die Absenkung des Wahlalters zu beschließen. Zur Durchsetzung der Verfassungsänderung hoffen die Grünen auf vereinzelte Zustimmung auch aus den Reihen von CDU und FDP oder durch die fraktionslosen Abgeordneten. Dieses von den Grünen verfolgte Gesetzgebungsverfahren wird die SPDFraktion nicht unterstützen – aus drei Gründen:

Erstens haben wir grundsätzlich Bedenken, eine tief greifende Änderung des Wahlrechts wenige Monate vor einer Wahl zum Abgeordnetenhaus zu beschließen. Auch wenn

die Änderung erst für die nächsten Wahlen Gültigkeit hätte, halten wir es für inakzeptabel, gerade jetzt, während sich die Bürgerinnen und Bürger bereits auf die Wahlen vorbereiten, ausgerechnet in das Rechtsgebiet einzugreifen, das die Durchführung demokratischer Wahlen regelt. Um nur an einem Beispiel deutlich zu machen, warum ein solches Vorgehen problematisch ist: Was soll ein heute 17-Jähriger davon halten, dass wir mit der entsprechenden medialen Begleitmusik das Wahlalter absenken, ohne dass er etwas davon hat? Gerade die Zielgruppe der angestrebten Gesetzesänderung müsste mit der größten Enttäuschung oder Verständnislosigkeit darauf reagieren. Ließe man aber die Absenkung schon für die Abgeordnetenhauswahl im September gelten, würde sich das Problem noch verschärfen. Dann hätten wir mit einem Federstrich kurzfristig Tausende neu zur Wahl zugelassen. Das verbietet sich schon aus Gründen einer rechtsstaatlichdemokratischen Praxis. Wer kein halbes Jahr vor der Wahl die Zusammensetzung der Wahlbürgerschaft ändert

[Benedikt Lux (Grüne): Das haben Sie doch verzögert! Das ist doch unlauter!]

ganz ruhig, Kollege Lux! –, öffnet einem willkürlichen Umgang mit diesem Herzstück der Demokratie Tür und Tor.

[Benedikt Lux (Grüne): Verlogen ist das!]

Außerdem würden wir damit die Wahl rechtlich auf eine andere Grundlage stellen als die Kandidatenaufstellung, eine sehr wahrscheinlich grundgesetzwidrige Konstruktion.

[Zuruf von Canan Bayram (Grüne)]

Zweitens halten wir nichts davon, eine Verfassungsänderung mit einer Zufallsmehrheit quasi va banque durchsetzen zu wollen. Verfassungsänderungen sollten sich zugunsten ihrer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz auf solide politische Mehrheiten stützen, die durch Fraktionsbeschlüsse getragen sind.

[Zurufe von den Grünen]

Dieses Ziel ist angesichts der klaren Ablehnung durch die CDU- und die FDP-Fraktion nicht erreichbar.

Drittens halten wir es für sinnvoll, dass uns die Bürgerinnen und Bürger bei den bevorstehenden Wahlen zunächst einen Auftrag zur Änderung des Wahlalters erteilen. Deshalb wird die SPD Ihre Absicht, das Wahlalter 16 einzuführen auf ihrem Landesparteitag morgen in ihr Wahlprogramm aufnehmen.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Die Zustimmung der Berlinerinnen und Berliner zu den politischen Zielen der SPD durch ihre Wahlentscheidung am 18. September wird für die SPD-Fraktion im 17. Abgeordnetenhaus von Berlin die Entscheidungsgrundlage sein.

Für unser Abstimmungsverhalten ergibt sich aus diesen Erwägungen: Da die Berliner SPD in der Sache dasselbe Ziel anstrebt, wird sich die SPD-Fraktion zu dem verfas

sungsändernden Gesetzentwurf der Grünen enthalten. Den nach der erwarteten Ablehnung der Verfassungsänderung verfassungswidrigen Entwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes allerdings werden wir ablehnen, wenn die Grünen ihn dann nicht als gegenstandslos zurückziehen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD – Beifall von Dr. Peter Luther (CDU) – Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Felgentreu! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Seibeld das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte meine Rede heute damit beginnen, dass sich die Never-ending-Story, nämlich der Antrag der Grünen, fortsetzt, das Wahlalter auf 16 zu senken. Allerdings ist es noch schöner, als ich gedacht habe. Die Kollegin Herrmann hält einfach ihre Rede vom letzten Mal noch mal.

[Heiterkeit bei der CDU]

Das wird auch daran deutlich, dass sie offenbar nicht gemerkt hat, dass zwischenzeitlich nicht mehr Herr Voßkuhle Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts ist.

[Heiterkeit bei der CDU]

Das war er in der Tat, als sie beim letzten Mal geredet hat. Damals war es noch Herr Papier, heute ist es Herr Voßkuhle.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Richtig ist, dass mit Erlangen der erforderlichen Einsichtsfähigkeit Jugendliche zu Wahlen zugelassen werden sollten. Da sind wir gar nicht auseinander. Der Gesetzgeber in Deutschland und auch in Berlin hat dazu eine eindeutige Regelung getroffen, nämlich: Jugendliche sind mit Erreichen der Volljährigkeit, nämlich mit 18 Jahren, so weit einsichtsfähig, dass man ihnen auch das Recht zu wählen zubilligen kann. An die Volljährigkeit knüpfen sich – auch das habe ich hier beim letzten Mal schon gesagt – zahlreiche andere Rechte und Pflichten an, beispielsweise die volle Zivilrechtsfähigkeit, das Führen von Kraftfahrzeugen, ohne dass ein Erwachsener danebensitzt. Zu guter Letzt knüpft die volle Strafmündigkeit nach dem Erwachsenenstrafrecht auch erst an das Alter von 21 Jahren an, nicht 18 und auch nicht 16. Denn Jugendliche, die mit 16 oder 17 oder auch noch mit 20 Jahren Straftaten begehen, werden von der Rechtsordnung gerade eben so eingeschätzt, dass sie die Folgen ihrer Handlungen noch nicht vollständig übersehen können.

[Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Wir könnten uns durchaus vorstellen, dass man das Wahlalter tatsächlich absenkt. Aber, liebe Grüne: Die Nur-Ro

sinen-Theorie funktioniert an der Stelle nicht. Dann müsste es so sein, dass man auch ab 16, 17 oder 18 Jahren – worauf immer man sich einigt – die volle Strafmündigkeit zubilligt.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Anja Hertel (SPD)]

Dann müssen Siebzehnjährige, die straffällig werden, eben auch nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt werden. Auf der einen Seite zu sagen, wir können noch nicht überschauen, was die Folgen unserer Handlung sind, und auf der anderen Seite bei den Wahlen zu sagen, das können wir wunderbar überschauen, das wird mit uns nicht funktionieren.

[Beifall bei der CDU]

Die Grünen müssen sich an dieser Stelle auch die Frage stellen lassen, ob sie ernsthaft der Auffassung sind, dass die Wahlen zu einem Landesparlament weniger Verantwortungsbewusstsein erfordern als beispielsweise das Kaufen eines Fahrrads. Die Teilhabe an freien Wahlen ist die Basis unserer Demokratie. Kaum etwas in unserer Demokratie erfordert mehr Verantwortungsbewusstsein von den Wählern. Ob das im richtigen Verhältnis steht, sei hier dahingestellt.

[Beifall bei der CDU]

Sie haben Ihren Änderungsantrag für die Verfassung von Berlin mit der Feststellung eingeleitet, die Zulassung der Sechszehnjährigen zu den Wahlen in den Bezirken habe sich bewährt. Da stellt sich die Frage: Was hat sich denn hier bewährt? – Das Einzige, was wir wissen, ist, dass in der Tat bei den letzten Wahlen 2006 auf Bezirksebene auch Unterachtzehnjährige wählen durften. Wir wissen weiter, dass sich 45 Prozent der zwischen Sechszehn- und Achtzehnjährigen beteiligt haben, also knapp 10 Prozent weniger als die Gesamtwahlbeteiligung beträgt. Die Wahlbeteiligung nimmt nämlich mit zunehmendem Alter zu und nicht ab. Auch das gehört zur Wahrheit. Es ist nicht so, dass Sechzehn- bis Achtzehnjährige Schlange stehen und nur darauf warten, mit erheblichem Anteil wählen zu gehen.

Eine Evaluation darüber, ob sich die Absenkung des Wahlalters auf Bezirksebene gelohnt hat – und das suggeriert die Einleitung, es habe sich bewährt, das Wahlalter herabzusetzen – gibt es gerade nicht. Es gibt weder Erhebungen darüber, ob die heute Einundzwanzigjährigen sagen würden, es war richtig, herabzusetzen, noch darüber, ob es zu mehr Jugendbeteiligung geführt hat, noch zu der Frage, ob in den Bezirken die Interessen Jugendlicher jetzt besser wahrgenommen werden, als dies vor der Herabsetzung des Wahlalters der Fall gewesen ist.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Dr. Sebastian Kluckert (FDP)]

Zum Abschluss noch ein Wort zur SPD: Ich habe jetzt gehört, die SPD wird sich heute enthalten. Am 26. November 2006 hat der Kollege Dr. Felgentreu sich für die Beibehaltung des Wahlalters 18 Jahre ausgesprochen. Am 26. Juni 2010 hat der Landesparteitag der SPD