Protokoll der Sitzung vom 24.05.2012

Herr Kollege! So fesselnd Ihr Vortrag auch ist – Sie müssen die Redezeit einhalten!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Der Vorabüberweisung der beiden Anträge an den Hauptausschuss hatten Sie eingangs bereits zugestimmt. Es wird aber zusätzlich noch die Überweisung an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten gewünscht. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.4:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 29

Freier Zugang zu öffentlich-rechtlichen Inhalten

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0338

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 17/0338-1, vor.

Es sind auch wieder fünf Minuten Redezeit pro Fraktion vorgesehen. Es beginnen die Piraten mit dem Kollegen Weiß. – Bitte schön! Sie haben das Wort!

Vielen Dank! – Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem 2009 geschlossenen Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde eine Reihe von Veränderungen im Rundfunkrecht eingeführt. Eine davon ist die sog. Depublizierung, die Pflicht der Rundfunkanstalten, Inhalte, die sie ins Internet gestellt haben, nach einer gewissen Frist zu löschen, im Regelfall innerhalb von sieben Tagen, abhängig von den sog. Telemedienkonzepten der Anstalten auch länger. In unserem Antrag fordern wir den Senat auf, sich für eine Abschaffung dieser Regelung im Rundfunkstaatsvertrag einzusetzen, denn sie ist weltfremd, widersinnig und schädlich.

[Beifall bei den PIRATEN]

Zunächst ist das betroffene Medium Internet aufgrund seiner dezentralen Natur mit diesem Gedanken nicht in Übereinstimmung zu bringen. Wenn dort einmal eine Veröffentlichung stattgefunden hat, kann man sie nicht einfach rückgängig machen. Das kann man eigentlich

sowieso nicht. Nicht ohne Grund gab es in der Zeit vor dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag in der deutschen Sprache den Begriff „depublizieren“ gar nicht. Im Internet ist er besonders widersinnig.

[Beifall bei den PIRATEN]

Zweitens stellt das Ganze eine massive Zugangsbeschränkung für gemeinschaftlich finanzierte Inhalte dar. Es ist nicht plausibel zu erklären, warum Inhalte, die aus Gebührengeldern bezahlt sind, nicht auch umfänglich der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, die sie bereits finanziert hat. Im Hinblick auf den Auftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks ist das weiterhin schlicht Verschwendung von Gebührengeldern.

[Beifall bei den PIRATEN]

Und damit ist das auch für die gesellschaftliche Akzeptanz der Gebührenfinanzierung schädlich.

Drittens wird das Ganze der modernen Form der Medienrezeption nicht gerecht. Menschen sind es heute durch das Internet gewohnt, Inhalte zu nutzen, wann, wo und wie sie wollen, da auch die technischen Möglichkeiten dafür bestehen. Diese Nutzung ist immer weniger an feste Zeiten oder Formate gebunden. Der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, eine Grundversorgung an Informationsangeboten, Bildungsangeboten und kulturellen Angeboten zu sichern, muss auch unter diesen veränderten Umständen gesehen werden. Das erfordert ein Angebot, das dem auch entspricht. Und das ist mit der Depublizierung nicht vereinbar, sondern das bedeutet, die Inhalte müssen frei zur Verfügung stehen, sie müssen dauerhaft zur Verfügung stehen, und sie müssen auch speicherbar zur Verfügung stehen.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (LINKE)]

Das bedeutet, die Depublizierung war ein großer Schritt in genau die falsche Richtung.

Im zweiten Teil unseres Antrags fordern wir den Senat auf, sich bezüglich der Verträge, auf deren Grundlage die Rundfunkanstalten selbst arbeiten, dafür einzusetzen, dass Inhalte, die von den Rundfunkanstalten selbst produziert werden, unter freie Lizenzen gestellt werden. Da greift wiederum das Argument der Gebührenfinanzierung. Wenn die Allgemeinheit Inhalte finanziert hat und der Auftrag der Anstalten ist, diese Inhalte möglichst zu verbreiten, dann kann die Verwendung freier Lizenzen nur sinnvoll sein.

Weiterhin: Sollte das, was wir im ersten Teil unseres Antrags fordern, also das Zurückrollen der Praxis der Depublizierung, nicht erfolgreich sein, wäre das Stellen unter freie Lizenzen auch sehr hilfreich, weil es die Einrichtung anstaltsexterner Archive ermöglichen würde, womit große Mengen an Kulturgütern für die Allgemeinheit gesichert wären.

[Beifall bei den PIRATEN]

Kurz noch zu dem Änderungsantrag der Grünen; ich habe ihn mir schon angeguckt. Er enthält eine Reihe durchaus sinnvoller Präzisierungen und Ergänzungen. Eine Sache war in unserem Ursprungsantrag tatsächlich falsch formuliert; das hätten wir ohnehin ändern müssen. Es gibt weiterhin Punkte darin, über die man noch mal reden müsste. Das können wir gern im Ausschuss tun.

Weil ich weiß, dass das auch wieder kommen wird, möchte ich abschließend sagen: Natürlich ist solch ein Staatsvertrag, an dem 16 Länder beteiligt sind, nicht einfach von heute auf morgen änderbar. Trotzdem möchte ich sie bitten, dass Sie sich mit unserem Antrag beschäftigen und dass Sie sich ihm möglichst anschließen. Dann hätten wir in diesem Punkt zumindest eine klare Willensbekundung. Ich denke, dass man sich darauf einigen kann, dass das, was im Moment Praxis ist, schlicht nicht sinnvoll ist.

[Beifall bei den PIRATEN]

Danke, Herr Kollege Weiß! – Für die Fraktion der SPD hat der Kollege Zimmermann das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Weiß! Wenn wir allein auf der Welt mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten der ARD, dem ZDF und dem Deutschlandradio wären, könnten wir solch eine Regelung vornehmen. Dann wäre es gar keine Frage, dass all das, was durch Gebührengelder finanziert und im Netz verfügbar ist, auch dauerhaft verfügbar bleiben muss, weil es in der Tat im Prinzip unsinnig ist, einmal produzierte vernünftige kulturelle mediale Leistungen wieder herauszunehmen. Aber wir sind nicht allein, sondern der gesamte Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Rundfunks und das gesamte Onlineangebot, wie es in den Staatsvertrag Eingang gefunden hat, ist das Ergebnis eines extrem mühsam ausgehandelten Kompromisses zwischen den öffentlich-rechtlichen Interessen einerseits und den Interessen der Zeitungsverleger, die seinerzeit massiv Druck gemacht hatten, andererseits.

Die Letzteren haben nämlich gesagt, im Netz dürfe das, was eigentlich ihre Domäne sei, dürfe diese Entwicklung der Printmedien nicht durch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten behindert werden, denn Fernsehen sei etwas anderes und müsse sich im Internet beschränken. Das haben sie bis zum Schluss durchgehalten. Wir haben gesagt, wir müssen mit beidem leben und auch eine Mehrheit zwischen allen 16 Ländern herstellen. Da gibt es einige – das wissen Sie –, die ganz starke Interessen an ihren Standortunternehmen haben, die ihre Verlage schützen wollen. Da hatten die Zeitungsverleger eine

ganz starke Lobby unter den Ministerpräsidenten. Es war also ein mühsamer Aushandlungsprozess, der zu dem Ergebnis geführt hat, dass die Öffentlich-Rechtlichen das, was im Zusammenhang mit ihren linearen, klassischen Sendungen nötig ist, auch online zeigen dürfen, dass sie auch eine Mediathek vorhalten dürfen, dass sie auch über längere Zeit Angebote vorhalten dürfen, aber dass diese Angebote irgendwann einmal zu Ende sind, weil die Verleger diesen Raum im Netz für sich beansprucht haben und sagen, die Anstalten dürfen, weil sie Fernsehanstalten sind, nicht so viel Text liefern und so viele Möglichkeiten in der Mediathek anbieten, was wir als Verlag der „Süddeutschen Zeitung“ oder „Spiegel“-Verlag oder Verlag der „Bild“ viel besser können.

Also, es ist ein Kompromiss zwischen verschiedenen Akteuren in der Presselandschaft, in der Medienlandschaft. Und der Unterschied ist auch noch – darauf will ich hinweisen –, dass die Printmedien vollkommen unreguliert sind. Für Print gilt Artikel 5 Grundgesetz und sonst nichts anderes. Die sind in keiner Weise beschränkt, außer durch die Strafgesetze, während die öffentlichrechtlichen Anstalten vollkommen durchreguliert sind. Da ist nahezu jede Kleinigkeit reglementiert. Darüber kann man auch diskutieren, ob das nicht irgendwann einmal eine Überregulierung ist, aber ich warne davor, den einmal gefundenen Kompromiss irgendwie aufzumachen. Er wird nicht zugunsten der Öffentlich-Rechtlichen ausgehen. Da bin ich ganz sicher.

Ich warne auch vor dem, was die Grünen in ihrem Änderungsantrag anregen, noch einmal einen europarechtlichen Prozess mit Konsultationen einzuleiten. Bei der EUKommission noch einmal den ehemaligen Beihilfekompromiss von unserer Seite aufzumachen, das würde ich für vollkommen problematisch halten. Ich möchte dringend davor warnen. Lassen Sie uns das, was wir erreicht haben an Bestands- und Entwicklungsgarantie der Öffentlich-Rechtlichen im Netz, bewahren und nicht durch Versuche, hier und da im Detail noch etwas zu verändern, gefährden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Danke schön! – Ich erteile dem Kollegen Weiß das Wort zu einer Kurzintervention. – Sie wissen, immer auf den Vorredner eingehen, bitte!

[Zuruf von den PIRATEN: Wir sind seit einem halben Jahr hier!]

Herr Zimmermann! Es ist mir natürlich klar, dass ein Vertrag immer das Ergebnis einer langen Verhandlung und vieler Kompromissfindungen ist. Jetzt haben Sie Akteure erwähnt, die aber nicht Vertragspartner sind.

Vertragspartner des Rundfunkstaatsvertrags sind die Länder. Wenn jetzt die Zeitungsverleger ein berechtigtes Interesse an bestimmten Regelungen haben, weil jemand sagt, das kann man nachvollziehen, das sollte berücksichtigt werden, das muss aus rechtlichen Gründen berücksichtigt werden, dann muss man sich darauf einlassen. Aber dann möchte ich Sie doch einmal ganz konkret fragen – der Rundfunkstaatsvertrag erfordert nicht die Zustimmung der Zeitungsverleger –: Haben Sie denn persönlich die Einschätzung, dass es tatsächlich ein berechtigtes wirtschaftliches oder wie auch immer geartetes Interesse der Zeitungsverleger gibt, jetzt nicht an allen Einzelregelungen des Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag, sondern an der, um die es hier geht, also an Depublikation? Wenn ja, wo?

[Beifall bei den PIRATEN]

Herr Kollege Zimmermann! Sie haben die Möglichkeit zu erwidern, auch bis zu drei Minuten. – Bitte sehr!

[Christopher Lauer (PIRATEN): Aber nur auf den Redner eingehen!]

Nur auf den Redner eingehen, bitte!

Herr Präsident! Selbstverständlich gehe ich nur auf Herrn Weiß jetzt ein. – Ich kann mich eigentlich bedanken für die Frage, weil das zu dem entscheidenden Problem führt, das wir überall in der Debatte mit den anderen Ländern oder auch unter uns haben, nämlich: Ist der Druck, den die Printmedien aufmachen, die Vorherrschaft im Netz zu erreichen oder zu behalten und die Öffentlich-Rechtlichen oder überhaupt Fernsehen zurückzudrängen berechtigt oder nicht? – Ich persönlich und wir auch in den Verhandlungen haben die Forderung der Privaten zu sagen, alles was irgendwie nur presseähnlich daherkommt im Netz, dürfen nur wir als Printverlage, „das darf das Fernsehen nicht machen“, diese Forderung haben wir immer für überzogen gehalten, weil man schlechterdings nicht definieren kann, was wirklich presseähnlich ist und was nicht. Wenn da irgendwo ein Text ist unter einem Bild, ist das dann Presse oder ist das noch Fernsehen, was aus dem Linearen auf das Onlinemedium übertragen wird? Es gibt schlechterdings keine Möglichkeit, das genau abzugrenzen, deshalb haben wir die Forderung, als öffentlich-rechtliche Anstalten presseähnliche Angebote zu unterlassen, immer für überzogen gehalten. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen die Möglichkeit haben, ihre Bilder auch im Netz zu zeigen, sie auch zu erläutern, auch Texte aufzuliefern, die Hintergrund liefern und dies auch über eine längere Zeit im Netz vorhalten. Wir haben versucht, dort mehr für die Öffentlich-Rechtlichen herauszuholen, aber mehr ging in der Tat nicht.

Man muss aber auch sehen, dass die Printverlage natürlich auch Probleme mit dem Anzeigenmarkt haben. Und weil sich viel in das Internet verlagert, haben nahezu alle Zeitungsverlage Probleme mit ihrem Anzeigenaufkommen und müssen sehen, dass sie auch im Internet Anzeigenmärkte erschließen. Das wiederum darf man ihnen auch nicht bestreiten. Sie haben ebenfalls eine Entwicklungsgarantie im Internet. Deswegen, glaube ich, kann man am Ende mit dem Kompromiss leben. Noch mal: Es wäre gut, ihn so beizubehalten und nicht an einer Stelle aufzuknüpfen. – Danke schön!

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt dem Kollegen Gelbhaar das Wort. – Bitte, Herr Kollege!

Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Piratenfraktion greift ein seit langer Zeit debattiertes komplexes Thema auf, nämlich die Depublikation von Sendungen des öffentlichen Rundfunks im Internet. Herr Zimmermann hat schon ein bisschen verdeutlicht, wie komplex da die Debatte ist.

Die Regelungen zur Depublikation sind im Juni 2009 in Kraft getreten, deswegen müssen verschiedenste Sendungen, wie zum Beispiel die uns allen gut bekannte Berliner Abendschau nach einigen Tagen wieder vom RBB und Co aus dem Internet entfernt werden. Um es vorwegzunehmen, den Grundsatz des Antrags der Piratenfraktion teile ich, den teilen wir. Es ist schlicht unsinnig, nach wenigen Tagen Sendungen wieder aus dem Netz zu nehmen. Das muss geändert werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (LINKE)]