Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Integration, Berufliche Bildung und Frauen und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bayram. – Bitte sehr!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! In meine Sprechstunde kommen immer wieder junge Menschen, die sich zu dem Thema Optionszwang informieren möchten.
Denen erkläre ich dann, dass wir den Optionszwang einem Wahlkampf eines hessischen CDU-Kandidaten verdanken. Denn seinerzeit, als die Staatsangehörigkeit neu geregelt wurde, hat ein hessischer Kandidat mit einer unwürdigen Kampagne dafür gesorgt, dass sich viele Menschen den Kopf darüber zerbrechen mussten, wie sie es hinkriegen, ohne rassistische Ausschreitungen ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das mehrheitsfähig ist. Da hat die FDP seinerzeit diesen Kompromiss des Optionszwanges vorgeschlagen. Einmalig, überflüssig, völlig daneben ist diese Optionszwangsregelung!
Denn sie ist eine Ausgrenzung. Eigentlich müsste es unser Ziel sein, alle Menschen gleichzustellen. Der Optionszwang und dieses Sondergesetz in dem Staatsangehörigkeitsrecht grenzt nämlich insbesondere die große Gruppe von Menschen, die aus der Türkei kommen, aus.
Ich will Ihnen das auch anhand der gesetzlichen Situation erklären. Im Gesetz wird die Einstaatlichkeit, also nicht die Mehrstaatlichkeit zur Regel erklärt. Die Mehr
staatlichkeit soll die Ausnahme sein. Die Realität ist aber so, auch durch die Europäische Union und viele andere Länder, mit denen wir bilaterale Abkommen haben, dass im Gegenseitigkeitsverhältnis die Mehrstaatlichkeit hingenommen wird. Die Regel in der Lebenswirklichkeit ist, dass über 50 Prozent der Menschen Mehrstaatlerinnen und Mehrstaatler sind, also ganz selbstverständlich mehrere Pässe haben. Die Ausnahme ist dann die, dass bestimmte Gruppen von diesem Prinzip ausgenommen werden. Es ist eine verkehrte Welt, denn das Gesetz hat überhaupt keine wirkliche Geltung, grenzt nur bestimmte Gruppen aus.
Dann ist noch ein Aspekt besonders wichtig: Wenn sich die Menschen nicht bis zum 23. Lebensjahr entschieden haben – stellen Sie sich vor: Menschen, die in Berlin geboren sind, entscheiden sich bis zum 23. Lebensjahr nicht, machen nichts –, dann werden sie automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Also, Untätigkeit führt zum Verlust. Was soll denn der Unsinn? Warum wollen wir denn den Menschen, die hier ganz selbstverständlich unter uns aufgewachsen sind, sich entwickelt und sozialisiert haben, dann in einem Alter, in dem sie der Gesellschaft etwas zurückgeben, aus der Staatsbürgerschaft automatisch rausschmeißen? Ich frage Sie wirklich – reden Sie mal mit 18- bis 23-Jährigen: Wie viele davon haben als erste Priorität im Leben, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden?
Ich will auch nicht unerwähnt lassen, dass sich heute die Integrationsminister mit einer Mehrheit von Dreiviertel dafür entschieden haben, die Abschaffung des Optionszwangs zu fordern. Da will ich auch den Integrationsminister aus der rot-grünen nordrhein-westfälischen Landesregierung zitieren. Er hat gesagt:
Wir brauchen keine deutsche Staatsangehörigkeit auf Zeit, sondern eine gesetzliche Grundlage ohne Wenn und Aber …
Da frage ich natürlich – das ist sehr naheliegend, denn in Nordrhein-Westfalen gibt es eine rot-grüne Regierung – die Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Warum tun Sie sich das eigentlich an? Warum hören Sie sich immer diese Reden von den Leuten an? Ich konnte gerade in der Diskussion im RBB schon hören, wie die CDU dazu steht, und kann mir schon denken, was Herr Dregger gleich dazu sagen wird. Warum tun Sie sich das eigentlich an? Warum setzen Sie sich nicht auch mal durch? Warum nehmen Sie sich nicht mal ein Beispiel an Län
dern, in denen die SPD noch SPD-Politik macht? Wie wollen Sie eigentlich in den Bundestagswahlkampf gehen und sich dort für die Abschaffung des Optionszwanges aussprechen und hier wieder in Ihrer Disziplin mit der CDU dafür streiten, dass Sie sich im Bundesrat dazu enthalten werden?
So werden Sie sich nicht durchmogeln können. Sie müssen sich entscheiden, und dazu gebe ich Ihnen mit diesem Antrag die Gelegenheit. – Danke schön!
Vielen Dank, Frau Bayram! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Karge. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute reden wir über die Priorität der Grünen, über das Thema „Optionszwang abschaffen – zwei Pässe ermöglichen!“ – ein Thema, welches sicherlich von zwei Seiten beleuchtet werden kann.
Ja, man kann es sich wünschen, dass Menschen sich eindeutig zu ihrem Land, zu ihrer Staatsbürgerschaft bekennen. Sicherlich sehen einige in diesem Haus und auch Menschen in dieser Stadt das teilweise so. Was sind jedoch die Fakten? – In diesem Jahr haben wir den Fall, dass die ersten optionspflichtigen Migrantinnen- und Migrantenkinder das 23. Lebensjahr erreichen. Bis 2018 wird das ungefähr 40 000 junge Menschen betreffen. Mit diesem Ereignis würden sie ihren deutschen Pass verlieren. Die Optionspflicht ist für diesen Personenkreis nicht sinnvoll. Im Gegenteil! Wir unterteilen Deutsche hier in zwei Klassen, in zwei Rechtskreise der Staatsbürgerschaft. Man kann auch sagen, wir schaffen eine Staatsbürgerschaft ersten und zweiter Klasse. Das kann und sollte nicht sein. Nicht zu leugnen ist auch: Durch das Angebot der Staatsbürgerschaft wird auch die Integration desjenigen Personenkreises erleichtert, über den wir hier heute reden. Wir möchten hier keine Hürden der Integration aufbauen, und da, wo sie vorhanden sind, würden wir sie gerne beseitigen.
Viele andere Staaten – unter anderem die USA und daneben auch viele europäische Staaten, beispielsweise Frankreich und die Niederlande – sind deutlich liberaler in der Anwendung des Staatsbürgerrechts. Auch aus bürokratischer Sicht ist eine Beibehaltung des Optionsrechts nicht sinnvoll. Hierzu gibt eine Studie des Bundesinnenministeriums. Diese bestätigt die Vorbehalte bezüglich des Optionsmodells.
Machen wir uns nichts vor! Was für ein verheerendes Signal ist für junge Menschen, wenn wir ihnen gegen ihren Willen die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen? Sie haben sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden, sich aber nicht um die Entlassung aus der anderen Staatsbürgerschaft bemüht. Das Ergebnis ist, wie gesagt, verheerend und aus meiner Sicht nicht sinnvoll. Ausnahmen gibt es jetzt schon. Mehrstaatlichkeit ist akzeptiert, wenn es sich um EU-Bürger handelt, und auch Schweizer Staatsbürger sind davon ausgenommen. Kinder binationaler Eltern können ebenfalls beide Staatsangehörigkeiten behalten. – Im Gegenteil! Wir sollten ernsthaft überlegen, ob wir hier geborenen Kindern, deren Eltern nur eine Niederlassungserlaubnis besitzen, nicht automatisch bei ihrer Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit geben.
Anzusprechen sind auch die möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken bei der Ausübung des Optionsrechts. Hier sollte Politik verfassungskonform handeln und die Lösung dieser Frage nicht auf das Bundesverfassungsgericht schieben. Ich verweise hier auch ausdrücklich auf die Koalitionsvereinbarung. Wir stehen dazu; wir wollen Einbürgerung erleichtern. Wir unterstützen auch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts.
Wenn das Gesetz jetzt nicht geändert werden kann, dann sollten wir es mit dem Sachverständigenrat der Deutschen Stiftung für Integration und Migration halten: Aussetzen der Optionspflicht ist sinnvoll.
Lassen Sie uns für eine gute Integrations- und Einwanderungspolitik streiten. In eine moderne, globalisierte Welt gehört kein Optionsrecht. Eine moderne Gesellschaft, die auch Einwanderung möchte, kann ohne Optionsrecht leben und handeln.
Vielen Dank, Herr Karge! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Herr Taş das Wort. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist wichtig und richtig, über die Modalitäten der Staatsbürgerschaft zu diskutieren, aber eigentlich geht es um etwas anderes. Es geht um die Frage: Welchen Stellenwert hat die Verleihung beziehungsweise Übernahme der deutschen Staatsbürgerschaft im sogenannten Integrationsprozess tatsächlich? Es dürfte bekannt sein, dass wir, Die Linke, diesen nichtssagenden und deshalb in alle Richtungen dehnbaren Begriff Integration hinter uns gelassen haben. Wir sprechen von Partizipation und
Zurück zu der Frage nach dem Stellenwert der Staatsbürgerschaft. In den Staaten, die sich als Einwanderungsland verstehen, wird die Übernahme der Staatsangehörigkeit als Motivation und Ermunterung dafür gesehen, dass die Menschen sich mehr auf die Gesellschaft einlassen und sich mit ihr identifizieren – wenn Sie so wollen „integrieren“.
In der Bundesrepublik herrscht eine andere Ideologie vor, die Dr. Günther Beckstein als bayerischer Innenminister 2007 so formuliert hat: Einbürgerung ist die Krönung der Integration. – Welch ein einwanderungs- und integrationspolitischer Irrglaube! Glauben diejenigen, die dies formulieren, allen Ernstes, dass sich die Menschen durch ein so schwieriges, langwieriges Einbürgerungsverfahren auf- und angenommen fühlen? Glauben diejenigen, die dies formulieren, allen Ernstes, dass sich die Menschen durch die Ablehnung der Mehrstaatlichkeit auf- und angenommen fühlen? Glauben die Anhänger der Optionsregelung, dass sich die jungen Menschen unter diesem Zwang, etwas, das sie als Teil ihrer Persönlichkeit empfinden, abgeben zu müssen, akzeptiert fühlen? Untersuchungen zeigen, dass für Zuwanderer aus Drittstaaten das größte Hindernis für die Einbürgerung in Deutschland die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit ist. Die Ablehnung der Mehrstaatlichkeit ist die größte integrationspolitische Scheinheiligkeit. Hierzu können Sie auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes studieren.
Dass durch eine hohe Zahl von Mehrstaatlichkeiten großer Schaden entsteht, ist nicht nachgewiesen worden. Ich dachte immer, in einem demokratischen Rechtsstaat dient der Staat den Bürgerinnen und Bürgern und nicht umgekehrt. Ich möchte hierzu einen Politiker zitieren:
Wie sonderbar mag sich der junge Ausländer, der als langjähriger Doppelstaaten-Deutscher gemustert und zur Bundeswehr eingezogen wird, aber direkt nach der Entlassung seine deutsche Staatsangehörigkeit verliert, weil er seine elterliche nicht ausdrücklich aufgegeben hat?
Vielleicht hat er auch mit 18 Jahren bereits als deutscher zum Bundestag wählen dürfen; ein Jahr später zur Landtagswahl ist er infolge der Verfallsfrist nicht mehr berechtigt. Was wirkt an alldem integrativ?
Sie fragen sich, welcher linke Spinner sich das ausgedacht hat. Ich sage es Ihnen: Das war ein Zitat aus einem Artikel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der am 11. Februar 1999 erschienen ist. Geschrieben wurde er von Manfred Kanther, CDU-Bundestagsabgeordneter und Bundesinnenminister von 1993 bis 1998.
Wir von der Linksfraktion unterstützen diesen Antrag. Aber, liebe Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Sie formulieren in der Begründung:
Das im Jahr 1999 von der rot-grünen Koalition reformierte Staatsbürgerschaftsrecht war ein wichtiger Schritt für die gesellschaftspolitische Entwicklung in Richtung Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland.
Das ist nur die halbe Wahrheit, denn Sie – SPD und Grüne – waren es, die entgegen ihren Wahlkampfversprechen 1998 die Möglichkeiten der Mehrstaatlichkeit radikal reduziert und das Optionsmodell eingeführt haben. So kurz ist unser Gedächtnis nun wirklich nicht und auch nicht das der Wählerinnen und Wähler.