Ursprünglich sollte die Reform des Geburtsortsprinzips gleichberechtigt neben dem Abstimmungsprinzip etabliert werden: Doppelte Staatsbürgerschaften für in Deutschland geborene Kinder niedergelassener ausländischer Eltern sollten damit erlaubt sein. Die rot-grünen Reformpläne von 1998/1999 sollten die Zulassung doppelter Staatsbürgerschaften erleichtern. Doch die CDU mobilisierte damals im Rahmen einer ressentimentgeladenen Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft bei der Hessenwahl 1999. Der Verlust der rotgrünen Mehrheit im Bundesrat machte einen politischen Kompromiss nötig und führte schließlich zum heutigen Staatsangehörigkeitsgesetz inklusive der Optionspflichtlösung, das als eine Art befristetes Ius Soli bezeichnet werden kann. Diese blödsinnige Idee mit der Optionsregelung kam schließlich von der FDP.
Heute hetzt die Union wieder gegen die doppelte Staatsangehörigkeit. CDU und CSU wollen die doppelte Staatsangehörigkeit zum Wahlkampfthema machen, wie sie unlängst verkündeten. Innensenator Henkel wetterte in seiner Aschermittwochsrede gegen den Doppelpass. Im
merhin einen Lichtblick gibt es: Ein Herr Ole von Beust, auch Mitglied der CDU, machte sich jüngst zu einem prominenten Fürsprecher.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Dregger. Mir leuchtet es tatsächlich nicht ein, dass Sie an dieser Stelle nicht aufspringen, jubeln und sich euphorisch freuen, weil Sie uns hier im Plenum immer zum Thema Integration erzählen, dass die alle Deutsche werden oder alle Deutsche bleiben sollen. Genau das tun wir mit diesem Gesetz. Solange es die Optionspflicht gibt, passiert beispielsweise jungen Menschen wie der Dame aus Hanau genau das: Sie will sich integrieren, will Deutsche sein und darf es nicht bleiben. Eigentlich müssten Sie derjenige sein, der am vehementesten für die Abschaffung der Optionspflicht eintritt.
Was macht jetzt die SPD? – Sigmar Gabriel hat angekündigt, im Falle eines rot-grünen Wahlsiegs die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen.
Βravo, Herr Gabriel! Auf Landesebene hat Integrationssenatorin Kolat – sie wird gerade vertreten – auf der 8. Integrationsministerkonferenz in Dresden einen Antrag zur Abschaffung der Optionspflicht eingebracht. Bravo, Frau Kolat! Doch prominente SPDler wie der Bezirksbürgermeister Buschkowsky wettern auf CDU-Niveau gegen die doppelte Staatsbürgerschaft via „Bild“-Zeitung und behaupten, sie erleichtere Kriminalität und das Ausnutzen unserer ach so tollen Sozialsysteme.
Was machen die Piraten? – Die Piraten fordern ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Die Piraten setzen sich für die Akzeptanz doppelter und mehrfacher Staatsangehörigkeiten ein, um die Hürde zur Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit und des damit verbundenen Wahlrechts zu senken. Die Piraten fordern die Abschaffung des Zwangs zur Entscheidung für die Staatsangehörigkeit. Die Optionspflicht entspricht nicht der Realität unserer Einwanderungsgesellschaft und gefährdet Integration.
Das integrationspolitische Signal ist fatal. „Ihr gehört nicht dazu! Ihr seid Deutsche auf Abruf!“ Das verunsichert nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Familien und Freunde und birgt die Gefahr, die Integrationspolitik insgesamt unglaubwürdig zu machen.
Vielen Dank, Herr Reinhardt! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziales vom 11. März 2013 Drucksache 17/0890
Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden, und höre auch hierzu keinen Widerspruch.
Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II – Drucksache 17/0825. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Zur Gesetzesvorlage Drucksache 17/0825 empfiehlt der Fachausschuss einstimmig mit allen Fraktionen die Annahme. Wer der Vorlage zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die Linksfraktion und die Piratenfraktion. Gegenstimmen? – Ich sehe keine Gegenstimmen. Enthaltungen? – Ich sehe auch keine Enthaltungen. Dann haben wir das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Berliner Kammergesetzes einstimmig beschlossen. – Vielen Dank.
Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Berlin (Berliner Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz – SVVollzG Bln)
Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung vom 13. März 2013 und dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 20. März 2013 Drucksache 17/0900
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/0900-1
Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der 114 Paragrafen miteinander zu verbinden. Gibt es hierzu Widerspruch? – Einen solchen sehe ich nicht.
Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Paragrafen 1 bis 114 der Drucksache 17/0689. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Behrendt. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kollegen! Lieber Herr Justizsenator! Wir kommen mit dem Gesetz zur Berliner Sicherungsverwahrung zu einem der größeren Gesetzgebungsverfahren, die dieses Haus in den letzten Jahren durchgeführt hat. Das Gesetz ist handwerklich ordentlich, aber kein großer Wurf. Die Hausaufgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, die Sicherungsverwahrung im Land bis zum Mai 2013 neu zu ordnen und auf eine taugliche Grundlage zu stellen, werden erfüllt. Jede rechtspolitische Innovation bleibt aber aus.
Die Struktur des Gesetzes atmet weiterhin den Geist eines Vollzugsgesetzes. Die Chance, mit diesem Gesetz kenntlich zu machen, dass die Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und des Bundesverfassungsgericht verstanden und verinnerlicht wurde, wurde vergeben. So zieht sich ein Verständnis der Verwahrten als störende Gefangene wie ein roter Faden durch das Gesetz, denen Vorgaben zu machen sind, aber kaum konkrete Rechte zugebilligt werden. Deshalb wollen wir mit unserem Änderungsantrag an vielen Stellen aus vorhandenen Soll- oder Kann-Regelungen konkrete einklagbare Rechte der Verwahrten machen, beispielsweise beim Langzeitbesuch.
Der Angleichungsgrundsatz fordert von uns, das Leben der Verwahrten wie draußen zu gestalten, nur mit Mauer, also mit dem Entzug der Freiheit. Dies wollen wir auch beim Nachteinschluss so halten. Entgegen dem Entwurf sollen sich die Verwahrten auch nachts frei im Gebäude bewegen dürfen und nur bei konkreten Gefahren für die Sicherheit in ihren Hafträumen verbleiben müssen. Hierher gehört auch die Regelung zum Disziplinarverfahren. Sind solche gegenüber Strafgefangenen noch nachvollziehbar, sind sie für Sicherungsverwahrte unserer Auffassung fehl am Platz. Wenn Brandenburg ohne solche Regelungen auskommt, sollte es Berlin auch gelingen.
Ein großes Zukunftsthema für den gesamten Vollzug ist die Nutzung moderner Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten. So wie draußen kaum noch Briefe, sondern E-Mails oder SMS geschrieben werden, muss dies auch hinter Mauern möglich werden. Ich sage Ihnen heute voraus, dass es in 20 Jahren zum Standard in allen deutschen Knästen gehören wird, das Internet zu nutzen, so wie heute das Telefon. Wir könnten uns an die Spitze der Bewegung setzen und bei dem überschaubaren Kreis der Sicherungsverwahrten erste Erfahrungen sammeln, oder wir können – dafür hat sich leider die Koalition entschieden – diese Entwicklung verschlafen. Die Formulierung vom modernen und humanen Strafvollzug in Ihrem Koalitionsvertrag wird jedenfalls mit ihrer doppelten Versagungsmöglichkeit in diesem Gesetz nicht erfüllt.
Schlussendlich ist die Begleitforschung zu intensivieren. So fordert das Bundesverfassungsgericht, dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof an dieser Stelle folgend, vollkommen zu Recht eine individuelle Betreuung der Sicherungsverwahrten durch ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte. Ohne begleitende Evaluation und Einbeziehung aktueller kriminologischer Erkenntnisse, die wir in unserem Änderungsantrag ausdrücklich fordern, wird dies kaum gelingen.
Wir werden bei den anstehenden Haushaltsberatungen sehr aufmerksam beobachten, ob Sie die Ansätze, die Sie in Ihrem Gesetz – das ist ja zu konstatieren – durchaus zu einer besseren Betreuung der Verwahrten drin haben, mit dem entsprechenden Personal untersetzen, denn sonst gilt auch hier: Ein Grund, um die wenigen Rechte der Verwahrten wegen Personalmangel einzuschränken, ist schnell zu Hand.
Es ist auch noch an etwas Zweites zu erinnern. Das Bundesverfassungsgericht hat uns zum einen aufgegeben, das Gesetz bis Mai zu schaffen, und zum anderen eine verfassungsgemäße Unterbringung. Die Baumaßnahme wird nicht fertig werden. Der Senator hat sich zwar heute Vormittag feiern lassen, dass Heidering fertig geworden ist. Die Baumaßnahme in Tegel für die Unterbringung der Sicherungsverwahrten wird nicht im Mai fertig sein, sondern vermutlich erst Ende des Jahres, und wir gehen sehenden Auges in rechts-, wenn nicht sogar verfassungswidrige Zustände. Das wäre anders gegangen.
Ich fasse zusammen: Wenn wir den zivilisatorischen Grad der Berliner Gesellschaft am Umgang mit den Sicherungsverwahrten messen, kann das Urteil für das Gesetz der Koalition als Schulnote gesprochen nur eine 3 minus sein. Mit unseren Änderungsanträgen und einer entsprechenden Praxis – auf die kommt es entscheidend an – näherten wir uns der 1. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Herr Behrendt! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Özkaraca. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zur Abstimmung vorliegenden Sicherungsverwahrungsgesetz haben wir zwei Interessen in einen Ausgleich zu bringen. Auf der einen Seite besteht das Interesse der Allgemeinheit an größtmöglicher Sicherheit und dem Schutz vor schwerwiegenden Straftaten. Auf der anderen Seite gibt es das Interesse der Untergebrachten an der Realisierung ihrer individuellen Freiheits- und Persönlichkeitsrechte. Wir wissen, dass die Untergebrachten ihre jeweilige Strafe verbüßt haben. Wir wissen auch, dass ihnen die Freiheit vorenthalten wird, weil die Gefahr besteht, dass sie erneut schwere Straftaten begehen. Aus diesem Grund haben wir der Verwaltung mit diesem Gesetz das Ziel der Verwahrung eindeutig vorgegeben. Das Ziel lautet nicht, wie ein bekannter Politiker einmal sagte, wegsperren, und zwar für immer. Nein, das Ziel dieses Gesetzes lautet, die Gefährlichkeit der Untergebrachten für die Allgemeinheit zu mindern, sodass die Vollstreckung dieser Maßregel so schnell wie möglich beendet werden kann.
Die Anhörung der Sachkundigen im Rechtsausschuss hat ergeben, dass es bereits im ersten Entwurf gelungen war, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil vom 4. Mai 2011 umzusetzen. Das war uns auch sehr wichtig. Es bestehen keine Widersprüche zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Dennoch haben wir es uns nicht leicht gemacht. Nach der ausführlichen Anhörung im Rechtsausschuss wurden von der Koalition 15, von der Opposition insgesamt 81 einzelne Änderungsvorschläge konstruktiv und intensiv beraten. Etliche Änderungsvorschläge der Opposition sind in diese Beschlussvorlage mit eingeflossen.