Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.
a) Keine verdachtsunabhängigen Maßnahmen an kriminalitätsbelasteten Orten durch die Berliner Polizei – Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG Berlin)
Ich eröffne zum Gesetzesantrag die erste Lesung. Von nun an stehen den Fraktionen für alle weiteren Beratungen die Kontingente der Gesamtredezeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 unserer Geschäftsordnung zu. In der Beratung beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lauer. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Gefahrengebiete in Hamburg haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte in Berlin gelenkt. Mit dem vorliegenden Antrag auf Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes Berlins beantragt die Piratenfraktion die Streichung der Gefahrengebiete in Berlin. Oder auf Deutsch: Die Gefahrengebiete müssen weg.
Warum müssen die Gefahrengebiete weg? – Sie sind intransparent und ineffizient. Sie schaden mehr, als sie nutzen, und sie sind kriminalpolitisch widersprüchlich und verfehlt.
Aber bevor ich hierauf genauer eingehe, noch mal grundsätzlich: Jede Berlinerin, jeder Berliner hat das Recht, erst mal vom Staat in Ruhe gelassen zu werden, und das nennt man Grundrechte. Die sind als Abwehrrechte gegenüber dem Staat gedacht, und aus diesen Abwehrrechten folgt, dass dann, wenn die Polizei versucht, Maßnahmen durchzuführen, dies nur auf eine Gefahrensituation hin passieren darf. Deshalb haben wir den Gefahrenbegriff im ASOG. Erst wenn eine Gefahr konkret vorliegt und begründet werden kann, darf die Polizei in Grundrechte der Berlinerinnen und Berliner eingreifen. Hiervon weicht die Regelung der Gefahrengebiete, der kriminalitätsbelasteten Orte, die wir abschaffen wollen, ab, denn sie macht den polizeilichen Eingriff von der Beschaffenheit eines Ortes abhängig und nicht von irgendeiner konkreten Gefahr.
Einfaches Beispiel: Die Polizei erklärt jetzt die linke Seite des Plenarsaals zum Gefahrengebiet, und die rechte bleibt normal. Auf der linken Seite des Plenarsaals dürfte die Polizei ohne jegliche Begründung die Identität feststellen.
Aber da sehen Sie wieder das Problem – darauf komme ich nachher noch –: Sie werden subjektiv festgelegt. – Zurück zu meinem Beispiel: Auf der linken Seite könnte man also die Identität feststellen und Personen und Sachen durchsuchen, aber auf der rechten dürfte man das nur, wenn es dort den konkreten Anlass einer Straftat gibt. Es kann aber nicht sein, dass sich Menschen in dieser Stadt nur deshalb Polizeikontrollen unterziehen müssen, weil sie am falschen Ort sind.
Diese Regelung, wie wir sie im Moment haben, öffnet der Willkür Tür und Tor. Sie ist nicht Ausdruck von Weltoffenheit, sondern von Ängstlichkeit, und sie muss weg.
Warum sind diese Gefahrengebiete intransparent? – Sie werden in einem Geheimverfahren durch die Polizei festgelegt. Es gibt weder einen Richtervorbehalt noch eine parlamentarische Kontrolle. Der Senat sagt dem Parlament nicht mal, nach welchen konkreten Kriterien die Polizei die einzelnen Orte festlegt. Die Gefahrengebiete werden der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt, was absurd ist, denn Hinweisgeber aus der Innenverwaltung haben die Orte ja bereits an die Presse geleakt. Darüber hinaus veröffentlicht die Innenverwaltung einen Kriminalitätsablass. – Ablass! Entschuldigung, aber ich bin noch von dieser Steuerhinterziehungsdebatte eingenommen. – Also richtig: Die Innenverwaltung veröffentlicht einen Kriminalitätsatlas. Das heißt, sie sagt postleitzahlengenau, wo in Berlin Kriminalität stattfindet. Das ist okay,
aber wenn sie der Polizei in Berlin Sonderrechte gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern einräumt, dann ist es nicht okay, das zu veröffentlichen. Durch diese Blockadehaltung des Senats und der Polizei wird die Kontrollbefugnis des Parlaments eingeschränkt.
Warum sind die Gefahrengebiete ineffizient? – Weil es keine Zahlen gibt! Es gibt keine Statistik, keine Auswertung dazu, was die Gefahrengebiete bringen oder nicht bringen. Wir müssen uns leider darauf verlassen, was die Polizei behauptet: Es sei ein unerlässliches Ermittlungsinstrument. – Das kennen wir von der Funkzellenabfrage. Das kennen wir von der Kameraüberwachung. Das kennen wir von der stillen SMS. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, wie man sinnvoll Kriterien formulieren soll, um die Effektivität der Gefahrengebiete zu messen. Wir Piraten lehnen diese Sicherheitsesoterik entschieden ab.
In der Kommentierung dieses Gesetzes wird auch noch mal darauf hingewiesen, dass sich die Gefahrengebiete auf solche Straßen, Plätze oder Räumlichkeiten beziehen, bei denen die „Häufung dunkler Existenzen zu einer polizeilichen Gefahr“ wird. Das ist ein Zitat aus dem Kommentar. Die Häufung dunkler Existenzen! „Dunkle Existenzen“ – was soll das konkret sein? Es ist nicht definiert. Wir müssen uns da auf das Bauchgefühl der Polizei verlassen, und das bringt mich zu meinem nächsten Punkt: Warum schaden diese Gefahrengebiete mehr, als sie nutzen?
Fassen wir zusammen: Entgegen dem gängigen Gefahrenbegriff werden der Polizei Eingriffsrechte aufgrund der Örtlichkeit eingeräumt. Es ist nicht nachzuvollziehen, nach welchen Kriterien das passiert. Es gibt keinen Richtervorbehalt. Es gibt keine parlamentarische Kontrolle. Die Öffentlichkeit wird nicht informiert, wo diese Gefahrengebiete sind. Die Polizei kann nicht sagen, wie effizient die Maßnahme ist. Dieser Eingriff in Grundrechte ohne Nachweis eines Nutzens ist verfassungsrechtlich unverhältnismäßig.
Die Betroffenen werden stigmatisiert. Stellen Sie sich einfach mal vor, dass Sie sich durch ein Gefahrengebiet bewegen! Sie machen nichts, Sie werden kontrolliert, weil es die Polizei halt darf und kann, und Sie werden dabei von Passanten beobachtet. Die denken sich: Na ja, wenn die Polizei da jetzt etwas macht, dann wird das schon okay sein.
Diese Regelung öffnet auch die Tür, der Polizei vorzuwerfen, sie mache Racial Profiling, denn Polizistinnen und Polizisten im Einsatz müssen auf ihr Bauchgefühl zurückgreifen. Es gibt ja keine konkrete Gefahrensituation, und sie bedienen sich dann natürlich auch ihrer
Vorurteile. Also wird nach Erscheinungsbild kontrolliert. Nehmen wir den Görlitzer Park, der ein Gefahrengebiet sein soll – ich weiß es nicht genau, denn es wird mir als Parlamentarier nicht erzählt –: Wen kontrolliert die Polizei dort? Ein schwäbisches Pärchen vom Prenzlauer Berg, das gerade Urlaub in Kreuzberg macht, Günter Wallraff, der sich als Afrikaner verkleidet, oder Leute, die deutsch sind, aber irgendwie afrikanisch, asiatisch oder türkisch aussehen? Nach welchen Kriterien kontrolliert die Polizei? – Das ist nicht ersichtlich, und das stärkt dann auch nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Polizei dieser Stadt.
Außerdem sind die Gefahrengebiet widersprüchlich und verfehlt. Ich denke, ich konnte das in meiner Rede deutlich machen, sodass Ihnen jetzt nichts anderes übrig bleibt, als unserem Gesetzesentwurf zuzustimmen und dieser grundrechtsfeindlichen Sicherheitsesoterik in Berlin ein Ende zu setzen. – Vielen lieben Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gerade wieder eine Melange von Vorurteilen von Herrn Lauer gehört.
Ja, Vorurteile! Sie haben uns gegenüber mit dem Vorwurf der Vorurteile gearbeitet, und ich sage, Sie haben Vorurteile gegenüber all dem, was an Kontrollmaßnahmen möglicherweise stattfindet. Sie haben auch wieder etwas durcheinander gebracht: Es geht bei der Fragestellung eben nicht um Racial Profiling, sondern um andere Fragen.
Aber ich fange mit dem Gesamtkontext an: Wir haben schon im Innenausschuss das Thema intensiv besprochen. Wir hatten dafür auch extra eine Sondersitzung angesetzt. Ich gebe zu, dass es aus populärpolitischen Gründen sicherlich Freude macht und vielleicht auch interessant wäre, diese Frage breit zu diskutieren und zu wissen, welcher Standort gerade kriminalitätsbelastet ist. Aber das kann nicht Maßgabe und Leitlinie der Politik sein. Weder im Ausschuss noch heute ist mir in einer Güterabwägung klar gemacht worden, welche Vorteile die Veröffentlichung der kriminalitätsbelasteten Orten haben sollte. Im Gegenteil, aus meiner Sicht überwiegen die Nachteile, aber dazu später mehr.
Um was geht es in dieser Fragestellung eigentlich? – Es geht um nachgewiesene kriminalitätsbelastete Orte in
Berlin. Hier bedarf es eines konkreten Einzelverdachtes, es wird jedoch nicht auf eine bestimmte Person oder einen bestimmten Anlass abgestellt. Die Zulässigkeit dieser Orte hängt ausschließlich davon ab, ob die entsprechende Kriminalitätsbelastung konkret nachgewiesen ist oder nicht. Es ist nicht so, wie Sie sagen, dass es im Belieben einer Polizeidirektion oder eines einzelnen Polizisten liegen könnte.
[Heiko Herberg (PIRATEN): Keinen Vortrag, sondern der Abgeordnete soll eine freie Rede halten! Das steht in der Geschäftsordnung! – Weitere Zurufe]
Ja, ist ja gut! Dann nehmen Sie sich mal an Ihren eigenen Kollegen ein Beispiel. – Wichtig ist auch zu wissen, dass eine solche Örtlichkeit als einheitliche Szene dargestellt wird. Die Zulässigkeit dieser Maßnahme hängt also ausschließlich davon ab, ob es eine entsprechende Kriminalitätsbelastung gibt und ob diese nachgewiesen ist.