Protokoll der Sitzung vom 20.02.2014

Ebenfalls vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Steuerhinterziehung aktiv entgegentreten

Dringlicher Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion auf Annahme einer Entschließung Drucksache 17/1462

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von wiederum grundsätzlich bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Über die Wirkung, falls die fünf Minuten überschritten werden, hatte ich Sie bereits informiert. Die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt, und ich erteile Kollegin Pop das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU zieht es vor, hauptsächlich abwesend zu sein. Das Thema ist auch unangenehm. Keine Frage! Wie unangenehm Ihnen – und vor allem der SPD – das Thema ist, das wir heute debattieren wollen, sieht man auch daran, dass Sie versucht haben, diese Debatte nach Möglichkeit zu vermeiden, sie nach hinten zu schieben und sie ungeschehen zu machen, als ob man Skandale ungeschehen machen könnte. Dazu haben Sie auch noch das wichtige Thema „Zukunft des Tempelhofer Feldes“ in

(Philipp Magalski)

strumentalisiert, obwohl Sie nichts Neues zu verkünden hatten. Das kann man pure Verzweiflung nennen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN) und Andreas Baum (PIRATEN)]

Wir haben die Sofortabstimmung über unseren Antrag beantragt und sind sehr gespannt, wie Sie sich dazu verhalten werden – vor allem Sie von der SPD. Der eine oder andere Textteil wird Ihnen bekannt vorkommen, denn er findet sich so oder so ähnlich in Ihren Aufrufen und Wahlprogrammen wieder. Aber vielleicht erleben wir heute ja auch eine SPD, die gegen das eigene Wahlprogramm stimmt. Ich bin mir nicht mehr sicher, was bei Ihnen noch alles möglich ist.

Ich finde, dass sich der Regierende Bürgermeister heute hier hätte erklären müssen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dass Skandale noch lange nicht damit beendet sind, dass man sie selbst großspurig für beendet erklärt, haben Sie in den letzten Tagen, glaube ich, ziemlich deutlich zu spüren bekommen. Bis heute konnten Sie nicht schlüssig darlegen, warum Sie im Juli 2012, als Ihnen André Schmitz, ihr damaliger Staatssekretär, von seinem Steuerbetrug berichtete, nichts unternommen haben. Sie haben geschwiegen und gehofft, dass es nicht auffliegt, nehme ich an. Lag es vielleicht daran, fragt man sich, dass Sie selbst im Juli 2012 wegen der verpatzten BEREröffnung mächtig unter Druck standen? Hatten Sie Angst, dass ein weiterer Skandal Sie aus dem Roten Rathaus treiben würde?

Sie haben geschwiegen und sind in einen Bundestagswahlkampf gezogen, in dem die SPD Steuerhinterziehung zu ihrem wichtigsten Thema machte. Da waren Sie munter an vorderer Stelle dabei – beim Wettern gegen Steuerbetrüger und bei den Sonntagsreden zur Steuergerechtigkeit. Im Wahlkampf klang das dann so von Ihnen, wenn ich das zitieren darf:

Wir brauchen Gerechtigkeit im Steuersystem. Steuerbetrug muss als Straftat geahndet werden. Gesetze müssen für alle gelten, für die Meiers oder Schulzes, aber auch für Präsidenten von Fußballvereinen.

Meiers, Schulzes, Schmidts – na ja, Schmitz dann wohl nicht an der Stelle! Und bei alledem, als Sie das vortrugen, wussten Sie um das hässliche, kleine Geheimnis des Steuerbetrugs von André Schmitz. In den Talkshows haben Sie andere für Steuerbetrug lautstark gegeißelt, doch bei Ihrem Staatssekretär fanden Sie Verständnis dafür. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Ach, das sind doch nur Peanuts? Steuerbetrug ist tatsächlich keine Petitesse. Herr Wowereit! Wir alle – und Sie waren lange genug Haushälter, um das zu wissen – sind darauf angewiesen, dass unser Gemeinwesen solide finanziert

ist, denn nur so kann es tatsächlich auch funktionieren. Kitas, Schulen, U-Bahnen, Busse, Straßen, Polizei und Feuerwehr und vieles andere mehr stehen sonst auf dem Spiel.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN) und Simon Kowalewski (PIRATEN)]

Deswegen kann man sein Geld nicht einfach dem Gemeinwesen entziehen. Das ist Betrug, das ist Steuerbetrug.

[Unruhe]

Erst recht erwarten die Bürger, dass gerade Politiker sich an Recht und Gesetz halten und dass Politiker nicht den Bürgern das abverlangen, was sie selbst nicht zu leisten bereit sind. Ich frage mich, was ein normaler Mensch denken soll, der sich jährlich durch Hundertausende Seiten Steuererklärung wühlt.

[Zuruf]

Ja, es sind weniger Seiten, Herr Böhning! Ich weiß ja nicht, wie dick Ihre Steuererklärung ist und wo sie stattfindet. – Wenn dann das Finanzamt dem normalen Steuerbürger zurückschreibt: Ihre Entfernungspauschale beträgt nicht ganz 21,5 Kilometer, sondern es sind 17,8 Kilometer. Das haben wir noch mal nachgerechnet – –

[Unruhe]

Entschuldigung, Frau Kollegin! Darf ich mal kurz unterbrechen? – Würden Sie bitte die Gruppenbildung dort sein lassen und der Rednerin zuhören! – Danke schön!

Ach, die Herren sind für Zuhören sowieso nicht bekannt. – Was soll der normale Bürger denken, wenn er dann akribisch dem Finanzamt das eine oder andere nachliefern muss? Es ist ja auch richtig. Der normale Steuerzahler hat aber meistens keine guten Freunde wie Sie, die ihm an der Stelle einen Freundschaftsdienst erweisen. Einen Freundschaftsdienst, mit dem Sie einsam und selbstherrlich beschlossen haben, einen Steuerbetrüger im Amt zu belassen! Selbst das vorgeschriebene Disziplinarverfahren haben Sie nicht auf den Weg gebracht. Kommen Sie uns nicht mit Gutachten, die Anfang dieses Monats auf Kosten der Steuerzahler nur zu einem Zweck angefertigt worden sind, nämlich zur Öffentlichkeitsarbeit! Rechtfertigung – PR-Gutachten sind das! Am besten war noch das Gutachten des besorgten Bürgers Momper, das er Ihnen hat zukommen lassen. Das ist doch wunderbar. So viel bürgerschaftliches Engagement wünscht man sich, nicht wahr?

Sie selbst brauchten damals gar keine juristische Beratung. Sie haben Ihre Entscheidung aus Loyalität ge

troffen, sagen Sie. Bei allem Respekt vor Freundschaft und Loyalität, aber wenn politische Amtsträger, gar Staatsorgane, sich gegenseitig aus Loyalität decken, wird aus Loyalität schnell Kumpanei oder gar Vetternwirtschaft.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Als die Angelegenheit öffentlich wurde, kam es dann doch zum unvermeidlichen Abgang des Staatssekretärs. Damit ist erst recht der Eindruck entstanden, dass da gemauschelt und verheimlicht wird. Es ist der Eindruck entstanden: Steuerbetrug ist im Roten Rathaus akzeptabel, und zwar so lange, wie die Öffentlichkeit davon nichts erfährt. – Das finde ich unerhört.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Als man dachte, schlimmer geht’s nimmer, wurde es tatsächlich schlimmer. Letzte Woche wurde Staatssekretär Schmitz entlassen, aber an diesem Dienstag nun die Rolle rückwärts: Aus der Entlassung wurde ein mit Steuergeld weich gepolsterter Ruhestand. Das setzte dem Ganzen die Krone auf. Dieses letzte Kapitel hat endgültig gezeigt, dass Peinlichkeit in Berlin den Namen SPD trägt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Herr Wowereit! Sie haben den Eindruck nicht entkräften können, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin in Sachen Steuerhinterziehung mit zweierlei Maß misst. Das schadet unserer Stadt und beschädigt das Vertrauen in die Politik, wenn nur noch der Eindruck vorherrscht: Die da oben sind sich immer selbst die Nächsten. – Wir sehen es auch in der großen Koalition auf Bundesebene, wenn die Politik die staatlichen Institutionen für eigene Zwecke missbraucht und keinerlei Unrechtsbewusstsein dabei zeigt, wenn der Eindruck entsteht, dass die Gesetze nicht mehr für alle gelten und die Politik sich selbst über Recht und Gesetz stellt.

Ich frage mich, ob Sie überhaupt noch etwas merken. Wie abgehoben sind Sie eigentlich? Herr Wowereit! Nicht nur, dass Sie selbst Ihren vielbeschworenen Mentalitätswechsel, mit dem Sie 2001 angetreten sind, vergeigt haben, und zwar richtig, sondern wie wollen Sie eigentlich noch jemandem erklären, dass Haushaltsdisziplin oder verantwortlicher Umgang mit öffentlichen Geldern von Bedeutung sind? Sie haben Ihre Glaubwürdigkeit und die der SPD in Sachen Steuergerechtigkeit gnadenlos verspielt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Nicht zuletzt frage ich mich, ob Sie selbst tatsächlich so unglaublich geschickt alles aussitzen, wie es jetzt heißt, um bloß im Amt zu bleiben, oder ob man Sie dafür bedauern muss, dass Sie schlichtweg im Roten Rathaus

bleiben müssen, weil die SPD einfach noch keinen anderen gefunden hat.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Oder keine andere!]

Sie müssten langsam zum Ende kommen, Frau Kollegin!

Ich finde es unfassbar, dass unsere Stadt für die SPDinternen Machtkämpfe inzwischen in Geiselhaft genommen wird. Doch bald ist Europawahl. Da wird sich schon zeigen, was die Bürgerinnen und Bürger davon halten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Danke schön, Frau Kollegin Pop! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Kollege Schneider das Wort. – Bitte sehr!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Pop! Wie man eine solche Gelegenheit mit einer solchen Rede derart versemmeln kann, müssen Sie mal Ihrer Fraktion erklären. Ich fand das jedenfalls nicht besonders bemerkenswert.

[Beifall bei der SPD – Zurufe von den GRÜNEN]

Ich will zu Ihrem Antrag reden und mich nicht an der Polemik beteiligen. Der Antrag enthält in Punkt 3 die Forderung:

Das Land Berlin muss Steuerhinterziehung durch mehr Steuerprüfungen und mehr Steuerprüferinnen und Steuerprüfer erschweren.

Das finde ich sehr positiv und unter zweifachem Gesichtspunkt bemerkenswert.