Protokoll der Sitzung vom 20.02.2014

bleibt es festzuhalten, dass die große Koalition das Thema Menschenhandel sehr ernst nimmt,

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Textbausteine!]

und zwar rede ich hier sowohl von der großen Koalition im Bund als auch von der großen Koalition hier in diesem Land. Die CDU-Fraktion hat sich aus erster Hand durch eine fachkundige Staatsanwältin über dieses Thema informieren lassen. Dabei wurde uns deutlich, dass die Ausbeutung von Frauen zu den schlimmsten Verbrechen gehört, da dieser Zustand für die Betroffenen nachhaltig wirkt und über längere Zeit anhält. Daher gilt es auch, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für diese Form der Kriminalität verantwortlich sind. Deshalb sind wir vor allem darauf angewiesen, dass die betroffenen Frauen als Zeuginnen im Strafprozess aussagen. Daher ist es auch richtig, diese Aussagen durch großzügige Einzelfallregelungen in Bezug auf aufenthaltsrechtliche Genehmigungen zu motivieren.

Aber auch heute reden wir wieder einmal über eine Rechtsgrundlage, die dieses Land überhaupt nicht schaffen kann, sondern die in der Verantwortung des Bundes steht. Die Passagen in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene hat Frau Dr. Czyborra schon vorgetragen. Das kann ich mir an der Stelle sparen. Das, was dort in dieser Intention steht, wird im Antrag durch die Forderung unterstrichen, dass die Aussagebereitschaft nicht durch die Sorge um den Aufenthaltstitel gefährdet werden darf. Ich glaube, das macht die ganze Sache ziemlich deutlich. Das ist eine richtige und faire Regelung im Sinne aller Beteiligten. Um hier von vornherein – übrigens auch im Sinne der wirklich Betroffenen – einem möglichen Missbrauch dieser fairen Regelung vorzubeugen, wird festgelegt, dass es auch Mechanismen zur Überprüfung geben muss, die verhindern, dass in Einzelfällen Personen eine Opferrolle vortäuschen, um einen Aufenthaltstitel zu erwirken. Natürlich kann man das hier wort- und pathosgewaltig kritisieren, aber glauben Sie mir, die Sie sich daran hochziehen: Keine der ernsthaft betroffenen Frauen wird sich an dieser Formulierung stören, denn die haben wahrlich andere Probleme,

[Evrim Sommer (LINKE): Die wollen einen Aufenthaltsstatus!]

Probleme, bei denen wir als Staats- und Rechtsgemeinschaft helfen müssen. Daher ist hier nach einigen Überle

gungen ein Antrag entstanden, der Ihre Zustimmung verdient hat. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Dr. Juhnke! – Für die Piratenfraktion hat Herr Kowalewski das Wort. – Bitte sehr!

Geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Linksfraktion, dass wir diese politische Tragikomödie heute als Priorität behandeln können. Das führt leider immer noch nicht dazu, dass besonders viele Kolleginnen und Kollegen anwesend sind.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Das wird nicht besser!]

Um es für unsere Gäste – auch von mir ein herzliches Willkommen – zu erläutern, denn sonst würde es ja niemand verstehen, skizziere ich kurz die traurige Geschichte, um die es hier geht. Am 25. November 2012, am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, haben wir diesen Antrag gemeinsam mit der Linken und den Grünen gestellt. Im Plenum fand dann die erste Lesung des Antrags statt, der federführend in den Innenausschuss und in den Ausschuss für Arbeit, Integration und Frauen verwiesen wurde. Letzterer hat ihn dann auch recht bald, zumindest für die hiesigen Verhältnisse, nämlich am 24. Januar auf die Tagesordnung gesetzt. Da kam dann, überraschend als Tischvorlage von SPD und CDU, ein Änderungsantrag, und zwar diese Generalverdachtsklausel, über die schon relativ viel gesprochen wurde. Sie können das gerne noch mal nachschauen, das ist die Nr. 2 in der Beschlussempfehlung. Diesen neuen Absatz haben die antragstellenden Fraktionen klar abgelehnt, denn schließlich ist es ein gewaltiger menschenverachtender Zynismus, Opfern von Menschenhandel den Missbrauch einer Bleiberechtsregelung generell erst einmal zu unterstellen, zugleich aber zu schreiben, dass nicht der Eindruck einer Vorverurteilung entstehen darf.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Ja!]

Den Änderungsantrag haben wir abgelehnt und uns zum geänderten Antrag der Stimme enthalten; beides wurde natürlich durch die Regierungsmehrheit angenommen. Dann hätte sich der Innenausschuss mit dem Antrag auseinandersetzen müssen, es passierte aber lange Zeit nichts. Vielleicht wollten sich SPD und CDU erst einmal weiterbilden, auf jeden Fall wollten sie Zeit schinden, denn am 22. März haben Sie, auch wieder im Ausschuss für Arbeit, Integration und Frauen, den Besprechungspunkt „Aufenthaltsrechtliche Probleme beim Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel“ beantragt. Die Besprechung wurde dann auch am 5. September durchgeführt. Eingeladen war, wir haben es schon gehört, eine Vertreterin von IN VIA. – Das war Ihre Expertin, liebe Christ

demokraten! – Die hat die Auffassung, die dem Originalantrag zugrunde lag, in voller Länge bestätigt, dass nämlich die Art, wie das Bleiberecht gehandhabt wird, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für eine sinnvolle Verfolgung der Täter katastrophal sei. Da haben Sie vielleicht nicht so genau zugehört, Frau Dr. Czyborra, wenn Sie diesen Punkt bei der Anhörung nicht mitbekommen haben.

Die Anhörung wurde am 28. November ausgewertet; da lag dann schon der schwarz-rote Koalitionsvertrag auf Bundesebene vor. Den haben Sie ja, Frau Dr. Czyborra, in voller Länge quasi zitiert, alles, was da zum Thema Menschenhandel drinsteht – ist ja nicht viel. Was da aber auf jeden Fall drinsteht, ist eben auch wieder die Verknüpfung von Bleiberecht und Nützlichkeit. Das war genau das, was wir in der Expertenanhörung auch mitbekommen haben, dass es extrem schädlich ist, diese beiden Sachen so miteinander zu verbinden.

Die Fraktion Die Linke hat dann einen Zwischenbericht des Innenausschusses angefordert, denn irgendwann sollte da ja schon noch mal was passieren. Der wurde zum Anlass genommen, das Thema in der Sitzung am 9. Dezember im Innenausschuss auf die Tagesordnung zu setzen. Dort kam dann von SPD und CDU ein noch weitergehender Änderungsantrag. Außer diesem Absatz, um den es vorhin ging, sollte plötzlich Nr. 3 des Originalantrags ersatzlos gestrichen werden, der den Senat nur dazu aufgefordert hat, sich dafür einzusetzen, dass die Bundesrepublik geltendes EU-Recht korrekt umsetzt. Da waren wir dann wirklich wütend, und zwar nicht nur, weil der Antrag komplett verwässert wurde, sondern weil er in sein komplettes Gegenteil verkehrt wurde. Das hat die Koalition zum Anlass genommen, den Antrag zu vertagen, und so ging es erst am 13. Januar weiter. Dieses Mal kam die überarbeitete Version des Änderungsantrags: Punkt 3 sollte nicht mehr gestrichen, sondern so abgeändert werden, wie es in Punkt 1 der Beschlussempfehlung steht. Eine echte Nullaussage! Zitat:

Die Aussagebereitschaft im Strafverfahren soll nicht durch die Sorge um den Aufenthaltstitel gefährdet werden.

Nachdem Sie allen Opfern von Menschenhandel im gleichen Antrag unterstellen, potenzielle Bleiberechtsbetrüger zu sein! Das ist einfach nur lachhaft und unmenschlich!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Nun hat die Opposition nicht nur im Ausschuss, sondern auch heute keine andere Möglichkeit mehr, als den Antrag abzulehnen. Sie von der Koalition können sich jetzt feiern, weil Sie ja im Interesse der Opfer von Menschenhandel sogar einem Oppositionsantrag zustimmen. Die Menschen, die sich mit Menschenhandel auskennen, entweder weil sie sich mit dem Thema auseinandersetzen, so wie Frau Eritt, oder weil sie selbst Opfer von Men

schenhandel geworden sind, bleibt nur übrig, voller Unverständnis mit dem Kopf zu schütteln. Das war es! Alle ab, Vorhang! Die Moral müssen Sie selbst bewerten! – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Kollege Kowalewski! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag Drucksache 17/0653 empfiehlt der Innenausschuss mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Annahme mit Änderungen. Wer dem Antrag mit den Änderungen der Beschlussempfehlung Drucksache 17/1407 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? – Das sind Linke, Grüne und Piraten.

[Dr. Gabriele Hiller (LINKE): Auszählen!]

Wer enthält sich? – Ersteres war die Mehrheit, damit ist der Antrag angenommen.

[Dr. Gabriele Hiller (LINKE): Schauen Sie sich einfach mal um!]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.4:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 29

Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete – Vorgriffsregelung für Berlin jetzt!

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/1457

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von grundsätzlich bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnen die Piraten. Herr Kollege Reinhardt hat das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns in den Plenarsitzungen ja häufiger mal mit Asylfragen – ich weiß, die Kolleginnen und Kollegen zu unserer Rechten wissen das immer sehr zu schätzen. Wir haben schon viel zu Asylregelungen in Europa und Deutschland gesprochen, wir haben über Verfahrensregelungen und vieles Weitere gesprochen. Jetzt haben wir allerdings einen Antrag der Piratenfraktion vorliegen, der auf ein ganz besonderes Maß an Ungerechtigkeit hinweist. Es gibt eine besonders problematische Situation, die eine riesige Gruppe von Menschen in Deutschland betrifft. Momentan leben etwa 86 000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland, rund 36 000 davon bereits länger als sechs Jahre. Diese Menschen sind seit Jahren gezwungen, ein Leben auf Abruf zu führen. Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland ist

(Simon Kowalewski)

für die allermeisten von ihnen undenkbar; in Deutschland sind sie zugleich nur befristet geduldet. Immer wieder droht ihnen die Abschiebung. Sie alle können ihre Zukunft nicht gestalten, weil sie in Deutschland keine sichere Lebensperspektive haben. Das sind fast 100 000 Menschen, die hier leben, nicht in ihre Heimat zurückkehren können, sich hier aber auch nichts aufbauen können.

Mit einem altersunabhängigen und stichtagslosen Bleiberecht würde genau diesen Menschen eine Perspektive in Deutschland gegeben. Mit dieser Meinung und Aussage stehen wir nicht alleine da. Das sehen sogar CDU und SPD auf Bundesebene so, und deswegen wurde genau diese Forderung in den Koalitionsvertrag der großen Koalition hineinverhandelt. Genau das sieht auch der Senat so. Frau Kolat! Ihre Abteilungsleiterin, die Integrationsbeauftragte hat gestern eine Pressemitteilung dazu herausgegeben, in der genau das gefordert wird:

Überfällig sind Regelungen gerade für langjährig geduldete Personen.

Genau das fordern wir in unserem Antrag auch. – Die Meinung der Integrationsbeauftragten, die unseren Antrag unterstützt, ist doch bestimmt mal einen Applaus wert, nicht?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Leider kann es lange dauern, bis die Gesetzgebung auf Bundesebene verankert wird. Daher gehen viele Bundesländer von sich aus voran und wollen das im Vorgriff auf die Bundesebene verankern. Nordrhein-Westfalen, Hessen, Brandenburg und Schleswig-Holstein haben diese Vorgriffsregelung bereits getroffen, Baden-Württemberg hat dazu genau vor einer Woche eine Pressemitteilung herausgegeben, dass auch sie diese Vorgriffsregelung treffen werden. Auch hier befänden wir uns also in wunderbarer Gesellschaft.

Diese Vorgriffsregelung funktioniert relativ einfach. Es wird eine Weisung an die Ausländerbehörden gegeben, vor möglichen Abschiebungen zu prüfen, ob diese Personen voraussichtlich ein Bleiberecht nach der geplanten stichtagslosen Bleiberechtsregelung des Bundes, wie sie auf Bundesebene geplant ist, erhalten können. Wenn es möglich ist, dann geschieht es. Dies kann und muss Berlin tun, sich den anderen Bundesländern hier anschließen und dem nicht hinterherhängen. Ich kann nur an Sie appellieren, wir haben den Antrag auf sofortige Abstimmung gestellt, diesem Antrag direkt heute zuzustimmen. Es ist klar formuliert. Andere Bundesländer haben es vorgemacht. Berlin kann dem ohne lange Diskussionen folgen. Zum Teil haben es die Innenminister von sich aus schon gemacht. Insofern geben Sie sich einen Ruck, geben Sie diesen Menschen eine Chance, bieten Sie ihnen eine Perspektive, und stimmen diesem Antrag zu! – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Danke auch! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Zimmermann. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So einfach, Herr Reinhardt, wie Sie sagen, ist es nun doch nicht, dass wir einfach mal schnell abstimmen und dann die Sache in Gang setzen,

[Hakan Taş (LINKE): Das ist ganz einfach!]

sondern lassen Sie uns mal einen kleinen Moment darüber nachdenken – dazu sind Ausschussberatungen schließlich da –, und dann gucken wir, was wir machen können.

Berlin hat seit Jahren in einem längeren Prozess immer wieder die Frage der Bleiberechtsregelung, also des Ersetzens von Duldungen und Kettenduldungen durch einen verfestigten Aufenthaltsstatus, diese Entwicklung immer wieder auf Bundesebene vorangetrieben und hat mit maßgeblich dazu beigetragen, dass die Innenministerkonferenz und schließlich auch der Bundesrat entsprechende Beschlüsse gefasst haben. Und deswegen hat der Bundesrat im März 2013 genau das, was Sie ansprechen, Herr Reinhardt, beschlossen, dass wir nämlich eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig hier aufhältliche, geduldete und gut integrierte Ausländerinnen und Ausländer bekommen.

[Evrim Sommer (LINKE): Gibt es auch schlecht integrierte?]