Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

Gehen wir einmal in die Details: Die Koalition begrüßt unter Punkt a die Verankerung des Diversityprinzips als festen Bestandteil von Altenhilfe und Pflegediensten und bittet den Senat, das „zu verstetigen, zu vertiefen und weiter auszubauen“. Mich erinnert das an die Propagandasprache der DDR. Es muss alles, was schon jetzt eigentlich super ist, noch ein bisschen schöner werden. Aber davon abgesehen: Woher weiß die Koalition eigentlich, dass das da schon verankert ist? In der Antwort auf meine Kleine Anfrage 17/10511 teilt der Senat mit, dass ihm kein ausreichendes Datenmaterial zur Verankerung dieser Standards für die Akzeptanz sexueller Vielfalt in der Altenhilfe vorliegt. Er weist auf die Grenzen hin, freien Trägern in Bezug auf diese Frage Vorgaben zu machen. Der Senat stellt keine Gelder bereit, um mit möglichen wissenschaftlichen Analysen oder Erhebungen bessere Datengrundlagen zu bekommen, und die Koalition behauptet einfach, es sei schon alles wunderbar verankert. Das ist die Hybris der Koalition, das ist die Ablösung von jeder Faktengrundlage, die diese Koalition in dem Themenbereich kennzeichnet.

Aber wo liegen die Probleme? Was passiert beispielsweise, wenn zwei in die Jahre gekommene Lesben in ein katholisches Pflegeheim einziehen wollen? Die Koalition hat offenbar nicht einen Funken von Problembewusstsein, worum es bei diesem Thema eigentlich geht.

In Punkt b und c die gleiche Phrasensprache: Ausbauen, Anpassen, Ausweiten, Ermutigen. Nichts Konkretes, Bekenntnisse, die erstens den Status quo preisen und zweitens darum bitten, nicht nachzulassen, damit alles noch besser wird.

Die Punkte d und e sind geklaut, und zwar zum Teil einfach wörtlich übernommen aus unserem Antrag zu einer ISV 2.0 vom 14. November 2012. Das können Sie nachlesen in der Drucksache 17/0652 in den Beschlusspunkten 22, 25, 27 und 52. Geklaut aus einem Antrag, den die Koalition seit anderthalb Jahren verschleppt und im Bildungsausschuss auch schon abgelehnt hat. Also, wenn Sie hier reden, Sie wollen mit uns darüber diskutieren usw.: Sie hatten zwei Jahre Zeit, mit uns zu reden und zu diskutieren, und passiert ist überhaupt nichts.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wenn das alles ist, was die Koalition zu bieten hat, dann sage ich: Armselig, einfach armselig! Der Senat hat bereits 2012 in besagter Antwort auf meine Anfrage mitgeteilt:

Im Grundsatz wünscht sich der Senat eine stärkere Einbindung dieser Personengruppen in die Arbeit der seniorenpolitischen Gremien.

Passiert ist nichts. In der Sprachphraseologie der Koalition sage ich mal: Dieser Wunsch des Senats sollte „verstetigt, vertieft und weiter ausgebaut“ werden – und vielleicht endlich in konkretes Handeln münden!

(Joachim Krüger)

Punkt f besagt:

Der Senat unterstützt Träger von Wohnprojekten mit der konzeptionellen Ausrichtung auf die Ansätze von Diversity und Inklusion.

Das ist in seiner Schlichtheit so peinlich, und es steht pars pro toto für den ganzen Antrag. Da der Koalition nichts Konkretes einfällt, wird schwadroniert. Wir sind gespannt, was noch kommt. Römisch eins bedeutet ja, es könnte auch noch römisch zwei drohen. Meine Bitte wäre: Ersparen Sie uns und sich weitere Peinlichkeiten auf diesem Niveau! Lassen Sie uns gemeinsam auf Basis der vorliegenden Anträge und mit den Projekten tragfähige Lösungen finden. Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist bedauerlicherweise einfach nur ganz, ganz schwach.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lederer! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Kollege Baum. – Bitte sehr!

Ja, vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident, Kollegen und Gäste! Eines zeigt der Antrag ja ganz deutlich, auch schon in der kurzen Beratung hier, dass hier offensichtlich noch dringender Kommunikationsbedarf besteht. Denn mir kommt es tatsächlich nicht so vor, als ob Sie unsere Anträge zu dem Thema schon gelesen hätten. Sowohl in dem Antrag, den wir 2012 mit der Linksfraktion zusammen gestellt haben, als auch in dem Antrag der Grünen findet sich nämlich schon einiges dazu, genauso im Übrigen in den Leitlinien des Berliner Senats zur Seniorenpolitik von 2013 im Kapitel 8. Da ist einiges zu lesen, was hier jetzt irgendwie weitergemacht werden und – Kollege Lederer hat es gesagt – verstetigt werden soll. Mir fällt dazu tatsächlich wenig ein, obwohl ich mich zu Beginn, als ich die Überschrift gelesen hatte, eigentlich sehr gefreut habe. Ich dachte, endlich geht es los. Endlich kommt auch von den Koalitionsfraktionen etwas. Beim Durchlesen des Antrags blieb von der Freude aber wenig übrig.

Ganz genau verstehe ich auch noch nicht, warum dieses Stückwerk so kommt. Weshalb kann man die Punkte nicht zusammenfassen? Ich fände es gut, wenn die Beratung zusammen mit unseren Anträgen stattfinden könnte. Mir scheint es so, als ob das sozusagen ein bisschen Aktivität in den Vordergrund stellen soll, aber wenig Inhalt dabei ist. Bedeutsam finde ich auch, dass das meiste Konkrete hier bisher von den Oppositionsfraktionen zu dem Antrag gesprochen wurde. Die Beiträge aus den Koalitionsfraktionen waren ja eher allgemein gehalten. Ich finde, dass die Beratungen in den Ausschüssen dann auch inhaltlich geführt werden sollten. Ich hoffe, dass es

dann zusammen mit den anderen Anträgen passieren kann. Die nächsten Anträge, die Sie vorbereiten, da würde ich auch noch mal von unseren Erfahrungen berichten. Wir hatten damals eine breite Beteiligung, das hat den Antrag wesentlich verbessert. Wenn Sie das hier auch schon nachgemacht hätten, neben dem Abschreiben aus unserem Antrag, dann wäre vielleicht ein besserer Antrag herausgekommen.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Ich hoffe, dass Sie diesbezüglich offen sind für weitere, konkretere Vorschläge, und denke, dass wir dann bei den nächsten Anträgen, möglicherweise auch im Ausschuss, vielleicht tiefer in die Debatte einsteigen können. – Vielen Dank.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke schön, Kollege Baum! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Zu dem Antrag wird die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales beantragt. – Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 5 steht als vertagt auf der Konsensliste.

Ich rufe jetzt auf

lfd. Nr. 6:

Keine verdachtsunabhängigen Maßnahmen an kriminalitätsbelasteten Orten durch die Berliner Polizei – Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG Berlin)

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 5. Mai 2014 Drucksache 17/1648

zum Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/1458

Zweite Lesung

Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Also rufe ich auf die Überschrift, die Einleitung sowie Artikel I und II, Drucksache 17/1458. Ab jetzt stehen den Fraktionen zur weiteren Beratung Kontingente der Gesamtredezeit gemäß § 64 Abs. 1, Satz 1 unserer Geschäftsordnung zu. In der Beratung beginnt die Piratenfraktion in der Gestalt des Kollegen Lauer. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

(Dr. Klaus Lederer)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der vorliegenden Beschlussempfehlung wurde der Antrag der Piratenfraktion, dass Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz zu ändern, leider abgelehnt. Wir haben darauf abgezielt, die Maßnahme der kriminalitätsbelasteten Orte in Berlin abzuschaffen, da sie unserer Meinung nach widersprüchlich, aber auch schädlich sind für die Arbeit der Berliner Polizei, was ich im Folgenden ausführen möchte. Es geht in erster Linie darum, dass sich die Polizei hier Gebiete schafft, wo sie aufgrund von Kriminalität, die in der Vergangenheit stattgefunden hat, in der Lage ist, Leute verdachtsunabhängig zu kontrollieren und über Regelungen im ASOG, die weiter hinten sind, sogar zu durchsuchen oder zur Identitätsfeststellung mit auf den Polizeiabschnitt zu nehmen. Da kann man natürlich sagen: Okay, das macht die Polizei so. Das wird ja mit Sicherheit seine Richtigkeit haben. – Und dann haben wir mal nachgefragt, wie denn die Kriterien genau aussehen, wo diese kriminalitätsbelasteten Orte sind. Und dann wird es leider ein bisschen finster, denn hierzu gibt es keine Angaben. Es ist nicht vorgesehen, dass wir als Parlamentarier uns das zumindest einmal anschauen und bei der Polizei nachfragen: Kinder, muss das denn an dieser Stelle wirklich so sein mit den Sonderrechten?

Die Polizei hat hier also einen Raum, der nicht kontrolliert wird, wo man sich eben darauf verlassen muss: Ja, ja, die werden das schon alles richtig machen. Aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ich weiß, sie werden bei der Berliner Polizei eine Normalverteilung haben: 99 Prozent machen ihren Dienst mit einem ordentlichen Arbeitsethos. Man wird ja nicht Polizist, wenn man der Meinung ist, organisiert Verbrechen begehen zu müssen. Aber wir als Parlamentarier, als Gesetzgeber und die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht, darüber Auskunft zu erhalten, wo diese Orte sind, damit sie sich irgendwie darauf einstellen können. Das kriegen wir nicht hin. Uns wurde in der Debatte nicht gesagt, was denn jetzt die genauen Gründe sind. Man muss es sich so ein bisschen erschließen. Herr Kandt hat halt im Innenausschuss – dafür bin ich ihm auch dankbar – relativ offen gesagt: Na ja, das sind halt Orte, wo traditionell viele Festnahmen entstehen. Und wenn wir jetzt jedes Mal den ganzen Papierkram machen müssten, wo wir das begründen müssten, warum wir jetzt da genau eine Personenfeststellung oder eine Festnahme gemacht haben, dann kämen wir mit der Arbeit nicht hinterher.

Das wäre aber auch für uns als Haushaltspolitiker interessant, weil wir sagen können: Moment mal, anscheinend gibt es da ein strukturelles Problem bei der Bearbeitung von solchen Sachen. Dann könnten wir eine politische Debatte führen, nämlich die: Wie sollen denn die Arbeitsbedingungen der Berliner Polizei sein? Dann hätten wir eine politische Debatte darüber, welches Mittel denn notwendig ist, um ein Ziel zu erreichen. Wir hätten dann

auch mehr Klarheit darüber. Den Schritt, den Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg gegangen sind in ihren Sicherheitsgesetzen, wo sie eine viel niedrigere Eingriffsschwelle haben und viel einfacher Leute zu kontrollieren, den geht das Land Berlin auch nicht. Den gehen wir als Parlament nicht, weil wir irgendwie sagen: Nein, wir wollen ja eine weltoffene Stadt sein. Das ist auch schön, dass wir eine weltoffene Stadt sein wollen. Wir schaffen aber mit diesen kriminalitätsbelasteten Orten Bereiche in dieser Stadt, die Tür und Tor für Willkür öffnen. Und das Bedauerliche ist, dass die Polizei, weil das ja alles so geheim ist, sich des Vorwurfs der Willkür noch nicht mal erwehren kann, da er einfach so im Raum steht und Sie eben aufgrund der Geheimhaltung nicht das Gegenteil beweisen können. Wenn wir also zum Beispiel den Vorwurf erheben, es finde Racial-Profiling statt, und die Polizei streitet das ab, dann sagen wir: Dann legt doch bitte offen, nach welchen Kriterien kontrolliert wird. Dann sagen die: Nein! Das ist geheim. – Sie sehen: Durch diese Geheimhaltung findet im Grundsatz ein potenzieller Schaden bei der Berliner Polizei automatisch statt. Wir haben vorhin darüber gesprochen, wie ernst wir die Polizei nehmen oder eben nicht und wie wir ihre Arbeitsbedingungen gestalten wollen. Das ist einfach gegenüber den Leuten, die das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen müssen, nicht fair. Es ist schade, dass auch in der Debatte um unseren Änderungsantrag zur Abschaffung der kriminalitätsbelasteten Orte keine Argumente fielen, die die Notwendigkeit unterstrichen hätten, außer dass es furchtbar praktisch und ein unersetzliches Ermittlungsmittel sei. Unserer Meinung nach ist es gefährliche Sicherheitsesoterik. Es ist schade, dass das gleich abgelehnt wird, aber so ist es nun einmal im Parlament, wenn man in der Opposition ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Lauer! – Für die SPDFraktion hat das Wort der Kollege Karge. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Thema könnte man inzwischen als Evergreen bezeichnen. Wir sind von der Opposition ja schon mehrfach im Ausschuss und auch hier im Plenum damit konfrontiert worden. Es gibt allerdings keine neuen Argumente. Trotzdem möchte ich zusammenfassend kurz erläutern, was bei den Themen kriminalitätsbelastete Orte und verdachtsunabhängige Kontrollen zu beachten ist. Ich gehe davon aus, dass die Polizei – – Das haben Sie schon angesprochen. Kontrolle ist gut, aber sie kommt im Zweifelsfall auch danach. Ich glaube, wir werden keine leichtfertigen Kategorisierungen vornehmen, denn das Entscheidende ist Folgendes: Die Polizei erklärt einen kriminalitätsbelasteten Ort nicht aufgrund der Luft oder des Wassers, sondern ein Ort wird so benannt, wenn dort über

eine längere Zeit eine höhere Kriminalitätsbelastung vorliegt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauer?

Nein! Ich habe ja gerade erst angefangen. Vielleicht nachher!

Alles klar!

Die Stigmatisierung der Orte ist auch ein Punkt. Ich finde, wir müssen uns ernsthaft mit dem auseinandersetzen, was wir gesagt haben. Sie machen es sich als Opposition immer relativ einfach, indem Sie sagen: Die Regierungsfraktionen nehmen unsere Argumente nicht ernst. – Nein! Wir nehmen Ihre Argumente ernst, aber wir werten und gewichten sie, und wir kommen eben zu einer anderen Gewichtung als Sie.

Ich glaube auch, man darf, wenn man über kriminalitätsbelastete Orte redet, nicht das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung vernachlässigen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich denke, verdeckte Maßnahmen machen polizeitaktisch Sinn. Deswegen unterstützen wir sie in Zukunft ohne Weiteres, bis es irgendwann vielleicht einmal zu einer Situation kommt, in der wir sagen, dass andere Maßnahmen ergriffen werden können. Aus meiner Sicht ist es auch wichtig zu sehen, dass sich die Polizei damit ernsthaft auseinandersetzt. Straftaten würden sich bei Bekanntgabe zudem möglicherweise in andere Bereiche verlagern. Der Vorteil bei dieser Geschichte ist eben, dass möglicherweise Straftaten so besser verfolgt werden können, als wenn sie sich woanders hin verlagern würden.

Zu den verdachtsunabhängigen Maßnahmen und Kontrollen möchte ich auch noch einige Ausführungen machen. Die Einzelmaßnahme unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das muss berücksichtigt werden. Es geht um eine Verhältnismäßigkeit und nicht um Willkür. Personen, die von vornherein in keiner Weise und unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten infrage kommen, zählen nicht zum Adressatenkreis. Jede betroffene Einzelperson kann eine uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle veranlassen. Insofern haben Sie dann auch die Kontrollrechte und die Möglichkeiten der Überprüfung.

Herr Kollege Karge! Darf ich Sie kurz unterbrechen? – Der Geräuschpegel im Saal ist recht hoch. Bitte folgen Sie dem Redner aufmerksam!

Das ist ja heute bei der Hitze gar nicht so einfach, richtig zu folgen. – Noch etwas möchte ich zu diesem Thema klar und deutlich sagen: Sie versuchen nach Wochen und Monaten, in denen wir darüber diskutiert haben, die Sache in den Bereich des Racial-Profilings zu schieben. Das weisen wir ausdrücklich zurück.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Es gibt in Berlin kein Racial-Profiling, und es wird keins geben, denn es verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und gegen das Grundgesetz. Insofern weisen wir das zurück. Wir bitten Sie auch, in dieser Fragestellung etwas vorsichtiger zu sein, denn indirekt unterstellen Sie damit der Polizei Rassismus. Das muss scharf zurückgewiesen werden.