Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Warum haben Sie denn nichts gemacht in den Neunzigerjahren?]

und Ihren verschlafenen Kurswechsel, den Frau Bluhm eingeräumt hat, jetzt uns vorzuwerfen, das ist doch schon ein bisschen dreist, was Sie hier an dieser Stelle an den Tag legen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition.

[Beifall bei der CDU – Udo Wolf (LINKE): Drei Jahre, Herr Goiny!]

Es ist wie immer in der Vergangenheit Ihrer Partei, Sie kommen von Ihrer Geschichte nicht los. Wir haben gesagt, wir gucken bei der Personalplanung bis 2020, und wir wollen schon für die nächsten Jahre ausbilden. Wir gucken nicht nur bis 2016.

Ich darf Ihnen nur noch einmal zwei Sätze zum Abschluss aus der Beschlusslage des Parlaments vorlesen, die auf Initiative der Koalitionsfraktionen erfolgte. Wir haben nämlich gesagt:

Auf der Grundlage der einzelnen Personalbedarfskonzepte soll ein aufgabenkritisches Gesamtkonzept entwickelt werden, das unter Einhaltung der festgelegten Gesamtzielzahl von 100 000 Vollzeitäquivalenten die Funktionstüchtigkeit der Berliner Verwaltung sicherstellt. Soweit sich aus der Entwicklung der wachsenden Metropole Berlin ein stellenmäßiger Mehrbedarf über die in dieser Wahlperiode festgelegte Zahl der VZÄ pro Behörde nach dem Jahr 2016 ergibt, legt der Senat diesen Mehrbedarf unverzüglich vor und arbeitet sie in das Personalkonzept 2020 ein.

Dann haben wir einige Verwaltungsbereiche definiert, wo wir die Vermutung haben, dass es einen Mehrbedarf gibt – Polizei, Feuerwehr, Justizvollzug, Lehrer, Steuerverwaltung und Bürgerdienste – und also auch die Bezirke berücksichtigt. Damit haben wir genau die Aufgabe beschrieben, die vor uns liegt und um die wir uns kümmern wollen. Mit den Papieren, die uns der Senat vorgelegt hat, haben wir diese Diskussion begonnen, und wir werden sie fortsetzen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Kollege Goiny! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Lauer das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erst einmal ein sehr großes Kompliment an die Linksfraktion: Es ist ihr heute gelungen, durch das Stellen von sechs Anträgen eine Generaldebatte über das Personal im Land Berlin durchzuführen. Wir haben ja über vieles geredet, aber kaum über Ihre Anträge. Frau Bluhm hat sie am Anfang erklärt, Herr Schruoffeneger hat sie auf eine Vorlage bezogen, die wir diese Woche im Unterausschuss Personal besprochen und mit der die Koalition nicht ganz zufrieden war, und dann haben alle irgendwie etwas dazu gesagt.

Was folgt daraus? – Einmal möchte ich sagen, dass die Anträge, die Sie gestellt haben, liebe Koalition, und die jetzt zum Umdenken geführt haben, natürlich insofern ein bisschen die Antwort bestimmt haben, als dass die Fragestellung damals sehr ungenau war. In diesen ganzen Anforderungen, die da an den Senat gestellt werden, steht ja alles Mögliche drin, etwa ein „aufgabenkritisches Personalkonzept“. – Ich habe bis heute nicht verstanden, was ein aufgabenkritisches Personalkonzept sein soll.

[Torsten Schneider (SPD): Deshalb sind Sie auch nicht mehr bei den Piraten!]

(Carola Bluhm)

Ja, genau! – Aber die Frage ist doch: Was soll das? Die „Wachsende Stadt“ zum Beispiel hat festgestellt, dass ihr durch den Zensus 250 000 Menschen abhandengekommen sind. Der „demographische Wandel“ ist auch ein Buzzword, das ich seit den Neunzigerjahren kenne. Was bedeutet es denn nun? Und wer hat denn hier das Gefühl dafür – und das ist immer die interessante Frage –, welchen Job die Verwaltung im Land Berlin macht? Macht die Verwaltung einen guten Job? Macht sie einen schlechten Job? Sind aus Sicht der Opposition zum Beispiel die Senatoren schuld, dass immer alles schiefläuft, oder ist es die Verwaltung? Oder woran liegt es ganz genau?

Den zweiten Antrag der Linken finde ich wirklich sehr toll, weil er einen Aspekt in die Debatte bringt, den es bisher noch nicht gab. Sie sagen da nämlich, dass man sich bei der Personalplanung und -entwicklung einmal genau die Organisationsstruktur der einzelnen Verwaltungen und das anschauen sollte, was da eigentlich gemacht wird, was gemacht werden könnte und was wir eigentlich wollen. Das ist das ganze Problem in dieser Debatte: dass wir immer viel von und über Personal reden, es aber anscheinend keine stärkere Kenntnis darüber gibt, was überhaupt in den Verwaltungen gemacht wird. Wir gehen ab und zu in die Sommerpause und merken dann, dass das Land Berlin sechs Wochen lang auch ohne dieses Parlament ganz gut funktioniert. Das ist schon einmal ein Anzeichen dafür, dass diese Verwaltung in der Lage ist, ohne uns ganz gut zu arbeiten. Aber was wir von dieser Verwaltung wollen, das formulieren wir außer in irgendwelchen Textwüsten mit irgendwelchen Buzzwords eigentlich nie, und deshalb ist der zweite Antrag der Linken diskussionswürdig, weil sie einfach erklärt haben wollen, was die Verwaltung tut.

Dass ein Umdenken stattfindet, darüber haben wir letzte Woche diskutiert, und wurde auch hier diskutiert. Auch Herr Goiny hat gesagt, dass wir am 25. November über die Anträge der Koalition zum selben Thema reden. Ob es die Verwaltung juckt, wenn wir sagen: Gut, dass wir mal darüber geredet haben? – Wir alle kennen das Sprichwort von den Abteilungsleitern, die erzählen: Jaja, ich habe schon viele Senatoren und Senatorinnen kommen und gehen sehen. Wir als Verwaltung haben eine etwas längere Perspektive. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Lauer! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es wird die Überweisung der Anträge an den Innenausschuss und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.3:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 15

b) Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Fahrgäste erhöhen durch „sprechende“ Busse und Straßenbahnen

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/1882

Auch hier gibt es wieder fünf Minuten Redezeit pro Fraktion. Es beginnt die Piratenfraktion, und da ist der Kollege Spies genannt worden. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich heute zum Abschluss der „Woche des Sehens“ zu unserem Antrag für mehr Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Fahrgäste durch sprechende Busse und Straßenbahnen reden kann. Die „Woche des Sehens“ ist eine jährliche Informationskampagne, die auf die Belange von blinden und sehbehinderten Menschen aufmerksam macht. Diese Aufmerksamkeit darf auch einen Tag nach der „Woche des Sehens“ nicht verloren gehen. Das Motto der diesjährigen Woche ist „Gute Aussichten“. Wir hoffen sehr, dass dies auch für die Entwicklung des barrierefreien öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin zutrifft.

Wenn Sie folgende Slogans hören, an was denken Sie da? – „Gut für Sie und Berlin“; „Mehr Schutzengel gibt es nur im Himmel“ oder „Einfach besser ankommen“. – Sie liegen richtig, wenn Sie an die BVG gedacht haben. Diese drei Slogans der vergangenen Jahre klingen sehr schön. Die nichtbehinderte Mehrheitsgesellschaft stellt diese Aussagen wohl auch nicht in Frage. Was ist aber mit den Menschen mit Handicap? Ist auch für sie die BVG gut? Profitieren auch sie von den sogenannten Schutzengeln? Kommen auch sie einfach besser an?

Für eine bestimmte Gruppe müssen diese Fragen wohl verneint werden: Blinde und sehbehinderte Menschen haben nach wie vor Schwierigkeiten, selbstständig Bus und Straßenbahn zu fahren. Während wir Sehenden einfach in die nächste Tram steigen und visuell wahrnehmen, wo es hingehen soll, müssen sich blinde Menschen mühsam durchfragen. Selbst dann haben sie keine Sicherheit, auch dort anzukommen, wohin sie wollen. Verkehrshindernisse, Demos oder Umleitungen führen dazu, dass Busse oder auch Straßenbahnen nicht immer die gleiche Endstation anfahren.

Ein weiteres Problem: Rund ein Drittel aller Bushaltestellen und rund die Hälfte aller Straßenbahnhaltestellen werden von mehreren Linien angefahren. Laut Auskunft der BVG fahren nahezu alle Bus- und Straßenbahnlinien im Tagesverlauf wechselnde Zielhaltestellen an. Im Jahr

(Christopher Lauer)

2013 wurden in rund 1 000 Fällen Bushaltestellen wegen Sportveranstaltungen, Straßenfesten, Bauarbeiten und so weiter verlegt und die Linienführung verändert. Diese Informationen stehen für sehende Menschen gut sichtbar auf dem Fahrzeug. Blinde Menschen aber steigen in dem Glauben, die übliche Linie zu fahren, in die Straßenbahn oder in den Bus und erleben dann eine böse Überraschung: Plötzlich hält die Straßenbahn viel früher als sonst. Der blinde Fahrgast steigt aus, in eine völlig undurchsichtige und für die Betroffenen höchst irritierende, fremde Situation.

Viele von uns können es sich nicht vorstellen, was es heißt, blind und unvorbereitet an einer Straße oder einem Platz irgendwo in Berlin zu stehen. Hier können sprechende Busse und Straßenbahnen helfen. Während sprechende Straßenbahnen in Städten wie Kassel, Schwerin oder Erfurt blinden Fahrgästen die Fahrt erleichtern, fordern viele blinde und sehbehinderte Berlinerinnen und Berliner schon seit Jahren, diese Hilfe einzuführen. Doch der alte BVG-Werbeslogan „Einfach besser ankommen“ trifft nach wie vor nicht auf blinde und sehbehinderte Fahrgäste zu.

Entsprechend Artikel 9 der UN-Behindertenrechtskonvention und § 2 Abs. 8 des ÖPNV-Gesetzes von Berlin sind bei der Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs insbesondere die Belange der in ihrer Mobilität eingeschränkten Personen zu berücksichtigen. Hier dürfen blinde und sehbehinderte Menschen nicht vergessen werden. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, dass Außenansagen ganz Berlin vollquasseln werden. Es gibt technische Möglichkeiten, die dazu führen, dass die Ansagen nur dort gehört werden, wo man sie benötigt. Übrigens sind alle Straßenbahnen der BVG bereits mit geeigneten Außenlautsprechern ausgerüstet. Nur die Busse müssten noch nachgerüstet werden, bzw. die Lautsprecher müssten bei Neuanschaffungen mitbestellt werden.

Um alle technischen Möglichkeiten auszuloten, fordern wir ein Pilotprojekt, selbstverständlich unter Einbeziehung der Betroffenen. Denn bei allen Belangen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, sollten sie gefragt und einbezogen werden, denn sie wissen am besten, welche Hilfe sie brauchen. Übrigens sind die von uns geforderten sprechenden Busse und Straßenbahnen nicht das Gleiche wie sprechende Haltestellen, mit denen die BVG bereits erfolglos experimentiert hat.

Die BVG sträubt sich gegen sprechende Busse und Straßenbahnen und will stattdessen eine App programmieren lassen. Diese weitere Option ist als Zusatzangebot begrüßenswert. Die Lösung zur gleichberechtigten Teilhabe am ÖPNV stellt sie aber nicht dar. Ich hoffe sehr, dass der BVG-Slogan: „Einfach besser ankommen“, bald auch für blinde und sehbehinderte Menschen gilt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion der SPD erteile ich das Wort der Kollegin Monteiro. Da kommt sie auch schon. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des Antrags der Piraten unternahm ich den Versuch, mich auf der Homepage der BVG zum Sachstand kundig zu machen. Die BVG schreibt dort zur Barrierefreiheit der Straßenbahnen, dass das Ersetzen der alten Fahrzeuge durch die neuen zu Betriebskostensenkungen sowie zu einer wesentlichen Steigerung der Attraktivität für die Fahrgäste führe und mittelfristig eine hundertprozentige Barrierefreiheit im Straßenbahnnetz Berlins herstelle.

Zwei Dinge finde ich an dieser Aussage bemerkenswert. Erstens: Maßnahmen für Barrierefreiheit und zugleich Kostensenkungen sind möglich. Das Beispiel sollte Schule machen.

[Lachen von Alexander Spies (PIRATEN)]

Zweitens: Es besteht eine Unklarheit darüber, was der Begriff „barrierefrei“ eigentlich bedeutet. Die begriffliche Unklarheit verwundert mich, ist Barrierefreiheit doch in § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen folgendermaßen definiert:

Barrierefrei sind bauliche uns sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.

Leider können Blinde, Sehschwache und Analphabeten bisher Busse und Straßenbahnen nicht ohne fremde Hilfe nutzen, bzw. wird für sie jede Fahrt zu einer Fahrt ins Unbekannte. Diese Beschreibung ist nicht übertrieben, angesichts von 1 000 Fällen von betrieblichen Anweisungen zur Veränderung der Linienführung pro Jahr. Herr Spies hat schon darauf hingewiesen sowie auf die Anfrage der Piraten. Ursachen hierfür sind Sport- und Großveranstaltungen, Straßenfeste, Bauarbeiten, Maßnahmen aufgrund extern bedingter Umleitungen. Diese Veränderung der Linienführungen dauert manchmal nur ein paar Tage, manchmal ganze Monate und betrifft jeweils eine Vielzahl von Haltestellen.

Laut BVG haben alle Straßenbahnen Außenlautsprecher, die manuell durch das Fahrpersonal bedient werden können. Die BVG erklärt dazu, dass das Fahrpersonal bei der Straßenbahn angewiesen ist, bei Erkennbarkeit von sehschwachen oder blinden Fahrgästen an den Haltestellen

(Alexander Spies)

der Straßenbahnen, Linie und Ziel über Mikrofon anzusagen. Wie erkennt ein Straßenbahnfahrer einen sehschwachen Fahrgast und wie einen Analphabeten? Das weckt bei mir traurige Erinnerungen an die Debatte über Selbstbestimmung und das sogenannte Bedarfskneeling. Die rund 1 300 Busse der BVG haben bisher keine Außenlautsprecher. Hier wird der Handlungsbedarf besonders deutlich.

[Beifall bei der SPD und bei den PIRATEN]

Spätestens seit 1992 und den Leitlinien zum Ausbau Berlins als behindertengerechte Stadt arbeiten wir uns an dem Thema Außenansagen von Fahrziel und Liniennummer ab. Der Antrag der Piraten nimmt nun noch einmal die alte und sehr berechtigte Forderung des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin auf. Vielen Dank dafür!

Für die weitere Diskussion des Antrags in den Fachausschüssen möchte ich uns drei Aspekte mit auf den Weg geben. Wir als Parlament sollten der BVG sehr genaue Vorgaben machen, was sie wann und wie mit wem erprobt und uns die Frage beantworten, ob die weitere Erprobung von sprechenden Haltestellen noch sinnvoll ist. Ich bin da eher bei Herrn Spies und seinem Pilotprojekt zur Erprobung von sprechenden Bussen und Straßenbahnen.

Ich könnte mir zweitens vorstellen, dass wir uns in einer Anhörung zum Thema Erfahrungsberichte aus Kassel, Gera, Erfurt, München, Schwerin und Hannover anhören, die offensichtlich das Problem rund um den § 33 StVO gelöst haben und auch die Frage der Finanzierung.

Damit bin ich beim dritten und letzten Hinweis für heute. Eine Beschlussfassung im Sinne einer Einführung sprechender Busse und Straßenbahnen bedarf einer Verankerung im nächsten Haushaltsplan. – Vielen Dank!