Ehemalige Heimkinder mit Behinderungen und Gewalterfahrungen entschädigen – Einrichtung eines Fonds jetzt!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit heute Nachmittag tagt 1 100 km südlich von uns der UNFachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung in Genf und prüft den deutschen Staatenbericht. Von dieser Prüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – immerhin bald sechs Jahre in Kraft – werden richtungsweisende Impulse erwartet.
Leitgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Idee der Gleichberechtigung und Antidiskriminierung. Menschen mit Behinderung dürfen nicht aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt werden. Hier wurden in Deutschland und auch in Berlin bereits viele Instrumente und Maßnahmen entwickelt, um Gleichstellung zu bewirken. Manche davon sind erfolgreich, andere schaffen es nicht, Benachteiligung zu verhindern.
Bei dem heutigen Thema wäre es einfach, Menschen mit Behinderung nicht länger zu ignorieren und eine Gleichstellung zu erwirken. Der Berliner Senat müsste sich einfach zur Gleichstellung bekennen. Er müsste bereit sein, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu beenden. Doch der Senat ist nicht bereit. Der Senat will warten, bis die Arbeits- und Sozialminister irgendwann mal eine Sonderlösung präsentieren.
Der Senat hört alles. – Es geht hier um eine Gruppe, die bei der Schaffung eines Entschädigungsfonds für ehemalige Heimkinder mit Gewalterfahrung ausgespart wurde: ehemalige Heimkinder mit Behinderung. Auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2014 hat sich das Land Berlin gegen einen Entschädigungsfonds für ehemalige Heimkinder mit Behinderung ausgesprochen. Unsere Schriftliche Anfrage hat gezeigt, dass der Senat ausweicht, statt klar Farbe zu bekennen. – Sehr geehrter Herr Senator Czaja! Da hinten sind Sie. Sehr geehrter Herr Gerstle! Es ist skandalös, dass Sie einen Heimkinderfonds ablehnen. Sie verantworten damit, dass Menschen mit Behinderung weiterhin leer ausgehen, während nicht behinderte ehemalige Heimkinder, die Gewalt in den Heimen erlebt haben, Leistungen bekommen. Das ist beschämend.
Die Kirchen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und in einen Fonds einzuzahlen. Auch die Bundesregierung hat für diese Gruppe bereits 20 Millionen Euro für einen Entschädigungsfonds bewilligt. Nur die Bundesländer mit Ausnahme Bayerns weigern sich, den Fonds einzurichten. Dabei ist eine Drittelung der Finanzierung durch Bund, Kirchen und Bundesländer eine faire Verteilung. Die behindertenpolitischen Sprecher im Bundestag sind sich über die Fraktionsgrenzen hinweg einig. Sie sehen die Notwendigkeit dieser finanziellen Drittelung und der Einrichtung des Fonds.
Vielleicht sollten Sie sich Nachhilfestunden in Sachen Gleichstellung, Herr Czaja, von Ihrem Parteikollegen Uwe Schummer, behindertenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, geben lassen. Auch er fordert Sie eindringlich auf, die Blockade gegen den Fonds für Missbrauch der Heimkinder mit Behinderung endlich zu beenden.
Warum sind Sie eigentlich dagegen? Warum wollen Sie, gerade wenn es um Entschädigungsleistungen geht, eine Fondslösung umgehen? Warum sind Sie der Ansicht, dass ein Fonds nicht geeignet ist? Für nicht behinderte ehemalige Heimkinder ist er geeignet. Warum unterscheiden Sie hier und behaupten, dass den Betroffenen im Rahmen der Regelsysteme bzw. durch das Rentenrecht geholfen ist? Warum verfolgen Sie eine langfristige Sonderlösung?
Sehr geehrter Herr Spies! Halten Sie es eigentlich für angemessen, dass der zuständige Senator bei dem Thema, über das wir gerade sprechen, dort hinten sitzt und mit seinen Kollegen aus der Fraktion herumquatscht und wir uns eigentlich über Gewalterfahrung von Kindern in Heimen unterhalten?
Nein, natürlich halte ich das nicht für angemessen! Allerdings weiß ich nicht, was ich von diesem Senat noch alles erwarten soll. Also, ich ignoriere das jetzt einfach mal.
[Uwe Doering (LINKE): Nicht einer ist da! Im Senat sitzt keiner! Als Senator hat er da vorne zu sitzen! – Weitere Zurufe]
Sie wollen eine Sonderlösung, sagen aber nicht, wann und warum diese unbedingt kommen soll. Ein Entschädigungsfonds könnte den Betroffenen jetzt schnell und unbürokratisch helfen. Doch schnell und unbürokratisch scheint nicht gewollt zu sein. Stattdessen prüfen die Länder andere Lösungen und verlieren damit Zeit, Zeit die die teilweise hochbetagten Betroffenen nicht haben. Wenn Sie zu lange warten, braucht es weder einen Entschädigungsfonds noch irgendeine andere Lösung. Dann gibt es keine ehemaligen Heimkinder mit Behinderungen mehr, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren misshandelt wurden.
Ich will Ihnen sagen, wonach dieses Verhalten aussieht: Die Länder, mit Ausnahme Bayerns, wollen nicht zahlen. Nach dem Motto: Hauptsache nicht wir! – suchen sie andere Zahlungsmöglichkeiten, anstatt Verantwortung zu übernehmen.
Lieber Berliner Senat! Denken Sie nicht mit Dollarzeichen in den Augen wie Dagobert Duck, denken Sie an die Menschen, an die UN-Behindertenrechtskonvention, an unser demokratisches Grundprinzip der Gleichstellung!
Stehen Sie nicht länger auf der Bremse! Erkennen Sie dieses Unrecht endlich auch finanziell an! Sprechen Sie sich endlich für einen Entschädigungsfonds für ehemalige Heimkinder mit Behinderungen aus! – Danke für Ihre Aufmerksamkeit, auch wenn der Senat hier Desinteresse bekundet hat!
Vielen Dank, Herr Spies! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Lehmann. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Bereits im Februar dieses Jahres beschäftigten wir Abgeordneten uns im Ausschuss für Gesundheit und Soziales mit dem Ausbau der Unterstützungsleistungen für ehemalige Heimkinder mit Behinderung. Es geht in dem heute vorliegenden Antrag um die Einrichtung eines neuen eigenständigen Fonds zur Entschädigung von Betroffenen, die als Jugendliche und Kinder in Deutschland in Heimen der Behindertenhilfe oder in stationären psychiatrischen Einrichtungen Gewalt und menschliches Leid erfahren haben.
Selbstverständlich sollen ehemaligen Heimkindern mit Behinderungen die gleichen Entschädigungsansprüche erwachsen, wie sie den ehemaligen Heimbewohnerinnen und -bewohnern, denen über viele Jahre Gewalt angetan wurde, derzeit schon aus den Hilfsfonds zustehen.
Vielmehr sehen die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister im November 2014 und der Senat den Entschädigungsansatz für diese Betroffenengruppe in der Anpassung der entsprechenden Regelsysteme unter Beteiligung der Länder. Auch die Kirchen haben bereits ihre Bereitschaft zur Unterstützung bekräftigt.
Wie eine solche Anpassung der Regelsysteme für Entschädigungsleistungen en Detail erfolgen kann, soll eine länderoffene Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der Bundeseben erarbeiten. Wir begrüßen diesen Ansatz und setzen uns für eine schnellstmögliche Einrichtung dieser Arbeitsgruppe ein, um auch noch eine Entschädigung der
Nein! – Diese warten schon viel zu lange auf eine gerechte Entschädigung, die ihnen zusteht. Wir als SPDFraktion – und das kann ich sagen – unterstützen es, auf diesem Weg den Ausgleich für die Betroffenen zu realisieren. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Lehmann! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Burkert-Eulitz.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Kollegen eben habe ich nicht verstanden. Da haben Sie hier seit Jahren eine Senatorin für Jugend sitzen, mit einer Staatssekretärin, die sich jahrelang engagiert hat für die Einrichtung der Fonds, für Beratungsangebote, die wir in einer sehr guten und vorbildlichen Art und Weise hier in Berlin haben. Da verstehe ich nicht, wer Ihnen diese Rede aufgeschrieben hat und wo Sie die Informationen herhaben. Ich verstehe auch nicht die Volte der SPD, in dem einen Fall zu sagen: Hey, die Fondslösung ist wunderbar! –, aber für die anderen Kinder und Jugendlichen, die das gleiche Unrecht erfahren haben, ist das nicht die entsprechende Lösung. Das verstehe ich nicht. Vielleicht können Sie mir das noch mal näher erklären.
Herrn Czaja kann ich noch verstehen. Der müsste das bezahlen, und er hat keine Lust, das Geld dafür auszugeben. Da wird dann die alte Debatte geführt, die wir auch bei der anderen Heimlösung schon geführt haben: Wir machen das über das Opferentschädigungsgesetz, über die Rentenversicherung. – Wer schon mal versucht hat, bei der Rentenversicherung eine Rente einzuklagen, der weiß, er befindet sich mehrere Jahre in Gerichtsverfahren. Und die Kinder und Jugendlichen, die damals in den Einrichtungen waren, haben keine Zeugen dafür, dass sie Unrecht erlebt haben. Da hatten wir in der Fondslösung die Möglichkeit, dass man das einfach vorträgt und glaubwürdig macht. Die Lösung nehmen sie ihnen damit.
Und was Sie machen – Sie schieben es auf die lange Bank. Sie wollen das Geld nicht ausgeben, weil die Betroffenenzahl eine Blackbox ist, und das ist das Problem der Länder. Da nehme ich auch die grün-mitregierten
Länder nicht aus. Die sind genauso kritikwürdig. Da ist Bayern – bei aller Kritik ansonsten – vorne. Das muss sich ändern.
Die Betroffenen selbst wollen nämlich nicht die Regelung über Rentenrecht oder anderes, sondern sie wollen gerade den Heimkinderfonds auch für sie. Sie sagen selbst – die AG der ehemaligen Heimkinder Deutschland, und das ist nur wenige Tage her: Es kann nicht sein, dass in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird. Für diejenigen, die in den Kinderheimen Misshandlungen durchmachen mussten, zahlt nun der Fonds „Heimerziehung Jugendhilfe“ materielle Leistungen zur Anrechnung des Leids. Kinder in Behindertenheimen und der Psychiatrie, die Gewalt und Ohnmacht erleben mussten, sollen jedoch keinen Cent und keinerlei Anerkennung ihres Leides bekommen. Diese Haltung der Sozialminister der Länder können wir nicht verstehen. – Und wir können es auch nicht verstehen. Das muss sich jetzt schnell ändern, und jetzt endlich müssen Sie etwas tun. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Burkert-Eulitz! – Für die CDUFraktion hat nun das Wort Herr Abgeordneter Krüger! – Bitte!