Protokoll der Sitzung vom 26.03.2015

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Karge. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über das Thema Einwanderungsgesetz. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie in Ihrem Redebeitrag den Themenkomplex Asyl und den Themenkomplex Einwanderung zumindest teilweise und bis zu einem gewissen Punkt auseinandergehalten haben. Man muss das genau trennen und darf es nicht in einen Topf werfen. Zum Schluss sind Sie dann doch noch in die Richtung tendiert: Ich werfe das mal in einen Topf, und dann gucken wir, was dabei herauskommt.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Ach Gottchen!]

Wir diskutieren doch seit Monaten in diesem Land über die Frage der Einwanderung. Die Debatte wird geführt. Sie wird sehr offensiv geführt, und wir haben auf Bundesebene auch schon vieles getan, gerade in Anbetracht der SPD-Mitgliedschaft in der Bundesregierung. Ich kann Ihnen aber grundsätzlich sagen, dass auch wir der Meinung sind, dass das Gesetz zum Thema Einwanderung novelliert werden muss.

Wir diskutieren den Themenkomplex heute auf Ihre Initiative hin. Das Problem Ihres Antrages ist, dass er sehr kleinteilig ist. Er ist vielleicht gut gemeint, aber er ist sehr kleinteilig. Ich denke – und da spreche ich, glaube ich, im Namen meiner Fraktion –, dass es um ein für Deutschland wichtiges Zukunftsthema geht. Um welche Fragestellung geht es hier? – Es geht um den Abbau von diskriminierenden und bürokratischen Hürden bei den Vorschriften zur Arbeitsmigration. Es geht auch um die Erleichterung beim Wechsel des aufenthaltsrechtlichen Status – sofern die Einwanderungskriterien erfüllt sind. Es geht natürlich auch um den Ausbau von Integrations- und Teilhabemöglichkeiten, nicht zuletzt auch um die Zulassung von Mehrstaatlichkeit.

Im Januar haben wir unsere Fraktionsklausur durchgeführt und dazu fortschrittliche Beschlüsse getroffen. Unsere Senatsmitglieder Michael Müller und Dilek Kolat arbeiten sehr intensiv an diesem Themenkomplex. Ich

(Canan Bayram)

will aber attestieren, dass es auch in der CDU fortschrittliche Kräfte zu dem Themenkomplex gibt. Anfang März hat der Generalsekretär der CDU, Herr Tauber, erklärt, Deutschland brauche ein Einwanderungsgesetz. Auch ihm geht es, davon gehe ich mal aus, um Menschen, die zu uns kommen, und um deren Integrationsfähigkeit. Da rufe ich ihm zu: Sehr gut, Problem erkannt! Nun sollte endlich auch etwas auf den Weg gebracht werden.

[Canan Bayram (GRÜNE): Genau!]

Leider gibt es aber auch in der CDU Leute, die auf der Bremse stehen. Wir werden sehen, wie sich die CDU im Land Berlin dazu bewegt.

Der Fortschritt im Bereich des Optionsmodells ist der SPD zu verdanken. Dies verbessert die Lage der hier geborenen Jugendlichen. Es ist Sigmar Gabriel und der SPD-Bundestagsfraktion zu danken, dass es so weit gekommen ist.

[Uwe Doering (LINKE): Und was macht ihr?]

An diesem Thema entscheidet sich auch, ob eine Partei eine moderne Großstadtpartei ist oder nicht. Wir können es uns jedenfalls nicht leisten, auf eine gut strukturierte Einwanderungskultur zu verzichten.

[Zuruf von der LINKE: Was macht denn Saleh?]

Der demografische Wandel stellt uns vor immense Herausforderungen. Laut der vorliegenden Prognosen werden wir in den nächsten zwei Jahrzehnten eine Lücke von 8,5 Millionen Erwerbstätigen haben. Das muss man bedenken und in seine Überlegungen mit einbeziehen. Auch heute schon profitieren wir von den Zuwanderungsströmen qualifizierter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Wir müssen daher unsere Einwanderungspolitik weiterdenken. Also: Wie können wir den Standort Deutschland für gut ausgebildete Fachkräfte weiterhin attraktiv gestalten? Wie kann Einwanderung für diese Menschen erleichtert werden? Welche Voraussetzungen müssen wir für Einwanderung beibehalten, welche Hürden können wir abbauen?

Zusammenfassend sei hier gesagt: Berlin besitzt in dieser Frage eine Vorreiterfunktion. In der jetzigen Situation, das muss man allerdings auch attestieren, ist auf Landes- und Bundesebene nicht mehr möglich. Aus unserer Sicht ist der vorliegende Antrag aufgrund seiner Kleinteiligkeit nicht zustimmungsfähig. Wir werden in den Ausschüssen sicherlich weiter darüber beraten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Kollege Karge! – Für die Linksfraktion hat erneut das Wort der Kollege Taş. – Bitte schön!

Ich denke an die Zeit! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz hat eine interessante Dynamik erhalten. Sogar aus der Union gibt es Stimmen, die ein Einwanderungsgesetz fordern, wohlgemerkt: ein Einwanderungsgesetz.

Offensichtlich wird klar, was für einen Unsinn der künstliche Begriff Zuwanderungsgesetz dargestellt hat, nur um nicht von Einwanderung zu sprechen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das aktuelle Zuwanderungsgesetz ist auch entsprechend konzipiert worden. Ich darf zitieren, § 1 – Zweck des Gesetzes, Anwendungsbereich –:

Das Gesetz dient der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland.

Wie sollte auf dieser Grundlage eine Willkommenskultur entstehen? Es ist auch keine Willkommenskultur entstanden. Es ist kein Gesetz, das Rechte, Chancen und Möglichkeiten der Eingewanderten regelt, sondern ein Gesetz, das ihre Grundrechte sogar einschränkt – siehe die Regelungen zum Familienzuzug. Die Angst in unserem Land vor der Einwanderung ist kaum rational zu erklären. Die Konservativen nähern sich aber der Realität, wenn auch sehr langsam. Ihr Spruch lautet nunmehr: Wir sind zu einem Einwanderungsland geworden. – Was für eine historische Blindheit! Dieser geografische Raum Bundesrepublik ist immer ein Einwanderungsraum gewesen, deshalb heißt der Bundesinnenminister de Maizière und nicht Meier.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Durch jahrelanges Leugnen dieser Realität hat die Politik einige gesellschaftliche Problemlagen selbst erzeugt, insbesondere im Bildungswesen. Die Realitätsverweigerung – wir sind kein Einwanderungsland – wurde weitergeführt in der Hoffnung: Im Alter werden sie zurückkehren. – Deshalb sind die entsprechenden Dienste heute nicht auf den Umgang mit Senioren und Seniorinnen und Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund vorbereitet. Nunmehr ist es an der Zeit, hier eine Kehrtwende einzuleiten. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient, das Einwanderung nicht begrenzen, sondern fördern will, das auf Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Teilhabe ausgerichtet ist.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Bei der Einwanderung muss zwischen den Regelungen zur Einwanderung von qualifizierten Fachkräften, der Einwanderung im Rahmen des Familienzuzugs und der Einwanderung von Asylsuchenden und Flüchtlingen

(Thorsten Karge)

unterschieden werden. Ein inhaltlich wie auch immer zu gestaltendes System zur Einwanderung von Fachkräften ist notwendig. Dies kann und darf aber Wirtschaft, Verwaltung und Politik nicht ihrer Aufgabe entheben, bereits in unserem Land vorhandene Potenziale zu fördern und für ausreichend qualifizierte Ausbildungsplätze zu sorgen. In diesem Kontext muss alles unternommen werden, vorhandene Qualifikationen von bereits Eingewanderten zu erkennen, anzuerkennen und zu fördern. Dies gilt sowohl für eingewanderte Familienangehörige als auch für Asylsuchende und Flüchtlinge. Das heißt auch, dass das Anerkennungsgesetz entbürokratisiert und darauf ausgerichtet werden muss, möglichst viele Anteile der mitgebrachten Qualifikationen anzuerkennen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Der zweite Aspekt ist der Familiennachzug. Hier müssen alle Barriere abgeschafft und das Recht auf Familie entsprechend Artikel 6 Grundgesetz für alle Herkunftsstaaten verwirklicht werden. Ich denke hier insbesondere an die Sprachprüfung vor der Visaerteilung, aber auch an übertriebene Anforderungen an das Einkommen des bereits hier lebenden Familienangehörigen. Aus Sicht der Linksfraktion sind die derzeitigen Regelungen nicht nur verfassungsrechtlich fragwürdig, sie sind auch diskriminierend, weil sie zwischen Herkunftsstaaten unterscheiden. Es kann doch wohl nicht sein, dass ein Staatsangehöriger Frankreichs oder Kanadas ein größeres Recht auf Familie hat als ein Staatsangehöriger Argentiniens.

[Beifall bei der LINKEN]

Das Asylrecht – insbesondere das Flüchtlingsrecht – muss den Realitäten unserer Gegenwart gerecht werden. Es gibt Hunderttausende, die möglicherweise nicht unter die Kriterien des Asylrechts bzw. der Genfer Flüchtlingskonvention fallen, unseren aber Schutz brauchen, weil sie beispielsweise aus Bürgerkriegsgebieten oder vor Naturkatastrophen fliehen. Es ist auch nichts Ehrenrühriges, in einem anderen Land nach besseren Lebensbedingungen für sich und seine Familie zu suchen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich möchte zum Schluss noch einmal unterstreichen und wiederholen: Ein neues Einwanderungsrecht muss auf Willkommenskultur, Chancengleichheit und Partizipation ausgerichtet sein. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Taş! – Für die CDU-Fraktion ist als Redner der Kollege Dregger benannt worden. Ihm erteile ich das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! So, wie die Debatte über ein Einwanderungsgesetz derzeit geführt wird, könnte man den Eindruck gewinnen, es gäbe gar keine gesetzlich geregelte Ein- oder Zuwanderung in Deutschland. Die Wahrheit ist aber: Sämtliche Zuwanderungstatbestände, die derzeit erörtert werden und die über die üblichen Worthülsen der Willkommenskultur hinausgehen, regelt unser bestehendes Aufenthaltsrecht schon heute. Die Blaue Karte EU ist der zentrale Aufenthaltstitel für akademische Fachkräfte. Die Niederlassungserlaubnis berechtigt unbefristet zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Auch sie wird unter anderem an Hochqualifizierte vergeben. Die Beschäftigungsverordnung ebnet den Weg in unser Land sogar für Tätigkeiten, die keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzen, bei denen aber ein Bedarf festgestellt wird.

Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt EU wird nach fünf Jahren an Drittstaatangehörige vergeben. Auch sie bietet – wie die Niederlassungserlaubnis – eine weitgehende Gleichstellung von Drittstaatsangehörigen mit Staatsangehörigen auch beim Arbeitsmarktzugang. Daneben gibt es befristete Aufenthaltserlaubnisse, z. B. zum Zweck der Ausbildung, der Erwerbstätigkeit, aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen und aus familiären Gründen. Das ist eine nicht abschließende Aufzählung der verschiedenen Wege in unser Land. Sie zeigt, dass unser Land offen ist für qualifizierte Zuwanderung. Und nicht nur das: Die Bundesregierung wirbt weltweit um Fachkräfte, z. B. über das Portal www.make-it-ingermany.com. Wir wollen also qualifizierte Zuwanderung.

Selbstverständlich müssen diese Regelungen auch regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Wenn Sie aber meinen, wir müssten unser auf qualifizierte Zuwanderung ausgerichtetes Recht gänzlich neu regeln, dann müssen Sie folgende Fragen beantworten können: Welche weitere Zuwanderung wollen Sie gestatten? Wem gegenüber, außer den Qualifizierten, wollen Sie eine Willkommenskultur etablieren? Wollen Sie den deutschen Arbeitsmarkt auch für Menschen öffnen, die ohne Schulbildung, ohne Ausbildung und ohne Qualifikation ihre Zukunft in unserem Land suchen wollen? Glauben Sie, dass ein Hochtechnologieland wie Deutschland, das seine wirtschaftliche Stärke und die Stärke seiner Sozialsysteme ausschließlich auf Qualifikation und Erfindungsgeist gründet, ein Interesse an der Zuwanderung von Unqualifizierten hat? Ist es richtig, nur den Bedarf der Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt unseren Regelungen zugrunde zu legen? Können sich die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt nicht auch ändern? Und führt das dann nicht dazu, dass die Unternehmen diese Arbeitskräfte freisetzen, mit der Folge, dass wir – die Solidargemeinschaft unseres Landes – uns um sie kümmern müssen und nicht mehr die Unternehmen?

(Hakan Taş)

[Ramona Pop (GRÜNE): Die haben doch vorher eingezahlt, oder?]

Ist es nicht so, dass eine verfehlte Zuwanderungspolitik unsere aufwendigen Integrationsanstrengungen konterkarieren?

Ihr dünner Antrag lässt dazu nichts erkennen. Sie wollen die Integrationskraft der deutschen Staatsangehörigkeit minimieren und offenbar Asylbewerbern unabhängig von ihrer Schutzbedürftigkeit das Bleiben erleichtern. Das können doch nicht die Eckpfeiler einer vernünftigen Zuwanderungspolitik sein.

Meine Überzeugung ist: Migration ist kein Menschenrecht, Frau Bayram. Zuwanderung ist gewünscht, soweit sie den Interessen unseres Landes dient.

[Beifall bei der CDU]

Das ist der Fall bei Hochqualifizierten und denjenigen, die auf unserem Arbeitsmarkt einen Bedarf decken und zugleich zur Integration in unser Land bereit sind. Zuwanderer aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben bereits heute – wie deutsche Staatsangehörige – Vorrang vor Zuwanderern aus Drittstatten. Das dient letztlich der europäischen Identität und der europäischen Einigung.

Asylrecht ist kein Mittel der Einwanderungspolitik, denn es erlaubt keine Steuerung des Zuzugs. Wer politisch verfolgt oder Bürgerkriegsflüchtling ist, wird geschützt, und zwar unabhängig von seiner Herkunft und auch von der Anzahl der Schutzbedürftigen. Steuerung ist bei Asylverfahren nur insoweit möglich, als Nichtschutzbedürftige Platz machen müssen für Schutzbedürftige.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen!]