Protokoll der Sitzung vom 07.05.2015

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 20. April 2015 Drucksache 17/2229

zum Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0682

(Heiko Herberg)

b) NPD-Verbotsverfahren nicht in Gefahr bringen – Senat muss liefern

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungsschutz vom 15. April 2015 Drucksache 17/2264

zum Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2174

Wird der der Dringlichkeit zu b widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Es beginnt in der Beratung die Fraktion Die Linke. Kollege Taş steht schon da und erhält von mir auch das Wort. – Bitte sehr!

Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! V-Leute sind vom Staat gekaufte Straftäter und Extremisten. Sie erhalten durch den Staat einen Freibrief für die Begehung von Straftaten. Die Honorare, die sie vom Staat für ihre Spezialtätigkeiten erhalten, fließen wiederum in rechtsextreme Vereine und Organisationen. Der Nutzen, den V-Leute als Gegenleistung erbracht haben sollen, ist mehr als fraglich. In unser aller Gedächtnis hat sich eher die Tatsache festgebrannt, dass das erste Verbotsverfahren gegen die NPD eben an jener Durchdringung der Partei durch V-Leute gescheitert ist.

Es ist nur zu hoffen, dass das aktuelle, zweite Verfahren nicht aus demselben Grund zum Erliegen kommt. Wie wir aus noch nicht vernichteten Unterlagen erfahren können, haben über mehr als zehn Jahre Hunderte von V-Personen, die Polizeibehörden und Geheimdienste von Bund und Ländern in der rechten Szene einsetzten, nicht zur Verhinderung bzw. Aufdeckung der rassistischen NSU-Mordserie beigetragen. Im Gegenteil! Den einigen wenigen Hinweisen der V-Leute ging der Verfassungsschutz gar nicht oder nur in unzureichendem Maß nach.

Ich erlaube mir zu wiederholen, was ich im Innenausschuss bereits zum Ausdruck gebracht habe. Zwei Erkenntnisse dürften inzwischen unumstritten sein. Erstens: Die Gefahr durch rechte Gewalt wurde von den Sicherheitsbehörden vom Bund und den Ländern völlig falsch eingeschätzt. Es waren nicht fehlende Kompetenzen bei Polizei und Verfassungsschutz, die die Taten oder das Ergreifen der Täter verhindert haben, sondern die bewusste und unbewusste Verharmlosung, die verheerende Untätigkeit, die strukturelle Inkompetenz und der institutionell verankerte Rassismus innerhalb der Behörden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Zweitens: Die Strategie der Einschleusung von V-Leuten in die rechte Szene ist auf ganzer Linie gescheitert. Im Hinblick auf die Terrorserie des sogenannten NSU war sie völlig nutzlos. Mehr noch: Sie hat dazu geführt, dass rechte Strukturen mit staatlichen Geldern künstlich am

Leben gehalten wurden und werden. Es ist nicht zu verantworten, wenn etwa mit unser aller Steuergeld ein NPD-Kreisverband antisemitische Flugblätter druckt. Alle vom Verfassungsschutz eingesetzten V-Leute waren führende Persönlichkeiten der rechten Szene. Mit den Geldern vom Verfassungsschutz unterstützen sie den Aufbau der NPD und die Neonaziszene.

Tino Brandt hat den Thüringer Heimatschutz aufgebaut und war deren Chef. Außerdem war er V-Mann „Otto“ des Verfassungsschutzes. Zitat: Er hat mit den Geldern vom Verfassungsschutz das NSU-Trio unterstützt, als sie untergetaucht waren. – so Hans-Christian Ströbele.

Wolfgang Frentz, der älteste V-Mann Deutschlands, hat 36 Jahre lang den Verfassungsschutz beliefert und damit samt Spesen 1,6 Millionen DM kassiert. Er sagt – ich zitiere –: Ohne diese Gelder vom Verfassungsschutz hätte die Gründung der NPD, zumindest in NRW, nicht stattfinden können.

Michael von Dolsperg alias V-Mann „Tarif“ sagt – ich zitiere abermals: Man kann sagen, dass die halbe Führungsriege der Neonaziszene aus Leuten im Staatsauftrag bestand. Wir haben die Naziszene aufgebaut.

Nun stellt sich die berechtigte Frage: Wenn diese V-Leute nicht gewesen wären, was wäre von der Neonazi-Szene noch übrig gewesen? An welchem Punkt wäre die NPD heute?

V-Leute sind Personen, die gegen Geld oder andere Gegenleistungen Informationen an die Behörden weitergeben. Sie sind Kriminelle. Sie stiften andere Kriminelle an, noch mehr Straftaten zu begehen. So sagt der V-Mann „Tarif“ – ich zitiere –: Ich habe im Auftrag des Staates Leute dazu gebracht, Straftaten zu begehen. – Und mit dieser Anstiftung kommen sie auch noch straffrei davon.

Der Staat betreibt ein dubioses Geschäft. Den V-Leuten liegt nicht der Kampf gegen den Rechtsextremismus am Herzen, sondern das Geld. Mag sein, dass Behörden ab und zu mal Informationen von V-Leuten über Personen oder Vorgänge mit strafrechtlicher Relevanz erhalten haben. Damit ist allerdings noch lange kein Nachweis über den Nutzen von V-Personen erbracht worden.

Hingegen steht dem vermeintlichen Nutzen des V-LeuteSystems ein großer Schaden für die rechtsstaatliche Handlungsweise unserer Demokratie entgegen. Im Bereich der V-Leute ist es zu einem unkontrollierbaren Eigenleben zwischen dem Staat und kriminellen Straftätern gekommen. Darunter leidet zuallererst die Transparenz im Sinne einer offenen Kommunikation, welche in einem demokratischen Rechtsstaat nicht weggedacht werden kann. Angestellte der Innenministerien treffen sich mit Schwerstverbrechern und Kriminellen auf Parkplätzen und in Tiefgaragen. Das Szenario erinnert an

(Vizepräsident Andreas Gram)

schlechte New Yorker Gangsterfilme. In unserem Fall ist dies leider die bittere Realität. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

In Berlin mangelt es in diesem Zusammenhang nicht an negativen Beispielen. Die beim Berliner LKA geführte V-Person Thomas S., ein mehrfach vorbestrafte Straftäter, der sogar noch während der Zeit als Informant wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, hat über zehn Jahre staatliche Gelder und Vergünstigungen erhalten. Oder der Fall, in dem die Berliner Polizei völlig zu Recht vom Gericht abgestraft worden ist: Ein V-Mann und ein verdeckter Ermittler der Polizei fädelten einen Kokainhandel ein, das heißt, durch staatliches Handeln ist eine schwere Straftat erst ermöglicht worden. – Ich frage Sie, Herr Henkel: Soll der Staat Straftaten verursachen oder sie aufklären? – Ich will diese Beispiele nicht fortsetzen, sie dürften allen bekannt sein.

Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Der Rechtsstaat muss die Gesellschaft und die Demokratie mit rechtsstaatlichen Mitteln schützen. Bei polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungsmethoden muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt sein.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Deshalb fordert die Linksfraktion, dass ab sofort keine V-Personen mehr bei Polizei und Verfassungsschutz eingesetzt und aktuell eingesetzte V-Personen so schnell wie möglich abgeschaltet werden. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Kollege Taş! – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt der Kollege Tom Schreiber. Und ich erteile ihm das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Die Ermittlungen rund um den NSU im Bund wie in einigen betroffenen Bundesländern haben ein strukturelles Versagen der Sicherheitsbehörden ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Das ist Tatsache, und das darf man auch nicht schönreden. Der Bund hat nach dem Untersuchungsausschuss des Bundestages, aber auch den Untersuchungsausschüssen der Länder durch einen Kabinettsbeschluss im März 2015 einen, wie ich finde, vernünftigen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, worin endlich die Funktion, die Befugnisse und die Grenzen des Einsatzes von sogenannten V-Leuten klar und deutlich neu definiert werden. Das geht uns alle etwas an. Es geht

vor allen Dingen darum, dass wir hier eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle auf den Weg bringen.

Ich möchte gerne den Bundesinnenminister zitieren, der zur Einbringung des Gesetzentwurfs Folgendes gesagt hat:

Das waren nicht nur einzelne Ermittlungsfehler, die dafür gesorgt haben, dass diese Mordserie so lange unentdeckt bleiben konnte, nein, es waren auch Strukturen, es waren Haltungen von Sicherheitsbehörde, von Verantwortlichen.

Dem kann man, glaube ich, nichts hinzufügen. Er hat damit sehr gut umschrieben, worum es eigentlich geht. Und das hat auch die Debatte in den jeweiligen Ausschüssen deutlich gemacht, Herr Taş: Die Grundsatzfrage bleibt: Darf der Staat sich an Personen beteiligen, die geheime Informationen liefern? Das ist eine Kernfrage bei der Debatte um „V-Personen – ja oder nein?“.

Ganz kurz zu den beiden Anträgen der Linksfraktion: Der eine Antrag sagt: Sofortiges Abziehen der V-Leute bei Polizei und Verfassungsschutz! –, der andere Antrag bezieht sich darauf, dass das NPD-Verbotsverfahren nicht in Gefahr gebracht werden soll. Ich will ganz klar sagen – ich glaube, da kann ich für alle Fraktionen in diesem Haus sprechen, aber auch für alle demokratischen Parteien im Land Berlin und darüber hinaus: Wir alle haben ein Interesse daran, dass das NPD-Verbotsverfahren erfolgreich ist.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den GRÜNEN]

Keiner, weder einzelne Bundesländer noch der Bund, hat ein Interesse daran, das NPD-Verbot in Gefahr zu bringen. Der Hinweisbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2015 war ein mahnender Fingerzeig in Richtung der Länder, die am 5. Dezember 2012 – es waren die Innenminister der Länder – gesagt haben: Wir packen das Thema neu an, wir stellen uns der Situation und fangen an, Material zu sammeln. Den Hinweisbeschluss muss man ernst nehmen. Die Innenminister der Länder haben bis zum 15. Mai Zeit. Wir haben das im Ausschuss gehabt, Herr Senator Henkel. Wir gehen fest davon aus, dass das Land Berlin und auch die anderen Bundesländer das, was sie an Material haben, liefern und vor allen Dingen das NPD-Verbotsverfahren nicht gefährden. Das ist völlig klar und deutlich.

Was V-Personen betrifft, wurde schon einiges gesagt. Ich möchte aber darauf abheben, weil Herr Taş immer auf den Bereich des Verfassungsschutzes zielt: Wir haben V-Personen im Bereich des Nachrichtendienstes, im Bereich des Zolls, aber auch im Bereich der Polizeien des Bundes wie der Länder. Es ist nicht so, dass es im luftleeren Raum stattfindet. Es gibt ganz klare gemeinsame Richtlinien zwischen Justizministern und -senatoren und zwischen Innenministern und -senatoren, auch bei der

(Hakan Taş)

Frage, wie man eigentlich V-Personen oder verdeckte Ermittler führt.

Zweitens – das halte ich für wesentlich: Wir haben zwei Bereiche, wo sie eingesetzt werden – Stichwort Trennungsgebot. Wir haben auf der einen Seite den Bereich der Polizei. Da hat der Innensenator in der 61. Sitzung des Innenausschusses einen, wie ich finde, guten Sachstandsbericht abgegeben, über das LKA hinweg, was an Einsätzen von V-Personen in sämtlichen Bereichen, wie beispielsweise in den Bereichen Rockerkriminalität, arabische Clans, Drogenkriminalität, Rotlichtmilieu usw. stattgefunden hat.

Und wir haben den anderen Bereich – Nachrichtendienst, Verfassungsschutz –, wo es um islamistischen Terrorismus, Salafismus, Rechtsextremismus und Linksextremismus geht. In diesen beiden Bereichen, die voneinander natürlich zu trennen sind, ist es so, dass wir V-Personen führen und diese auch benötigen. Deswegen muss man in der gesamten bundespolitischen Debatte deutlich machen, dass es, glaube ich, drei Kategorien von Politikern gibt – ich will das nicht bewerten –: die Mahner, die Bewahrer und die Gegner zum Thema „V-Leute ja oder nein“.

Alle drei haben ihre Berechtigung, und alle drei haben sicherlich gute, plausible Gründe und Argumente, warum wir das eine oder andere brauchen. Fakt ist aber, dass sich der Bund klar zu der Frage, wann und wo setzen wir VLeute ein, positioniert hat. Wir werden klar und deutlich regeln, was geht und was nicht. Es geht eben gerade nicht aufgrund des NSU und der Lehren daraus, dass wir Straftäter haben, die letzten Endes Dinge vollziehen, die nicht nur strafbar sind, sondern auch die Frage in den Raum stellen, ob die Informationen überhaupt noch richtig und wichtig sind. Vor allem müssen wir es ganz klar einschränken, damit es – wie Herr Taş eben beschrieben hat – nicht mehr dazu kommt, dass jemand seinen Lebensunterhalt dort verdienen kann.

Zum Schluss möchte ich sagen: Das Fazit kann aus meiner Sicht nur lauten, wir brauchen erstens ein reformiertes V-Mann-Wesen bei Polizei und Verfassungsschutz, wir brauchen zweitens klare Regeln im System,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Tun Sie mal was dafür!]

und drittens benötigen wir insgesamt, dieses Parlament und darüber hinaus,

[Zurufe von der LINKEN]

die Offenheit, die Ehrlichkeit und die Sachlichkeit bei der Frage, dass wir das System erstens parlamentarisch kontrollieren und zweitens ggf. auch evaluieren. – Herzlichen Dank, und wir lehnen die Anträge ab!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Kollege Schreiber! – Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Wolf von der Linksfraktion das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege Wolf!

Danke, Herr Präsident! – Lieber Kollege Schreiber! Ein bisschen erschütternd ist es schon, dass Sie einfach ungeprüft den Sachstandbericht des Innensenators zum V-Leute-Einsatz beim LKA als Beweis dafür nehmen, dass sich das lohnt. Wir haben in dieser Sitzung nicht überprüfen können, inwieweit die Ermittlungsergebnisse und die Anklagen, die es gegeben hat, nicht auch durch Hinweisgeber, durch verdeckte Ermittler oder sonst eine kriminalpolizeiliche Tätigkeit hätten erreicht werden können.