Nun zum Antrag der Piraten, das Wahlalter am besten auf null, jedenfalls aber auf 14 bzw. auf 7 Jahre zu reduzieren – und das Ganze auch noch in unterschiedlichen Stufen. Da kann man nur hoffen, dass PISA dazu geführt hat, dass alle 7-Jährigen in der Lage sind, schon die Zeitung zu lesen oder das Internet zu nutzen. Ansonsten könnte es mit der Information vor der Wahlentscheidung vielleicht doch schwierig werden.
Ein Wahlrecht für Kinder halte ich mit der Verfassung für nicht vereinbar, und ich halte es auch für schädlich für die Demokratie, denn das Wahlrecht ist das höchste Gut, das Bürger in der Demokratie haben, und wenn wir uns ernsthaft dahin versteigen, ein Wahlrecht für Kinder zu haben, dann machen wir uns damit lächerlich und geben das höchste Gut der Bürger in der Demokratie preis.
Im Übrigen öffnet die Absenkung des Wahlalters für Kinder Manipulationen Tür und Tor, denn es ist naheliegend, dass sich gerade kleine Kinder in erster Linie von Eltern, Großeltern, Erziehern, Lehrern oder Geschwistern
[Benedikt Lux (GRÜNE): Nur Ihre Kinder! – Martin Delius (PIRATEN): Das gilt nur für Kinder, für Alte nicht!]
Der Antrag der Piraten sieht eine stufenweise Absenkung des Wahlalters vor. Warum die stufenweise erfolgen soll und wer sich woran gewöhnen soll – die Kinder und Jugendlichen an das Wählen, die Erwachsenen daran, dass auch Kinder und Jugendliche wählen dürfen –, das hat sich mir beim Lesen nicht erschlossen.
Was ich allerdings für tatsächlich problematisch und für schlicht mit dem Grundgesetz nicht vereinbar halte, ist der Umstand, dass Kinder ihren Willen, an der Wahl teilzunehmen, ausüben müssen, denn es liegt auf der Hand, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Familien diese Möglichkeit nie haben werden, weil sie schlicht davon nicht in Kenntnis gesetzt werden. Man stelle sich auch vor, wie ein Erstklässler beim Landeswahlamt vorstellig wird, um mitzuteilen, dass er seinen Willen zur Wahl zukünftig gerne ausüben möchte. Schon allein an der praktischen Umsetzung wird es scheitern. Eine Vereinbarkeit mit Artikel 38 Grundgesetz gibt es beim besten Willen nicht, denn von allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen kann gar nicht mehr die Rede sein.
Der Antrag der Piraten ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und leider auch nicht zu Ende gedacht.
Aber ich freue mich schon heute auf den Tag, an dem es in diesem Haus nicht nur einen Raum für Kinderbetreuung gibt, sondern in der ersten Reihe nur noch Hochstühlchen stehen, weil wir auch das passive Wahlrecht für Kinder ab dem Alter null eingeführt haben. – Danke!
Sehr geehrte Frau Seibeld! Liebe CDU-Fraktion! Wir stellen fest, dass Sie sich an dieser Stelle mal gegenüber der SPD durchgesetzt haben. Liebe SPD! Vielleicht überdenken Sie das an dieser Stelle noch mal. Wir hatten die Hoffnung, dass auch Lernprozesse einsetzen, auch Entwicklungen in anderen Bundesländern gesehen werden und es deshalb vielleicht dazu kommt, dass man mal eine andere Haltung zum Thema „Wahlalter 16“ generiert. Im Übrigen halten wir die Gründe, die wir in der letzten Legislaturperiode für richtig gehalten haben, auch jetzt noch für richtig. Es sind aber noch mehrere hinzugekommen. Auch das finden Sie in unserem gemeinsamen Antrag.
Liebe Frau Seibeld! Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ergibt sich für mich die Frage: Halten Sie das Wahlrecht für 16- und 17-Jährige auf Bezirksebene für falsch – wegen der Nichtübereinstimmung mit der Volljährigkeit? Halten Sie das deshalb für einen Fehler? Und in welcher Richtung argumentieren Sie denn hier? Wollen Sie in Zukunft ein Wahlrecht immer davon abhängig machen, wie sich eine Alterskohorte an Wahlen beteiligt oder wie viele von einer Alterskohorte sich parteipolitisch engagieren? – Das ist doch Unsinn! Hören Sie doch damit auf, Dinge von 16- und 17-Jährigen einzufordern, die man bei 61-Jährigen, bei 81-Jährigen, bei 90-Jährigen oder bei 25-Jährigen gar nicht mehr in Frage stellt. Aus unserer Sicht geht es nicht um die Frage, warum wir 16- und 17-Jährigen nicht das Grundrecht einräumen. Es liegt vielmehr in der Verantwortung derjenigen, die es nicht tun, dies vernünftig zu begründen. Das Wahlrecht ist ein Grundrecht. Wir finden, dass es 16- und 17-Jährigen nicht länger verwehrt bleiben darf. Mit Verlaub, wir finden nicht, dass Bremen und Brandenburg hier lächerliche Wege gehen, weil sie das Wahlalter 16 eingeführt haben.
Danke, Frau Kollegin Herrmann! – Frau Kollegin Seibeld! Wünschen Sie das Wort zur Erwiderung, bevor ich dem Kollegen Delius das Wort erteile? – Bitte schön!
Herr Abgeordneter Lux! Nach wie vor bin ich Vizepräsident des Abgeordnetenhauses. Machen Sie sich keinen Kopf!
Lieber Herr Lux! – Darf ich jetzt, oder wollen Sie noch einmal? – Wunderbar! – Frau Herrmann! Sie sind es doch, gerade die Fraktion der Grünen, die permanent bei jeder Kleinigkeit eine Evaluation in den Raum stellt. Sie wollen auch noch evaluieren, ob bei dreijährigen Kindern mehr Jungen oder Mädchen Spielplätze benutzen, und Dinge evaluieren, bei denen man sich wirklich nach dem Sinn und Zweck der Übung fragt. Dann lassen Sie doch einmal die Wahlbeteiligung bei 16-Jährigen auf Kommunalebene evaluieren. Lassen Sie doch einmal evaluieren, wie sich das auf die politische Beteiligung und das Interesse der Jugendlichen ausgewirkt hat. Geben Sie eine solche Studie in Auftrag. Dann können wir uns gern in fünf Jahren darüber unterhalten, ob es gute Argumente dafür oder dagegen gibt.
Danke schön! – Jetzt hat der Kollege Delius das Wort. – Nur zu Ihrer Information: Sie dürfen sich in der Kurzintervention nur auf den ersten Redebeitrag der Kollegin Seibeld beziehen. – Bitte schön!
Ich werde es versuchen. – Frau Seibeld! Sie reden davon, dass junge Menschen beeinflussbarer als andere Menschen sind. Wenn ich mir aber anschaue, welche Praktiken die CDU gerade im Wahlkampf angewandt hat, beispielsweise mit Postwurfsendungen und dem Ankauf von Daten beim Einwohnermeldeamt, frage ich mich, wie beeinflussbar Menschen über 60 oder 70 sind, die teilweise ihr Haus schlechter verlassen können, sich informieren müssen, vielleicht aber auch kein Internet haben, dann aber ihre Postwurfsendungen, möglicherweise nur diese, sehen, weil Sie gerade diese Altersgrenze verwendet haben.
Jetzt warten wir kurz. Wie war es denn mit der geringen Wahlbeteiligung? Das Argument haben Sie auch angeführt. Warum gehen junge Menschen weniger wählen? Sie gehen weniger zur Wahl, weil Sie sich nicht ernst genommen fühlen. Es gibt U18-Wahlen, es gibt Sonstiges; es gibt Aufklärung in den Bezirken. Aber dass Sie sich hier hinstellen und sagen, dass es nicht geht und grundrechtswidrig ist, das ist der Grund, warum junge Menschen, auch wenn sie es könnten, auf Bezirksebene nicht wählen gehen. Das ist der Grund.
Man kann darüber diskutieren – ja, es ist vielleicht nicht ganz so einfach; darin stimmen wir mit den Grünen überein, sich darüber Gedanken zu machen – was passiert, wenn Leute auch ab null wählen können, wenn sie sich erst dafür eintragen müssen, auch ohne Altersgrenze. Wenn Sie sich aber gegen diese Diskussion sperren,
brauche ich mich nicht zu wundern, warum so viele junge Menschen keine Lust darauf haben, ihre Stimme abzugeben, auch wenn sie es dürfen. Das müssen Sie mir einmal erklären.
Sie sagen, es ist grundrechtswidrig. Sie haben es mir nicht erklärt. An der Stelle fordere ich Sie auf, einmal eine Evaluation vorzunehmen, warum es grundrechtswidrig sein soll, was die Fraktion der Piraten hier fordert. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Kollege Delius! – Frau Seibeld möchte noch einmal erwidern. – Bitte, Frau Kollegin Seibeld, Sie haben das Wort!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich wollte dem Kollegen Delius die Antwort nicht schuldig bleiben. Ich benötige auch keine Evaluation, um festzustellen, warum es mit Artikel 38 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist. Gleiche Wahlen heißt, dass jeder die gleichen Voraussetzungen hat. Gleich heißt, es kann nicht einen Teil der Wahlberechtigten geben, die erst ihren Willen zur Wahl kundtun müssen und andere, die den Willen nicht kundtun müssen. Alle müssen die gleichen Voraussetzungen haben. Entweder müssen alle beim Landeswahlamt sagen, dass sie gern wählen möchten oder keiner. Unterscheidungen vorzunehmen ist ohne Rechtsgutachten ganz sicher verfassungswidrig. Da werden selbst die Grünen zustimmen.
Danke, Frau Kollegin Seibeld! – Jetzt hat für die Fraktion Die Linke Frau Kollegin Möller das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist in diesem Haus ein Dauerbrenner. Es ist ganz schwierig, wenn man als Letzte spricht, noch etwas Neues dazu beizutragen. Trotzdem habe ich hier eine ganz kleine Evaluation für Frau Seibeld. Bei den U18-Wahlen im vergangenen Jahr haben sich fast doppelt so viele Kinder und Jugendliche beteiligt wie 2006, fast 27 000. Ich finde, dass dies ein sehr gutes Ergebnis ist.
Wir sind der Meinung, dass derjenige, der wählen kann und will, auch wählen darf. Andere Bundesländer – es ist schon mehrfach gesagt worden – haben es vorgemacht. Zuletzt hat Brandenburg im Dezember 2011 das Mindestwahlalter auf 16 gesenkt. Jetzt ist Berlin an der Reihe. Es ist wirklich nicht nachvollziehbar – wie es auch Frau Herrmann schon sagte –, warum 16- und 17-Jährige an den Wahlen auf bezirklicher Ebene teilnehmen dürfen, nicht aber an der Wahl zum Landesparlament oder bei Volksbegehren und Volksentscheiden, da, wo Entscheidungen über die unmittelbare Lebensumgebung der Kinder und Jugendlichen getroffen werden.
Die Sinnhaftigkeit der Forderung, das Wahlalter abzusenken, ist hinreichend wissenschaftlich untermauert. Außerdem lässt sich jedes Argument gegen das Wahlrecht von unter 18-Jährigen auch gegen das Wahlrecht von über 18-Jährigen anbringen.
Im Mai 2011 war das Mindestalter zuletzt Thema in diesem Haus. Die damals vorgebrachten ausschlaggebenden Bedenken, der Zeitraum sei kurz vor der Wahl nicht so günstig, ist nun hinfällig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Berlin ist das jüngste Bundesland und hat die Rechte von Kindern und Jugendlichen in seiner Verfassung verankert. In allen Wahlprogrammen außer in dem der CDU wurde die Absenkung des Wahlalters gefordert. Das muss doch wohl zu machen sein. Das Versprechen muss jetzt eingelöst werden. Die Diskussion ist auch vor einem politisch-moralischen Hintergrund zu sehen und nicht vor einem juristischen.
Der Kollege Saleh hat im Namen der Regierung angeboten, in allen Angelegenheiten, die dem Wohl der ganzen Stadt dienen, mit der Opposition zusammenzuarbeiten. Die Fraktionen der Linken, der Grünen und der Piraten haben in einem gemeinsamen Brief dieses Angebot aufgegriffen. Wir haben der Koalition vorgeschlagen, ein Zeichen in dieser wichtigen Frage zu setzen und die Hürde einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit endlich zu überwinden. Es geht um eine glaubwürdige Politik in dieser Stadt.
Wir hoffen, dass wir deshalb auch noch zeitnah Gespräche führen können. Es gibt auch positive Signale. Der Zeitpunkt ist günstig. Wir stehen am Anfang der Legislaturperiode und könnten ab sofort eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit machen.
Die Koalition will auch einen Jugenddemokratiefonds einrichten, dessen Konzeption noch offen ist. Diese Mittel könnten gut für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden, mit Blick auf die immer frühere
Befähigung zur echten Partizipation an demokratischen Prozessen. Es geht zum einen darum, die Generationen, die zukünftig die Ergebnisse politischer Entscheidungen ausbaden müssen, früher einzubeziehen. Es geht aber auch um die Zukunft der Demokratie. Sich politisch zu äußern, sich einzumischen und zu entscheiden setzt die Befähigung dazu voraus. Demokratie muss gelernt und geübt werden. Es bedarf einiger Anstrengungen, neuer Ideen und macht Arbeit, Arbeit, die von Eltern, Pädagogen und von der ganzen Zivilgesellschaft geleistet werden muss, natürlich in erster Linie von den jungen Menschen selbst.
Bei all der Arbeit gibt es aber auch etwas zu gewinnen: eine ganz neue Perspektive für die Demokratie. Im September 2011 bei den Wahlen zu diesem Parlament haben sich nur gut die Hälfte der Erstwählerinnen und Erstwähler beteiligt. Die andere Hälfte wollte nicht oder wusste nicht wie oder warum. Gern wird in Wahlauswertungen von Politikverdrossenheit oder Wahlmüdigkeit geredet. Aber wenn schon die 18-Jährigen so müde sind, muss das Ermüden wohl sehr früh beginnen.