Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Ich eröffne zu a die erste Lesung. In der Beratung beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat Frau Abgeordnete Graf. – Bitte!

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Damen und Herren! Der Kitaausbau hat uns in den vergangenen Jahren stetig begleitet. Aber wie steht es eigentlich um die Qualität? – Berlin möchte Vorreiter im Bereich Kitas sein. Dafür wird auch einiges getan: das flächenweite Angebot an Kitaplätzen und das Berliner Bildungsprogramm für Kitas als Bildungsstätte. Aber wer sich solche Aufgaben stellt, muss auch das entsprechende Personal zur Verfügung stellen, damit diese Aufgaben bewältigt werden können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Burkert-Eulitz?

Bitte!

Liebe Kollegin! Halten Sie das Thema vielleicht für so wichtig, dass auch die zuständige Senatorin anwesend sein sollte und hierherzitiert wird?

Das hielte ich durchaus für angemessen.

Es gibt den Antrag, die zuständige Senatorin zu zitieren. Wird dem widersprochen? – Wird nicht! – Sie kommt dort.

Ich möchte Sie einmal in den Kitaalltag entführen. Jule ist zwei Jahre alt. Sie hat heute ein schönes Bild gemalt und das Ganze sehr gut beschrieben. Das möchte der Erzieher Erik nun im Sprachlerntagebuch vermerken. In der Zwischenzeit prügeln sich Florenz und Kevin. Erik muss einschreiten. Wieder auf dem Weg zurück zum Sprachlerntagebuch schreit Sophie. Sie war gerade allein auf der Toilette. Das hat leider nicht ganz so funktioniert, wie sie sich das ausgemalt hat. Auch hier muss Erik intervenieren. – So folgt ein Ereignis dem nächsten. Und nachdem um 17.30 Uhr endlich das letzte Kind die Kita verlassen hat, setzt Erik sich hin, um Jules Fortschritt im

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

Sprachlerntagebuch zu dokumentieren. Danach muss noch das Laubspiel für morgen vorbereitet werden. Nachdem Erik endlich loskommt, hat er schon wieder Überstunden gemacht.

Wir wollen Qualität? – Dann müssen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit diese eingehalten werden kann.

Nun möchte ich einen ganz kurzen Exkurs zur theoretischen Betrachtung mit Ihnen machen. Es gibt zum einen die Fachkraft-Kind-Relation und zum anderen den Personalschlüssel. Der Personalschlüssel beschreibt die Gesamtarbeitszeit laut Vertrag in Relation zu den Betreuungszeiten, die vertraglich mit den Eltern der Kinder geregelt sind. Die Fachkraft-Kind-Relation dagegen setzt sich zusammen aus der unmittelbaren pädagogischen Arbeit am Kind – das sind etwa zwei Drittel der Arbeitszeit –, der mittelbaren pädagogischen Arbeit – Teamgespräche, Dokumentationen und Elterngespräche; das sind etwa ein Fünftel –, und der Rest wird durch die Ausfallzeiten wie Urlaub, Fortbildung und Krankheit abgedeckt. Haben Sie es gemerkt: Fortbildung – auch hier ist wieder der Punkt Qualität gefragt.

Wie sieht das Ganze in der Praxis in Berlin aus? – Wir haben einen Personalschlüssel von 5,9, das heißt etwa sechs Kinder, die die vertragliche Zeit in Relation zu der vertraglichen Zeit der Erzieher haben. Setzen wir jetzt eine direkte pädagogische Arbeit von 75 Prozent an, und das ist deutlich mehr als zwei Drittel – für die, die das mathematisch vielleicht gerade nicht so gesehen haben –, ergibt sich eine Fachkraft-Kind-Relation von 7,9.

Jetzt möchte ich gerne mal sehen, wie Sie mit acht unter dreijährigen Kindern in einem Raum sitzen, pädagogische Arbeit leisten und das Ganze dokumentieren. Das habe ich bisher nicht gesehen. Deswegen sind Sie vermutlich auch Politiker geworden und nicht Erzieher.

Was wir als Piratenfraktion nun fordern, ist, dass die gesetzliche Fachkraft-Kind-Relation von 1 zu 3 für die unter Dreijährigen in den Kitas umgesetzt wird. Sie merken den Unterschied bei fünf Kindern? – Ihr Raum ist jetzt deutlich leiser geworden. Drei Kinder pro Erzieher – viel mehr Geborgenheit für die Kinder, viel bessere Qualität der pädagogischen Arbeit und attraktivere Arbeitsbedingungen für die Erzieher.

Als ersten Schritt wäre es auch gut, erst einmal ein Kind weniger pro Fachkraft zu haben. Das heißt aber für alle Kinder, denn alle Kinder haben das gleiche Recht auf Qualität, und damit nicht nur in den Brennpunktkitas um 0,5 Kinder, wie der Senat vorgeschlagen hat. Mein Respekt gilt an dieser Stelle den Erzieherinnen und Erziehern in Berliner Kitas, die sich täglich dieser Herausforderung mit den acht Kindern stellen.

Als zweiten Punkt nun die Leistungsfreistellung: Durch das Berliner Bildungsprogramm sind konkretere Qualitätsansprüche gegenüber der Kitaleitung beschrieben worden, darunter Weiterentwicklung, die Qualitätssicherung, die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Verantwortung der Personalentwicklung, des Arbeitsklimas und des Kinderschutzes. Und das war noch nicht einmal alles. Wie Sie gemerkt haben, ist es auch hier wieder eine Qualitätsfrage, an der wir arbeiten. Zur Sicherstellung der Qualität in Kitas fordert die Piratenfraktion eine Leitungsfreistellung ab 80 Kindern.

Bitte kommen Sie mir jetzt in dieser Diskussion auch nicht mit dem Punkt, wir hätten aber doch gar nicht genug Erzieherinnen und Erzieher, die diese Stellen besetzen könnten! Bessere Arbeitsbedingungen führen auch zu einer erhöhten Nachfrage nach diesem Beruf. Eventuell kommen Ihnen unsere Forderungen auch schon bekannt vor. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Kitabündnis für das zivilgesellschaftliche Engagement bedanken, das dieses Thema wieder auf den Tisch gebracht und auch in der Gesellschaft vorangetrieben hat.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Graf! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Eggert. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Piratenfraktion! Die Überschrift spricht, glaube ich, allen aus dem Herzen: „Mehr Personal für die Kleinen!“, eine Qualitätssteigerung, das finden wir alle gut. Gerade die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker werden Ihnen hier alle recht geben, dass Sie diese Forderung hier aufgebracht haben. Das Einzige, was mich daran irritiert, ist erstens der Zeitpunkt, an dem Sie diesen Antrag eingebracht haben, relativ genau nach dem Abschluss der Haushaltsberatungen in unserem Fachausschuss. Da hatten die Piraten vier Änderungsanträge, und das war keiner davon.

Nichtsdestotrotz ist eine Fachkraft-Kind-Relation, die sich verbessert, eine grundsätzliche Sache, die wir auch möchten. Wir streben das auch an. Wir sind sozusagen dahin auf dem Weg. Wir werden ab dem 1. August 2016 stufenweise eine personelle Verbesserung für die null- bis dreijährigen Kinder einsetzen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herberg?

(Susanne Graf)

Bitte!

Endlich mal ein Nichtfachpolitiker in dieser Diskussion.

[Zuruf]

Ach, Haushälter, Entschuldigung! Fachpolitiker für alles. Ja?

Anscheinend ist es Ihnen nicht bekannt, aber im Hauptausschuss gibt es die Anträge dazu. Sie sind schon dort schon gestellt worden, wir haben sogar eine Gegenfinanzierung präsentiert. Sie wollten das politisch nicht. Die Aussage – –

[Heidi Kosche (GRÜNE): Habt ihr keine anderen Probleme bei dem Thema?]

Ihre Frage, bitte, Herr Kollege!

Meine Frage ist: Ist Ihnen das bekannt?

[Heiterkeit]

Ich überlege jetzt mal kurz, ob mir das bekannt ist und ob das in irgendeinem Zusammenhang mit dem steht, was ich a hier sage, und b mit meiner Aussage, dass es nicht im Fachausschuss gewesen ist.

[Heiko Herberg (PIRATEN): Wo es nicht hingehört!]

Beides nicht richtig. Dass dieses Thema nicht in den Fachausschuss gehört, finde ich nicht richtig. Ich glaube schon, dass es dazugehört. Wenn man es sich anschaut, sind es genau die Forderungen des Kitabündnisses, die momentan überall im Raum sind. Ich kenne das, weil wir das im politischen Bereich immer wieder haben, wenn man sich auf Dinge einigt, dass man dann immer noch einen obendrauf packt. Gerade Oppositionsparteien machen das gerne. Ich bringe Ihnen da mal ein Beispiel. Es gab mal eine Diskussion über einen Mindestlohn in Deutschland und wie hoch er sein könnte. Da haben sich die Gewerkschaften und die SPD darauf geeinigt, dass das mit 8,50 Euro für den Anfang ganz gut wäre. Daraufhin hat es andere Parteien gegeben, die 10,50 Euro gefordert haben, und ich glaube Ihre Partei hat das bedin

gungslose Grundeinkommen gefordert. Das ist in der Überbietung immer toll.

Und wenn wir nicht 300 Millionen Euro, was Ihr Antrag in etwa kosten würde, fordern würden, sondern 350 Millionen Euro, dann würden wir noch viel besser dastehen. Ich habe aber gerade versucht darzulegen, wie die Diskussion gewesen ist.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal von Frau Graf?

Diese viel lieber, sehr gerne.

Bitte sehr!

Wegen Ihrer Anmerkung noch einmal: Sie sagten bereits, dass Sie die Forderung sehr gut finden und sich nur wundern, warum wir das nicht in der Haushaltsberatung im Bildungsausschuss hatten. Mich würde interessieren, woher Sie das Geld aus dem Einzelplan 10 hätten nehmen wollen. Dann wäre es im Bildungsausschuss richtig gewesen. So ist es im Hauptausschuss gewesen, wo es meiner Meinung nach auch richtig aufgehoben ist.

[Elke Breitenbach (LINKE): Da kennt er sich nicht aus, da hat er nicht zugehört! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Wie viel Leute sich für dieses Thema interessieren! Ich finde es gut, dass es so viele Emotionen bei Ihnen auslöst, weil es ein wichtiges Thema ist, das wir auch diskutieren sollten. Wunderbar! Jetzt bin ich dran, das steht zumindest da oben auf der Anzeigentafel, und ich habe das Mikrofon. Wir können das nachher im Fachdiskurs noch mehr ausführen.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Wir meinen das Thema ernst, Herr Kollege! Sie machen Klamauk! – Weitere Zurufe]

Das sagt jetzt der Zwischenrufer des Parlaments hier, der wirft mir vor, dass ich Klamauk mache. Das ist ja gar nicht schlecht, Herr Dr. Brauer, Respekt dafür.

[Beifall bei der SPD]

Das als Zwischenruf zu bringen, dass ich Klamauk mache, ist wirklich eine tolle Sache. Ich diskutiere gerade mit den Kollegen das Verfahren der Haushaltsberatungen.

[Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]