Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es ist noch nicht einmal schlau, denn Sie legen sich jetzt mit allen an und machen eine riesige Welle. Ihr Dialogangebot wird, wenn Sie schon alles entschieden haben, nur noch Spott und Hohn auslösen. Wer soll den zukünftig den Rest von Vertrauen haben, dass die Ergebnisse direktdemokratischer Verfahren von den Regierenden akzeptiert werden? – Und dann fragen Sie sich mal, ob es das jetzt wirklich wert ist, Herr Geisel! Wäre diese Energie, die Sie jetzt brauchen, nicht besser für die Bewältigung der Probleme bei der Hilfe und Integration von Geflüchteten eingesetzt?

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Dass Sie das nicht tun, nährt viele Zweifel, dass es Ihnen hier zuallererst um die Lösung einer akuten stadtpolitischen Herausforderung geht. Sie haben selbst das schöne Wort „Salamitaktik“ in den Raum gestellt. Wer soll Ihnen denn glauben, dass das nicht die erste Scheibe einer Salami ist, um im Nachhinein Ihre Pläne durchzusetzen, für die Sie vor anderthalb Jahren von den Berlinerinnen und Berlinern eine große Abfuhr bekommen haben?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Auch als jemand, der am Tempelhofer Feld für eine Randbebauung war, hat man ein schlechtes Gefühl.

Das sagt das SPD-Mitglied Klaus Böger, Präsident des Landessportbunds – jemand, der aus meiner Sicht allen Grund hat, die bisherige Praxis der Notunterkünfte zu kritisieren und von Ihnen strategisches Handeln einzufordern. Wir haben mehr als ein schlechtes Gefühl, Herr Geisel. Wir ahnen die Absicht, und deswegen werden wir Ihr Gesetz ablehnen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Danke schön! – Für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Radziwill. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Herr Lederer! Sie haben hier eine wunderbare Wahlkampfrede auf dem Rücken der Geflüchteten gehalten. Schämen Sie sich!

[Beifall bei der SPD – Beifall von Matthias Brauner (CDU) – Martin Delius (PIRATEN): Hören Sie auf! Das ist widerlich! – Weitere Zurufe von der LINKEN – Unruhe]

Sie instrumentalisieren die Not der Geflüchteten, und Sie widersprechen sich auch.

[Martin Delius (PIRATEN): Wir widersprechen Ihnen! – Weitere Zurufe von der LINKEN]

Sie haben z. B. gefordert, dass wir Begriffe wie „Lager“ nicht benutzen sollten, und Sie benutzen sie jetzt selbst. Das war schon sehr interessant.

Der Senat legt uns heute die Vorlage – zur Beschlussfassung – über Gesetz zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und zur Versorgung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden zur Beratung vor. Senator Geisel hat ausführlich eine Begründung dargelegt, und genau das werden wir hier im Parlament auch tun. Wir werden es beraten, und das in mehreren Ausschüssen – so, wie es aussieht. Es ist die Verantwortung des Senats und insbesondere der zuständigen Fachressorts, die Unterbringung der zu uns kommenden und Schutz suchenden Geflüchteten zu sichern. Angesichts der Jahreszeit – der Winter steht vor der Tür – wollen wir gemeinsam Obdachlosigkeit vermeiden. Schutz- und Hilfesuchenden wollen und müssen wir helfen. Dabei ist uns wichtig, dass die zuständigen Senatoren alle Möglichkeiten, alle infrage kommenden Liegenschaften in allen Bezirken und auch in allen Wahlkreisen zügig überprüfen. In allen Wahlkreisen – das bedeutet für mich, auch in den Wahlkreisen der Senatsmitglieder.

Das ist auch notwendig, weil die Zahl der täglich zu uns kommenden Schutzsuchenden und Geflüchteten steigt. Waren es vor ein paar Tagen noch 550 im Schnitt, sind es aktuell bis zu 800 Personen. Der Senat braucht hierbei auch die Unterstützung der Bezirke. Sie sind wichtige Partner bei der Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten. Nachvollziehbar ist für uns alle, dass die Unterbringung in Turnhallen nicht die optimale Unterbringungsart für die Betroffenen ist. Angesichts der täglich steigenden Zahl und der wetterbedingten Situation

scheint es aber für den Senat leider oft auch der schnellste Weg zu sein, eine Unterbringung im Warmen und mit Sanitärbereich anzubieten. An dieser Stelle sollten wir uns bei allen Sportvereinen, den Eltern, den Schülerinnen und Schülern, den Nutzerinnen und Nutzern für ihr bisheriges Verständnis, ihre Hilfe und ihre Unterstützung bedanken. Ein Dank von allen Fraktionen wäre sicherlich an dieser Stelle sinnvoll.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN]

Andere Zeiten erfordern auch andere Betrachtungen. Das muss uns auch in der aktuellen Situation wichtig und bewusst sein. Es muss auch geprüft werden, ob hier eine neue Geschäftsgrundlage vorliegt. Theoretisch kann auch ein Volksgesetz geändert werden, wenn wir es hier vereinbaren.

[Andreas Baum (PIRATEN): Nicht nur theoretisch, auch praktisch!]

Das Ob und Wie werden wir hier gemeinsam beraten.

Ich will hierbei auch auf eine aktuelle, neue Umfrage hinweisen, die ich bei der Recherche für die heutige Rederunde gefunden habe. Die Quelle ist der „Berliner Kurier“ vom 26. November 2015.

[Heidi Kosche (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Es geht um eine neue Umfrage zum Tempelhofer Feld. Dort steht geschrieben – ich zitiere –:

Die große Menge von Flüchtlingen in der Stadt verändert die Haltung der Berliner: Eine – wenn auch knappe – Mehrheit ist inzwischen dafür, am Rand des Tempelhofer Felds Wohnungen zu errichten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kosche?

Vielen Dank für das Interesse, aber ich möchte zu Ende kommen.

Ich zitiere weiter:

Das ergab eine repräsentative Umfrage der INFO GmbH. 51 Prozent der 1005 Befragten sagten „Ja“ zu der entsprechenden Frage, 44,3 Prozent „Nein“. Der Rest war unentschieden.

[Heidi Kosche (GRÜNE): Hat der „Berliner Kurier“ die Umfrage gemacht? – Weitere Zurufe von den GRÜNEN]

Ich habe Ihnen soeben dargestellt, dass diese Umfrage von der INFO GmbH gemacht wurde. – Diese Umfrage finde ich interessant, und es zeigt mir, dass für die

Berlinerinnen und Berliner die Vermeidung von Obdachlosigkeit ein wichtiges Anliegen ist.

Für uns gilt selbstverständlich das Tempelhof-Gesetz. Es ist uns ein sehr wichtiges Gesetz. Das, was uns der Senat zur Beratung vorlegt, zeigt eindeutig Folgendes: Es geht nur um eine temporäre Nutzung mit mobilen Bauten, die wieder abgebaut werden können, die nicht von Dauer dort stehen, und das Ganze für maximal drei Jahre. Darüber gilt es zu beraten – um nicht mehr, um nicht weniger. Der Senat hat diesen Beschluss einstimmig gefasst; auch das ist wichtig, festgehalten zu werden. Es geht nun darum, darüber zu beraten. Ich möchte Sie bitten, auch aufgrund der aktuell veränderten Situation und mit Blick auf die Umfragen, die durchaus interessant sind, in diese Beratungen zu gehen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke sehr, Frau Kollegin Radziwill! – Der Kollege Udo Wolf hat um eine Zwischenbemerkung gebeten. – Ich erteile Ihnen das Wort!

[Zuruf von den GRÜNEN und der LINKEN]

Das ist dasselbe wie eine Kurzintervention!

[Zuruf von den GRÜNEN: Geht doch!]

Wie auch immer – danke, Herr Präsident! – Liebe Ülker Radziwill! Ich frage Sie: Ist Ihnen in irgendeiner Art und Weise ein Dokument bekannt, mit dem der Senat den von uns seit mindestens drei Monaten, seit wir seit der Sommerpause das Flüchtlingsthema diskutieren, geforderten transparenten Nachweis erbracht hat, welche Flächen, welche Büroflächen, welche Immobilien im Landes- oder Bundesbesitz oder möglicherweise im Privatbesitz frei sind und besetzt werden könnten? Ist Ihnen eine solche geprüfte Unterlage bekannt? Solange das nicht bekannt ist – und uns ist hier im Hause nichts dergleichen vorgelegt worden, obwohl wir es in drei Debatten immer wieder eingefordert haben –, gibt es keine wirkliche Begründung dafür, dass das Tempelhofer Feld alternativlos in dieser Frage ist.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die einfache wortreiche Behauptung des Senators, ohne einen Beleg dafür zu bringen, ist einfach unangemessen, wenn es heute darum geht, ein Volksgesetz zu ändern.

Liebe Frau Kollegin Radziwill! Sie wissen ganz genau, und deshalb ist es einigermaßen unanständig, uns vorzu

werfen, dass wir dieses Thema auf dem Rücken der Flüchtlinge austragen wollten,

[Zuruf von Ellen Haußdörfer (SPD)]

dass wir seit Jahr und Tag – im Übrigen auch einmal gemeinsam, Frau Radziwill – sehr engagiert waren und sind, was die Flüchtlingsunterbringung

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

und die Frage dessen angeht, was Ihr Regierender Bürgermeister in der letzten Regierungserklärung als politische Linie ausgegeben hat.

Es ist unverantwortlich, immer wieder zu sagen, solche weitreichenden Eingriffe seien alternativlos, wenn die anderen Sachen nicht geprüft sind. Das führt zu Überforderungs- und Krisenrhetorik, zu Sachen, die – auwei! – nur unter ganz drastischen und dramatischen Maßnahmen zu stemmen sind. Machen Sie das nicht mit! Gehen Sie einfach an Ihre Arbeit, arbeiten Sie das ab, was geht, und danach können wir reden, ob so drastische und dramatische Maßnahmen noch notwendig sind. Bisher haben Sie den Nachweis nicht erbracht, dass sie notwendig sind. Deshalb bitte ich Sie: Führen Sie Debatten wie die zum Tempelhofer Feld eben nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge, indem Sie etwas beantragen, von dem Sie nicht nachgewiesen haben, dass Sie es wirklich benötigen!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Frau Kollegin Radziwill! Sie haben die Möglichkeit zu antworten. – Bitte sehr!