Protokoll der Sitzung vom 03.03.2016

im sechs- bis siebenstelligen Bereich – mobilisiert worden sind. Aber geholfen hat es beiden nicht. Sowohl Tempelhof I als auch „Pro Reli“ sind gescheitert. Selbstverständlich hatten die Gegner dieser Volksbegehren auch Raum in den Medien und konnten ihre Position darstellen.

Wenn sich der Regierende Bürgermeister oder Senatsmitglieder oder Fraktionsvorsitzende zu solchen Initiativen öffentlich positionieren, wird das in der Regel nicht verschwiegen, sondern es wird auch abgedruckt oder abgefilmt. Sie haben einen privilegierten Medienzugang. Offenbar waren die Gegenargumente bei beiden Volksentscheiden überzeugender. Bei „Pro Reli“ hat der Senat noch eine Anzeigenkampagne gestartet und wurde vom OVG gestoppt. Wir haben damals in der Konsequenz der Spenden und der Unklarheit, woher diese kommen, die Offenlegung von Spenden an Volksinitiativen gesetzlich geregelt, denn – und das ist ja auch richtig – die Abstimmenden sollen schon erfahren, wer hinter solchen Initiativen steckt.

Letztlich hat sich aber ganz klar gezeigt: Die Gegenargumente waren überzeugender, nicht die aufgewendeten Summen zur Konterwerbung. – Deswegen finde ich es auch recht durchsichtig, wenn Senat und Koalition jetzt über ein strukturelles Ungleichgewicht jammern, sollten sie keine Kampagne machen dürfen. Bei „Pro Reli“ haben SPD und Linke etwas – ein paar Groschen auch die Grünen – in den Topf getan und für „Pro Ethik“ geworben. Die Zivilgesellschaft hat diese Auseinandersetzung begleitet und geführt. Das soll auch so sein, und niemand kann behaupten, den Gegnern von „Pro Reli“ seien die Hände gebunden gewesen. Das ist doch schlicht Unfug.

[Beifall bei der LINKEN]

Auf der anderen Seite hat es mehrere erfolgreiche Volksbegehren gegeben, bei denen die Initiativen kaum finanzielle Mittel zur Verfügung hatten. Nehmen wir den Volksentscheid Wasserverträge oder den Volksentscheid zur Nichtbebauung des Flughafens Tempelhof. Da war nicht viel Geld dahinter. Der Senat hat dagegen – ich behaupte: rechtswidrig, vor allem aber intransparent! – durchaus öffentliche Mittel in die Hand genommen, und zwar über die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften oder wie bei Tempelhof aus Mitteln der ZLB und bei der verfahrenen Olympia-Kiste durch eine eigene Kampagne. Trotzdem sind Senat und Koalition gegen die Wand gefahren. Da waren die Argumente wohl nicht so überzeugend. Aber es kann doch keiner ernsthaft behaupten, SPD, CDU und der Senat seien bei Tempelhof der erdrückenden Übermacht einer mit Millionen privater Euros initiierten Werbekampagne erlegen. Das kann doch wirklich keiner erzählen.

Das Gesetz trifft weder Regelungen über den Umfang zulässiger Werbemaßnahmen, noch wird gefordert und gesichert, dass Transparenz über die Verpulverung von Steuermitteln herrscht. Das lässt schon aufmerken, denn

(Vizepräsident Andreas Gram)

von den Initiativen wird die Offenlegung von Umfang und Spender ab einer Summe von 5 000 Euro verlangt. Messen Sie da nicht vielleicht mit zweierlei Maß?

Von Anfang an haben sich SPD und CDU geweigert, über eine minimale Kostenerstattung für die Initiativen auch nur zu diskutieren. Das ist nun wirklich inakzeptabel. Man gönnt sich einen ordentlichen Schluck aus der Steuerpulle und hält die Initiativen kurz. So geht das nicht.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN) und Heiko Herberg (PIRATEN)]

Es wurde das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Senat und Parlamentsmehrheit einerseits und den Initiativen andererseits beklagt, aber mit Ihrem heutigen Gesetzesbeschluss schaffen Sie dieses strukturelle Ungleichgewicht erst, und zwar zulasten der Initiativen direkter Demokratie. Wir sind nicht bereit, das mitzutragen. Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und – wie es der Kollege Juhnke im Innenausschuss getan hat – sagen: Wir tasten die Grundsubstanz direkter Demokratie nicht an! –, dann sage ich: Gute vier Jahre Rot-Schwarz lassen keinen Zweifel offen, wie Sie es mit der direkten Demokratie halten. Sie akzeptieren sie, solange Sie bestätigt werden, und Sie torpedieren sie, sobald sie Ihnen kritisch begegnen. Termintricksereien und Nebelkerzen wie beim Volksentscheid „Neue Energie“ – wir haben ja vorhin schon über das Bonsai-Stadtwerk gestritten –, illegale Kampagnenfinanzierung aus öffentlichen Mitteln und am drastischsten beim Auskontern bezirklicher Bürgerbegehren zu Bauvorhaben wie beim Mauerpark und den Buckower Feldern!

Der heutige Gesetzesbeschluss reiht sich in eine ganze Reihe von Maßnahmen der Behinderung direktdemokratischer Initiativen der Stadtgesellschaft ein. Aber Berlin lässt sich nicht gegen die Berlinerinnen und Berliner regieren. Das hat sich letztlich auch immer wieder bestätigt – allen Manipulationen zum Trotz. Die Leute sind eben nicht blöde.

Wenn ich mich hier in den Reihen so umgucke, stelle ich ohnehin fest, dass das Interesse von CDU und SPD an dem Thema offenbar gleich null ist. Die Bänke sind so leer. Offenbar ist auch hier ganz deutlich, dass dieses Thema die Koalition einfach nicht interessiert. Das will ich an dieser Stelle wenigstens noch mal festgehalten haben, damit es sich später im Protokoll wiederfindet. – Vielen Dank, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Frank Zimmermann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Senat ist da, und die SPD-Fraktion ist auch da. Ich hatte mir hier aufgeschrieben: Empörung zurückweisen!

[Steffen Zillich (LINKE): So weit es geht!]

Aber Sie haben sich gar nicht so sehr empört, Herr Kollege Lederer, und deswegen muss ich das jetzt gar nicht machen. Wir haben ja auch – das haben Sie gesagt – einige Punkte aufgenommen, die in der Anhörung deutlich geworden sind. Deswegen ist für Alarmismus gar kein Platz und gar kein Anlass.

Ich will hier kurz erklären, was genau wir heute beschließen. Das ist trocken, aber es muss sein, um deutlich zu machen, worum es wirklich geht. Die Straßensammlung ist nicht verändert. Wir haben jetzt gesagt, dass das Geburtsdatum zwingend ist. Bei allen anderen Angaben kann bei Unleserlichkeit, Unvollständigkeit oder Ähnlichem ermittelt werden, ob die Person identifizierbar ist. Die freie Unterschriftensammlung wird nicht erschwert und nicht verschärft. Das ist, glaube ich, inzwischen auch Konsens. Deswegen ist dieses Problem weg.

Das große Thema ist die Finanzierung des Senats. Da möchte ich Ihnen gern mal nur einen Absatz aus dem geltenden Recht vorlesen. Das ist jetzt leider anstrengend, muss aber sein. Das ist § 32 Abs. 4 im geltenden Abstimmungsgesetz. Den haben bisher alle Kritiker übersehen, aber der sagt eine ganze Menge:

Jede stimmberechtigte Person erhält eine Information in Form einer amtlichen Mitteilung, in der neben dem Wortlaut des Volksentscheids und des Gesetzentwurfs oder des sonstigen Beschlusses die Argumente jeweils im gleichen Umfang der Trägerin einerseits sowie des Senats und des Abgeordnetenhauses andererseits darzulegen sind und in der auf weitere Informationsmöglichkeiten hingewiesen wird.

Das wird nirgends angegriffen. Das ist geltendes Recht von Anfang an. Deswegen sagen wir: Wir wollten von Anfang an, dass der Senat das nicht nur in seinem amtlichen Mitteilungsblatt oder Ähnlichem erklärt, sondern auch weitere Informationsmöglichkeiten nutzen können muss.

Er muss es können, denn er ist aufgerufen, er ist berechtigt und sogar verpflichtet, über seine Position zu informieren. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht zu erfahren, welche Ansicht die von Ihnen gewählte Regierung zu dem vorgelegten Gesetzentwurf einer Initiative hat, und zwar über das amtliche Mitteilungsblatt hinaus.

Jetzt kommt das OVG 2009 und sagt: Nicht mit öffentlichen Mitteln! Die Intention des Gesetzgebers war von Anfang an eine andere. Wir verschieben hier keine Kräfteverhältnisse, Herr Kollege Lederer, sondern stellen den

(Dr. Klaus Lederer)

alten Zustand wieder her. Dass wir das dürfen, bestätigen uns der bayerische Verfassungsgerichtshof und andere Obergerichte.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Der entscheidet nicht über Berliner Recht!]

Diese haben aber sehr klug dort entschieden. Wir machen hier die Gesetze. Deswegen steht das OVG hier vollkommen allein im Bundesgebiet. Wir regeln das jetzt und stellen den alten Zustand her.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Allerdings, Herr Kollege Zillich, eines ist klar: Der Senat darf jetzt nicht eine bescheiden auftretende Initiative mit einem voluminösen Angebot oder einer Kampagne platt machen. Das wäre rechtswidrig. Das haben wir festgestellt. Das steht auch im Gesetz.

[Martin Delius (PIRATEN): Daran hält sich der Senat bestimmt!]

Es gilt das Sachlichkeitsgebot und das Übermaßverbot. Es muss alles verhältnismäßig zugehen. Das ergibt sich sowieso schon aus dem Grundsatz der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit nach Haushaltsrecht. Es gibt also keinen Grund für Alarmismus. Alles ist klar. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grünen erteile ich jetzt Dr. Behrendt das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bisher war es in diesem Haus üblich und geübte Tradition, dass wir in Fragen der direkten Demokratie zusammengearbeitet haben. So haben wir in großer Geschlossenheit 2006 die Reform beschlossen, die der direkten Demokratie überhaupt so viele Möglichkeiten eröffnet hat, die auch genutzt wurden. Wir haben diese gemeinsam beraten und beschlossen. Mit diesem Gesetzentwurf verabschieden sich leider die Regierungskoalition und die sie tragenden Parteien von dieser Konsenssuche und der Zusammenarbeit, indem sie allein diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, ohne überhaupt vorher mit uns das Gespräch zu suchen.

Wenn man sich die Geschichte dieser Debatte und dieses Gesetzentwurfs anschaut, kann man mutmaßen, woran das eigentlich liegt. Wir haben im Innenausschuss eine Anhörung dazu durchgeführt und denjenigen, der den Stein ins Wasser geworfen hat, Stadtrat Blesing aus Neukölln, dort als Sachverständigen angehört.

Zur Erinnerung: Stadtrat Blesing hatte, als die Tempelhof-Kampagne mit der Unterschriftensammlung lief und

absehbar war, dass es genügend Unterschriften zur Durchführung des Volksentscheides geben wird, die Öffentlichkeit Berlins mit der Aussage überrascht, er habe Hinweise auf Missbrauch und Täuschungen und damit nahegelegt und suggeriert, hier hätte jemand anhand des Telefonbuchs oder anderer Adressenlisten Unterschriftenlisten gefälscht. Das war eine kühne Behauptung und ein schwerwiegender Vorwurf gegen die Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld. Diese steile These von Herrn Blesing hat bei der Prüfung auf Wahrheit nicht bestehen können.

Es gab nicht ein einziges staatsanwaltschaftliches Ermittlungserfahren wegen der Fälschung von Unterschriften.

[Beifall von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Das ist eine Straftat. Wenn Herr Blesing Hinweise gehabt hätte, hätte es nahegelegen, diese an die Berliner Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, damit diese dort hätten überprüft werden können. Das ist nicht geschehen. Herr Blesing hat auf unsere Befragung im Ausschuss – es ist erst ein paar Wochen her – ganz nebulös geraunt, er habe Hinweise diesbezüglich aus der Senatskanzlei erhalten, er verrate uns aber nicht, von wem.

[Martin Delius (PIRATEN): Nein?]

Ich hätte mich schon gefragt, wenn er uns einmal verraten hätte, welchen Inhalt diese Hinweise eigentlich gehabt hätten. Da blieb er auch, ganz entgegen seiner sonstigen Übung und Praxis, sehr wortkarg. Deshalb muss man nach dieser Anhörung im Ausschuss feststellen, dass an dieser Geschichte von vorn bis hinten nichts wahr ist.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Es handelte sich um einen fiesen Angriff. Weil man den Inhalt des Tempelhof-Volksentscheides nicht wollte, ist man auf dieses Nebengleis ausgewichen und hat mit falschen Fälschungsvorwürfen versucht, die Initiative zu diskreditieren.

So ging das los. Heute haben wir diesen Gesetzentwurf. Es ist interessant, wie die Gesetzgebung im Land Berlin funktioniert. Ein Stadtrat aus Neukölln stellt Fälschungsvorwürfe, die sich nicht beweisen lassen, in den Raum, und die Regierungsfraktionen greifen das auf und machen daraus einen Gesetzentwurf. Es ist vielleicht für die Berlinerinnen und Berliner auch einmal interessant zu erfahren, wie das hier in diesem Land so läuft.

Zur Sache: Die Unterschriftenregelung, die Sie zunächst vorgeschlagen hatten, drohte in einen Wettbewerb des Schönschreibens auszuarten. Dass Sie deutlich über das Ziel hinausgeschossen sind, haben Sie erkannt und die vorgesehene Regelung zurückgenommen. Die jetzige Regelung hat das Plazet von Mehr Demokratie gefunden. Das kann man so machen. Wir halten es weiterhin für nicht nötig. Die jetzige Regelung hat sich in unzähligen

(Frank Zimmermann)

Volksentscheidsverfahren bewährt. Man kann es aber gern so regeln, wenn Sie das wollen.

Der weitere Teil – das ist hier schon angesprochen worden – ist die Öffentlichkeitsarbeit, die der Senat gern machen möchte. Er möchte Steuergelder in die Hand nehmen, um Kampagnen zu bezahlen. Das muss man wirklich sagen, Kollege Zimmermann, es geht hier nicht um die einfache Öffentlichkeitsarbeit. Dass der Regierende Bürgermeister eine Presseerklärung herausgibt oder sich der Fachsenator inhaltlich dazu äußert, was in Rede steht, ist völlig unstreitig. Dafür brauchen Sie kein Gesetz. Das kann der Senat im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit tun. Es ist auch nie irgendwie angezweifelt worden, dass der Regierende Bürgermeister Wowereit sagen durfte: Ja, wir wollen auch gern auf dem Tempelhofer Feld bauen, oder nein, wir wollen die Initiative der Kirche „Pro Reli“ hier nicht unterstützen. Dafür braucht man kein Gesetz. Das war bisher möglich.

Was Sie wollen ist, Geld in die Hand zu nehmen, Steuergeld der Berlinerinnen und Berliner, und das annähernd uferlos. Ich komme gleich zu den angeblichen Einschränkungen im Gesetz. Sie wollen es in den Kampagnen ausgeben. Wir haben in der Tempelhof-Auseinandersetzung einen Vorgeschmack davon bekommen – Kollege Lederer hat darauf hingewiesen. Sie sind auf die Stadtbibliothek, die Landesbibliothek und die Wohnungsbaugesellschaft zurückgekommen. An den Bushaltestellen fanden sich große Werbetafeln mit sehr geringem Informationsgehalt und sehr großem werbenden Anteil. Das ist offenbar das, was der Senat gern selbst machen möchte. Damals durfte er es noch nicht. Mit diesem heutigen Gesetzentwurf will er das tun dürfen.