Protokoll der Sitzung vom 17.03.2016

Wir haben im Ausschuss gehört, dass die Unterbringungsmöglichkeiten für Familien mit Kindern in Berlin von 24 auf 30 Plätze aufgestockt werden sollen. Das klingt in Anbetracht der Situation leider wie ein schlechter Witz: 2 600 Kinder, Tendenz steigend. Was ist also zu tun, oder besser gefragt, was ist zuerst zu tun? – Es müssen für die sofortige Hilfe ganzjährige niedrigschwellige Angebote geschaffen werden, die kindgerecht sind und wo es pädagogische Betreuung und Beratung für die Familien gibt.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Wir brauchen schnellstens eine berlinweite Erfassung der Zahl wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Familien mit Kindern, damit zum einen präventiv gehandelt werden kann und der Wohnraumverlust gar nicht erst passiert und damit wir zum anderen endlich einmal wissen, wie viele Unterbringungsmöglichkeiten

überhaupt gebraucht werden für den Fall, dass die Prävention zu spät kommt oder gar nicht möglich war.

Die Zahlen gibt es in den Bezirken, sie müssten nur zusammengeführt und aufbereitet werden. Uns wird immer gesagt, das ginge alles nicht, obwohl es in anderen Metropolen wie München oder Hamburg sehr wohl geht. Der Senat agiert hier leider nach dem Motto: Wo keine Zahlen, da kein Problem. – Dabei haben wir hier immerhin auch einen Kinderschutzauftrag. Diesen umzusetzen kann nicht heißen, dass Familien auseinandergerissen werden, indem man die Kinder in Obhut nimmt. Das ist definitiv nicht die Lösung. Passgenaue Hilfen sind die Lösung.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Wir brauchen schnell eine ressortübergreifende Zusammenarbeit auf Landes- und auf bezirklicher Ebene für die Entwicklung von Verfahren und Strukturen für die ganze Stadt. Uns ist in einer Anhörung berichtet worden, dass gerade die Schwächsten mit ihren Problemen im Kompetenzgerangel zwischen den Behörden aufgerieben werden. Das muss ein Ende haben. Land, Bezirke, Träger, Institutionen und Einrichtungen müssen gemeinsam an der Umsetzung und Entwicklung geeigneter Maßnahmen arbeiten. Dabei wird sich zeigen, wie und welche Ressourcen aufgestockt werden müssen, denn dass die Berliner Unterbringungsleitstelle hoffnungslos überfordert ist und dass die sozialen Wohnhilfen ebenso wie die Jugendämter am Limit arbeiten, ist schließlich kein Geheimnis. Wichtig ist, es muss endlich etwas passieren.

Warum wurde es in der ganzen Legislaturperiode nicht geschafft, die Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe fortzuschreiben? Falls Sie das gerade tun, ist dringend auch der Aspekt der Wohnungslosigkeit von Kindern mit Familien zu berücksichtigen. Bei der Gelegenheit können Sie auch gleich mal die fertiggeschriebene Strategie gegen Kinderarmut auf den Tisch packen. Die liegt seit fast einem Jahr bei der Sozialverwaltung zur Gegenzeichnung in der Schublade. Vielleicht steht da schon einiges Hilfreiches drin. Auch an dieser Stelle ist die ganze Legislaturperiode lang nichts passiert. Das ist unverständlich angesichts der dramatischen Situation. Lassen Sie es uns aber jetzt im Ausschuss konstruktiv behandeln! – Danke!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Vielen Dank, Kollegin Möller! – Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Radziwill. – Bitte schön!

[Unruhe]

(Katrin Möller)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wichtiges Thema steht nun auf der Tagesordnung. Leider sind die Pressetribünen leer, aber nichtsdestotrotz beraten wir über das wichtige Thema. Und es liegen zwei Anträge der Linken und der Piraten vor mit den Überschriften „Wohnungs- und Obdachlosigkeit von Familien mit Kindern verhindern“ und „Leitlinien zur Wohnungslosenhilfe und -politik familiengerecht fortschreiben!“.

[Unruhe]

Kollege Zillich hat eine Zwischenfrage. Gestatten Sie?

Jetzt, so schnell? Ich habe noch nicht einmal inhaltlich begonnen. Wissen Sie schon, was in meinem Skript steht? – Aber bitte!

Sie haben immerhin zugestanden, dass es ein wichtiges Thema ist, insofern wollte ich Sie fragen, ob Sie es für angemessen halten würden, wenn in meiner Fraktion auch so laut gemurmelt würde wie die ganze Zeit in Ihrer Fraktion?

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Zwischen Ihrer Fraktion und meiner Fraktion sind die Grünen-Fraktionsmitglieder.

[Martin Delius (PIRATEN): Trotzdem stört es!]

Ich weiß nicht, ob es vielleicht von denen kommt.

[Beifall von Ole Kreins (SPD)]

Ich kann vielleicht einmal kurz von hier oben sagen. Es betrifft nicht nur die SPD-Fraktion. Es wird überall gemurmelt. Es wäre schön, wenn sich das veränderte. Wir haben es bald geschafft. – Bitte, Frau Radziwill!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Spätestens jetzt, denke ich, dass alle wach geworden sind und ganz aufmerksam meinen Worten folgen werden.

In der Tat ist es ein wichtiges Thema, und aus sozialpolitischer Sicht kann ich viele Punkte, die in diesen beiden Anträgen stehen, nachvollziehen und einen Teil der Vor

schläge durchaus unterstützen. Ich gebe Ihnen recht, meine Vorrednerin hat gesagt, kein Kind gehört auf die Straße. Ja, kein Kind und kein Mensch gehören auf die Straße, und kein Kind gehört in die Wohnungslosenhilfe, obwohl wir dort durchaus ein gutes Hilfesystem haben. Denn auch das ist in Berlin vorhanden. Im Vergleich zum Rest der Republik haben wir hier wirklich ein gutes Hilfesystem.

Ich will an dieser Stelle nur anmerken, dass wir bei den letzten Haushaltsberatungen im Sozialbereich beispielsweise unser Integriertes Sozialprogramm aufstocken konnten, im Übrigen zum ersten Mal seit einigen Jahren im Bereich der Wohnungslosenpolitik. Und die Angebote der Notübernachtung sind ausgebaut worden. Es ist mehr Geld dort reingekommen, z. B. sind zwei Angebote der AWO, der Caritas und Mob e. V. finanziert worden. Die ambulante medizinische Versorgung wird verbessert. Und – das gehört auch dazu – der Hygieneraum am Bahnhof Zoo, für viele obdachlose Menschen in dieser Stadt ein wichtiger Anlaufpunkt, ist finanziell mit den Mitteln aus unserem ISP finanziert worden. Der Ausbau wurde von der Deutschen Bahn finanziert, wobei ich für dieses Engagement sehr dankbar bin.

Aktuell sind weitere Mittel in dem sogenannten ISP, dem Integrierten Sozialprogramm, vorgehalten. Aus der Sozialverwaltung habe ich mir diese Information heute bestätigen lassen. Ein neues, modellhaftes Projekt ist zurzeit in der Umsetzung bzw. der Vorbereitungsphase. Mit einem weiteren Wohlfahrtsverband der Diakonie soll hier ressortübergreifend niedrigschwellig in einer Zusammenarbeit zwischen den Senatsverwaltungen für Soziales und für Bildung ein neues Projekt umgesetzt werden. Es ist gut, dass der Ausbau des Hilfesystems gezielt weiter vorangetrieben wird. Es nimmt auch Ihre Anregung im Antrag auf. Der Senat arbeitet also mit dem Träger Diakonie daran, dem Ziel näherzukommen, von Wohnungslosigkeit betroffenen Familien und ihren Kindern eine neue Anlaufstelle zu schaffen, eine Clearingstelle zu schaffen, wo eben Kinder mit den Möglichkeiten der Wohnungslosenhilfe und besonders wichtig mit den Hilfen der Jugendhilfe schnell Hilfe bekommen, schnell aus der Notsituation der Wohnungslosigkeit herauskommen können. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Das greift auch Ihre Wünsche in den Anträgen auf. So gesehen kann ich schon sagen, dass der Senat hier handelt, was wir sozialpolitisch alle insgesamt begrüßen können.

Die von Wohnungslosigkeit betroffenen Kinder gehören daher definitiv nicht in die klassische Wohnungslosenhilfe, sondern müssen schnell über die Hilfen, die vorhanden sind, weiter Unterstützung bekommen. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass das Angebot dort weiter ausgebaut wird. In der Tat klagen viele in der Wohnungslosenpolitik, dass vermehrt Familien kommen. Das ist angesichts der unterschiedlichen Zuströme nach Berlin durchaus nachvollziehbar.

Wenn wir über Wohnungslosenpolitik in Berlin reden, so kommen wir um den Prozess der Weiterentwicklung der Leitlinien der Wohnungslosenhilfe nicht herum. Auch die Frage der Datenlage ist mittlerweile eine sehr aktuelle. Aktuell ist es so, dass die Leitlinien der Wohnungslosenhilfe – auch wir haben das letztens im Sozialausschuss beraten – sich in einem Dialogprozess befinden. Es ist schon ein Erfolg, dass dieser Dialogprozess begonnen hat. Die Leitlinien der Wohnungslosenhilfe werden sicherlich in dieser Legislaturperiode nicht zu einem Abschluss geführt werden, was ich zwar persönlich bedauere, aber ich finde, es gehört auch dazu festzuhalten, dass dieser Dialogprozess dann auch einen Erfolg darstellt, denn lange, lange Zeit hat sich hier nichts bewegt. Es ist gut, dass jetzt die unterschiedlichen fachlich zuständigen Ressortbereiche miteinander reden und sich auf einen Prozess geeinigt haben. Ich bin zuversichtlich, dass spätestens im nächsten Jahr Berlin aktuelle Leitlinien der Wohnungslosenhilfe vorlegen kann.

Wenn wir von der Weiterentwicklung in diesem Bereich reden, so müssen wir auch festhalten, dass die Datenlage aktuell nicht ganz zufriedenstellend ist. Es gibt in der Tat viele Statistiken. Aber auch ich bin mittlerweile der Auffassung, dass hier eine Verbesserung notwendig ist. Das wird sicherlich auch die Aufgabe in der nächsten Legislaturperiode sein, hier Verbesserungen zu erreichen.

Diese Anträge werden wir sicherlich zeitnah in den zuständigen Ausschüssen beraten und auch parallel uns die Umsetzungsschritte des Senats vortragen lassen. Es erfreut mich zumindest, dass hier Bewegung ist und der Senat handelt. Gerade die Schwerpunkte Prävention und die Verhinderung von Wohnungsverlust bilden aus meiner Sicht einen Schwerpunkt. Es ist wichtig, dass wir hier vorankommen. Ich bin zuversichtlich und stimme erneut meiner Vorrednerin zu: Kein Mensch, der es nicht will, gehört auf die Straße. – Ich danke für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Danke!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin BurkertEulitz. – Und Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann an der Stelle nicht so ruhig bleiben wie Frau Radziwill. In Ihrem Koalitionsvertrag von vor fast fünf Jahren ist auf Seite 76 festgehalten, dass Sie ressortübergreifende Strategien gegen Kinderarmut vorlegen wollen und sollen und diese auch umsetzen. Ich frage Sie alle: Wo sind die Strategien gegen Kinderarmut? Was haben Sie umgesetzt? – Nichts!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Ich erinnere an die Debatten und die unzähligen Schriftlichen Anfragen, in denen wir nachgefragt haben, wie es aussieht mit Kindern, die wohnungslos sind. Dazu gab es keine Antworten, nichts. Herr Czaja sagte noch, er sei für diese Kinder nicht zuständig. Die Einzige, die sich ein bisschen um das Thema gekümmert hat, ist Frau Staatssekretärin Klebba, die zu den Veranstaltungen gekommen ist. Sie ist aber nicht wirklich dafür zuständig, zuständig ist vielmehr die Senatsverwaltung für Soziales.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Ach!]

Wenn diese es nicht hinbekommt, die vorliegenden Papiere umzusetzen und an die Öffentlichkeit weiterzugeben oder sich ordentlich mit der Jugendverwaltung zusammenzusetzen, dann ist das nicht unser Problem. Das muss endlich gemacht werden. Sie haben fünf Jahre Zeit gehabt und nichts für arme Kinder in dieser Stadt getan, für wohnungslose Kinder schon überhaupt nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Die Landesarmutskonferenz fordert seit Jahren, dass endlich Zahlen vorgelegt werden. Sie haben uns stets gesagt, Sie könnten sie nicht erfassen. Bezirksbürgermeisterin Giffey aus Neukölln hat gesagt, dass allein in Neukölln 1 000 Kinder von Wohnungslosigkeit betroffen seien. Rechnen Sie das mal auf die Stadt hoch, dann kommen Sie auf mehr als 2 500 Kinder.

Sie versuchen, uns Sand in die Augen zu streuen. Sie haben nichts getan. Die Kinder befinden sich in den Obdachloseneinrichtungen. Im Rahmen einer Anhörung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie haben die Anzuhörenden klar dargelegt, dass sie Unterstützung benötigen, dass sofort entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten gebraucht werden, dass die Datenlage sofort geändert werden muss und die Strategien umgehend vorgelegt und umgesetzt werden müssen. Sie haben nichts getan, und das ist ein Armutszeugnis. So kann es nicht weitergehen, deswegen gehören Sie auch abgewählt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Vielen Dank! – Herr Kollege Krüger! Sie haben nun das Wort für die CDU-Fraktion. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nicht die Absicht, dieses Thema in Wahlkampftöne zu verpacken, dafür ist es insgesamt viel zu ernst.

(Ülker Radziwill)

[Beifall von Joachim Luchterhand (CDU)]

Kinder und Jugendliche, Jungen und Mädchen unter 18 Jahren also, darüber sind wir uns doch sicherlich alle einig, gehören nicht auf die „Platte“ und ebenfalls nicht in eine Obdachlosenunterkunft. Dies wäre und ist kein Ausdruck gelebter individueller Freiheit und kann und darf von einer Gesellschaft, der das Kindeswohl am Herzen liegt und die Kindeschutz ernst nimmt, nicht untätig hingenommen werden. Deshalb ist es richtig, wenn der Senat bei seinen Aktivitäten zur Fortschreibung der Leitlinien der Wohnungslosenhilfe Ansätze favorisiert bzw. intensiver fördert, die Eltern mit Kindern nachhaltig vor Wohnungsverlust schützen bzw. ihnen angemessenen Ersatzwohnraum anbieten und beschaffen sollen. Hierbei bestärken wir ausdrücklich den Senat, jeder Art von präventivem Handeln den Vorrang vor nachträglicher Schadensbehebung beizumessen, z. B. wenn es darum geht, dass Familien bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften aus verschiedenen Gründen Gefahr laufen, ihre Wohnung zu verlieren. Gerade für die Kinder, und da werden wir uns auch schnell einig sein, ist auf die Gefahr schwerer emotionaler Schäden hinzuweisen, wenn sie aus ihrem Freundeskreis im sozialen Umfeld und aus ihrer schulischen Verankerung herausgerissen werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin BurkertEulitz?

Ich würde gerne im Zusammenhang ausführen, ich bitte um Verständnis.

Alles klar, also keine Zwischenfragen.