Protokoll der Sitzung vom 09.02.2012

Die Uhr hält ja an. Insofern ist das in Ordnung.

Ich habe eine Zwischenfrage. Dass ein Flugzeug auf diesen Reaktor fällt und es dann einen atomaren Ernstfall in Berlin gibt, klingt für mich so wahrscheinlich wie ein Seebeben der Stärke 10 und ein Tsunami, der ein Atomkraftwerk wegfegt. Was sagen Sie eigentlich den Leuten dann, wenn so etwas einmal tatsächlich passiert? So etwas passiert ja nie. So ein Seebeben passiert nie, und ein Atomkraftwerk in Japan fliegt ja auch nie in die Luft. Was sagen Sie den Leuten dann? Die Spallationsquelle kommt 2025. Was machen Sie dann?

Ich kann auch die Gegenfrage stellen, Kollege Lauer: Was sagen Sie Leuten, die zum Beispiel Forschungsergebnisse wissen wollen, die man ganz speziell und nur mit einer Neutronenquelle erhalten kann und die für die Gesundheitsforschung, neue Materialien, Nanotechnologien wichtig sind? – Für diese Sachen sind die Piraten ja immer ganz aufgeschlossen. – Was antworten Sie denen denn?

[Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Bitte schön, aber dann nicht in Deutschland! Das muss man dann aber auch ganz klar aussprechen. Mir sind zwei Forschungsreaktoren in Deutschland bekannt: der in München und der in Berlin. Vielleicht kennen Sie noch zehn andere. Die Liste bringen Sie bitte das nächste Mal

mit. Sie haben ja recht, dass wir keinen Reaktor brauchen. Die Spallationsquelle ist die neueste Technologie. Aber es gibt keine Spallationsquelle.

[Martin Delius (PIRATEN): Man braucht keine Spallati- onsquelle, um ein Neuronenbild zu bekommen!]

Dann haben Sie neue physikalische Erkenntnisse. Machen wir ein Extraseminar vielleicht einmal im Wirtschafts- oder Technologieausschuss. Vielleicht wird auch der Kollege Albers in seiner Rede darüber noch ein bisschen aufklären können; ich hoffe es. Er hat sich ein bisschen intensiver mit dem Thema beschäftigt.

Was passiert denn übrigens, Herr Kollege Lauer, wenn das Flugzeug in ein Kaufhaus auf dem Alexanderplatz fällt? – Auch da haben Sie ein Restrisiko, das Sie niemals mit 100 Prozent ausschließen können. Daraus besteht ein Teil unseres Lebens. Es tut mir leid, man muss es so aussprechen.

Ich habe es eben schon gesagt: Wir wollen und werden das sehr verantwortlich noch einmal in den Ausschüssen besprechen, was ja auch verlangt wird. Aber es ist auch klar: Es ist eine Gesamtabwägung. Ist es für die begrenzte Zeit bis zum Jahr 2020/25 verantwortbar, den Forschungsreaktor wieder anzuschließen oder eben nicht?

Herr Kollege Kowalewski, zur Einordnung: Unser Forschungsreaktor in Wannsee hat ungefähr 140 Mal weniger Leistung als ein normaler Atomreaktor – 10 Megawatt gegenüber 1 400 Megawatt. Ich glaube, die Relation ist unmittelbar einsichtig, dass das, auch was die Gefahrenquelle angeht, ein deutlich anderer Maßstab an der Stelle ist.

Ich habe nach dem Lesen der Gutachten – das wollte ich Ihnen eigentlich erzählen, muss aber immer so viel auf die anderen eingehen – den Wunsch verspürt, Ihnen zu erzählen, was noch für Fragen bleiben, wenn man das Gutachten gelesen hat.

Herr Kollege, ich muss Sie leider noch einmal unterbrechen. Die Piraten haben noch eine Zwischenfrage.

Jetzt nicht mehr! Sonst komme ich gar nicht mehr in meinen Redefluss rein. – Also: Die festgestellten Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der Sicherheit und Robustheit des Forschungsreaktors sind beschrieben. Da habe ich die Frage: Wie sieht der konkrete Zeitplan aus? Das kann und sollte die Verwaltung aufschreiben, was man noch verbessern kann – von zusätzlichen Notstromaggregaten über andere Geschichten.

Die Sicherung vor einem Flugzeugabsturz war eben schon Thema. Wir wissen, es besteht tatsächlich ein Rest

risiko, wenn eine große Passagiermaschine, vielleicht in einem terroristischen Akt, gerade von oben hinab abstürzt. Wenn es kleine Verkehrsmaschinen sind, kleine General-Aviation-Flugzeuge, dann ist es wahrscheinlich auch durch den bisherigen Schutz beherrschbar.

Aber jetzt müssten Sie langsam zum Ende kommen.

Durch die vielen Unterbrechungen bitte ich, noch 20 Minuten draufzugeben!

Was man sich noch einmal anschauen muss, ist die Nachbewertung der Absturzwahrscheinlichkeiten, nachdem der Flughafen in Betrieb gegangen ist. Da bin ich bei Ihnen. Es gibt aber ein Flugbeschränkungsgebiet. Das hat es schon gegeben, und die Grünen fordern, es beizubehalten. Das gibt es, das wird es selbstverständlich auch geben. Ich könnte Ihnen die genauen Meterzahlen sagen, leider ist aber die Zeit abgelaufen.

Dann müssen wir uns vor allem eins zusammen anschauen: Für den Fall von Beschädigungen – sei es aus dem Reaktor, sei es aus dem Ablauf heraus, intern oder extern – ist eines wichtig – Sie kennen die Diskussionen über Risse im Reaktor oder im Wasserbehältnis: Kann – wenn es wirklich einen großen Schaden gibt – kontaminiertes Wasser ungehindert in die gesamte Experimentierhalle fließen? Mit welchen Auswirkungen? Ich glaube, das ist einer der Punkte, den man sich noch einmal anschauen sollte. Das werden wir sehr verantwortlich in den Fachausschüssen besprechen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege Buchholz! – Es gab eine Wortmeldung für eine Kurzintervention bei den Piraten. Wer macht das? – Herr Kowalewski bitte!

Herr Buchholz! Zum Restrisiko: Natürlich ist ein Forschungsreaktor mit einer Leistung von 10 Megawatt etwas anderes als ein Atomkraftwerk mit einer Leistung von – sagen wir einmal – 800 Megawatt aufwärts. Ein Atomkraftwerk nach heutigem Standard hat ein Containment. Es hat natürlich auch nicht nur einen Kühlkreislauf, sondern mehrere. Es ist eine andere Größenordnung. Das heißt aber nicht, dass das Risiko deswegen kleiner wäre.

Wenn das Strahlrohr bricht, würde natürlich das Wasser ungehindert in die Experimentierhalle laufen, weil es sonst nichts anderes machen kann – Wasser folgt der Schwerkraft, und wenn die Absperrung nicht mehr exis

tiert, läuft es eben, der Schwerkraft folgend, in die Experimentierhalle und von dort aus, weil es eben keine weitere, dichte Abschirmung gibt, weiter. Natürlich ist der Reaktor mit sinnvollen Abschirmungsmechanismen versehen. Da gibt es etwa einen Unterdruck. Aber das war’s dann auch schon.

Zwischen dem Reaktor selber und der Experimentierhalle ist nur die Betonwand, und dann kommt nichts mehr auf dem Weg nach draußen zum Wannsee hin.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Der arbeitet doch drucklos; nicht mitgekriegt?]

Natürlich arbeitet er drucklos; das wollte ich nicht bestreiten. Trotzdem kann sich Druck aufbauen, etwa wenn eine nukleare Kettenreaktion unkontrolliert einsetzen würde. Das ist sehr unwahrscheinlich, aber dann würde sich Druck aufbauen, und der würde im Zweifelsfall zu einer Explosion führen, die die Hülle zerstören würde.

Es gibt viele Punkte, über die wir uns im Ausschuss gern noch einmal unterhalten können. Ich wollte nur sagen: Es ist natürlich kein Kernkraftwerk. Es gibt keine Turbinen, es gibt keinen Druck. Aber es gibt trotzdem ein Risiko. – Vielen Dank!

Herr Kollege Buchholz, Sie wollen erwidern. – Bitte schön!

Herr Kowalewski! Sie haben, völlig zu Recht, ein paar Fremdwörter eingebaut. Sie haben sich intensiver damit beschäftigt. Ich will gerne direkt auf Sie antworten und darf auch einmal aus dem Sonderbericht zitieren:

Das Ergebnis der Sonderprüfung hat bestätigt, dass der Forschungsreaktor aufgrund von konstruktiven Charakteristika und verwendeten Materialien auch und gerade im Vergleich zu Kernkraftwerken einen hohen Grad inhärenter Robustheit besitzt.

Das ist die erste Feststellung. Sie wurde sowohl vom TÜV Rheinland als auch von der Senatsverwaltung geteilt.

Dann ist es eben etwas anderes, einen wirklich großen Kernreaktor unter Druck oder einen kleinen Forschungsreaktor drucklos in diesem sogenannten Schwimmbadreaktor zu betreiben. Da ist auch ganz klar festgestellt worden, dass die Robustheit zum Beispiel bei lang anhaltenden Notstromausfällen und anderen Dingen, die man alle aufzählen kann, ganz anders ist. Sie brauchen eben keine aktiven Sicherheitselemente. Der Reaktor selbst ist grundsätzlich schon ein kleiner Trägerreaktor.

Meine Bitte ist: Lassen Sie uns das in den Ausschüssen gemeinsam mit Pro- und Contrabefürwortern besprechen! Dann werden wir zu diesem Thema noch schlauer werden und hoffentlich auch gemeinsam entscheiden, ob es unter dem Gesamttableau verantwortbar ist, dass das Leben an sich gefährlich ist und wir niemals ein Restrisiko ausschließen können. Dann würde es auch keinen Spaß mehr machen; das wissen wir beide. Wenn es vermeidbar ist, muss man es ausschließen. Wenn es nicht vermeidbar ist, muss man sich fragen: Ist es verantwortbar, was den Betrieb und die Betätigung eines Forschungsreaktors zu wissenschaftspolitischen Zwecken angeht, wenn man sich über alle Risiken im Klaren ist? Das können wir gerne gemeinsam tun. Dafür sind wir in den Fachausschüssen da.

Vielen Dank, Herr Kollege Buchholz! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Kubala das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir hier über die Zukunft des Wannseereaktors sprechen, dann sollten wir uns alle angewöhnen, auch das Risiko ernsthaft anzusprechen. Dazu gehört auch, es nicht zu übertreiben.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD]

Es ist einfach falsch, dass man die Stadt nach einem Unfall nicht mehr betreten kann. Es kann nach einem Unfall im Wannsee-Reaktor zu einer radioaktiven Kontamination im Umkreis von vier Kilometern kommen. Das ist eine Tatsache. Aber sie ist auch nicht zu verharmlosen, Herr Buchholz. Es ist nicht sonderlich hilfreich, aus dem Gutachten zu zitieren, das nicht so ergebnisoffen und unabhängig ist, wie wir es uns erwartet haben. Das ist allein die Aussage der Betreiberin oder des Gutachters, der seine eigene Expertise im Genehmigungsverfahren sicherlich nicht in Frage stellen wird. Also: nicht verharmlosen, aber auch nicht übertreiben!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir müssen versuchen, das hier zu diskutieren und das damit einhergehende Risiko – und es gibt das Risiko der Freisetzung von Radioaktivität – mit den Hoffnungen und Forschungsaktivitäten in Einklang zu bringen. Wir müssen überlegen, ob der Reaktor hier eine Zukunft haben soll. Ganz klar und im Wissenschaftsbetrieb anerkannt ist, dass solche Reaktoren keine Zukunft haben, dass sie ein Auslaufmodell sind. Es ist nur die Frage, wann und wo andere Neutronenquellen, wie zum Beispiel Spallationsquellen, bereitstehen werden. Hinzu kommt die wichtige Frage, ob man dann diese Forschungskapazität in Berlin halten kann.

Diesen ganzen Komplex abzuwägen, mit dem Risiko, dass mit dieser Anlage verbunden ist, ist unsere Aufgabe. Deswegen haben wir in der letzten Wahlperiode ein Gutachten, einen Stresstest in Auftrag gegeben. Es sollte unabhängig und offen begutachtet werden. Das Ergebnis des Stresstests erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es wurde ein Gutachten von einem Gutachter gemacht, der seine Expertise im Genehmigungsverfahren eingebracht hat. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sie im Nachhinein nicht infrage stellt. Es wurde zudem allein nach Aktenlage und Angaben der Betreiberin beurteilt. Das halten wir nicht für vollständig und ergebnisoffen.

Das Risiko eines Flugzeugabsturzes wird bagatellisiert. Wenn man sagt, das sei ein Restrisiko, das man in Kauf zu nehmen habe, dann ist das keine adäquate Antwort auf die davon ausgehende Bedrohung.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir müssen sie besonders sorgfältig prüfen, weil Schönefeld ausgebaut wird, weil es die Möglichkeit des Überflugs gibt. Diese Gefahr besteht. Selbst der Gutachter sagt deutlich, wenn die Flugrouten bekannt sind, muss das Risiko neu bewertet werden. Deswegen bringt uns das, was uns jetzt vorliegt, nicht in die Lage, das Risiko zu bewerten. Deswegen weisen wir das Gutachten zurück. Auf der Grundlage dieses Stresstests können wir das Risiko nicht bewerten. Solange wir kein nachgebessertes, angepasstes Gutachten haben, wollen wir nicht, dass der Reaktor wieder in Betrieb geht.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Das Risiko des Flugzeugabsturzes gibt es. Das kann man nicht kleinreden. Auch, wenn es nach dem jetzigen Verlauf der Flugrouten nur eine Notfallflugroute sein wird, ist das Überflugverbot bei Anflug und bei freigegebenen Abflügen nicht gesichert.

Wir wollen, dass sich der Senat gleichzeitig in die Pflicht nehmen lässt zu sagen: Dieser Reaktor steht langfristig nicht mehr zur Verfügung. Wir wollen auch, dass er ein Gespräch mit allen Akteuren, wie dem Bund und Wissenschaftseinrichtungen, beginnt und einen Weg aufzeichnet, wie die Forschungskapazität durch Alternativen in Berlin gehalten werden kann. Es muss gemeinsam überlegt werden, wie die Arbeitsplätze der Forscher vor Ort erhalten werden können.

Die Sicherheit der Anwohner und Anwohnerinnen steht für uns ganz klar vor dem Forschungsinteresse. Wir wollen, dass dieser Reaktor schnellstmöglich außer Betrieb genommen wird, weil er nicht mehr zeitgemäß ist. Gleichzeitig fordern wir den Senat mit unserem Antrag auf, tätig zu werden, um der Wissenschaft eine Zukunftsperspektive aufzuzeigen. – In diesem Sinn werden wir in die Ausschüsse gehen. Wir werden gemeinsam beraten, wie man das in Einklang bringen und einen gemeinsamen Weg aufzeigen kann.

[Beifall bei den GRÜNEN]