Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

[Zuruf von den PIRATEN: Nicht nur er!]

Gut, mehrere! – Es beginnt in der Beratung die Piratenfraktion. – Kollege Spies! Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So auf den letzten Metern dieser Legislaturperiode hat die Koalition beschlossen, ein Vorhaben, das seit Anbeginn im Koalitionsvertrag stand, noch zu verwirklichen, ziemlich im Schweinsgalopp, selbst wenn wir dazu zwei Anhörungen gemacht haben. Es gab, bevor die Gesetzesvorlage eingebracht worden ist, durch den Senat nur eine eingeschränkte Beteiligung der Betroffenenvertretungen.

Der Gesetzentwurf ist ja schon relativ alt. Ich beschäftige mich seit drei Jahren damit. Es ist von vornherein klar, dass Ziel dieses Gesetzes die Einführung von Zwangspsychiatrie ist. Wir erinnern uns, im Jahr 2011 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil sämtliche Bestimmungen, die Zwangsbehandlungen ermöglichen, für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin sind die Psychischkrankengesetze, die solche Bestimmungen enthalten haben, außer Kraft getreten. Das Berliner PschyKG enthielt zwar keine solchen Bestimmungen, aber gerade das ist das Problem, weil jetzt die bundesgesetzlichen Regelungen Zwangsbehandlungen nicht mehr ermöglichten. Selbst mit einer Änderung des Betreuungsgesetzes, die das eingeschränkt ermöglichte, war es eben sehr erschwert, eine Zwangsbehandlung durchzuführen.

Worum geht es jetzt? – Es geht nicht darum, dass es keine Möglichkeit gibt, bei Gefahr im Verzug oder bei Selbstgefährdungen angemessen zu reagieren. Es geht vor allem darum, Zwangsbehandlungen bei sogenannter

(Wolfram Prieß)

Krankheitsuneinsichtigkeit zu ermöglichen. Hier zitiere ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, aus der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts:

In Deutschland existieren … keine medizinischen Standards für psychiatrische Zwangsbehandlungen, aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten entlassungsfähig zu machen, ausschließlich im Fall krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig sind.

Das ist nach meiner Kenntnis noch die gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Da ein anderes Verfahren in diesem Jahr zur Entscheidung ansteht, könnte es sein, dass schon mit Ablauf des Jahres das Gesetz, wenn es denn hier beschlossen wird, an dieser Stelle verfassungswidrig ist.

Es geht hier vor allem um § 28 Abs. 6, der, obwohl Grüne und Piraten die Streichung beantragt haben, im Gesetz verblieben ist. Es gab einige Änderungen der Koalition, z. B. wurde die Möglichkeit gewaltsamen Betretens der Wohnung durch den sozialpsychiatrischen Dienst entfernt. Es wurde bei der Einrichtung der Besuchskommission einiges verbessert. Auch die Überprüfbarkeit des Gesetzes wurde verbessert. Das reicht uns aber nicht, denn im Kern bleibt eben die Ermöglichung von Zwangsbehandlungen das Entscheidende, das in diesem Gesetz festgeschrieben wird.

Es ist so, dass wir darauf gedrängt haben, dass das Gesetz von der Monitoringstelle für die UN-Behindertenrechtskonvention überprüft wird. Das geschah teilweise. Wenn wir auch keinen offiziellen Bericht haben, hat doch der Leiter der Monitoringstelle Dr. Aichele in der Anhörung eindeutig gesagt, dass seiner Ansicht nach das Gesetz in dieser Form nicht in Kraft treten darf. Deswegen appelliere ich hier noch einmal an Ihr Gewissen, dieser nicht hinzunehmenden Grundrechtseinschränkung für Menschen mit Behinderung nicht zuzustimmen bzw. unsere Änderungsanträge bzw. den Änderungsantrag der Grünen anzunehmen, die das Gesetz verfassungskonform machen würden. Genau das ist der Grund, weil ich denke, Sie sollten das auch als eine Gewissensentscheidung und nicht nur als eine Frage der Koalitionsdisziplin ansehen, warum die Piratenfraktion hier eine namentliche Abstimmung beantragt hat. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Danke schön! – Kollege Isenberg! Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken diskutieren wir schon sehr lange bezüg

lich der Eckpunkte. Begonnen in der letzten Legislaturperiode, haben wir uns knapp über 14 Wochen Zeit genommen, in vier Ausschüssen sehr intensiv das Gesetz zu beraten, haben zwei Sachverständigenanhörungen dazu durchgeführt und den guten Entwurf des Senats an wesentlichen Stellen verbessert. Wir bauen den Schutz der Betroffenen dadurch aus, dass wir Besuchskommissionen des Landes – zwei Stück – einsetzen, die jederzeit unangemeldet die psychiatrischen Einrichtungen besuchen, mit den Betroffenen sprechen können, deren Berichte auch dem Parlament zugeleitet und diskutiert werden, sodass wir systematisch die Fragen, die sich daraus ergeben, in der weiteren Gesetzgebung aufnehmen können.

Das Gesetz wird im Übrigen in jeder Legislaturperiode extern evaluiert, sodass es auch ein kontinuierlicher Besprechungsgegenstand in diesem Hause bleiben wird. Die Besuchskommissionen, wie auch die vorgeschlagenen Vertreter des Landespsychiatriebeirats, werden im Gesundheitsausschuss befragt, von diesem letztendlich dann gewählt und von der Exekutive berufen. Die Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie wird in ihren Aufgaben gestärkt. Wir werden sie in Zukunft auch mit weiteren Mitteln ausstatten müssen. Insofern verankern wir hier weitere Qualitätsverbesserungen im psychiatrischen Hilfesystem, das in dieser Stadt sehr ausgefeilt existent ist.

Und in der Tat gab es eine Debatte darüber, wie man jetzt mit Menschen umgeht, die eine Psychose haben, die einen Schub haben, die in ihrer akuten Hilfsbedürftigkeit Hilfe bekommen müssen. Ist es human, jemanden, der psychiatrisch krank ist, der in seiner Psychose lebt, darin zu belassen, oder ist es inhuman? Müssen wir als Staat nicht de facto Hilfen anbieten, die es ihm ermöglichen, wieder eine freie Entscheidung treffen zu können? – Letzteres ist Leitbild dieses Gesetzes und auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Wenn jemand unter klaren Bedingungen hilfebedürftig ist, konkurriert dieser Schutz der Persönlichkeitsrechte, eine Zwangsbehandlung notfalls auch mit Medikamenten durchzuführen, um eine Entscheidungsfähigkeit wiederherstellen zu können, dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit letztendlich mit anderen Rechten, die der Staat zu gewähren hat, nämlich das Herstellen einer freien Entscheidungsfähigkeit. Insofern haben wir das Gesetz präzisiert. Eine Behandlung hat nicht das Ziel, jemanden krankheitseinsichtig zu machen. Die Behandlung hat ausschließlich das Ziel, eine Situation herbeizuführen, wo dieser Mensch wieder entscheidungsfähig ist und abwägen kann, wie er denn behandelt werden möchte. Im Übrigen: Hätte jemand eine Patientenverfügung, die eine medikamentöse Behandlung ausschließt, würde sie nicht durchzuführen sein. Das Ziel ist die Herstellung der Entscheidungsfähigkeit. Dieses ist analog der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier verankert.

[Beifall bei der CDU]

(Alexander Spies)

Die UN-Behindertenrechtskonvention geht wesentlich darüber hinaus. Das Bundesjustizministerium hat in vielen Rechtsgutachten und Stellungnahmen klargestellt, dass die Bindungswirkung der UN-Behindertenrechtskonvention eingehalten wird. Es gibt ein Unterkomitee, das Empfehlungen ausspricht, die über die Bindungswirkung, die für Deutschland rechtlich verbindlich ist, hinausgehen. Das akzeptiert Deutschland nicht, dass wir etwas aufgreifen sollen, was wir nicht in der Form unterschrieben haben. Insofern sind wir der Meinung, dass dieses Gesetz einen guten Kompromiss zum Ausbau des psychiatrischen Hilfesystems und der Ermöglichung der Freiheitsrechte von Patientinnen und Patienten darstellt, indem ihnen in einer Situation, wo sie leider nicht mehr entscheidungsfähig sind, alle Hilfen zuteilwerden, die notwendig sind. Lassen Sie uns zustimmen! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Danke schön, Kollege Isenberg! – Dr. Behrendt hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Kollege Isenberg! Sie haben das ganz richtig beschrieben, welche Frage heute hier zur Entscheidung ansteht. Denn der Senat will mit dem Gesetz – das ist ausgeführt worden – die Zwangsbehandlung während einer Freiheitsentziehung neu regeln. Deshalb muss jede Kollegin und jeder Kollege hier im Haus nachher bei der namentlichen Abstimmung darüber entscheiden, wann und wie intensiv der Staat die Freiheit der betroffenen Berlinerinnen und Berliner einschränken und dabei zwangsweise die Persönlichkeit verändernde Psychopharmaka verabreichen darf.

Wir Grüne beantworten die Frage, die Sie gestellt haben, Kollege Isenberg, nicht so wie die Koalition. Wir sagen, aufgezwungene Hilfe, mit Gewalt aufgezwungene Hilfe verletzt die Selbstbestimmung, verletzt auch das Recht auf Krankheit, das es gibt. Deswegen wollen wir das auf den absoluten Ausnahmefall beschränkt wissen und nicht so weitgehend, wie Sie das in § 28 Abs. 6 zukünftig regeln wollen. Uns ist der Ausnahmecharakter dieser Zwangsbehandlung zu wenig betont, denn wir wünschen uns einen Weg hin zu einer gewaltfreien Psychiatrie, der zunächst einmal weniger Gewalt erfordert. Ihr Entwurf ermöglicht recht weitgehende Gewaltanwendungen. Wir wollen zudem mehr niedrigschwellige Hilfsangebote, die vor einer medizinischen Behandlung und auch vor einer möglichen Zwangsbehandlung einsetzen.

Mit unseren 22 Änderungsanträgen wollen wir dem Grundsatz, die Psychiatrie auf der Grundlage der Freiwilligkeit weiterzuentwickeln, entsprechen, denn Selbstbe

stimmung auch von kranken Menschen muss ermöglicht und befördert werden. Hierzu gehört, die Autonomie schützenden Patientenverfügungen – sie sind angesprochen worden – stärker im Gesetz zu berücksichtigen. Wir wollen eine enge zeitliche Begrenzung von Fixierungen und einen schnelleren Rechtsschutz bei Zwangsmaßnahmen. Wir wollen einen verbindlichen Anspruch der Eingesperrten auf eine Stunde Aufenthalt unter freiem Himmel pro Tag.

Die Koalition konnte sich leider auch nicht unserem Antrag anschließen – ich glaube, das kann jeder hier nachvollziehen, auch wenn man keine medizinischen Fachkenntnisse hat –, Elektroschocktherapien ein für alle Mal sein zu lassen.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Warum das denn nicht?]

Wer den Film „Einer flog über‘s Kuckucksnest“ kennt und erinnert, hat eine Vorstellung davon, was passiert, wenn fünf, sechs kräftige Pfleger jemanden gegen seinen Willen mit Gewalt fixieren und dann mit Elektroschock behandeln. So etwas wollen wir in den Berliner psychiatrischen Kliniken in Zukunft nicht mehr haben.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es ist anzuerkennen, dass der Entwurf handhabbare Regelungen zu den Besuchskommissionen enthält und dass auf das Betretensrecht des Sozialpsychiatrischen Dienstes – das ist immerhin etwas, was Herr Senator Czaja unbedingt noch ins Gesetz hineinschreiben wollte – nunmehr verzichtet wird. Da haben die Beratungen doch etwas gebracht. Das ist zu begrüßen.

Wir würden gerne zur Wahrung der Verfahrensrechte der Betroffenen die Dokumentationspflichten gerade bei der Zwangsbehandlung erweitern. Das ist deshalb vonnöten, weil die Betroffenen, die sich dem ausgesetzt sehen und durch die Vergabe der Psychopharmaka nur sehr eingeschränkt berichten können, was ihnen eigentlich passiert ist, uns das nicht berichten können. Deswegen brauchen wir stärkere weitere Dokumentationspflichten in diesem Fall.

Wir wollen auch eine Pflicht der Nachbesprechung dieser Zwangsbehandlungen mit den Patienten. Das schulden wir zumindest den Betroffenen. Wenn wir ihnen schon gegen ihren Willen Psychopharmaka applizieren, dann sollte wenigstens danach obligatorisch ein Gespräch mit ihnen stattfinden. Nicht einmal dazu konnte sich die Koalition in diesem Hause durchringen. Das ist bedauerlich. Das weist nicht in die richtige Richtung. Dieses Gesetz bringt wenig Fortschritte.

Wir haben zwar ausführlich durch die zwei Anhörungen im Ausschuss darüber beraten. Die Koalition hat sich zu einigen Änderungen verständigen können, unseren weitergehenden Änderungsanträgen haben Sie jedoch die

(Thomas Isenberg)

Zustimmung verweigert, und das halten wir deshalb auch mit Ihrem Gesetz heute so. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Für eine Kurzintervention hat jetzt der Kollege Isenberg das Wort.

Herr Dr. Behrendt! Man merkt, dass Sie juristisch und nicht gesundheitspolitisch argumentieren. Ihr Vorgänger, der Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hat durchaus in der Vergangenheit auch sehr viel für diesen Gesetzesentwurf übrig gehabt.

Sie haben suggeriert, die SPD-Fraktion und ich würden hier willkürlich solche Instrumente unterstützen. Das ist nicht das Ziel. Wir wollen eine möglichst gewaltfreie Psychiatrie. Wir werden auch weiter die Ausfinanzierung der Psychiatrie durchführen müssen. Ich habe gerade dargestellt, dass es ein Verfassungsgut ist, einem Menschen, einem Bürger einen Zugang zu einer freien Entscheidung zu ermöglichen, und dazu sind therapeutische Interventionen unter Umständen notwendig, auch wenn sie letztendlich unter Umständen zwanghaft sein mögen.

Ich habe auch gesagt, dass das der letzte Schritt sein muss. Er ist im Gesetz benannt. Im Gesetz steht, was die Kaskade davor ist. Im Übrigen haben wir auch hier Vorbehalte der Gerichte, die im Zweifelsfall zustimmen müssen. Es ist kein Willkürsystem, das hier verankert wird.

Noch ein drittes Argument: In dem Fall, wenn ein Arzt oder eine Klinik zu einer Medikation oder zu anderen Maßnahmen greifen würde und es wäre nicht mit der therapeutischen Zielsetzung vereinbar, nicht mit der plausiblen Erklärung, dass das zur Entscheidungswiederherstellung führen mag, dann wäre das im Zweifelsfall auch weiterhin eine Körperverletzung, die strafbar ist und darüber hinaus standesrechtlich zu ahnden wäre.

Es ist bei Weitem nicht so, dass wir mutwillig mit diesem Gesetz Tür und Tor öffnen für jegliche Art von staatlicher Gewalt in einem staatlichen Hilfesystem. Das Gegenteil ist der Fall, und trotzdem werden wir die Psychiatrie in der nächsten Legislaturperiode sicherlich in der Ausgestaltung, im bürgerorientierten Zugang, in der Niedrigschwelligkeit und auch in der Ausfinanzierung weiter erörtern müssen. – Vielen Dank!

Danke schön! – Zur Erwiderung hat der Kollege Behrendt das Wort. – Bitte schön! – Ansonsten bitte ich darum, dass der Geräuschpegel wieder etwas zurückgefah

ren wird. Wenn unbedingt Gespräche geführt werden müssen, dann bitte draußen, auch die Grüppchenbildung.

Schade, Herr Kollege Isenberg! Ich hatte gehofft, dass Sie die Chance nutzen, uns zu erklären, warum die SPD an der Elektroschocktherapie so massiv festhält, obwohl es weitgehendem wissenschaftlichem Stand in Medizinerkreisen entspricht, dass gegen den Willen eine unmenschliche Behandlung ist. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich gegenüber dem Koalitionspartner durchsetzen. An der einen oder anderen Stelle haben Sie sich durchgesetzt, aber bei der Elektroschocktherapie nicht, und das macht den Leuten Angst. Das muss man ganz deutlich sagen.

Ich habe auch nicht von Willkür gesprochen. In der Psychiatrie in Berlin herrschen keine willkürlichen Zustände. Ich habe nur gesagt, dass Sie nicht bereit sind, auf solche Behandlungsformen, und die sind wirklich brutal, zu verzichten. Gucken Sie sich das an! Das ist gefilmt worden. Lassen Sie sich von Betroffenen berichten, die das erleben mussten. Elektroschock gehört einfach abgeschafft!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dann haben Sie mir vorgehalten, ich würde rechtlich argumentieren. Zum einen geht es hier um eine Gesetzesberatung, und da sollte man an der einen oder anderen Stelle rechtlich argumentieren. Herr Kollege Isenberg! Es ist eine menschenrechtliche Frage, wie weit ich dem Staat gewähre, Bürger gegen ihren Willen einzusperren, ihnen die Freiheit zu nehmen, das ist das Schlimmste, was der Rechtsstaat kann,

[Beifall bei den GRÜNEN]

und ihnen dann auch noch persönlichkeitsverändernde Medikamente gegen ihren Willen zu spritzen. Das ist ein sehr schwerwiegender Eingriff. Wir haben vorhin über die stille SMS gesprochen. Die ist damit überhaupt nicht vergleichbar. Das ist der härteste Eingriff, den sich der bundesrepublikanische Rechtsstaat herausnimmt, Leute einzusperren – sie haben keine Straftat begangen, sie sind krank – und gegen ihren Willen zwangszubehandeln. Das sollte man sich ganz genau überlegen, wie weit man das will und unter welchen Voraussetzungen man das will. Das ist keine allein medizinische oder gesundheitspolitische Frage. Ich bin froh, dass nicht mehr alleine Ärzte über diese Fragen entscheiden, sondern das auch Juristen zu Rate gezogen werden, denn auch das ist ein Fortschritt.

Ich will jetzt nicht über die Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik sprechen. Wir haben auch in den Siebzigerjahren erhebliche Missstände in der bundesrepublikanischen Psychiatrie gehabt. Die Psychiatrie-Enquete hat das alles ergeben. Die Enthospitalisierung ist besser