Protokoll der Sitzung vom 04.05.2017

Kuriosität Nummer eins: Mehrsprachige Kinder fallen mit sechs Jahren genau zum Schulbeginn vom Himmel. – Das ist doch so, liebe Frau Remlinger. Bildungseinrichtung Kita: Kinder brabbeln ihre ersten Wörter, in diesem Fall in mehreren Sprachen, doch schon ab einem Jahr. Warum findet sich denn kein Wort zu dieser entscheidenden Phase bei der Sprachbildung in Ihren Eckpunkten? Sorry, meine Damen, aber wer die Kita komplett auslässt, ist schon ziemlich am Thema vorbei.

[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Paul Fresdorf (FDP)]

Nummer zwei: Ein breiteres Sprachlernangebot an unseren Schulen zu schaffen, das sich an den Realitäten und Bedürfnissen der Berliner Bevölkerung orientiert, ist ein grundsätzlich richtiger Ansatz. Aber bei der Auswahl neuer Sprachen sollte man sich nicht von kurzfristigen Trends, sondern eher von stabilen Entwicklungen leiten lassen, und da zeigt der Zeiger doch schon lange eher auf Polnisch, Bulgarisch, Russisch, Rumänisch als auf Arabisch oder Kurdisch. Die Nachfrage liegt ganz sicher im Bereich Englisch, Spanisch und auf Französisch. Hier wäre ich Ihnen sehr dankbar, Frau Remlinger, wenn Sie uns im Ausschuss die Datenlage noch etwas genauer darlegen könnten, auf der Sie Ihre Auswahl getroffen haben. Aber Sie haben ja gesagt, bei Kurdisch werde erst erhoben, wer Interesse hat.

[Silke Gebel (GRÜNE): Ja, statistisch!]

Ja, und dann: Kein Ende des aus Gastarbeiterzeiten stammenden Konsulatsunterrichts! – Meine Damen! Der Konsulatsunterricht ist eine Krücke,

[Beifall von Paul Fresdorf (FDP)]

aber hat doch nichts mit einem modernen Mehrsprachenkonzept zu tun und hat auch dort keinen Platz. Schaffen Sie stattdessen konsequent staatliche Angebote! Es handelt sich neben dem Türkischen doch nur noch um wenige noch nicht abgedeckte Schüler und Sprachen.

Dass Sie sich trotz Referendums in der Türkei immer noch nicht von Erdoğan-treuen Türkischlehrern und den aus Ankara vorgegebenen Inhalten verabschieden wollen, verstehe ich wirklich nicht. Integration, die Sie hier vor Kurzem noch so beschworen haben, sieht definitiv anders aus.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und bei der FDP]

(Stefanie Remlinger)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kittler?

Ja, Frau Kittler! Ich habe mir fest vorgenommen, dass Sie mich heute unterbrechen dürfen.

Bitte, Frau Kittler!

Nachher gern zurück! Vielen Dank! – Sagen Sie bitte: Wie oft haben Sie denn schon an einem Konsulatsunterricht teilgenommen, dass Sie den so, wie Sie ihn jetzt beschrieben haben, abqualifizieren können? Wir haben hier durchaus von Frau Lasić schon mal zu ihrem Konsulatsunterricht, den sie genossen hat, etwas gehört.

Wie Sie wissen, und das ist eines der Probleme, ist es sehr schwierig, an diesem Konsulatsunterricht teilzunehmen, weil der hinter verschlossenen Türen stattfindet. Bei dem, was ich dazu weiß – wir reden hier über ein modernes Mehrsprachenkonzept –, kann ich mir nicht vorstellen, dass es von ausländischen Lehrern auf Grundlage ausländischer Inhalte umgesetzt wird. Das widerspricht dem schon komplett.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Vom Prinzip her widerspricht es dem komplett und hat mit einem modernen Mehrsprachenkonzept nichts zu tun.

Lehrer ausbilden: Ja, richtig und gut, aber das dauert mindestens ein Jahrzehnt. Ständig werden mehr Quereinsteiger eingestellt, aber warum finden sich noch immer so wenige Muttersprachler im Mehrsprachenunterricht? Das Potenzial an Lehrern und Erziehern mit ausländischen Abschlüssen in der Stadt wird von der Senatsverwaltung weder erfasst noch ausgeschöpft. Hier gilt es, schnellstens Aktivität zu entwickeln.

Was die Abschlüsse anbetrifft, brauchen wir als Ziel und Standard Doppelabschlüsse, Sprachzertifikate und international anerkannte Abschlüsse. Mit einer weiteren Vermischung von Herkunftssprache und erster Fremdsprache, so, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern, müssen wir allerdings sehr behutsam umgehen, denn das impliziert natürlich eine Besserstellung von mehrsprachigen Schülern gegenüber Schülern, die nur Deutsch als Sprache mit in die Schule bringen. Hier bietet das Europaschulkonzept mit zwei Partnersprachen eine gute Lösung. Deshalb verdient dessen Weiterentwicklung viel mehr als nur einen Nebensatz wie in Ihrem Antrag.

Also, meine Damen: Mehrsprachigkeit an den Berliner Schulen zu verwirklichen, ist ein richtiges Ziel, aber die Eckpunkte, die Sie dazu vorgelegt haben, sind leider nur sehr bedingt zielführend. Meine Hoffnung ist, dass dieser Antrag als Übergangsunterhaltung gedacht war und die Verwaltung bald ein wirklich durchdachtes Konzept vorlegt.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Vielen Dank! – Frau Remlinger hat eine Kurzintervention angemeldet. – Bitte schön! Sie haben das Wort.

Vielen Dank! – Liebe Frau Bentele! Gerade von Ihnen, die Sie aus dem diplomatischen Dienst kommen, wenn ich es richtig im Kopf habe, hätte ich mir ein bisschen mehr Akkuratheit gewünscht, gerade bei dem sensiblen Thema Konsulatsunterricht. Nachdem Sie gerade fünf Jahre regiert haben, stellen Sie sich jetzt hin und sagen: Oh, warum hat denn niemand Lehrkräfte ausgebildet? – Das dauert übrigens nicht ganz zehn Jahre. – Wie sollen wir denn jetzt schlagartig tätig werden, ohne dass Sie als Vorgängerregierung vielleicht eingeleitet hätten, dass wir selbst Lehrkräfte ausbilden, irgendwelche Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir die Mehrsprachigkeit ausbilden? Sie stellen sich jetzt hier hin und sagen, es sei eine Sünde, ein Verbrechen. Sie wissen, dass wir das Schritt für Schritt durchbuchstabieren müssen und eben nicht von heute auf morgen machen können. Wie gesagt, vor dem Hintergrund, dass wir uns als Land mit bestimmten Sprachen nie auseinandersetzen wollten, jetzt ganz flott mal mit dem Finger auf Erdoğan zu zeigen: So würden Sie nie Ihr diplomatisches Geschäft betreiben.

Übrigens ist es für mich relativ durchsichtig: Wenn Sie sich um die Sprachen, die wir deshalb fokussiert haben, weil das die stigmatisierten Sprachen sind, nicht kümmern und sagen, ja, dann machen wir doch Englisch, ist das doch unstrittig. Darum muss man doch nicht kämpfen. Dann machen Sie Bulgarisch usw. Dann turnen Sie lediglich um das Thema herum, wo es sehr wohl eine große Nachfrage gibt und wo sehr wohl schon lange Menschen dafür kämpfen, dass auch ihre Sprachen anerkannt werden. Flüchten Sie sich nicht in den osteuropäischen Raum! Den haben wir mit bedacht. Ich habe mich bewusst darauf konzentriert, dass wir kein vernünftiges Verhältnis zu den Sprachen Türkisch, Kurdisch und Arabisch finden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Frau Abgeordnete Bentele! Möchten Sie erwidern? – Bitte! Dann haben Sie das Wort.

Ich habe versucht, in meiner Einleitung deutlich zu machen, dass uns das Thema Mehrsprachigkeit sehr wichtig ist, dass aber in der Vergangenheit mit der SPD da kein Vorankommen war. Ich fordere auch nicht, dass sich alles von heute auf morgen ändern soll, aber Sie legen Eckpunkte für ein Konzept vor, wo wir langfristig die Linien legen.

Türkisch gibt es schon lange als Fremdsprachenunterricht, und im Mehrsprachigkeitskonzept ist es drin. Wir hatten ein großes Angebot, das von 19 Grundschulen auf vier zurückgefahren wurde. Sie müssen sich doch erst mal fragen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist – vielleicht stimmte auch die Nachfrage nicht –, bevor Sie sagen, dass Sie etwas rehabilitieren wollen. Schauen Sie doch erst mal, was falsch gelaufen ist, was falsch angelegt wurde und was man besser machen muss.

Zum Konsulatsunterricht: Es tut mir leid. Dazu kann man eigentlich gar keine andere Auffassung haben, gerade bei Türkisch, als ganz schnell auszusteigen. Wie Sie da so problemunbewusst sein können, wundert mich wiederum. Es geht darum, ein staatliches Angebot zu schaffen. Was ist denn daran so schwierig zu verstehen?

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Jetzt hat für die SPD-Fraktion Frau Dr. Lasić das Wort. – Bitte, Frau Abgeordnete!

Die SPD ist offenbar Sündenbock für alles.

[Hildegard Bentele (CDU): Seit 20 Jahren!]

Genau, seit 20 Jahren im Bildungsbereich – aber ich fange an.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn das Thema herkunfts- oder muttersprachlicher Unterricht auf der Tagesordnung ist, kommt häufig in Debatten zwangsläufig der Spruch, dass doch die Förderung der deutschen Sprache Vorrang haben müsse. Daher sehe ich mich auch verpflichtet, gleich zu Beginn zu betonen: Stärkung der Sprachbildung und -förderung in der deutschen Sprache ist ein zentrales Anliegen des Berliner Bildungssystems. Daran ist nicht zu rütteln. Wenn wir uns die Mittel für die Förderung der deutschen Sprache im Vergleich zu den Mitteln anschauen, die zum Beispiel für Herkunftssprachen ausgegeben werden, sind die Prioritäten in Berlin ganz klar.

Diese Erklärung vor der Klammer zeigt aber auch, wie vorurteilsbehaftet die Debatten rund um die Herkunftssprachen draußen auch geführt werden. Seitdem ich in Deutschland bin, habe ich unzählige Male Gespräche führen müssen, in denen es um die Bedeutung der Herkunftssprachen versus der deutschen Sprache ging. Ich musste mich schon nach zwei, drei Jahren in Deutschland erklären und rechtfertigen, warum ich mit meinen Eltern kein Deutsch spreche, ich musste mich erklären, warum ich selbst herkunftssprachlichen Unterricht besuche. Mittlerweile muss ich mich regelmäßig erklären, warum ich mit meinem Sohn kein Deutsch spreche, und wahrscheinlich werde ich mich auch erklären müssen, wenn mein Kind im herkunftssprachlichen Unterricht ist, warum ich ihn dorthin schicke.

Ich will das gar nicht anprangern, sondern ich will erklären: Hinter all diesen Gesprächen steckt der Gedanke, dass die Pflege der Herkunftssprache in irgendeinem Widerspruch zum Erlernen der deutschen Sprache stünde – und dies ist schlicht falsch. Dieses Vorurteil basiert auf der Vorstellung, dass das Erlernen verschiedener Sprachen in unserem Hirn in irgendeiner Art und Weise in Konkurrenz zueinander steht. Man stellt sich vermutlich vor, dass es nur begrenzte Kapazitäten gäbe, die dann entweder für das Deutsche oder für eine andere Sprache verwendet werden könnten. Unser Hirn funktioniert jedoch anders.

[Beifall von Dr. Turgut Altug (GRÜNE)]

Durch das Erlernen einer Sprache, egal welcher, werden ganz viele Synapsen zwischen unseren Nervenzellen geknüpft, und diese können später für egal welche Sprache verwendet werden. Das heißt, wenn die Synapsen zum Beispiel für die Herkunftssprache gebildet werden, nützen sie später oder gleichzeitig auch dem Erlernen der deutschen Sprache – oder anders, für uns als Parlament: Jeder Euro, den ich in die Sprachbildung und Sprachförderung der Herkunftssprachen investiere, ist gleichzeitig ein Euro, den ich für die Förderung der deutschen Sprache einsetze. Dagegen kann hier, glaube ich, keiner etwas haben.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Der zweite Aspekt, neben der Wissenschaft, ist der integrationspolitische. Er adressiert die Frage, wie Integration eigentlich passiert. Ich glaube fest ans Fördern und Fordern. Damit das klappt, ist die Grundlage entscheidend. Die Grundlage sind nicht die Zehn Gebote des Innenministers de Maizière. Man muss nicht jedem in der U-Bahn die Hand geschüttelt haben, um Teil unserer Gesellschaft zu sein.

[Heiterkeit von Torsten Schneider (SPD)]

Nein, Integration fängt an, wenn ich dir das Gefühl gebe, dass du hier richtig bist, so wie du bist – solange du dich an das Grundgesetz hältst.

[Beifall von Bettina Domer (SPD)]

Wenn die Sprache der Mutter oder des Vaters eine andere ist als Deutsch, dann gehört sie zu einem selbst dazu, und die Anerkennung durch unser System erfolgt, indem wir die Förderung in der Herkunftssprache stärken.

So komme ich zum Anlass für den aktuellen Antrag: So ganz super läuft es nicht in Berlin mit Blick auf den herkunftssprachlichen Unterricht. Es gibt ihn, aber er wird nicht vom Land Berlin angeboten, sondern von den Konsulaten der Herkunftsländer. Das mag logistisch eine bequeme Lösung sein, denn außer grundsätzlichem Wohlwollen müssen wir nichts aufbringen. Das kann uns jedoch heute mit Blick auf die Bedürfnisse unserer Kinder nicht zufriedenstellen. Wir wollen den herkunftssprachlichen Unterricht selbst anbieten, nach einem eigenen Lehrplan und von Lehrkräften, die in Deutschland ausgebildet bzw. anerkannt wurden. Genau dafür soll der Antrag die Grundlage bilden. Wir wollen Schritt für Schritt für die häufigsten Sprachen in Berlin Unterricht anbieten. Das klärt auch die Frage von Frau Bentele, welche Fragen denn am Ende betroffen sind. Das wird sich daran orientieren, welche Sprachen in Berlin wie vertreten sind.

[Hildegard Bentele (CDU): Das ist hier doch schon festgestellt worden!]

Wir wollen mittelfristig auch selbst Lehrkräfte ausgebildet haben.

Zur Ehrlichkeit gehört dazu – und dieser Punkt ist mir wichtig, wenn das Wort „Konsulatsunterricht“ fällt –: Wir haben viel mehr Sprachen, als wir mittelfristig selbst werden anbieten können. Konsulatsunterricht ist die Grundlage nicht nur für die fünf häufigsten Sprachen, sondern für alle Sprachen in Berlin, in denen momentan herkunftssprachlicher Unterricht stattfindet, auch für die kleineren Sprachen. Daher ist es richtig, zum heutigen Schritt zu sagen: Konsulatsunterricht ganz zu verbieten, wäre Quatsch. Wir wollen jedoch wissen, was dort stattfindet. Wir wollen Anreize schaffen, damit der Austausch mit den Schulen vor Ort gestärkt wird. Und wir wollen, dass das, was dort passiert, möglichst im Einklang mit dem passiert, was wir uns unter Bildung für unsere Kinder vorstellen.

Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen im Ausschuss und vor allen Dingen darauf, dass wir den Antrag und das Konzept zukünftig auf den Weg bringen werden. – Vielen Dank!