Zu klären ist in diesem Zusammenhang auch, ob man Amri in einer Ex-ante-Betrachtung – Sie müssen immer diese Perspektive einnehmen – hätte in Haft nehmen müssen. Das ist etwas anderes, als wenn man ihn hätte in Haft nehmen können. In jedem Fall spricht nach jetzigem Stand viel für einen gravierenden Fehler der Berliner Ermittler, wer auch immer da beteiligt war.
Der zweite Punkt betrifft die Aufklärung der Vorgänge selbst, also die Untersuchung der Tatsachen selbst. Es geht um das, was in den letzten Wochen und Monaten getan wurde, um die Vorgänge aufzuklären. Es geht um das Verhalten und die Mitwirkung der beteiligten Stellen an der Aufklärung. Was wurde an Informationen zusammengetragen? Wo wurde die Öffentlichkeit informiert? Wie wurde sie informiert? Wie wurde das Parlament informiert? Und: Wurde hier gelogen? Wurde hier nicht die Wahrheit gesagt? Wurde getäuscht, um begangene Fehler zu verbergen? Das ist ein anderer Komplex. Wir müssen das trennen. Beides ist sehr gewichtig.
Wir haben uns als Parlament bereits ausführlich informieren lassen, auch und gerade vom LKA 5, dem Staatsschutz. Die Leiterin des Polizeilichen Staatsschutzes, Frau Porzucek, hat ausführlich am 3. April 2017 in der Sitzung des Innenausschusses berichtet, dass auch in einer Ex-ante-Betrachtung aus ihrer Sicht eine Inhaftierung von Amri nicht in Betracht kam. Sie hat dargelegt, dass man in ihrer Abteilung insgesamt sehr eng zusammenarbeitet, gemeinsam entscheidet und es niemals eine Einflussnahme von außen gegeben habe. Das würde sie sich auch verbitten. Man sei an Amri drangewesen, aber es habe nicht gereicht, insbesondere nicht für eine Festnahme.
Mich hat das damals im Ausschuss – und wir haben ganz genau nachgefragt – überzeugt. Nur: Jetzt kommt das Problem; so war es offenbar nicht. Zumindest steht das im Raum, und das müssen wir ausräumen; denn wenn
sich das bewahrheitet, sind das ungeheure Vorwürfe an unsere Ermittler, die im Raum stehen. Der Verdacht besteht, dass im November 2016 vorhandene Erkenntnisse durch eine Umdatierung – wie genau das war, müssten wir sehen – letztlich unterschlagen wurden. Es steht der Verdacht im Raum, dass das Landeskriminalamt Berlin sehr wohl hätte handeln können und müssen, dies aber nicht getan hat, obwohl es das hätte tun können, und nun diesen Fehler vertuschen will. Das ist ein unglaublicher Verdacht. Wir müssen ihn unbedingt aufklären. Vertuschung durch den Berliner Staatsschutz – wenn das zutrifft, dann brennt sozusagen die Hütte im Landeskriminalamt Berlin. Wie wollen wir in Zukunft Verbrechern und Terroristen mit Beamten entgegentreten, die selbst das Recht an ganz entscheidender Stelle brechen? – Da kann es nur ganz konsequentes Handeln geben. Es muss ganz nüchtern und sachlich aufgeklärt werden, ob es zutrifft, und wenn es zutrifft, muss man sehr konsequent vorgehen, gerade, um das Ansehen der Berliner Polizei nicht zu gefährden.
Es ist schwierig, weil ich jemand bin, der immer erst einmal davon ausgeht, dass die Berliner Beamten keine Fehler machen, ihr Bestes geben, aber umso mehr bin ich irritiert, wenn ein Verdacht im Raum steht, der dieses Grundvertrauen meiner Person beschädigt. Ich bin im höchsten Maße irritiert. Aber noch einmal: Wir werden das nüchtern tun. Ich habe auch den Eindruck, dass der Innensenator das genauso sieht. Wir werden das einer nüchternen Betrachtung zuführen, und dann werden wir gegebenenfalls Konsequenzen ziehen.
Noch einmal – man muss den Punkt herausarbeiten, um den es geht: Wenn Fehler passieren, wenn sie im Feuer stehen, ist es etwas anderes, als wenn sie diese Fehler im Nachhinein vertuschen. Wer nie Verantwortung trägt, hat kein Verständnis für Fehler. Wer Verantwortung trägt, weiß, wie das ist. Es können Fehler passieren, auch sie müssen Konsequenzen haben, aber solche Fehler irritieren mich weniger. Aber wenn solche Fehler begangen werden, muss man dazu stehen, und wenn die Polizei tatsächlich Vertuschung in ihren Reihen betrieben haben sollte, dann ist das ein sehr schwerwiegender Vorgang. Aber wir werden sehen.
Wir sollten jetzt durchatmen. Wir sollten in dieser Frage schnell und nüchtern Licht ins Dunkel bringen, und dabei zählen erst einmal nur Fakten und keine Behauptungen. Wir sollten jetzt folgende Schritte unternehmen: Wir sollten uns als Innenausschuss schnell noch einmal informieren lassen. Es bietet sich an, eine Sondersitzung durchzuführen. Daran werden wir nicht vorbeikommen; wir können nicht bis zur nächsten regulären Sitzung im Juni warten. Das muss der erste Schritt sein. Dann muss die Arbeit von Herrn Jost, unseres Sonderermittlers, fortgesetzt werden, damit wir schnell einen ersten Zwischenbericht bekommen. Aufgrund der Strafanzeige des Innensenators gegen das Landeskriminalamt werden jetzt
wahrscheinlich auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen geprüft. Das heißt, es wird ein weiteres Verfahren geben. – Das ist alles ungewöhnlich. Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen die Polizei, gegen das Landeskriminalamt Berlin, das hat es so auch noch nicht gegeben. – Schließlich wird es eine Prüfung geben, ob wir einen Untersuchungsausschuss brauchen. Das wird aber am Ende dieser Entwicklung stehen. Wir sollten da erst einmal die anderen, die jetzt schon arbeiten, ihre Arbeit machen lassen. Und wir sollten das als Parlament ganz genau beobachten. Noch einmal: Wir haben eine zentrale Rolle, noch bedeutender, als es sonst der Fall ist, weil es um Ermittlungsvorgänge der Exekutive geht, und wir müssen das als Parlament – nüchtern und sachlich – beobachten.
Gestatten Sie mir ein paar Worte in Richtung der FDP: Nüchtern und sachlich ist nicht Ihr Ding, und da sollten Sie jetzt Ihren Kurs überdenken und auch korrigieren. Auch Sie haben eine hohe Verantwortung. Es geht nicht darum, schnelle Effekte zu erhaschen und über Facebook irgendetwas in den Raum zu stellen, sondern es geht darum, hier Aufklärung zu erreichen, und das werden Sie mit diesem Kurs nicht hinbekommen.
[Beifall bei der CDU, der LINKEN und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP]
Allem vorweg erst einmal zu Ihrem ständigen Rufen nach einem Untersuchungsausschuss: Eines will ich Ihnen sagen: Hätten wir einen Untersuchungsausschuss, dann wäre das, was jetzt im Raum steht, überhaupt nicht zutage gekommen.
Das liegt vor allem daran, dass in Ihren Reihen wahrscheinlich noch nie jemand in einem Untersuchungsausschuss gesessen hat. Was meinen Sie denn, wenn Sie etwas anfordern, wie lange es dauert? – Sie haben als Untersuchungsausschuss so schnell keinen ungehinderten Zugriff und schon gar nicht auf ungeschwärzte Unterlagen, wie das bei einem Sonderermittler, der das Vertrauen des Senators genießt, der Fall ist. Nur deswegen konnte er als erfahrener Ermittler so schnell die richtigen Fragen stellen. Das hätte der Untersuchungsausschuss in der Form nicht gekonnt. Das ist Teil der Wahrheit, und insofern ist Ihre Forderung, man müsse jetzt endlich einen Untersuchungsausschuss einsetzen und den Sonderermittler sozusagen absetzen, Unsinn und neben der Sache. Noch einmal: Sie tun damit dem Parlament insgesamt keinen guten Dienst.
Also: Es war richtig, vor dem Hintergrund der erschütternden Erkenntnisse, die im Raum stehen, den Sonder
beauftragten einzusetzen. Wir werden uns jetzt berichten lassen und wollen seine neuen Erkenntnisse aus erster Hand vorgetragen haben. Wir werden das nüchtern betrachten. Wir werden den Weg der Aufklärung fortsetzen. Und noch einmal: Wir werden das in aller Konsequenz tun, denn das Vertrauen der Berliner Polizei steht auf dem Spiel. Das ist ein hohes Gut, und da darf es am Ende keinerlei Zweifel geben, damit das Ganze keinen Schaden nimmt.
Ich bin gespannt auf die Sitzung des Innenausschusses. Ich bin gespannt auf die weiteren Schritte. Und noch einmal: Es ist kein guter Tag für einen Innenpolitiker, aber da müssen wir im Interesse des Landes Berlin jetzt durch. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die Tagesordnung umgestellt, weil der Terroranschlag vom 19. Dezember 2016 mit den Erkenntnissen von gestern als Allererstes behandelt werden muss und die Hintergründe umgehend durch Senat und Abgeordnetenhaus ausgeleuchtet werden müssen. Die bisherige Aufarbeitung der schrecklichen Tat hat zutage gefördert, dass Berlin offenbar mehr Fehler zu beklagen hat, als bislang angenommen. Wir werden dafür sorgen, dass diese Verfehlungen mit dem größtmöglichen Tempo aufgeklärt und die nötigen Konsequenzen gezogen werden.
Wir sind entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen. Von Anfang an hat der Senator bewiesen, dass er Transparenz herstellt, auch und gerade gegenüber der Öffentlichkeit, so auch gestern, als er über die veränderte Sachlage sofort informierte. Diesen Weg – nichts verschleiern, umgehend offenlegen – werden wir gemeinsam weitergehen.
Was ist das Neue seit gestern? – Um das genau zu klären, müssen wir darüber nachdenken, was eigentlich bisher bekannt war, weil bei manchen alles Mögliche durcheinandergeht. Deswegen lohnt es sich zu gucken, wie bisher der Sachstand war: dass nämlich der Amri zweimal drei Monate, bis in den September letzten Jahres, observiert wurde und dass diese sechsmonatige Observation keine Anhaltspunkte für eine bevorstehende Tat
erbracht hat. In einem solchen Fall ist es geboten zu entscheiden, ob die Beobachtung fortgesetzt werden soll oder nicht. Nach der Tat wussten wir, dass die Beendigung der Maßnahme ein Fehler war. Die Gretchenfrage ist aber, ob dort ein vorwerfbares Fehlverhalten vorgelegen hat. Es ist sehr leicht, im Nachhinein zu sagen: Warum, verdammt noch mal, habt ihr denn nicht weitergemacht? – Wir gehen bis jetzt davon aus, dass die Handelnden nach bestem Wissen und Gewissen damals über Verlängerung oder Nichtverlängerung der Observation entschieden haben. Auch die Beobachtung der Moschee – eine Maßnahme, in die der Amri reingelaufen ist, die gar nicht in erster Linie seinetwegen lief – hat nach bisherigem Stand keine Erkenntnisse über ihn gebracht.
Neu ist seit gestern, dass spätestens Anfang November aufgrund der Telefonüberwachungsmaßnahme Erkenntnisse über seinen gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Drogenhandel vorlagen und er damit – das hat der Senator ausgeführt – offenbar tatverdächtig war, ein Verbrechen begangen zu haben. Jenseits der vermuteten, aber nicht festgestellten Terrorgefahr war ein anderer schwerer Tatvorwurf offenkundig, der ein Eingreifen verlangt hätte, sodass wir jetzt feststellen müssen: Amri hätte vermutlich schon im November 2016 festgenommen und – so die Ansicht von befassten Juristen – auch in Untersuchungshaft genommen werden können – oder müssen; das müssen wir klären. Hier reden wir, anders als bei der nicht fortgesetzten Observierungsmaßnahme, von einem wohl vorwerfbaren Unterlassen. Wie dies am Ende genau zu bewerten ist, müssen die Verfahren zeigen, die der Senator eingeleitet hat.
Neu ist auch, dass die Beamten im LKA ihren Fehler offenbar – nach jetzigem Stand – verdeckt oder vertuscht haben könnten. Sicher ist, dass es diese beiden verschiedenen Vermerke unter demselben Aktenzeichen gibt. Beweisbar muss erst sein und bewiesen werden muss erst noch, ob dies zum Zwecke der Vertuschung und Täuschung tatsächlich gemacht wurde. Es spricht viel dafür, aber diesen letzten Vorbehalt müssen wir hier noch machen.
Aber die Täuschungswirkung durch den veränderten Vermerk, mit der letztlich auch wir im Innenausschuss von falschen Annahmen ausgehen mussten, ist ein derart schwerwiegender Vorgang, dass darauf alle gebotenen rechtlichen und disziplinarischen Sanktionen folgen müssen, vor allem, um weiteren Schaden für das LKA abzuwenden. Denn wir können nicht zulassen, dass das Vertrauen in unsere Ermittlungsbehörden dadurch nachträglich gestört wird.
Im Lichte dieser neuen Erkenntnisse müssen wir leider jetzt davon ausgehen, vorbehaltlich der Ermittlungsergebnisse, dass nicht nur in NRW oder Baden-Württemberg, sondern wohl auch in Berlin die Inhaftierung des Amri möglich gewesen wäre. Dies ist eine neue, äußerst
bedrückende Sachlage. Für die administrativen und rechtlichen Konsequenzen, die hieraus zu ziehen sind, hat der Innensenator unsere volle Unterstützung.
Hier kommen wir zu der nächsten Aufgabe, zu unserer nächsten Aufgabe; denn damit allein ist es nicht getan. Wir haben als Parlament die Pflicht zu einer verantwortungsvollen politischen Debatte über unsere Sicherheitsbehörden, was immer die Ermittlungen noch bringen werden. Dieses schnelle, wohlfeile Urteil, alles sei ein einziges Versagen, der Staat könne seine Bürger nicht mehr schützen, ist sofortige Affektabfuhr, aber nicht das Ergebnis überlegten politischen Handelns. Auch das LKA beweist täglich, dass es effektiv Kriminalität bekämpft, und es hat auch schon viele schlimme Taten verhindert. Ich kann mir sogar sehr gut vorstellen, wie den Ermittlern zumute ist, deren selbstgestellte Aufgabe und deren Berufsethos es geradezu ist, die Menschen vor gefährlichen Kriminellen zu schützen. Auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden ist das Werk von Menschen, die nicht davor gefeit sind, Fehler zu machen. Entscheidend ist, wie sie damit umgehen, wie die Behörde damit umgeht und wie die Instanzen damit umgehen. Es gibt also schlechterdings keine Sicherheitspolitik, die ausschließen kann, dass Menschen auch Fehler machen, nicht mal in einem Polizeistaat.
Aber – und auch das hat der Innensenator erklärt – wir sind aufgefordert, im Senat und in diesem Haus die etwaigen personellen und vielleicht auch strukturellen Defizite im Landeskriminalamt schnell auf die Tagesordnung zu setzen. Wir werden dazu sehr schnell Berichte des Senators und des Sonderermittlers einfordern und hören, und dazu – da hat der Kollege Lenz recht – eignet sich durchaus eine Sondersitzung des Innenausschusses, die auch zügig einberufen werden könnte.
Er hat uns mit seiner Expertise und seinem Gespür bereits jetzt wertvolle Erkenntnisse geliefert, nach nur 30 Tagen im Amt. Das zeigt, wie richtig unsere Entscheidung war, ihn zu beauftragen. Was wäre eigentlich gewesen, Herr Luthe, wenn wir Ihnen gefolgt wären, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, und auf den Sonderermittler verzichtet hätten?
Sie wollten den nicht. – Eines leuchtet doch wohl jedem ein: Ein Untersuchungsausschuss am Beginn seiner Arbeit hätte nie im Leben so schnell Ergebnisse geliefert, wie es der Ermittler Bruno Jost getan hat.
Vielen Dank! – Lieber Herr Kollege Zimmermann! Vielleicht können Sie kurz erläutern, wann wir erklärt haben, dass wir parallel gerne auch einen Sonderermittler angeblich nicht haben wollen. Ist es nicht vielmehr so gewesen, dass wir von Anfang an genau gesagt haben, dass diese Fragen an allen Stellen aufgeklärt werden müssen?
Herr Kollege Luthe! Sie haben vehement für die frühzeitige Einsetzung eines Untersuchungsausschusses plädiert und nicht für die Einsetzung eines Sonderermittlers. Den haben wir ins Spiel gebracht und eingesetzt und nicht Sie, und er hat jetzt die Ergebnisse geliefert.
Widerlegt ist auch, dass der Sonderermittler irgendwie behindert werde oder sowas. Wie hätte er wohl sonst diese brisanten Akten ausfindig machen können? Wir plädieren dringend dafür, dass Herr Jost seine Arbeit abschließen kann, weil wir für die Aufklärung auf seine Kompetenz nicht verzichten können.
Wir werden aber je nach Inhalt der Berichte genau und verantwortlich prüfen, ob diese eine Neubewertung durch uns verlangen, etwa auch, was die Frage der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betrifft.
Alle Kräfte sind gefordert. Das ist die Behörde selbst, das ist die ministerielle Aufsicht, das ist die parlamentarische Kontrolle, das sind die Gerichte mit ihrer juristischen Überprüfung. Alle Beteiligten müssen beweisen, dass die staatlichen Institutionen mit aller Konsequenz vorgehen und im Interesse der Sicherheit der Stadt handeln. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die AfD-Fraktion hat jetzt der Kollege Woldeit das Wort. – Bitte schön!