Protokoll der Sitzung vom 06.07.2017

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Jasper-Winter?

Bitte, Frau Dr. Jasper-Winter!

Herr Kollege! Stimmen Sie mir zu, wenn Sie über die Art und Weise der Terminerlangung sprechen, dass für die Menschen, die morgens um 4 Uhr am Standesamt Mitte zum zweiten und zum dritten Mal vergeblich mit ihren Neugeborenen stehen, die Terminerlangung per Computer zu Hause durchaus Sinn machen würde?

(Niklas Schrader)

Selbstverständlich, Frau Kollegin, ist das eine sinnvolle Maßnahme, nur ist das doch nicht der entscheidende Punkt, um den es hier geht. Es geht doch darum, dass diese ganzen Bemühungen, ob sie nun auf diesem oder auf einem anderen Wege kommen, völlig im Sande verlaufen. Sie müssen doch davon ausgehen, dass, wenn solche Anträge kommen, die auch bearbeitet werden müssen. Da liegt das Problem, und das wissen Sie genauso gut wie ich.

Auch der Gedanke, die Ausbildung zu verkürzen, zeugt von Kopflosigkeit. Im Mittelpunkt darf nicht panikartiger Aktionismus zulasten der Qualität der Verwaltungsleistungen stehen; auch das wäre postfaktisches Haschen nach einem kleinen Strohhalm in einer leeren Flasche.

Die FDP will nun zudem wohl die wenigen erfahrenen Standesbeamten auch noch in die Ausbildung abziehen. Das ist doch im Grunde nur lächerlich, das kann doch nicht Ihr Ernst sein.

Eine angemessene, deutlich höhere, konkurrenzfähige Bezahlung, flexiblere Karrieremöglichkeiten für Standesbeamte und eine uneitle, selbstlose Bereitschaft, von erfolgreichen Bezirken zu lernen, das wären die ersten sinnvollen Schritte. Reinickendorf hat gezeigt, wie mit unternehmerischem Verständnis, Erkennen von Prioritäten und Einfallsreichtum die durch den Senat zu verantwortenden Probleme zumindest reduziert werden können, so zum Beispiel die Aufgaben für Standesbeamte erst einmal auf das Notwendigste wie Beurkundungen und Eheschließungen zu fokussieren, innerhalb der Dienststelle Tarifangestellte und Absolventen des allgemeinen nichttechnischen Verwaltungsdienstes für die Aufgaben heranzuziehen, die nicht unbedingt von einem Standesbeamten geleistet werden müssen. Es wäre doch mal ein Zeichen, wenn der rot-rot-rote Senat in seiner kurzen politischen Lebenserwartung wenigstens ein Grundproblem nicht nur erfasst, sondern es auch unverzüglich zu lösen imstande wäre. Hier gilt es, im Sinne alle Bürger dieser Stadt zu handeln. Es gibt eben nicht nur eine Klientel, für deren Status es sich einzusetzen lohnt. Dies, meine Damen und Herren von der Koalition, wird gerade in den nächsten Monaten uns allen auf die Füße fallen, wenn genau diese Menschen mit großer Vorfreude in die Ämter strömen und feststellen, dass dort eben nichts passiert. Schade! – Danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Abgeordnete Frau Remlinger das Wort. – Bitte schön!

Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ubbelohde! Ich weiß nicht, ob ich es richtig verstanden habe, dass Sie sich auch freuen, so, wie wir es tun, dass in den nächsten Monaten viele schwule und lesbische Paare die Ehe werden schließen können. Wenn Sie das so gesagt haben, dann freue ich mich, den ersten sinnvollen Satz von der AfD heute gehört zu haben.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Zuruf von Joschka Langenbrinck (SPD)]

Eigentlich wollte ich zur Kollegin Jasper-Winter sprechen und sagen: Liebe Frau Jasper-Winter! Liebe FDP! Wir teilen durchaus und ständig das Interesse, Berlin wieder zu einer funktionierenden Stadt zu machen, und wir denken, dass wir jetzt gute Voraussetzungen haben, in dieser Wahlperiode ein ganz gutes Stück weiterzukommen. Ich hoffe, dass wir nicht aneinander vorbeireden, als wüssten Sie nicht, welche Prozesse schon unterwegs sind, und wir müssten immer ganz neu draufschauen. Insofern möchte ich an ein paar Punkten Dissens zu Ihrem Ansatz anmelden.

Es scheint uns nicht sinnvoll zu sagen, dass wir innerhalb der über 40 Dienstleistungen, die die Bürgerämter vollbringen, uns nur auf das Standesamt fokussieren. Wie gesagt, als willkommene Gelegenheit, um uns noch mal zu freuen, dass nach 30 Jahren Kampf endlich die Ehe für alle möglich ist, nehmen wir das Thema gern so auf, aber es geht darum, die Bürgerämter als Ganzes fit zu machen. Da ist nicht der Punkt zu sagen: zwei Stellen für jeden Bezirk.

Das Erste, was diese Regierung gemacht hat, war, mit dem Nachtragshaushalt den Bezirken 50 Millionen Euro für mehr Personal zu geben. Mit dem kommenden Doppelhaushalt werden wir noch mal 60 Millionen Euro für Personal für die Bezirke in die Bezirke geben. Das eigentliche Problem ist die Stellenbesetzung. Es ist nicht so, dass wir jetzt noch zusätzliche Stellen hineingeben müssen. Über 1 000 Stellen sind im Moment in den Bezirken nicht besetzt. Sie sind ausfinanziert, sie sind da, und das ist das, was das Land an der Stelle tun kann. Wir können noch über viele andere Dinge sprechen: wie man die Stellenbesetzungen beschleunigen kann, wie man die Vakanzzeiten verkürzen kann, was man tun kann. Über all das kann man reden. Lassen Sie uns aber wenigstens Konzepte für ganze Ämter machen und nicht nur für einen Teil! Dass die Menschen ihr Wohngeld, ihre Aufenthaltserlaubnis oder ihren Berlin-Pass bekommen, dass man einen Führerschein ausgestellt oder einen Reisepass bekommen kann – auch das sind Dienstleistungen, bei denen man genauso ein Anrecht auf Schnelligkeit und gute Dienstleistung hat wie bei der Eheschließung oder der Geburtsurkunde.

Neben dem Geld für Personal und neben den Stellen – ich hoffe, das wissen Sie – haben wir längst eine Organisationsuntersuchung für die Bürgerämter in Angriff genommen. Sie ist nicht nur in Auftrag gegeben, sondern sie ist schon da. Das ist die Grundlage für die Digitalisierung dieser Prozesse. Wir sitzen an der Geschäftsprozessoptimierung, an allem, was dort gemacht wird. – Kommen Sie mit uns auf die Reise, diese Ämter fit zu machen!

Liebe FDP! Wirklichen Diskussionsbedarf haben wir aber dort, wo Sie in Ihrem Ansatz sagen: Wir sehen irgendein Problem in den Bezirken, und dann geben wir genau zwei Stellen in genau dieses Amtszimmer. – Das entspricht eben nicht dem, wie die Verfassung von Berlin geschrieben ist, so funktioniert die Globalsumme nicht, und es hilft nicht, wenn Landesabgeordnete, die auch einmal etwas tun und einen Missstand abstellen möchten, für den das Land einfach nicht zuständig ist, meinen, punktuell eingreifen zu müssen. Bei Ihnen scheint aber durch – deshalb rechne ich durchaus damit, dass von Ihnen noch mehr Anträge dieser Art kommen –, wie auch Kollegin Frau Dr. Brinker vorhin gesagt hat: Wir machen alles zentral.

[Zurufe von der FDP]

Sie hat bei Schule gesagt: Warum machen wir nicht eine GmbH wie Hamburg? Warum ist das auf mehrere Schultern verteilt? – Wir glauben, dass es für unseren Staat und unsere Verwaltung gilt, Dezentralität neu zu denken, dass es gilt, zu modernisieren und eine funktionierende Aufgabenverteilung zu machen. Dass wir aber einfach dirigistisch zentral einen Moloch kreieren, der meint, ein Monopol sei schneller, besser, moderner als die Struktur, die wir jetzt haben – da melde ich Zweifel an. Ich bin zuversichtlich und hoffe, dass wir das noch öfter diskutieren werden, denn Reformbedarf haben wir. Da sind wir dabei. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Swyter?

Herr Swyter, Sie haben das Wort. Bitte!

Vielen Dank, Frau Remlinger! Nur eine kurze Frage: Wie kommen Sie darauf, dass wir die Stadt oder das Land zentral gestalten wollen? Davon war nicht die Rede.

Herr Swyter! Das brauche ich gar nicht zu beantworten – wenn Sie jetzt für die FDP gesprochen haben sollten, dann freue ich mich, dann halten wir das so fest. Ich habe die Kollegin Brinker beim Thema Schulbau vorhin so verstanden, dass sie sich darüber beschwert hat, dass wir Regionalgesellschaften machen wollen. Aber, wie gesagt, wenn das ein Missverständnis war – –

[Sebastian Czaja (FDP): Meinen Sie Frau Jasper-Winter? – Weitere Zurufe von der FDP]

Das war bei der Rechnungshofrede.

Bitte keine Zwiesprachen! – Bitte! Frau Remlinger, Sie haben das Wort.

Das war bei der Rechnungshofrede – ich höre den Kollegen auch bei anderen Themen zu,

[Lachen von Paul Fresdorf (FDP) und Holger Krestel (FDP) – Zuruf von der AfD: Aber Frau Dr. Brinker ist bei uns!]

ob Herr Fresdorf über Bildung spricht oder Frau Brinker über den Rechnungshofbericht oder Frau Jasper-Winter.

Ich hoffe, dass die FDP zu der Frage der Verwaltungsmodernisierung, der Abschaffung der Bezirke und der Zentralisierung eine gemeinsame Meinung hat, über die wir diskutieren können. – Vielen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von den GRÜNEN, der AfD und der FDP]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie an den Hauptausschuss empfohlen. –

[Unruhe bei den GRÜNEN und der FDP]

Sehr verehrte Damen und Herren! Der Irrtum ist aufgeklärt. Können wir jetzt also diesen Antrag überweisen? – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

(Stefanie Remlinger)

lfd. Nr. 4.3:

Priorität der Fraktion der SPD

Tagesordnungspunkt 39

Das Land Berlin als Vorreiter gegen sachgrundlose Befristungen

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0429 Neu

In der Beratung beginnt die Fraktion der SPD. – Frau Abgeordnete König! Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten wollen, dass Menschen sichere, verlässliche und gute Arbeitsbedingungen haben. Dazu gehört, dass wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landes Berlin gute Entwicklungsperspektiven bieten und, wo immer das möglich ist, einen unbefristeten Arbeitsvertrag, denn befristete Arbeitsverhältnisse sind das Gegenteil von guten Arbeitsbedingungen.

Befristete Arbeitsverhältnisse bedeuten immer eine enorme psychische Belastung für die Betroffenen und ihre Familien. Es ist kein gutes Gefühl, nicht zu wissen, wie lange man noch über ein Einkommen verfügt, wie es weitergeht. Man fühlt sich unsicher und ohnmächtig, wenn man das eigene Leben nicht planen kann. – Woher ich das weiß? Weil ich das alles selbst erlebt habe. Es ist zwar schon eine Weile her, aber ich weiß noch, wie es sich anfühlt, nur befristet angestellt zu sein: ein halbes Jahr hier, dann anderthalb Jahre woanders, dann zwei Mal hintereinander wieder ein Jahr woanders – fast immer ohne Sachgrund befristet. Das waren vier Jahre voller Unsicherheit, Existenzängsten und Zweifeln, in denen ich mich ständig auf dem Prüfstein fühlte und mein Leben nicht länger als ein paar Monate im Voraus planen konnte. – Wir finden, um solche mit Befristungen verbundene Belastungen für Arbeitnehmer überhaupt zu rechtfertigen, ist das Vorliegen eines Sachgrundes zwingend erforderlich.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Roman Simon (CDU)]

Solche Gründe gibt es durchaus: zum Beispiel bei einer Elternzeitvertretung oder einem zeitlich begrenzten Projekt, bei dem die Arbeitsleistung kurzzeitig benötigt wird. Das ist alles im Teilzeitbefristungsgesetz geregelt. Nicht akzeptabel ist aber, dass pauschal mehr oder weniger alle Verträge neueingestellter Arbeitnehmer erst einmal auf zwei Jahre befristet werden, dass damit die gesetzlich vorgesehene sechsmonatige Probezeit ausgehebelt wird, dass damit der Kündigungsschutz umgangen wird und dass damit betriebliche Mitbestimmung erschwert wird.

Allein, wenn man sich das Wort auf der Zunge zergehen lässt: „sachgrundlose Befristung“! Das bedeutet, dass man jemanden nur befristet anstellt, obwohl es für die Befristung gar keinen Grund gibt. Einfach so, weil es einfacher, bequemer und risikoärmer ist – das sind nämlich die Gründe dafür – und weil es sich irgendwie etabliert hat. Einfach, weil das Gesetz es ermöglicht, die Risiken der Unternehmen auf die Mitarbeiter zu schieben! Das muss endlich beendet werden.