Protokoll der Sitzung vom 06.07.2017

Und ja, wir werden uns mit diesem Mindestlohn und diesem Mindestentgelt nicht zufriedengeben. Wir wollen eine jährliche Überprüfung und mindestens alle zwei Jahre eine Anpassung. Mit 9 Euro senden wir ein klares Signal in die Berliner Wirtschaft. Die gute Wirtschafts- und Beschäftigungssituation muss bei den Menschen auch ankommen. Und wir beweisen als Rot-Rot-Grün, dass es in dieser Stadt vorangeht.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Nicht zuletzt machen wir Berlin erneut zum Vorreiter für eine weitere Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf Bundesebene. Und darauf können wir heute sehr stolz sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP! Die AfD nehme ich da jetzt mal aus. Setzen Sie gemeinsam mit uns ein Zeichen für mehr Gerechtigkeit in unserer Stadt! Stimmen Sie für den Antrag und nicht so, wie Sie im Ausschuss abgestimmt haben! – Ich danke Ihnen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Schultze-Berndt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU steht zum Mindestlohn in Deutschland, schließlich ist der Mindestlohn von der CDU-geführten Bundesregierung beschlossen worden. Deswegen stehen wir natürlich dazu. Es stellt sich die Frage nach der richtigen Höhe des Mindestlohns. Hier gibt es bundeseinheitliche, bundesweit gültige Kriterien und Gremien, in denen nach festgelegten Regeln der Mindestlohn jährlich ermittelt und festgelegt wird.

Jetzt wollen Sie mit Ihrem Antrag erstens einen Betrag definieren und wollen dann so tun, als wenn dieser wissenschaftlich belegbar ist, weil er höher ist als im Rest der Bundesrepublik Deutschland. Sie wollen künftig alle zwei Jahre irgendwie pseudoakademisch begründen, warum er dann anzusteigen hat. Wenn man weiß, was hinterher rauszukommen hat, nämlich etwas Höheres als das, was bundesweit gilt, dann ist das getreu dem Grundsatz: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Insofern brauchen wir eine solche zielorientierte Akademisierung nicht. Es wäre ehrlicher, Sie würden sagen, wir nehmen den Bundestarif plus einen Euro obendrauf. Das ist keep it simple. Da sparen wir uns eine Pseudodiskussion, die es eigentlich nicht wert ist.

Wir glauben, dass der bundeseinheitliche Tarif an der Stelle richtig ist. Wir haben Probleme, Aufträge zu bekommen. Das Vergabegesetz muss entschlackt werden. Vergabe in Berlin hat Probleme, die Aufträge zu platzieren, wollte ich natürlich sagen. Bei vielen Ausschreibungen beteiligen sich gar keine Handwerker mehr. Die Aufnahme von in der Tat gesellschaftlich gewünschten, aber sachfremden Kriterien bei der Auftragsvergabe ist nicht immer sinnvoll. Ich rede da von auftragsspezifischer Frauenförderung, ich rede von einer Beteiligungsquote für Langzeitarbeitslose, ganz neu ist die Ausbildungsquote, die mit reinkommen soll, und natürlich die bewusst höhere Entgeltung als marktüblich, wie eben jetzt hier gerade vorliegend im Antrag. Wie gesagt, gesellschaftlich gewünscht, aber für den konkreten Handwerksbetrieb, der sich an der Ausschreibung beteiligen will, ist das nicht so richtig komplexitätsreduzierend, wenn man weiß, dass ein Handwerker, wenn er sich einmal für Bundesaufträge, einmal für Landesaufträge in Berlin und dann für Brandenburg bewerben möchte, jeweils unterschiedliche Regelungen einzuhalten hat.

(Lars Düsterhöft)

Anderes Thema: Mehr Geld ausgeben kann jeder. Wir können bestimmen, dass künftig 12 Euro pro Stunde ausgegeben werden,

[Beifall von Harald Wolf (LINKE)]

aber das hilft den Menschen nicht, die wir meinen. Es brauchen die Menschen, die schlecht bezahlte Jobs haben, eine Unterstützung. Wer sind die Nutznießer dieses Gesetzes? – Es sind überwiegend diejenigen Personen, die häufig als sogenannte Helfer, als angelernte Personen ohne eigene Berufsausbildung in einem bestimmten Tätigkeitsgebiet mit in der Regel sehr niedrigem Entgeltniveau arbeiten. Das sind also Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Und das sind mehrheitlich diejenigen, die die Schule ohne formalen Schulabschluss verlassen haben. Und keine Frage: Es sind zu viele Kinder, die in Berlin die Schule ohne Schulabschluss verlassen. 10 Prozent aller Kinder verlassen die Schule ohne Abschluss. Damit sind wir in Berlin mal wieder die Spitzenreiter auf der bundesweiten Looserliste.

Wir haben hier 160 Abgeordnete, 10 Prozent, das wären 16, das ist ungefähr so viel, wie grüne Abgeordnete jetzt anwesend sind, das sind diejenigen ohne Schulabschluss.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Anne Helm (LINKE)]

Bei Ihnen wäre es auch so. – Ich wollte nur sagen, so viele wären es sozusagen, die ohne Schulabschuss das Bildungssystem verlassen. Das halte ich für einen Skandal. Das darf so nicht sein. Wir haben etwas grundsätzlich zu verändern. Wir brauchen eine Umkehr in der Schulpolitik. Unser Ziel muss sein, dass 100 Prozent aller Kinder einen formalen Schulabschluss bekommen. Daran haben wir zu arbeiten, zu ackern, richtig zu knüppeln, und zwar richtig und nicht so wie die letzten 20 Jahre im Schlafwagen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für Die Linke hat der Kollege Gindra das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schultze-Berndt! Sie werfen eine Nebelkerze, wenn Sie jetzt auf die Schule ausweichen. Auch jemand, der keine Ausbildung gehabt hat, kann eine vernünftige Arbeit ausführen und soll dafür ordentlich bezahlt werden.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Und wenn Sie die 9 Euro anführen, das wurde z. B. in Brandenburg, ein direkt angrenzendes Bundesland, mit dem wir vieles gemeinsam haben, oft auch gemeinsame Vergaben oder sonst was, von der Mindestlohnkommission als Mindestlohnhöhe errechnet. Es gibt einen Grund,

warum es 9 Euro sind. Wir als Koalition wollen mehr Menschen, die in Vollzeit arbeiten, davor schützen, dann auch noch zum Jobcenter laufen zu müssen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Mit den 9 Euro liegen wir leicht über dem bundeseinheitlichen Mindestlohn, aber Berlin ist immer etwas vorangeschritten. Wir führten das Mindestentgelt in der Vergabe unter der SPD-Linken-Koalition schon 2010 ein, als die CDU/CSU auf Bundesebene noch den Mindestlohn blockierte. Heute ist es nur noch die äußere neoliberale Rechte mit der AfD, die sich grundsätzlich gegen eine Untergrenze der Entlohnung stellt – nachzulesen auf Seite 19 der Leitlinien der Berliner Fraktion.

[Georg Pazderski (AfD): Dann müssen Sie richtig lesen! Erzählen Sie keinen Unsinn! – Weitere Zurufe von der AfD]

Wenn Sie das nicht wissen, lesen Sie selbst nach, was Sie auf Seite 19 in Ihre Leitlinien hineingeschrieben haben!

[Georg Pazderski (AfD): Wir wollen keine sittenwidrigen Löhne! Zitieren Sie richtig! – Weitere Zurufe von der AfD]

Ich möchte auch, dass das jeder hier in Berlin weiß, wenn er vielleicht die Täuschung hat, dass er irgendeinen sozialen Protest mit der Stimmabgabe an die AfD ausdrücken könnte. Sie sind auf der anderen Seite, wenn man für den Mindestlohn eintritt, und das soll auch klar sein hier in Berlin.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir von der Linken finden es jedenfalls beschämend, dass in diesem Land Menschen trotz Vollzeitarbeit kein auskömmliches Einkommen erhalten, während wenige in großem Reichtum leben. Wir finden es beschämend, dass langjähriger Mindestlohnbezug diese Menschen in Altersarmut treibt, wenn wir nicht eine weitere Anhebung durchsetzen. Man könnte auch erwarten, dass das Land, das so viel in andere EU-Länder exportiert – wir sind ja sozusagen der Europameister im Export innerhalb der EU –, ganz vorn beim Mindestlohn ist, weil wir ja offenbar die stärkste Volkswirtschaft haben. Aber das ist bei Weitem nicht so. Frankreich, Niederlande, Belgien und Irland liegen teilweise weit über 9 Euro, Luxemburg liegt sogar bei 11 Euro. Dort beginnt auch erst der Bereich, der vor Altersarmut schützt. Das hatte ich schon angesprochen.

Wir haben in dem Antrag eine Regelung zur Anpassung in einem Zeitraum von mindestens zwei Jahren vorgesehen. In diesem Zusammenhang halte ich es für sinnvoll, zukünftig auch die Anregung des DGB aufzugreifen, die er zur Anhörung der Senatsverwaltung geäußert hat. Er empfiehlt eine Orientierung an der untersten Tarifgruppe des öffentlichen Dienstes. Das ist sinnig und hätte eine

(Jürn Jakob Schultze-Berndt)

Anpassungsdynamik. Ferner würde dem Outsourcing von Aufgaben aus öffentlicher Verantwortung wegen Niedriglohnkonkurrenz der Boden entzogen.

Meine Redezeit neigt sich dem Ende.

[Zuruf von der AfD: Auch besser so!]

Ich finde, die geforderte Anhebung würde der Kaufkraft Berlins guttun, die Binnenkonjunktur unseres Landes antreiben und uns allen über höhere Steuern wieder zugutekommen. – Danke, meine Damen und Herren! – Ich bitte darum, dass Sie zustimmen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die AfD-Fraktion hat Herr Wild das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste! – Es sind nicht mehr viele da. – In einer Marktwirtschaft wird der Lohn üblicherweise durch eine Vereinbarung zwischen Anbietern und Nachfragern vereinbart – also zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Der Mindestlohn ist eine Form der Vereinbarung, die von diesem Grundsatz abweicht. Das kann man in einer sozialen Marktwirtschaft machen. Man kann einen Mindestlohn festschreiben, ohne dass dadurch der Markt gleich zusammenbricht, vor allem, wenn der Mindestlohn ohnehin nur einen relativ bescheidenen Anteil der Beschäftigten trifft.

Jetzt muss ich Sie von der Linken leider enttäuschen: Die AfD hat in ihrem Wahlprogramm und auch in ihrem Grundsatzprogramm den Mindestlohn verankert. Es tut mir leid, Sie so enttäuschen zu müssen.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Harald Gindra (LINKE)]

Ich muss aber auch gleich noch eine Frage an die Linken stellen, denn ich habe in Ihrem Programm gelesen, dass Sie einen Mindestlohn von 12 Euro wollen. Insofern ist jetzt die Forderung von Rot-Rot-Grün nach 9 Euro nicht so ganz nachvollziehbar.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Lesen bildet!]

Hat man Sie da irgendwie über den Tisch gezogen, oder wie ist das?

[Beifall und Heiterkeit bei der AfD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gindra?

Ja, gerne!

Bitte sehr!

Können Sie mir Folgendes erläutern? In den Leitlinien Ihrer Fraktion, die Sie vielleicht nicht genau kennen – oder zumindest nicht jeden Satz –, steht auf Seite 19 unten – die vierte oder fünfte Zeile – ausdrücklich, dass Sie staatliche Eingriffe in die Lohnfestsetzung von Privaten ablehnen. Das ist nichts anderes als die Ablehnung des Mindestlohns in Berlin.

[Georg Pazderski (AfD): Nein!]

Oder interpretieren Sie das anders?