Protokoll der Sitzung vom 28.09.2017

[Beifall bei der LINKEN]

Wie ich schon sagte, ist die Kriminalität dort überwiegend gesunken. Auch das taugt nicht zur Begründung Ihres Antrags.

Drittens behaupten Sie – und das finde ich fast schon ein bisschen dreist –, die Aufklärungsquote sei durch Videoüberwachung gestiegen. Woher nehmen Sie das? Das haben meine Vorredner schon gesagt: Die Aufklärungsquote ist in Berlin in den letzten Jahren gesunken, und zwar bei steigender Zahl von Kameras. – Wenn Sie also hier für mehr Videoüberwachung eintreten, können Sie das machen, aber dann werfen Sie bitte nicht mit falschen Fakten um sich!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Ich zähle Ihnen das auf, weil Ihr Antrag ein ziemlich typisches Beispiel dafür ist, wie die Debatte über Videoüberwachung geführt wird, nämlich jenseits von Fakten und jenseits von Rationalität. Aber auf Basis von Gefühlen und auf Basis von Angstmacherei sollten wir keine Sicherheitspolitik machen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP]

Ich entnehme Ihren Reden, dass Sie ungefähr das wollen, was diese Initiative von Herrn Buschkowsky und Herrn Heilmann auch will. Es gab Zeiten, wo Sie von maßvollem Einsatz von Videoüberwachung gesprochen haben – sogar Sie von der CDU. Aber das, was in diesem Gesetzentwurf steht – von Buschkowsky und Heilmann –, ist nicht maßvoll. Es geht über alles hinaus, was wir in Deutschland je hatten. Es sollen ohne irgendwelche Begrenzungen Orte in Berlin videoüberwacht werden können. Wer soll das alles auswerten, frage ich mich.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Herr Dregger!]

Es sollen nicht nur Bild-, sondern auch Tonaufnahmen gemacht werden. Die wollen uns nicht nur filmen, sie wollen uns alle auch noch abhören. Dazu kommen die Gesichtserkennung als Standardinstrument und die Algorithmen, die unser Verhalten auswerten. Wenn Sie hier von einem maßvollen Einsatz von Videotechnik oder verharmlosend von Videoschutz oder Videoaufklärung sprechen oder wenn Sie sogar wie die Initiatoren des Volksbegehrens von mehr Datenschutz sprechen, den Sie schaffen wollen, dann ist das einfach falsch. Es tut mir leid! Dann ist das nichts weiter als der Versuch, die Bevölkerung über die Folgen dieser Maßnahmen zu täuschen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich finde, man kann da nur aufklären, und das wahre Ziel dieser Initiative ist eine ausufernde Überwachung. Das ist ein großer Lauschangriff und eine massenhafte Erfassung

von biometrischen Daten von völlig unschuldigen Menschen. Davor kann man die Berlinerinnen und Berliner nur warnen. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Heiko Melzer (CDU): Diese unschuldigen Menschen wollen das aber!]

Vielen Dank! – Dann hat für die FDP-Fraktion der Kollege Luthe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, dass wir diese Debatte schon ein- oder zweimal geführt haben. Das Unterhaltsame daran scheint mir aber zu sein, dass wir sie mittlerweile mit einem Nebensatz in der Überschrift führen können, nämlich mit dem Verhindern von „Geisels Taschenspielertricks“, wie es die CDU formuliert. Ich möchte auf diesen Punkt auch einmal eingehen. Das scheint mir bislang ein wenig untergegangen zu sein. Die mit Kameras bestückten Bollerwagen, die der Innensenator irgendwo aufstellen will – möglichst an festen Orten, aber man soll sie später noch einmal bewegen können; das sei dann eine mobile Lösung –, haben schlichtweg für das, was dort damit geschehen soll, keinerlei Rechtsgrundlage. Der immer wieder angeführte § 24 des ASOG erfordert, dass für diese Aufzeichnung Tatsachen vorliegen, die es nahelegen, dass aus diesen Versammlungen Straftaten begangen werden. Diese Tatsachen müssen Sie zunächst einmal jeweils auf jede Ansammlung bezogen feststellen. Sie können nicht präventiv davon ausgehen, dass das immer der Fall ist, und pauschal alles filmen.

Das wäre per se ja noch nicht mal schlimm. Sie machen das jetzt einfach mal. Jetzt gehen wir mal davon aus, mit dieser – – Wo ist denn der Innensenator?

[Zuruf: Ist nicht so wichtig für ihn! – Weitere Zurufe]

Na ja, gut! Dann könnte er zumindest ein bisschen was lernen. Aber das kann er auch nachlesen.

[Anne Helm (LINKE): Wieso? Er ist doch da!]

Also: Ohne dass Sie eine verlässliche Rechtsgrundlage für die Aufzeichnung und Verwertung dieser Videodaten haben – und die haben Sie gegenwärtig nicht –, werden Sie das Problem haben, dass Sie wunderbarste Aufnahmen haben, die aber vor Gericht komplett wertlos sind und die eben gerade nicht dazu führen, dass irgendeine Tat im Ergebnis aufgeklärt und der Tatverdächtige und faktische Täter verurteilt wird, sondern der wird lachend aus dem Saal gehen, weil Sie nicht die Rechtsgrundlage geschaffen haben.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das zur aktuellen Regelung der Koalition!

Auf der anderen Seite sind wir wieder mal bei der Frage – – Ich sehe, dass hier jemand eine Zwischenfrage hat.

Ich hätte Sie gefragt, wenn Sie eine Pause gemacht hätten. – Herr Woldeit hat eine Zwischenfrage.

Vielen Dank, Herr Kollege Luthe! – Sie haben gerade eindrucksvoll auch die rechtlichen Schwierigkeiten der mobilen Videoüberwachung dargelegt. Teilen Sie meine Einschätzung, dass unabhängig von der rechtlichen Betrachtungsweise das Aufstellen einer temporären Videoüberwachung mit den entsprechenden Hinweisschildern: „Achtung, hier wird videoüberwacht!“ nichts anderes darstellt als eine temporäre Verschiebung von kriminalitätsbelasteten Orten?

[Benedikt Lux (GRÜNE): Also gar keine Videoüberwachung?]

Sie nehmen damit in der Tat einen weiteren Punkt schon vorweg. Natürlich erreichen Sie mit einer stationären oder auch teilstationären Videoaufzeichnung immer nur eine Verlagerung des Problems. Uns geht es doch darum, die Probleme zu lösen. Dafür – da wundere ich mich sehr – haben jetzt bereits mehrere Leute auf diesen Sicherheitsbericht der BVG zurückgegriffen. Das möchte ich auch gern machen.

Wir haben für das Jahr 2012 einen relativen Tiefststand beispielsweise der Sexualdelikte im Bereich der BVG mit 47 Delikten. Wir haben im Jahr 2016 einen Stand von 84 Delikten. Das ist nahezu eine Verdoppelung. Wir haben im gleichen Zeitraum auch eine Verdoppelung der erhobenen Videodaten, da im Juni 2012 der Speicherzeitraum von 24 Stunden auf 48 Stunden verlängert worden ist.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Gute Maßnahme!]

Mehr Daten haben also in der Tat nicht zu einem besseren Ergebnis, sondern zum Gegenteil geführt. Wir haben nicht mehr Sicherheit dadurch. Sie haben offensichtlich das Gegenteil erreicht.

Nehmen wir einen anderen Aspekt, den des Taschendiebstahls, das häufigste Delikt im Bereich der BVG. Von 4 191 im Jahr 2012 sind wir aktuell bei 13 869 Taten. Die Zahl der Taten hat sich verdreifacht – so viel wieder zu Ihrem Abschreckungseffekt.

(Niklas Schrader)

[Beifall bei der FDP]

Sie haben den anderen Aspekt der Aufklärung. Da ist hier sehr allgemein ausgeführt worden, die Aufklärungsquote sei in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Das ist generell richtig. Wenn Sie aber seriös damit arbeiten wollen, lieber Herr Kollege Zimmermann, müssen Sie doch auf die richtigen Zahlen bezogen auf diesen Deliktsbereich zurückgreifen. Sie müssen mit der Straßenkriminalität arbeiten. Dort gibt es sehr eindrucksvolle Zahlen. Darunter fällt auch der Bereich der BVG. Wir finden auf Seite 86 der polizeilichen Kriminalstatistik eine Aufklärungsquote im Jahr 2007 von 12,7 Prozent. Seitdem sind massiv Kameras im Bereich der BVG aufgebaut, die Speicherdauer ist verlängert worden. Jetzt raten Sie einmal, wo die Aufklärungsquote 2016 ist? Sie liegt noch bei neun Prozent. Sie ist kontinuierlich in all diesen Jahren von mehr Datenerhebung gesunken. Sie haben weder mehr Aufklärung, sie haben weder mehr Präventionswirkung, sie haben schlichtweg nichts erreicht, außer, dass Geld fehlt, um Personal für Sicherheit einzusetzen. Nur dieses Personal, ob bei der Polizei, ob bei der BVG, kann konkret helfen und schafft Sicherheit. Das Aufstellen von Kameras schafft das nicht. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Lux das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gehört: Ein Teil der Opposition will viel, viel mehr Videoüberwachung. Ein anderer Teil der Opposition, wie mein Vorredner, sagt: Videoüberwachung bringt gar nichts. – Ich sage für Rot-Rot-Grün: Wir stehen genau richtig, wo wir stehen. Wir stehen in der Mitte mit Maß und Mitte, mit Besonnenheit, Videoaufklärung zu machen, aber nicht zu übertreiben.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD]

Wir haben heute in der Aktuellen Stunde auch über die Grundlagen der Demokratie gesprochen, über das Verhältnis von Volksentscheid und Parlament. Wenn ich den Antrag der CDU-Fraktion lese, muss man wirklich noch einmal über das Parlament und die Grundlagen von Demokratie und Regierung reden.

Einerseits schreiben Sie in Ihrer Überschrift – Kollege Zimmermann hat das ausgeführt –: Videoschutz mit Volksbegehren. Auf der anderen Seite schreiben Sie:

Der Senat wird aufgefordert, an kriminalitätsbelasteten Orten stationäre Videoüberwachung einzu

richten und dafür die entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zu schaffen.

[Heiko Melzer (CDU): Sie haben es abgelehnt!]

Sie haben anscheinend nicht aufgepasst, Herr Kollege Dregger: Gesetze werden vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Sie sitzen im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Senat ist die Landesregierung. Er schafft die Rechtsgrundlage nicht. Er führt sie aus. Sie haben hier Antragsrecht. Warum legen Sie denn keine Gesetzesvorlage vor? Was hindert Sie denn daran, Herr Kollege Dregger? Schreiben Sie es doch einmal auf!

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Woldeit?

Jetzt nicht, später. Ich denk daran! – Wer weiter in den Antrag einsteigt und immer noch die Begründung liest, wird auf weitere Ungereimtheiten stoßen. Herr Dregger! Sie sprechen dort von einem „vollwertigen Schutz durch Videokameras“. Ich bitte Sie! Das glauben Sie doch selbst nicht, dass eine Kamera vollwertigen Schutz bietet. Sie kommt doch nicht herunter und hilft im Ernstfall.

Zweitens sprechen Sie davon, dass kriminalitätsbelastete Orte immer mehr zu „No-go-Areas“ werden. Das ist ein direktes Zitat aus Ihrer Begründung. Wohlgemerkt, die kriminalitätsbelasteten Orte sind hier der Alexanderplatz, Leopoldplatz, Schöneberg-Nord, Warschauer Brücke, Rigaer Straße, Kottbusser Tor, Herrmannstraße und -platz, Görli. Das sind No-go-Areas? Also, ich bitte Sie! Das sind die Gegenden, in denen das Leben in Berlin pulsiert.

[Lachen bei der AfD]

Sie kennen unsere Stadt nicht.

[Karsten Woldeit (AfD): Gehen Sie aber mal nachts um halb eins dort hin!]