Protokoll der Sitzung vom 19.10.2017

[Melanie Kühnemann (SPD): Wollen Sie das aufhalten?]

Trotzdem halte ich es für wichtig zu betonen, dass wir zu einem Gesetzentwurf reden. Und ich finde es auch sehr schön, dass wir zu einem Gesetzentwurf reden; denn wir haben in den vergangenen Monaten des Öfteren über Anträge diskutiert, die die rot-rot-grüne Koalition eingebracht hat, um den Senat aufzufordern, Teile des Koalitionsvertrages umzusetzen. Das ist eine sehr schöne Selbstbeschäftigung. Ich finde es aber wesentlich besser, wenn wir uns Umsetzungsentwürfen widmen.

Die Änderungsvorschläge des Senats, die auch die CDUFraktion positiv sieht, erwähne ich nicht alle separat, schließlich wollen wir eine Debatte führen. Bei einer Debatte ist es ganz gut, wenn man auch einen kontroversen Punkt herausstellt.

[Regina Kittler (LINKE): Na, dann kommen Sie doch mal dazu! Ein bisschen Inhalt!]

Ich halte es aber für ganz wichtig und auch für ehrlich zu betonen, dass ganz viele Punkte, die der Gesetzentwurf enthält, von uns positiv gesehen werden und unsere Zustimmung finden.

[Beifall von Melanie Kühnemann (SPD), Katrin Seidel (LINKE) und Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE)]

Ich beschränke mich auf den Punkt, an dem man noch mal besprechen sollte, wie es weitergehen soll. Sie wollen Zuzahlungen für Angebote in Kitas anzeigepflichtig

(Melanie Kühnemann)

machen und begrenzen. Frau Kühnemann hat dazu bereits ausgeführt. Das erschwert und verhindert zusätzliche Bildungsangebote und ist daher eine Bildungsbremse. Zudem sollen die wesentlichen Punkte nur durch Rechtsverordnung oder durch eine Leistungsvereinbarung geregelt und somit der parlamentarischen Kontrolle entzogen werden. Das geht in die falsche Richtung und ebnet lediglich den Weg zu Gleichmacherei.

Um die Vielseitigkeit und Qualität im Bildungsangebot der Berliner Kitas zu erhalten, hat die CDU-Fraktion in der vergangenen Wahlperiode eine Änderung des Kitaförderungsgesetzes in Bezug auf eine Zuzahlungsbegrenzung für zusätzliche Bildungsangebote verhindert. Wir sollten Kitas, die zusätzliche Angebote machen, nicht entmutigen, sondern ermutigen, ihr Profil auch weiterhin zu entwickeln und es den interessierten Eltern auf freiwilliger Basis zur Verfügung zu stellen.

Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende bürokratische Aufwand. Das sehen wir ganz anders als Sie, Frau Kühnemann, die Sie sagen, da müsse nur eine Anzeige gemacht werden. Nein, es ist tatsächlich Aufwand, den das Anzeigeverfahren für Zusatzleistungen mit sich bringt. Sie verursachen, sollte dieser Entwurf tatsächlich verabschiedet werden, mehr Bürokratie in den Kitas bzw. bei den Kitaträgern, je nachdem, wer die Meldung macht, und bei der öffentlichen Verwaltung. All diese Bürokratie wird mittelbar oder unmittelbar aus Steuermitteln bezahlt. Wir brauchen aber nicht mehr Zeit und Kosten für Bürokratie und staatliche Reglementierung, sondern Zeit und Geld für die Betreuung und Bildung unserer Kinder.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wenn uns etwas fehlt, Frau Senatorin, sind das noch mehr Kitaplätze und noch mehr Erzieherinnen und Erzieher, damit die Wahlfreiheit der Erziehungsberechtigten gestärkt wird. Die Eltern haben doch schon nach der heutigen gesetzlichen Regelung in Berlin, der ausführlichsten aller 16 Bundesländer zum Thema Zuzahlung, eine starke rechtliche Stellung, Frau Kühnemann hat es ausgeführt. Zusatzangebote bedürfen der Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Die Eltern können diese jederzeit kündigen. Eine Kündigung ist eine einseitige Willenserklärung. Dies muss schon nach der heutigen Gesetzesfassung ohne Folgen für die Betreuung des Kindes oder der Kinder im jeweiligen Kindergarten bleiben. Die heutige Gesetzesfassung ist als Schutz ausreichend. Deshalb wiederhole ich noch einmal: Die heute debattierte Änderung ist eine Bildungsbremse, jedenfalls die Zuzahlungsänderung. So etwas findet nicht die Zustimmung der CDU-Fraktion. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Seidel das Wort.

Verehrter Herr Kollege Simon! Wir sind doch sehr zuversichtlich, dass dieser weitreichende Gesetzentwurf die Zustimmung der Mehrheit finden wird.

[Beifall von Melanie Kühnemann (SPD) – Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

Es geht uns allen um das Wohl der Kinder. Natürlich setzen wir unseren Koalitionsvertrag um und gießen die geplanten Maßnahmen in Gesetzesform.

Die neuen Maßnahmen, die das Kitaförderungsgesetz vorsieht, werden in erster Linie die Stärkung der Rechte der Kinder und Eltern zum Inhalt haben. Zudem werden bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für die Beschäftigten in den Kitas geschaffen – dagegen kann keiner was haben.

Für uns als Linke stellt die Schließung einer Gerechtigkeitslücke ein besonders wichtiger Schritt dar. Alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr haben ab Januar 2018 einen Rechtsanspruch auf bis zu sieben Stunden Förderung, Betreuung, Spielen und Lernen in einer Kita,

[Beifall von Melanie Kühnemann (SPD)]

und zwar unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern. Es war noch nie nachvollziehbar, warum Kindern weniger frühkindliche Förderung zustehen soll als anderen, nur weil ihre Eltern aus unterschiedlichen Gründen gerade nicht berufstätig sind, sie gerade eine Ausbildung oder eine Arbeit suchen, Angehörige zu Hause pflegen, aus kulturellen oder traditionellen Gründen nicht im Beruf oder einfach arbeitslos sind. Wir wollen alle Kinder möglichst früh an Bildung teilhaben lassen, gerade auch jene, die wir bisher noch nicht erreicht haben. Das wird dieses Gesetz umsetzen.

Weiterhin werden Hürden abgebaut. Es wird ein Verwaltungsakt abgeschafft – die Bedarfsprüfung von Amtswegen, die nach Vollendung des dritten Lebensjahrs durchgeführt wurde, gibt es nicht mehr. Das spart im Übrigen auch sehr viele Steuermittel, es erspart den Eltern bürokratischer Aufwand und entlastet die Kolleginnen und Kollegen in den Jugendämtern.

Aber natürlich braucht eine gute fachliche Kitaförderung ausreichend gut qualifiziertes Personal. Genau da haben wir seit geraumer Zeit unser größtes Problem. Unser Kitasystem war bereits in den letzten zehn Jahren unglaublich dynamisch, um das auch einmal zu sagen. Wir hatten einen Zuwachs von 50 000 Kitaplätzen und rund 13 000 Fachkräfte mehr in unseren Kitas, auch mit dem erfreulichen Trend, dass inzwischen 27 Prozent dieser Fachkräfte Männer sind; darüber freuen wir uns ganz besonders.

Trotz dieser Aufwüchse ist der Bedarf an Plätzen und Fachkräften aber akut. In den nächsten Jahren werden

(Roman Simon)

20 000 bis 25 000 weitere Kitaplätze in der Stadt gebraucht. Es werden zudem 4 700 zusätzliche pädagogische Fachkräfte benötigt. Auf einem Fachtag zum Fachkräftemangel des Pestalozzi-Fröbel-Hauses berichtete vorgestern beispielsweise eine Kitaleiterin aus Lichtenberg, dass von den 236 Plätzen in ihrer Einrichtung 40 nicht belegt werden können, weil das Personal fehlt. Der Kita-Eigenbetrieb Nordost, unser größter Träger im Land Berlin, spricht sogar von 500 unbelegten Plätzen. Andere Einrichtungen entscheiden sich für verkürzte Öffnungszeiten. Das kann natürlich alles nicht in unserem Sinne sein.

Auch wenn die Situation in der heterogenen Kitalandschaft Berlins sehr unterschiedlich ist: Man kann den Mangel vielerorts sehen. Das erleben auch die Eltern so, die allerdings selten eine andere Wahl haben. Deshalb ist es eine weitere wichtige Maßnahme im neuen Gesetz, die berufsbegleitende dreijährige Ausbildung, die auch zunehmend in Anspruch genommen wird, weiter zu stärken. In 2017 haben wir bereits über 1 500 neue Quereinsteigerinnen. In 2016 waren es 1 133, während wir bei der Vollzeitausbildung leider rückläufige Bewerbungszahlen und sogar freie Ausbildungsplätze haben, und das, obwohl das Schulgeld abgeschafft wurde.

Die Förderung des Quereinstiegs ist ein wichtiger und erfolgreicher Weg. Bis zu 15 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kitas sind bereits Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger, 80 Prozent von ihnen in der berufsbegleitenden Ausbildung. Das bedeutet, dass sie von den Erzieherinnen und Erziehern im praktischen Teil des Berufs im laufenden Betrieb in der Kita ausgebildet werden. Dafür gab es bisher eine Finanzierung von zwei Arbeitsstunden im ersten Ausbildungsjahr. Das war zu wenig, brachte die Kolleginnen und Kollegen an den Rand ihrer Kräfte und entsprach nicht mehr ihrem Anspruch an die Qualität ihrer Arbeit und der Ausbildung. Gute Ausbildung braucht Zeit, die nicht auf Kosten der direkten pädagogischen Arbeit mit den Kindern gehen darf. Deshalb gibt es ab Februar 2018, Kollegin Kühnemann hat es bereits gesagt, drei Anleitungsstunden im ersten Ausbildungsjahr finanziert, zwei im zweiten und eine Stunde im dritten Jahr. Das ist ein wichtiger Anreiz für die Träger, weiterhin und mehr auszubilden. Es ist auch ein wichtiger Schritt zu besserer Anleitung und zu mehr Zeit für gute Arbeit für das pädagogische Personal.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir hätten uns diese Regelung sofort und für alle gewünscht und nicht nur für die kommenden Ausbildungsgänge, aber dazu ist möglicherweise das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Auch bei der Freistellung der Kitaleiterinnen und -leiter vom Gruppendienst wird ein weiterer Schritt gegangen, eher als bisher vorgesehen. Ab August 2019 gibt es die Freistellung ab 90 Kindern in der Einrichtung. Auch das

geht vielen Fachkräften noch nicht weit genug, aber es ist ein weiterer wichtiger Schritt. Auch Kitaleiterinnen und -leiter werden vielerorts mit der Lupe gesucht, deshalb ist es ein wichtiges Signal.

[Beifall von Melanie Kühnemann (SPD)]

Die Zuzahlungsregelungen werden transparenter und konkreter gefasst, um nicht mehr die Situation zu haben, dass der Kitaplatz ab nächstem Jahr zwar für alle Jahre kostenfrei ist, aber heimliche Gebühren eingesammelt werden. Das geht so nicht, und wir reden hier nicht von Gleichmacherei, vielmehr ist das ein weiterer Schritt zu mehr Gleichberechtigung.

[Beifall von Bettina Domer (SPD)]

Das Kitasystem ist und bleibt dennoch eine Riesenbaustelle. Viele Herausforderungen bleiben: Wie wollen wir weiterverfahren mit dem Thema Eigenanteil? Wie die Tariflücke schließen? Brauchen wir eine Flexibilisierung in der Ausbildung? Wie kann der Beruf insgesamt attraktiver gemacht werden, sodass wir mehr Fachkräfte gewinnen können? Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sind wir aber schon auf einem sehr guten Weg. Auch ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat die Abgeordnete Bießmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Kindertagesförderungsgesetz und Kindertagesförderungsverordnung – hört sich erst einmal gut an, ist sicherlich auch gut gemeint. Was soll aber mit dieser Gesetzesänderung und der Verordnung eigentlich erreicht werden? – Der erste Punkt, den ich anführen möchte: Es sollen zusätzliche Kosten für die Eltern gesenkt werden. Dies bedeutet finanzielle Entlastung für Familien. Zweitens soll durch eine Erweiterung der Teilzeitförderung die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert werden. Als dritten Punkt möchte ich anführen, dass nach Beschluss eine komplette Bedarfsprüfung ab dem dritten Lebensjahr entfällt. Sehen wir uns diese Punkte einmal genauer an!

Erstens: Finanzielle Entlastung für Familien ist immer und grundsätzlich positiv und wird von der Alternative für Deutschland begrüßt. – Zweitens: Des Weiteren begrüßt die AfD eine Erweiterung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Allerdings sind der Alltag einer Berliner Familie und der hier vorgestellte Vorschlag nicht zu vereinbaren. Ziel der Koalition ist die Vollbeschäftigung, so steht es im Koalitionsvertrag auf Seite 5, Zeile 103 bis 109. Daraus ergibt sich eine normale Wochenarbeitszeit

(Katrin Seidel)

von 40 Stunden, entspricht acht Stunden pro Tag, Arbeitswege nicht inbegriffen. Mit maximal sieben Stunden ist eine ausreichende Kinderbetreuung nicht zu gewährleisten,

[Melanie Kühnemann (SPD): Ohne Bedarfsprüfung!]

somit muss zwangsläufig ein Elternteil in Teilzeit arbeiten und auf Vollbeschäftigung verzichten.

[Regina Kittler (LINKE): Das ist ja völlig kenntnisfrei, was Sie hier erzählen!]

Alleinerziehenden wird das Recht auf Wahlfreiheit zwischen Teilzeit und Vollbeschäftigung vorenthalten. Genau dies steht in starkem Widerspruch zu Ihrem Koalitionsvertrag, meine Damen und Herren von SPD, Linken und Grünen.

[Beifall bei der AfD]

Insofern geht uns dieser Gesetzentwurf nicht weit genug, und wir lehnen den in dieser Form eingebrachten Vorschlag zur Teilzeitförderung ab.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kittler?

Nein, danke!