Frau Schillhaneck! Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Frage, weil sie mir verdeutlicht, dass ich offensichtlich einen falschen Akzent gesetzt habe. Diese Oberstufenzentren machen eine hervorragende Arbeit, sie erbringen tolle Leistungen, sie nehmen viele Personen auf, holen sie dort ab, wo sie sich befinden. Sie haben häufig qualifizierte Lehrer, die haben sehr qualifizierte und sehr ausgefeilte Bildungsprogramme, aber sie bergen eben auch die Gefahr, dass man von einem Bildungslehrgang in den nächsten Bildungslehrgang hineinhoppelt, dass man von der einen Anschlussqualifikation in die nächste Übergangsmaßnahme hineinhoppelt. Es ist sozusagen kein Zufall, dass die Personen im Durchschnitt erst 5,4 Jahre nach Abschluss ihrer Schullaufbahn in einer dualen Ausbildung ankommen. Das ergibt sich nicht von allein, sondern es ist eben so, dass viele Personen, auch wenn sie in OSZs sind, erst einmal wahrnehmen, dass Sie sich weiter beruflich orientieren müssen, dass sie immer noch nicht so weit sind, den harten Weg in eine berufliche, duale Ausbildung zu gehen. Das kann es nicht sein! Wir müssen den Personen aus den OSZ den Weg hinein in die duale Ausbildung eröffnen, hinein in die Unternehmen, wo sie hingehören.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sie sehen, ich sitze auch an meinem Platz! – Vielen Dank für das Zulassen einer Zwischenfrage, Herr Kollege Schultze-Berndt! – Habe ich Sie im Gegensatz zu Frau Schillhaneck richtig verstanden, dass Sie keine Kritik an den Oberstufenzentren als solche geübt, sondern vielmehr den Umstand beschrieben haben, dass die Oberstufenzentren deswegen so sehr benötigt werden, weil wir schlicht und ergreifend eine viel zu hohe fehlende Berufsbildungsreife haben? So hatte ich Sie verstanden.
Ja, Herr Woldeit, Sie haben mich ganz richtig verstanden. Ich kritisiere in der Tat sehr deutlich, dass wir eine zu große Anzahl von Personen haben, die ohne Ausbildungsreife aus dem Berliner Schulsystem herausgehen. Wenn wir 10 Prozent der Kinder ohne Schulabschluss von der Straße in das Leben hineinschicken, ist doch klar, dass das nichts Konstruktives sein kann, ist doch klar, dass wir die programmierte Altersarmut vor uns haben, ist doch klar, wenn die Leute mit 21,5 statt mit 17 Jahren ins Berufsleben gehen, dass die vorher keine Rentenpunkte sammeln können. Das ist doch völlig bekloppt, das ist doch alles mit Ansage!
Anschließend über prekäre Beschäftigung schimpfen und sich wundern, dass die Leute nicht genug Geld beisammenhaben und vorher nicht in die Ausbildungsfähigkeit zu entlassen, das ist ein Skandal!
Wenn wir uns darüber unterhalten, was wir an Modernität brauchen, wenn wir uns darüber unterhalten, was wir an Digitalisierung brauchen, wenn wir uns darüber unterhalten, was wir an moderner Ausbildung brauchen,
und wenn wir uns angucken, was für Programme geschrieben werden von Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer, wenn wir den Masterplan Industrie, wenn wir Tagungen und Workshops, die Entwicklung von Programmen, die Weiterentwicklung der Stärkung der beruflichen Schulen und OSZs aus dem Jahr 2016 angucken, was da alles drinsteht, und wir gucken uns an, was ins Schulgesetz eingebracht wurde, dann kann ich Ihnen sagen: Vergessen Sie alles, was Sie über Modernisierung in den letzten fünf Jahren gehört haben! Das OSZ-Schulgesetz, über das wir diskutieren, die Passagen
zum Oberstufenzentrum im heutigen Schulgesetz, sind vom 5. Februar 2010. Berufsschule, gesetzliche Änderung im Schulgesetz, die letzte Änderung hat stattgefunden am 1. Juli 2004. Seit 2004 und 2010 haben wir die gleichen Regelungen an den Berufsstufen und Oberstufenzentren! Die Modernität ist an diesen Schulen völlig vorbeigezogen. In keiner einzigen Presseerklärung zum Schulgesetz von Rot-Rot-Grün oder der Senatsverwaltung findet irgendeine Ergänzung oder Ansage zum Thema Modernisierung der Ausbildung statt. Dieses Schulgesetz geht an der Ausbildung völlig vorbei. Im Schulgesetz gibt es eine Änderung, die betrifft die Berufsschulen: das ist die Formalität zur Einberufung eines Elternabends. Die wird modernisiert. Alles andere bleibt beim Alten.
Es ist ein Skandal! Die CDU will, dass der Fachkräftemangel beseitigt wird, dass die duale Ausbildung wieder den Stellenwert bekommt, den sie verdient. Das ist gut für die Industrie, das Handwerk, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die dort Beschäftigten und das Gemeinwohl. Was die CDU will, ist gut für die Stadt Berlin, und deshalb brauchen wir schnellstmöglich einen Regierungswechsel hier in Berlin, damit gerade in den Bereichen Schule und berufliche Bildung endlich die richtigen Entscheidungen getroffen werden. – Vielen herzlichen Dank!
[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Christian Buchholz (AfD): Wir stehen bereit!]
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Frau Abgeordnete Brychcy. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihren Anträgen zu beruflichen Schulen in Berlin zeigen Sie als AfD vor allem, dass Sie alte Positionspapiere der IHK wortwörtlich kopieren und neoliberale Politikansätze zur besseren „Verwertung“ von jungen Menschen auf dem Ausbildungsmarkt vorschlagen.
Um eine individuell passende berufliche Perspektive für die Schüler-Sternchen-innen scheint es Ihnen jedenfalls nicht zu gehen.
[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Herbert Mohr (AfD): Die Schüler müssen auf das Leben vorbereitet werden!]
Erster Punkt, Landesinstitut für berufliche Bildung: Berlin ist nicht Hamburg. Nicht alles, was in Hamburg gut
funktioniert, funktioniert gleichermaßen in Berlin, weil wir – in diesem Fall, leider – ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben, aber dazu komme ich gleich noch. Der Berliner Senat hat sich dafür entschieden, eine eigene Abteilung für berufliche Bildung bei der Bildungsverwaltung einzurichten, Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln und den Bereich berufliche Bildung strukturell und personell deutlich zu stärken, insbesondere was die Schulaufsicht und Qualitätssicherung angeht. Das ist auch bitter nötig angesichts des Wildwuchses der privaten beruflichen Schulen in Berlin.
Nein, danke! – Man kann und muss kritisieren, dass die Abstimmung der Akteure in der beruflichen Bildung nicht immer optimal verläuft und durchaus verbessert werden kann. Aber die Gründung eines Landesinstituts erscheint nicht sinnvoll, zumal mit der Sonderkommission „Ausbildung“ beim Regierenden Bürgermeister alle relevanten Akteure, selbstverständlich auch die Wirtschafts- und Sozialpartner, eingebunden sind und sich gemeinsam konkrete Ziele setzen, zum Beispiel zu den Themen Praktikumsqualität, Digitalisierung oder die Integration Geflüchteter in Ausbildung.
Zweitens, die Weiterentwicklung der beruflichen Schulen ist ein gemeinsamer Prozess von OSZs, Sozialpartnern und Verwaltung. Dass die Aufstellung eines Schulentwicklungsplans für OSZs nur auf der Basis von prognostizierten Schüler-Sternchen-innenzahlen, aber nicht auf einer branchenspezifischen Analyse, wie sich der Bedarf an Ausbildungsberufen künftig verändern wird, erfolgt ist, lag an der fehlenden Zuarbeit der Kammern. Nun die fehlende Beteiligung der Wirtschaft zu beklagen, ist absurd.
Drittens: vollzeitschulische Bildungsgänge abschaffen. Jetzt komme ich zu Hamburg: Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit kommen auf 100 Ausbildungsplätze in Hamburg 90 Bewerber-Sternchen-innen. In Berlin sind es 142. Damit haben junge Menschen bei uns bundesweit die schlechtesten Chancen, einen dualen Ausbildungsplatz zu erhalten. In Hamburg gibt es 11 000 betriebliche Ausbildungsstellen für 9 000 Bewerber-Sternchen-innen, bei uns in Berlin gibt es 15 000 betriebliche Ausbildungsstellen gegenüber 21 000 Bewerber-Sternchen-innen. Jetzt stellen Sie von der AfD die Forderung auf, vollzeitschulische Ausbildungsgänge zu streichen. Wir sind froh, dass wir sie haben,
denn die betrieblichen Ausbildungsplätze reichen nicht aus. Es ist auch keine gute Strategie, junge Menschen in die duale Ausbildung zwingen zu wollen, indem man andere Bildungswege kurzerhand abschafft. Vielmehr müssen sich Betriebe und Kammern Gedanken machen, wie man die Ausbildung für junge Leute attraktiver machen kann. Es gibt hervorragende Beispiel von Betrieben, die mit dem Siegel „Exzellente Ausbildungsqualität“ jedes Jahr geehrt werden. Dass Branchen mit schwierigen Ausbildungsbedingungen und vergleichsweise mickriger Vergütung, wie Hotel und Gaststättengewerbe, Lebensmittelhandel oder die Bauberufe, Schwierigkeiten haben, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, ist logisch. Deswegen schulische Ausbildungsgänge zu streichen, weil es die Arbeitgeber-Sternchen-innen gern so hätten, ist Irrsinn. Es gibt renommierte OSZs – Lise-Meitner, Elinor Ostrom –, die hervorragende vollschulische Bildungsgänge anbieten. Gerade für Schüler und Schülerinnen ohne Schulabschluss oder mit Förderbedarf bieten OSZs Perspektiven, die sie nur in wenigen Betrieben erhalten. In Ihrem Antrag steht kein einziges Wort von der Stärkung von Schulsozialarbeit, Inklusion von SchülerSternchen-innen mit Handicap oder von Integration Geflüchteter. Aber es hätte mich auch gewundert, wenn es so gewesen wäre.
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]
Bezüglich der Werbung zur dualen Ausbildung haben Sie vielleicht die neue Ausbildungsinitiative „#seiDUAL“ unter Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters zur Kenntnis genommen, Berufs- und Studienorientierung, im kommenden Jahr haben wir den Talentecheck, der in den 8. Klasse an den Start gehen wird – übrigens ein Gemeinschaftsprojekt von IHK, Regionaldirektion und Bildungsverwaltung.
Zur Digitalisierung: Anstatt hier die IHK-Forderung zu postulieren, sollten Sie sich ein Beispiel an der hartnäckigen Oppositionsarbeit der FDP nehmen, die die eklatant schlechte Breitbandanbindung der OSZs öffentlich gemacht hat. Hier muss schnell für die OSZs Abhilfe geschaffen werden, daran wird sich diese Koalition messen lassen müssen.
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Paul Fresdorf (FDP): Oh!]
Wir als Linke werden diesen Anträgen nicht zustimmen. Wir wollen nicht einfach die IHK-Position übernehmen, weil uns die persönliche Entwicklungsperspektive der jungen Menschen wichtig ist. Da haben wir noch viel zu tun, egal ob Senat, Betriebe, OSZs, dass wir diesen Anspruch auch umsetzen werden. – Danke!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich die Antworten des Senats auf meine Schriftlichen Anfragen zum Thema berufliche Bildung lese.
Ich zitiere: „Dazu liegen dem Senat keine Daten vor.“ – „Eine Aussage hierzu ist nicht möglich.“ – „Diese Daten können nicht erfasst werden.“ – „Genaue Angaben liegen nicht vor.“ – „Informationen liegen nicht vor.“ usw. usf. Und das sind nur die letzten Drucksachen, denen ich das entnommen habe. Die Unkenntnis des Senats in diesem Bereich stapelt sich förmlich auf meinem Schreibtisch.
Bei mir ist der Eindruck entstanden, dass – und insofern ist Ihr Anliegen von der AfD nicht verkehrt – der Senat das Thema berufliche Bildung komplett ignoriert.
Die Anträge hier helfen allerdings auch nicht weiter. Sie, die Kollegen von der AfD, fordern ein Landesinstitut für berufliche Bildung und wollen damit de facto eine Doppelstruktur durch die andere ablösen.
Wir brauchen aber keine Strukturdebatte. Wir möchten, dass die berufliche Bildung qualitativ besser wird. Wir wollen, dass sie mehr anerkannt wird. Das ist doch das eigentliche Problem. Der Meister soll genauso viel wert sein wie der Master. Dahin müssen wir doch endlich kommen.
[Beifall bei der FDP, der CDU, der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]