Protokoll der Sitzung vom 18.10.2018

Frau Kollegin Brychcy! Sie haben ja recht: Die Zuständigkeiten wurden gebündelt bei der Senatsverwaltung für Bildung. Aber da kommt ja nichts. Die Verwaltung ist in der Pflicht, und ganz besonders Frau Scheeres. – Frau Senatorin! Verlassen Sie Ihren gemütlichen Senatssessel, und kommen Sie nun endlich dazu, sich um die berufsbildenden Schulen zu kümmern.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Heiko Melzer (CDU) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Zweitens: Die AfD möchte hier alle vollschulischen Plätze an den Oberstufenzentren insofern reduzieren, als es eine freie Anzahl von Ausbildungsplätzen gibt, und damit quasi der dualen Ausbildung immer Vorrang geben. So einfach ist es aber eben nicht. Sie haben hier Mutmaßungen, vielleicht naheliegende Mutmaßungen, geäußert – auch die CDU –, aber die entscheidenden Fragen stellen Sie nicht. Und die Grünen wollen sie erst gar nicht stellen:

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wie gut sind denn die Ausbildungsgänge an den Oberstufenzentren? Wer absolviert eine vollschulische Ausbildung und hängt danach eine duale Ausbildung dran, die er auch gleich hätte machen können? Und vor allem: Wo stecken die Schülerinnen und Schüler nach dem Schulabgang oder -abschluss? – Wir wissen es nicht. Sie verschwinden im System, und plötzlich, mit im Schnitt 21 Jahren, fangen sie eine Ausbildung an. Nirgendwo in Deutschland starten Azubis ihre Ausbildung später als in Berlin. Das ist ein Skandal.

[Beifall bei der FDP]

Frau Scheeres! Ich erwarte, dass Sie auf diese Fragen endlich Antworten liefern. Entweder haben Sie keine Zahlen, oder Sie rücken sie nicht raus. In beiden Fällen kann ich daraus nur schließen: Es interessiert Sie schlicht nicht, was aus den Schülerinnen und Schülern wird, wenn sie die Schule verlassen, was besonders verantwortungslos ist bei denen, die keinen Abschluss in der Tasche haben.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Stefan Evers (CDU) und Heiko Melzer (CDU)]

Übernehmen Sie endlich Verantwortung für die Kinder in unserer Stadt, damit sie eine gute Chance haben! – Jeder Jugendliche und jede Jugendliche hat einen Anspruch auf eine echte Chance.

Dritter Punkt: Die AfD fordert Konzepte zur Digitalisierung und zum Personal. Ganz ehrlich: Wenn der Senat könnte oder wenigstens wollte, hätte er es doch längst getan.

[Paul Fresdorf (FDP): Beides geht ja nicht!]

Schauen wir uns die Situation doch einmal genauer an: Die „Morgenpost“ schrieb kürzlich, die Berliner Berufsschulen seien vom Netz abgehängt. In der Tat: Fast keine Berufsschule verfügt über schnelles Internet oder zeitgemäße Computer. Sie müssen sich das einmal vorstellen! Der Internetanschluss, mit dem wir zu Hause surfen, muss am OSZ für Logistik, Tourismus und Steuern für 2 300 Schülerinnen und Schüler reichen. Da können wir gleich jedem Jugendlichen ein 56k-Modem zu Weihnachten schenken. Das ist wirklich peinlich.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Dabei gibt es für den Ausbau dieser Infrastruktur sogar noch Geld vom Bund. Der Senat verpennt es aber, diese Fördergelder beim Bund zu beantragen. Wie peinlich ist das denn!

[Beifall bei der FDP – Senatorin Sandra Scheeres: Wir sind überhaupt nicht antragsberechtigt!]

Ich stelle also fest: AfD ahnungslos, Senat regungslos –

[Georg Pazderski (AfD): Und die FDP bedeutungslos!]

und das hat die berufliche Bildung wirklich nicht verdient.

[Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Remlinger das Wort! – Bitte schön!

Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Jasper! Dazu wollte ich in meiner Rede eigentlich gar nichts sagen, aber wenn Sie etwas Falsches sagen, muss man es, glaube ich, auch klarstellen: Es werden eben keine vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel nicht abgerufen. Die Mittel zum Digitalpakt sind in der endgültigen Klärung. Sobald Berlin abrufungsberechtigt ist, werden sie auch abgerufen werden.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Aber zu dem, was ich eigentlich sagen wollte: In der Tat ist das Thema berufliche Bildung ein sehr wichtiges. Ich fürchte, dass wir die einzigen sind, die sich da beide Seiten anschauen wollen. Für uns ist es unerträglich, dass nach wie vor Tausende von Jugendlichen jedes Jahr unversorgt sind. Es geht eben nicht nur um den Schulabschluss, sondern auch um den Anschluss. Es ist natürlich weder hilfreich noch schön und es verstärkt das Problem, dass die Unternehmen keine Auszubildenden finden, dass viele Ausbildungsplätze nicht besetzt sind. Aber ich glaube nicht, dass wir gemeinsam weiterkommen, wenn wir diese beiden Seiten ungeduldig gegeneinander ausspielen, wie Sie das gemacht haben, Herr SchultzeBerndt, wenn Sie sagen: Wir kümmern uns um die Wirtschaft. – Wir als Bündnis 90/Die Grünen kümmern uns um die Wirtschaft, aber wir kümmern uns eben auch um die Jugendlichen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich glaube, jenseits der Details, die hier heute schon genannt worden sind, jenseits der Frage, was diese Koalition alles getan hat, um die berufliche Bildung aufzuwerten, wissen Sie, dass wir die berufliche Ausbildung aufwerten – wenn Sie unseren Koalitionsvertrag gelesen haben –, dass wir ganz klar verankert haben, dass die berufliche Bildung gleichwertig zur allgemeinen Bildung

werden soll, dass die Frage der Anschlussorientierung mit dem Vorrang der dualen Ausbildung gleichberechtigt neben die Abschlussorientierung treten soll, dass es ganz wichtige Schritte sind, schon in der Grundschule mit einer guten Bildungswegeberatung zu beginnen, um klarzustellen, dass eine Ausbildung ein gleichwertiger Bildungsweg ist,

[Jürn Jakob Schultze-Berndt (CDU): Alles Lippenbekenntnisse!]

dass wir ein Landeskonzept für Berufs- und Studienorientierung haben, dass wir die Jugendberufsagentur seit drei Jahren am Start haben, dass wir beim Pilotieren des Berliner Ausbildungsmodells sind, das eine schnellere Einmündung in die duale Ausbildung garantiert usw. usw.

Herr Schultze-Berndt! Wenn Sie jetzt schon wieder ungeduldig dazwischenrufen, dann sage ich: Wir können uns in der beruflichen Bildung gerne über jedes wichtige Detail auseinandersetzen, aber man braucht Geduld und Tiefe für diese Auseinandersetzung, weil es nicht so einfach ist.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Wir haben strukturelle Probleme im Land Berlin, für die weder dieser Senat

[Stefan Franz Kerker (AfD): Alles Misswirtschaft! Ja, genau!]

noch ein anderer – und auch nicht der, an dem Sie beteiligt waren – etwas kann. In der Zeit, in der angeblich alle so untätig waren, haben Sie offensichtlich in den letzten fünf Jahren Ihrer Regierung das Berufsbildungsgesetz auch nicht verändert; vielleicht liegt es auch daran, dass es im Bund gemacht wird.

[Anja Schillhaneck (GRÜNE): Das könnte sein!]

Wenn wir uns vernünftig unterhalten wollen, dann sollten wir uns über die strukturellen Probleme unterhalten, dass die Schulabgänger für die Unternehmen teilweise mit 16 Jahren – wenn sie überhaupt schon 16 Jahre alt sind – einfach vielfach zu jung sind, sodass die Betriebe sie nicht nehmen, wenn sie nicht volljährig sind, weil sie vieles nicht machen dürfen, was sie machen müssten. Da haben wir eine Teilantwort auf die Frage, warum wir erst spät einmünden, unabhängig davon, dass wir mit 21,4 Jahren nicht zufrieden sein können.

Es ist aber wirklich auch bei Ihnen allen ein veraltetes Bild – die FDP nehme ich an der Stelle aus –, dass Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, dass

40 Prozent der Auszubildenden Abitur haben, dass wir einen zunehmenden Qualifizierungsdruck durch die sich verändernde Arbeitswelt haben, dass wir deshalb nicht einfach sagen können, jeder, der einen mittleren Schulabschluss macht, muss in die duale Ausbildung, dass es völlig rational ist, wenn die Familien bzw. die Schülerinnen und Schülern sagen: Vielleicht wäre es auch für mich sinnvoll, einen höheren Schulabschluss zu erwerben.

(Dr. Maren Jasper-Winter)

Wir haben drittens ein strukturelles Problem auf der Ebene unserer Wirtschaftsstruktur in Berlin. Wenn wir nach Hamburg schauen, haben wir dort ein Verhältnis von 18 000 Schulabgängern pro Jahr mit 12 000 Ausbildungsplätzen, die zur Verfügung stehen. In Berlin haben wir 30 000 Schulabgänger jedes Jahr und nur 15 000 Ausbildungsplätze, unabhängig davon, dass wir einige nicht besetzen können. Das heißt, wir haben ein strukturelles Problem, das Sie nicht wegreden können – und Sie von der AfD erst recht nicht –, wenn wir einfach bei den alten Konfliktlinien bleiben und sagen: Sind jetzt die Unternehmen schuld, oder sind die Schüler ungeeignet? Das, was bei der AfD steht, würde bedeuten, dass Tausende von Jugendlichen auf der Straße landen. Das ist nicht die Linie unserer Koalition.

[Karsten Woldeit (AfD): Haben Sie den Antrag auch mal gelesen?]

Wir stehen für „Keinen Abschluss ohne Anschluss“ und wir stehen dafür, dass wir keinen verloren geben. Daran arbeiten wir weiter stetig und gerne auch mit Ihnen im Ausschuss. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Berliner! Ausbildung setzt ausbildungsfähige junge Leute voraus, junge Menschen, die vor allem lesen, schreiben und rechnen können. Deutsch sollten sie, wenn es geht, auch sprechen. Das ist nicht mehr selbstverständlich. Ich will mich heute aber nicht so sehr mit dem Problem beschäftigen, sondern mit der Vermittlung der Jugendlichen, denn ohne Vermittlung dieser Jugendlichen können Sie Ihre Berufsschulen so gut machen wie auch immer, Sie haben aber die Leute dann nicht in den Betrieben.

Da ich beruflich seit 20 Jahren in der Vermittlung arbeite, erlauben Sie mir bitte, einige grundsätzliche Gedanken zu formulieren: Vermittlung ist eine Dienstleistung, deren Sinn sich nicht gleich jedem erschließt. Gleichwohl gibt es sie in fast allen Lebensbereichen. Das private Liebesarbeitsamt erfand den Slogan: „Ich parshippe jetzt“. – Auch da scheint es ohne Vermittlung nicht zu funktionieren. Es geht bei der Vermittlung um das Zusammenbringen von relativ getrennten Lebenswelten. Bei der Ausbildung gilt das ganz besonders. Jugendliche betreten zum ersten Mal die Welt der Erwachsenen. Viele Jugendliche

haben keine realistische Vorstellung von der Arbeitswelt, und der Wert einer geregelten Arbeit erschließt sich den meisten leider nicht. Hier braucht es keine langfristigen Bewerbungstrainings. Es braucht Vermittler, die vermitteln. Dazu brauche ich normalerweise Kontakte und ein Telefon. Das Vertrauen kommt bei seriöser Arbeit dann recht schnell von ganz allein. Wo ich keine Kontakte habe, muss ich sie aufbauen.

Der Vermittler ist ein Grenzgänger zwischen den Welten: der Welt der Arbeitsuchenden und der der Arbeitgeber, die Welt der Lehrlingskandidaten und der der Lehrbetriebe. Diese Arbeit verlangt Menschenkenntnis, Verkaufstalent und Durchsetzungskraft. Ich habe sehr gute Vermittler in Arbeitsagenturen und Jobcentern kennengelernt. Viele der Kollegen sind aber mit dem Verkaufsaspekt überfordert. Man versteckt sich gerne hinter Psychologisieren und Verwaltungsblabla. Ein Vermittler muss vor allem telefonieren. Bevor ich als Vermittler lange Anamnesegespräche führe, rufe ich lieber fünf Betriebe an und vereinbare einen Vorstellungstermin. Das kann auch in einer Jugendberufsagentur funktionieren.

Ich bin allerdings überzeugt, dass private Vermittler auch in der Lehr- und Ausbildungsanbahnung günstiger und erfolgreicher arbeiten als Vermittler in Behörden. Die Vermittlungen sollten erfolgsorientiert entgolten werden. Solange es keine bundesweiten Regelungen für die private Vermittlung von Lehrlingen gibt, sollten möglichst keine weiteren potemkinschen Dörfer auf dem privaten Bildungsmarkt aufgebaut werden. Die Qualifizierungsindustrie hat natürlich immer ein Interesse, weitere Stellen für ihre Sozialarbeiterklientel zu schaffen. Einrichtungen wie Gangway und Co. braucht aber kein Mensch, außer jene, die bei diesen Vereinen auf der Payroll stehen. Unsere Kinder brauchen keine weiteren Flausen im Kopf, sondern z. B. eine Lehrstelle auf dem Bau. Wir brauchen Vermittler, die nicht lange quatschen, sondern die zum Telefonhörer greifen und unsere Kinder in richtigen Betrieben unterbringen. – Schönen Dank!

[Beifall von Dr. Hans-Joachim Berg (AfD) und von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Es wird die Überweisung der Anträge federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit und Soziales sowie an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht. Dann verfahren wir so.